ImageGünther Lanier berichtet aus Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, über die aktuellen Umwälzungen in dem westafrikanischen Land, wo die Menschen sich ihres Staates, ihrer Politik bemächtigen.

 

In Burkina Faso hat “das Volk“ Ende Oktober 2014 mittels dreitägigem Aufstand seinen Langzeitherrscher verjagt. 27 Jahre einer mehr oder weniger sanften Diktatur sind genug – war die Meinung einer behutsam erstarkenden Opposition und einer aktiver und lauter werdenden Zivilgesellschaft. Dann gingen die Leute auf die Straße, ungeheuer viele, und brannten das Parlament nieder, das gerade eine Verfassungsänderung beschließen wollte, die Präsident Blaise Compaoré und seiner Entourage weitere Jahre an den politischen und finanziellen Schalthebeln ermöglicht hätte, brannten den Sitz der Regierungspartei nieder, zerstörten das Haus des kleinen Präsidentenbruders …, drohten mit dem Marsch auf den Präsidentenpalast. Blaise wusste sich nicht anders als durch Flucht zu helfen (Frankreich half dabei) – “sein“ Volk jubelte.

Die Ereignisse der Straße hatten die politische Opposition und auch die Zivilgesellschaft überholt, niemand war vorbereitet, die Macht wurde nach vielem Hin und Her dem zunächst betrauten Militär wieder weggenommen und für ein Jahr einem Übergangspräsidenten, einer Übergangsregierung unter einem Premierminister aus dem Heer, einem Übergangsparlament übergeben.

So konsensuell so gut. Es wurde zuerst viel versprochen, dann längere Zeit wenig getan. Es gab innerhalb der Armee Spannungen (zwischen regulärer Armee und der ihr nur formell unterstellten Präsidentengarde), die aber beigelegt werden konnten. Und in der zweiten Hälfte des Übergangsjahres kam Bewegung in die burkinische Politik. Unter anderem wurden ein paar der Granden des alten Regimes angeklagt, einige kamen in Untersuchungshaft. Von Blaise & co ruhendgestellte Dossiers – darunter die Aufklärung der Ermordung des burkinischen Präsidenten Thomas Sankara 1987 (alle wissen, dass Blaise dazu die Order gab) und die Untersuchung der Ermordung des regimekritischen Journalisten Norbert Zongo 1998 – wurden wieder aufgenommen. Und vor allem wurde ein Wahlgesetz beschlossen, das alle diejenigen, die die Verfassungsänderung unterstützt hatten, von den Wahlen Ende 2015 ausschloss. 

Gegen diesen (nur einmaligen) Ausschluss vom passiven Wahlrecht gab es Widerstand, wenig überraschend – dem Klüngel um Blaise war seit seiner Verjagung zwar ökonomisch nichts weggenommen worden, aber ohne politische Kontrolle war es schwieriger geworden und würde es in Zukunft zunehmend schwieriger werden, diese Reichtümer zu bewahren oder gar zu mehren. Der von der ehemaligen Regierungspartei ins Spiel gebrachte westafrikanische Gerichtshof verlangte eine Präzisierung und Einschränkung der Ausschlussgründe. Als die Listen mit den KandidatInnen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen dann im August 2015 ausgearbeitet waren und der Verfassungsgerichtshof der gesetzlichen Lage entsprechend hochrangige Blaise-UnterstützerInnen (MinisterInnen, Parlamentsangehörige) von den Listen entfernte, gab es kurz heftige verbale Proteste und Drohungen, die Wahlen zu boykottieren – aber bald glätteten sich die Wogen – zumindest für die Parlamentswahlen durften ja andere nachrücken, Partei war keine ausgeschlossen worden.

Am 14. September 2015 legte die Nationale Versöhnungs- und Reformkommission des Übergangsparlaments (an ihrer Spitze Erzbischof Paul Ouédraogo) nach vielmonatiger Arbeit ihren Endbericht vor. Unter ihren Empfehlungen erwies sich eine als explosiv: die Auflösung der Präsidentengarde RSP (Regiment für die Sicherheit des Präsidenten) – ein keineswegs neuer Vorschlag: ein von Blaise eingesetzter Waisenrat hatte selbiges schon 1999 verlangt, doch dieser bestausgebildete und bestbewaffnete Teil der burkinischen Armee (an seiner Spitze ein absoluter Vertrauensmann von Blaise, Gilbert Diendéré, unverständlicherweise auch unter der Übergangsregierung weiterhin Geheimdienstchef), hatte sich erfolgreich quergelegt, sie fürchteten um ihre Privilegien (und Blaise, als er noch da war, samt Entourage, fürchtete wohl um seine physische und finanzielle Sicherheit).

Eben diese Präsidentengarde nahm am 16. September 2015 anlässlich eines Ministerrats den Übergangspräsidenten, den Übergangspremier und zwei Minister gefangen. Militärputsch. Ein “Nationaler Rat für die Demokratie“ unter Gilbert Diendéré übernahm die Macht im Lande. Die RSP patrouillierte in der Hauptstadt. Versammlungen von Putschgegnern wurden im Keim erstickt – es gab auch bald den ersten Toten –, Radios wurden geschlossen, das Telefonieren behindert, unliebsame Oppositionelle wurden zu Hause aufgesucht.

Aber der Widerstand war hartnäckig. In der Hauptstadt Ouagadougou klein und verzettelt – hier wurde ja geschossen. Anderswo groß. Überall kompromisslos.

Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas schickte Vermittler. Die verhandelten. Ihre Vorschläge waren putschistenlastig. Allen, die Widerstand leisteten, war klar, dass solch Nachgeben unakzeptabel war. Der Druck der Straße und der Zivilgesellschaft auf die reguläre Armee wurde stärker. Aus anderen Landesteilen wurden die regulären Truppen in die Hauptstadt beordert – der Generalstabschef hatte sich dem Druck der Heeresbasis gebeugt.

Ein militärischer Konflikt konnte vermieden werden, reguläre Armee und Präsidentengarde verhandelten. Diendéré hatte endlich begriffen, dass er mit seinen 1.300 Präsidentengardisten nicht gegen den Willen aller regieren konnte, auch wenn er sich durchsetzen sollte (was gegen die gesammelte Armee unwahrscheinlich war, trotz besserer Waffen). Am 22.9. räumte er das Feld. Am 23.9. traten die Übergangsinstitutionen ihren Dienst wieder an.

Nach letzten Zählungen gab es 17 Tote und 271 Verletzte, überwiegend durch RSP-Waffen verursacht. Auf Unbewaffnete schießt es sich schwerer – das gilt glücklicherweise offenbar auch für die Elitetruppe des burkinischen Heeres. Per Ministerratsbeschluss wurde nun die Präsidentengarde abgeschafft, mit ihrer Entwaffnung wurde am 25.9. begonnen.

Welch’ Glück, dass Blaise Ende Oktober 2014 aus dem Land gejagt werden konnte! Welch’ Erleichterung, dass der Spuk des Militärputsches ein schnelles Ende fand! Selten genug gewinnt das “Recht“ gegen die Macht. Aber nicht die Flucht des Langzeitpräsidenten und nicht das schnelle Wiederabdanken des Putschgenerals sind das Besondere an den Ereignissen in Burkina im letzten Jahr. Außergewöhnlich ist, wie sehr die Burkinabè sich ihres Staates, ihrer Politik bemächtigt haben. Als Diendéré putschte, war das nicht bloß ein mit unlauteren Mitteln bewerkstelligter Wechsel an der Staatsspitze – es war Diebstahl und Raub – ein gewaltsames, zutiefst ungehöriges Eindringen in den Intimbereich aller. Denn sehr, sehr viele wissen sehr genau, was vorgeht, und was droht, wenn die Langzeitplünderer zurückkehren an die Macht. Und diese Macht gehört neuerdings uns. Die lassen wir uns nicht mehr so leicht wegnehmen. Auch wenn wir keine Gewehre haben. Nur Putschisten haben geschossen und getötet.

Freilich wird es nicht gelingen, die strukturellen Wurzeln des peripheren Kapitalismus gerade in einem seiner ärmsten Länder zu entfernen – kaum wer in Burkina versucht es. Aber wenn wir wachsam bleiben – wie es unter der Übergangsregierung geschah, als zwei Minister dem Druck der Straße weichen mussten – wenn wir die, die uns regieren, beständig nicht aus den Augen lassen, das Regiertwerden als unsere eigene Sache handhaben, können wir Auswüchse in Zaum halten.

Günther Lanier ist Ökonom und lebt seit 2002 in Burkina Faso. Er arbeitet vor allem gegen weibliche Genitalverstümmelung und andere Gewalt gegen Frauen.