Die EU blockiert zusammen mit anderen reichen Ländern den Antrag auf die Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten auf Covid-Impfstoffe für die Dauer der Covid-19-Pandemie. Die von Indien und Südafrika beantragte und von 100 der 164 Mitgliedstaaten unterstützte Resolution wäre ein wichtiger Schritt, um Unternehmen und Regierungen weltweit die Produktion von Impfstoffen schneller zu ermöglichen und Leben zu retten.

Vorstoß von Indien und Südafrika

Die Regierungen von Indien und Südafrika, beides Länder mit hoher Covid-19-Todesraten, beantragten aufgrund ihrer bisherigen schlechten Erfahrungen bei Pandemien, bei der Welthandelsorganisation (WTO), den Schutz geistigen Eigentums auf alle Covid-19-relevanten Medikamente und Geräte für die Dauer der Pandemie aufzuheben. Dies würden die im TRIPS-Abkommen (Schutz für geistiges Eigentum) vorgesehene Ausnahmeregelungen, die im Falle eines Gesundheitsnotstandes gestatten, über sogenannte Zwangslizenzen oder Parallelimporte Medikamente oder einen Impfstoff unter Umgehung des Patentschutzes kostengünstig und lokal herzustellen, grundsätzlich ermöglichen. Gebraucht werde, argumentieren Indien und Südafrika, eine grundlegende und umfassende Aussetzung der Regelungen, bis die Weltbevölkerung eine Immunität gegen das Virus entwickelt hat.

Patentschutz im EU-Primärrecht

Gut 100 Staaten unterstützen diese Initiative, während die gesamte EU den Vorschlag ablehnt. Die EU hat den „Schutz des geistigen Eigentums“ sogar im EU-Primärrecht, also quasi in Verfassungsrang, verankert, um die Interessen der Konzerne, in diesem Fall der Pharmaindustrie, zu bedienen. Einmal mehr zeigt sich, dass die EU nicht die Überwindung des Nationalismus, sondern dessen Potenzierung ist. Dabei würde man meinen, dass eine schnelle weltweite Verfügbarkeit, der Schutz aller, auch im wirtschaftlichen Interesse der reichen Länder sein sollte. Bleibt fraglich ob sich eine humanistische solidarische Haltung durchsetzen wird, oder ob der Antrag scheitern wird, was weitere unzählige Tote zur Folge haben wird, die vermieden hätten werden können.

„Neokoloniales Verhalten“

Das Berliner European Center for Constituional and Human Rights bezeichnet diese Blockadehaltung der Industrienationen als eine Form von „neokolonialem Verhalten“. Industrienationen hielten ärmere Staaten in Abhängigkeit, statt ihnen zu ermöglichen, sich in der Pandemie auch selbst zu helfen. Diese Blockadehaltung ist ein Rückschritt. Bereits 1955 entwarf die UN-Generalversammlung eine Resolution, durch die ehemalige Kolonialmächte ehemaligen Kolonien durch Techologietransfer wirtschaftlich auf die Beine helfen und damit diese für die vergangene Jahrhunderte der Ausplünderung entschädigen sollte. Sollte. Denn stattdessen machten Industrienationen seither den Patentschutz zu einem Kern ihrer Handelspolitik und schafften es nicht, diese Länder zu entschädigen. Schlimmer noch. Man lässt sie mit dieser Blockadehaltung in Stich, statt die Chance zu nutzen einst begangenes Unrecht, jetzt durch Hilfe zur Selbsthilfe, endlich zu versuchen, ein Stück weit gut zu machen.

Mehr als die Hälfte der Impfstoffe für nur 13% der Weltbevölkerung

Bereits 2020 sicherte sich lt. Oxfam eine kleine Gruppe reicher Länder, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, vorab mehr als die Hälfte der führenden COVID-19-Impfstoffe. 5 Milliarden Dosen seien gekauft worden noch ehe die klinischen Studien abgeschlossen waren. Weniger als 800 Millionen Dosen waren für die ärmsten Länder der Welt vorgesehen, berichtet die Duke University in einer Studie. Eine Knappheit der man eigentlich entgegenwirken wollte.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits im April 2020 die Impfplattform COVAX gegründet, um eine globale Impfgerechtigkeit zwischen armen und reichen Nationen zu schaffen. Knapp 377 Millionen Impfdosen sollen über COVAX bis Juni 2021 ausgeliefert werden – an insgesamt 145 Länder – bis Ende 2021 sollen es 2 Milliarden Dosen sein.

Besonders 92 ökonomisch schwache Länder, die sich teure Vorbestellungen bei den Herstellern nicht leisten können, sollen jetzt die Chance bekommen, mit dem Impfen zu beginnen. Doch Virusvarianten, behäbige Prozesse und Panikkäufe reicher Länder drohen, das Vorhaben auszubremsen. Denn Industrienationen halten an ihrer neoliberalen Politik fest, die das vermeintliche Recht auf Gewinn für Unternehmen auf Kosten der Armen und Menschenrechte, konkret den gerechten und gleichen Zugang zu den Impfstoffen, rechtfertigen soll.

Während in Israel im Schnitt schon jeder Bürger zumindest die erste Impfung erhalten hat, in den Vereinigten Arabischen Emiraten drei von vier, in den USA mehr als jeder Dritte – ist es in Indien nur jeder dreißigste, in Südafrika einer von 300 und in Uganda einer von 3000. Österreich und Deutschland liegen mit einem Siebtel bzw. Achtel der Bevölkerung im oberen Mittelfeld. In zehn afrikanischen Ländern wir noch gar nicht gegen Covid-19 geimpft.

Die Konsequenzen der ungerechten Verteilung aber werden davon unabhängig alle Länder treffen, warnt WHO-Chef Tedros. „Einige Länder beeilen sich, ihre gesamte Bevölkerung zu impfen, während andere gar nichts haben. Das mag kurzfristig ein Gefühl von Sicherheit erzeugen, aber das Gefühl trügt. Denn wenn anderswo auf der Welt die Übertragungen weitergehen, nimmt die Zahl der Mutationen zu. Und je mehr es davon gibt, desto wahrscheinlicher ist, dass manche davon gegen Impfungen immun sind. Das heißt: Solange das Virus irgendwo zirkuliert, solange werden Menschen sterben“ (1.4.2021 Deutschlandfunk)

Patentschutz für Impfstoffe aufheben – Blockade brechen

Darum ist notwendig, dass Arzneimittel und andere unentbehrlichen Bereiche der Daseinsvorsorge zu öffentlichen Gütern deklariert und prinzipiell vom Patentschutz ausgenommen werden. So wie dies bei den HIV-Aids-Medikamenten und Impfstoffen bereits geschehen ist, ist dies nun für die Mittel zur Covid-19 Bekämpfung notwendig. Gabriela Hertig von der Schweizer Menschenrechtsorganisation Public Eye findet es gerechtfertigt, dass Pharmakonzerne durch das Teilen ihres Wissens während der Pandemie auf Profite verzichten sollen, da die öffentliche Hand nach ihren Berechnungen 93 Milliarden Euro in die Impfstoffentwicklung gesteckt hat. Public Eye zufolge hat Moderna sogar eingeräumt, keine Eigenmittel in die Erforschung investiert zu haben. Das hält Moderna wie fast alle anderen Hersteller nicht davon ab, für jede Dose abzukassieren.

Gerade diese Pandemie zeigt aber auch, dass es notwendig ist die staatliche Forschung auszubauen und mit ausreichend Geld auszustatten, um bei der Produktion lebenswichtiger Medizin, Geräte und Zubehör, nicht von Konzernen abhängig zu sein.

Das Überleben der Menschen in Zeiten von Pandemien darf nicht davon abhängen, ob jemand im reichen Norden lebt, der es sich leisten kann, vorzeitig mehr als den Eigenbedarf an Medikamentenvorräten zu decken, und deshalb Zugang zu den lebensrettenden Medikamenten hat oder das Risiko hat zu sterben, nur weil er/sie in einem der Länder des ärmeren Südens lebt, der das nicht kann. Impfstoffe müssen für jeden verfügbar und erschwinglich sein. Wissen und Patentschutz für die wichtigen Covid-19-Impfstoffe müssen jetzt geteilt werden, damit mehr Hersteller große Mengen schnell davon herstellen können.

Deshalb fordert die Solidarwerkstatt Österreich die Österreichische Bundesregierung auf, ihre Blockadehaltung zu beenden und sich solidarisch den 100 Staaten anzuschließen, die die Aussetzung geistiger Eigentumsrechte für Medikamente, Hilfsmittel und Impfstoffe gegen COVID-19 für die Dauer der Pandemie fordern. Zugleich zeigt sich die Notwendigkeit, auch in Österreich einen eigenständigen, öffentlich kontrollierten Pharmasektor aufzubauen, um bei Erforschung und Entwicklung von Vakzinen und existenziellen Medikamenten nicht mehr völlig von großen Pharmakonzernen abhängig zu sein.

Eveline Steinbacher
(3.4.2021)


https://www.deutschlandfunkkultur.de/impfplattform-covax-die-reichen-laender-zuerst.979.de.print?dram:article_id=495055

https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/coronavirus/covax-facility

https://www.aerzteblatt.de/archiv/217929/Globale-Impfinitiative-Arme-Laender-zuletzt

https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/reiche-laender-blockieren-patent-freigabe-fuer-impfstoffe-weiterhin/

https://www.srf.ch/news/international/weltweite-verteilung-das-passiert-mit-den-impfstoff-ueberschuessen

https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/corona-impfstoff-globale-verteilung-pandemie-gerechtigkeit-5vor8

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210310_OTS0096/eu-aufhebung-von-patenten-auf-covid-19-medikamente-endlich-zustimmen