Salimata Nah Traoré gegen FrançFaso[1]: Knockout mit wohlformulierten Sätzen. Beim Besuch des französischen Präsidenten in Burkina Faso entzieht eine Studentin dem leeren Gerede Macrons gekonnt das Fundament. Der Militärinterventionismus Frankreichs destabilisiert zunehmend die Sahel-Region.

Günther Lanier, Ouagadougou 29.11.2017

Der französische Präsident befindet sich auf Afrika-Tournee[2]. Für den Auftakt hat er sich Burkina ausgesucht, weil das Land in seinen eigenen Worten das Emblem (Sinnbild) der nach Demokratie strebenden afrikanischen Jugend[3] ist. Wie seine Vorgänger wollte auch Macron neue Akzente setzen und seine “neue Afrikapolitik“ wollte er vor einem jungen Publikum verkünden: vor den StudentInnen der Universität von Ouagadougou[4]. Eine riskante Wette, sind die burkinischen Jugendlichen[5] doch für ihre Aufmüpfigkeit bekannt. Doch sie schien aufzugehen. Immer wieder erntete er Applaus, begonnen hatte er mit einem kleinen Zitat Thomas Sankaras. Danach kam zwei Stunden lang nichts Überraschendes, wenn auch wohlformuliert und mit kleinen Zuckerln für die Anwesenden, oder zumindest Versprechen von Zuckerln. Für nach der Rede waren vier zuvor ausgewählte Fragen an Macron zugelassen. Drei darunter waren der Françafrique gegenüber gebührend kritisch, aber zu wenig durchdacht, um den französischen Staatschef in Bedrängnis zu bringen.

Doch unter den vieren war auch Salimata Nah Traoré. [6]bukrina faso frau 2

Salimata Nah Traoré studiert in Bobo-Dioulasso, Burkina Fasos zweitgrößter Stadt, internationales Recht. Im März 2017 nahm sie in Beirut am internationalen Redewettbewerb der Frankophonie teil und gewann ihn, hat sich gegen mehr als 50 weitere TeilnehmerInnen durchgesetzt[7]. Damals wusste sie freilich noch nicht, dass das Thema des Wettbewerbs “Ex-Kolonien schützen: Hilfe oder Einmischung“ als Aufwärmübung für ihre Konfrontation mit Macron dienen könnte.

Der Kontext

Mit wenigen, aber wunderbar wohlgesetzten und souverän vorgetragenen Worten stellte sie den burkinischen Françafrique-Ableger an die Wand. Sie personalisierte die Sache, die Kristallisationspunkte ihrer als Frage getarnten Anklage waren Thomas Sankara, François Compaoré und Roch Kaboré.

Thomas Sankara wurde am 15. Oktober 1987 von Blaise Compaorés Leuten aus dem Weg geräumt[8] – der Revolutionär störte beim Geschäftemachen.

Der kleine Bruder ebendieses Blaise Compaoré war einer der Hauptprofiteure dieses Mordes, er und sein Clan nutzten Blaises 27-jährige Herrschaft, um sich schamlos zu bereichern. Was die Mittel betrifft, war er wenig zimperlich. Nachdem sein Chauffeur David Ouédraogo, dem er Diebstahl vorgeworfen hatte, durch Folter zu Tode gekommen war, recherchierte Norbert Zongo, Gründer und Herausgeber der Wochenzeitschrift L’Indépendant, in dieser Angelegenheit. Das bekam ihm nicht: Am 13. Dezember 1998 wurden er und seine drei Begleiter nahe Sapouy, circa 100km südwestlich der Hauptstadt, erschossen und ihr Auto in Brand gesteckt. Freilich gilt die Unschuldsvermutung – der Prozess wurde niedergeschlagen, François’ Bruder war ja an der Macht. Nach Blaises Vertreibung wurde der Prozess wiederaufgenommen (ebenso wie der um die Ermordung Sankaras) und ein internationaler Haftbefehl erlassen, der gegenwärtig von der freilich “unabhängigen“ französischen Justiz geprüft wird[9].

Roch Kaboré schließlich war lange Zeit Blaise Compaorés Kronprinz (Minister, Premierminister, Partei- und Parlamentsvorsitzender), bevor er – auf Betreiben François Compaorés – ins Abseits gedrängt wurde, woraufhin er Anfang 2014 zur Opposition wechselte. Nach Blaises Vertreibung Ende Oktober 2014 und einer einjährigen Übergangszeit wurde Roch Ende 2015 zum neuen burkinischen Präsidenten gewählt. Er hatte umfassenden Wandel versprochen – doch seit seinem Amtsantritt hat sich kaum etwas Grundlegendes geändert. In Burkina wächst daher der Unmut, denn Roch erweist sich als Verräter am Volksaufstand (und am Widerstand gegen den Putschversuch vom September 2015).[10]

“Herr Präsident der französischen Republik, wir jungen StudentInnen das Landes der Integren[11] haben Sie mit Ungeduld erwartet. Da gibt es ein paar Angelegenheiten, die mir wichtig sind und bei denen die Verantwortung Frankreichs außer Frage steht.

Ich nutze also die mir hier gebotene Gelegenheit. Ohne Rücksicht auf diplomatische Gepflogenheiten wünsche ich von Ihnen Aufklärung:

Werden Sie zustimmen, dass in der Sache Thomas Sankara die französischen Archive geöffnet werden?

Wir hatten des Weiteren – ohne wirklich daran zu glauben, gestehe ich – gehofft, dass Sie in einem Ihrer Koffer den kleinen Bruder unseres Ex-Präsidenten mitbringen würden. Werden Sie ihn uns nun mit Air France zustellen lassen?

Schlussendlich, sollten Sie dazu die Gelegenheit haben, dann vergessen Sie nicht, den uns Regierenden auszurichten, dass das Vertrauen des Volkes etwas ist, das sie sich verdienen müssen…“[12]

Macron kann einstecken. Um Gesicht zu wahren, hat er geantwortet. Doch auch wenn er in Sachen Sankara ein halbes Zugeständnis machte: Seinem letztlich leeren Gerede war zu offensichtlich das Fundament entzogen worden. [13]

Der Oberlehrer, der keine Lehren erteilt, keine Lehren erteilt, keine Lehren erteilt…

Seine Rede lang hat Macron es wiederholt und wiederholt und wiederholt: “je ne suis pas là pour vous donner des leçons“. Er belehrt nicht und niemanden. Die alten Zeiten der Ungleichheit sind ja vorbei. Zwischen Ex-Kolonialmacht und Ex-Kolonisierten passiert jetzt alles “auf Augenhöhe“. Aus der Entwicklungshilfe ist ja auch die Entwicklungszusammenarbeit geworden (auch wenn sich außer dem Namen nicht viel geändert hat). Und so hüllt die Neo-Kolonialmacht ihren Neo-Imperialismus in Diskurse der Partnerschaftlichkeit und gemeinsamer Interessen. Und in aller Gleichberechtigtheit werden dann also die Themen abgehandelt, die dem Ex- und Neo-Kolonialherren wichtig sind.

Ich werde hier die mehr als zwei Stunden der Rede Macrons[14] nicht dekonstruieren[15]. Es war mühsam genug, ihr so lange zuzuhörenJ, vor allem aber würde das den Rahmen meiner wöchentlichen Radio Afrika-Kolumne bei weitem sprengen. Hier nur Schlaglichter auf das, was Macron selbst am wichtigsten schien.

UnternehmerInnentum statt Entwicklungszusammenarbeit

Business statt Wohlfahrt: Das passt gut in den neoliberalen Diskurs, dem ja alle Welt heutzutage frönt – und der Wirtschaftsfreund Macron steht dabei in der vordersten Reihe, er will auch arbeiterInnenfeindliche deutsche sozioökonomische Prinzipien in Frankreich einführen und ist von Merkel & Co deswegen wiederholt gelobt worden. Die kleinen konkreten Ankündigungen entsprechen zwar sehr wohl dem alten, paternalistischen Modell, wo Reiche hilfsbedürftige Arme unterstützen, aber das war nicht die einzige Lüge während der zwei Stunden.

Nach Afrika ausgelagerte MigrantInnen-Abwehr

Hier ein Lieblingsprojekt des französischen Präsidenten: Die Migration soll weitab des ersehnten europäischen Eldorados geregelt werden. Oder mit anderen Worten: Mit den Illegalen sollen sich die afrikanischen Staaten selbst die Finger schmutzig machen – vor Ort schon soll die Spreu vom Weizen getrennt werden – und nur die legalen MigrantInnen sollen überhaupt in die Festung Frankreich und Europa kommen. Und da müssen dann die “MenschenhändlerInnen“ herhalten, neuerdings insbesondere die in Libyen, das sind die grossen Bösewichte der internationalen Migration, denen es das Handwerk zu legen gilt.

Der fremden militärischen Besetzung aber gilt es zu applaudieren

Auf Betreiben Frankreichs wurde Gaddafi 2011 von der Macht entfernt und umgebracht[16]. Dass Paris am bis heute andauernden Staatsversagen Libyens Mitschuld ist, musste Macron zugeben. Die Destabilisierung Libyens hat auch im Sahel gravierende Auswirkungen gehabt, insbesondere der malische Bürgerkrieg war eine direkte Folge davon. Doch dieser Konflikt hatte für Paris eine positive Auswirkung: Es konnte zur Rettung Malis seine Soldaten schicken. In der Zwischenzeit wurde die malische Intervention ausgeweitet – aus “Serval“ wurde “Barkhane“. Und wie zu Kolonialzeiten ist die französische Armee jetzt wieder in Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und im Tschad stationiert und aktiv[17].

Der vielleicht mit Absicht nicht ausgerottete Terrorismus liefert den Vorwand für französische Truppenpräsenz, die wiederum geschäftsfördernd für die Rüstungsindustrie daheim ist, sind doch kampferprobte Waffen um einiges besser verkäuflich.

Dass es unter Macron diesbezüglich keine wesentlichen Änderungen gegenüber seinem Vorgänger geben würde, hatte schon die Beförderung von Hollandes Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian zum Außenminister klargemacht – dieser steht auch Macron bei seiner kleinen Afrika-Tournee zur Seite. Und wenn es um die französischen SoldatInnen geht, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um die AfrikanerInnen vor dem Terrorismus zu schützen, dann kennt Macron keinen Spaß: “Diesen französischen SoldatInnen schulden wir alle nur eines: Applaus“.

Doch fremde Truppen ziehen Angriffe an

Die burkinische Menschenrechtsbewegung MBDHP sagt es seit langem: Wir in Burkina wollen keine fremden Truppen. Auch wenn sie besser ausgebildet und vor allem besser ausgerüstet sind als unsere eigenen. Die ziehen das Unheil an – ihretwegen werden uns die Terroristen angreifen.

Als bräuchte es für den Empfang des französischen Staatsgastes eines zeitnahen Beweises: Am Abend von Macrons Ankunft, am 27. November 2017, wurde im Norden der Hauptstadt Ouagadougou eine Granate auf ein französisches Militärfahrzeug geworfen.

Glücklicherweise gab es keine Toten.

Unglücklicherweise gab es drei Verletzte – alle drei Burkinabè, und zwar Kollateralopfer, keine SoldatInnen. Auch in Mali und den anderen Ländern der Barkhane-Intervention sind es nur selten die Angehörigen der Interventionstruppen, die sterben, meist sind es Einheimische, SoldatInnen oder ZivilistInnen.

In diesem Sinne: Vive la France!

Vive la Françafrique!

Endnoten:

[1] Meine wenig originelle Kreation, angelehnt an “Françafrique“. Die unübersetzbare Verschmelzung von Frankreich/“France“ und Afrika/“Afrique“ zu Françafrique steht für genau das: die profunde Verstrickung Frankreichs (d.h. seiner politischen und ökonomischen Elite) in die polit-ökonomischen Angelegenheiten der formell unabhängigen Ex-Kolonien in Afrika. De Gaulles Afrika-Mann Jacques Foccart bleibt auch über seinen Tod hinaus französischerseits der Inbegriff dieser sich um Gesetzlichkeit wenig kümmernden Verwobenheit. Zur Françafrique siehe insbesondere den Korpus an Büchern/Analysen von Agir Ici/Survie.

[2] Nach Ouagadougou sind noch Abidjan (AU-EU-Gipfel) und Accra vorgesehen.

[3] “le Burkina, c’est aussi un emblème de l’aspiration démocratique de la jeunesse africaine“: Macron bei der Ankunft in Ouagadougou spätabends am 27.11.2017.

[4] Seit Kurzem heißt sie nach dem vor einigen Jahren verstorbenen eminenten Historiker und Langzeit-Oppositionellen Joseph Ki-Zerbo-Universität.

[5] Damit sich die SchülerInnen weniger an den Anti-Macron-Protesten beteiligen, ließ die Regierung am 27. Und 28.11.2017 zwei Tage lang in Ouagadougou die Schulen zusperren. Derweil findet Macron nichts wichtiger als Bildung – dann musste noch dazu wegen seiner Rede die Uni einen Tag lang zusperren…

[6] Foto von Salimata Nah Traorés Facebook-account, zugeschnitten GL, https://web.facebook.com/photo.php?fbid=1488568851229562&set=pb.100002293833623.-2207520000.1511945172.&type=3&theater

[7] Organisiert von der Saint-Joseph-Uni in Beirut gemeinsam mit dem Regionalbüro der Agence Universitaire de la Francophonie (AUF), https://www.ffnews.info/2017/03/27/la-burkinabe-salimata-nah-traore-laureate-du-championnat-international-de-debat-francophone/

[8] Siehe meinen RadioAfrika-Artikel Günther Lanier, Mord an der Revolution: ein trauriger 30. Jahrestag in Burkina, Radio Afrika TV, Wien 11.10.2017, http://www.radioafrika.net/2017/10/11/mord-an-der-revolution-ein-trauriger-30-jahrestag-in-burkina/

[9] François Compaoré war bei seiner Ankunft am Pariser Flughafen am 29. Oktober 2017 kurz inhaftiert worden. Er darf seither Frankreich nicht ohne Genehmigung der französischen Justiz verlassen und muss sich regelmäßig bei den Behörden melden.

[10] Foto von Salimata Nah Traorés Facebook-account, leicht zugeschnitten GL, https://web.facebook.com/salimatanah.traore/photos?collection_token=100002293833623%3A2305272732%3A5&next_cursor=MDpub3Rfc3RydWN0dXJlZDpBUUhSYUdBdE1fbUhZTXVTanpzUnp3b3ltTGJmemt5WjZVRG11RnN5YW5EVWZia1ZnNF9neGpBZTREWTJBM3FqY29KX2JNdjVfQ0VyM0t4TUxNOVJCWjlmWHc%3D

[11] “Burkina Faso“ bedeutet ebendas: “Land der Aufrechten, der Integren“.

[12] Im Original: “M. le Président de la République française, sachez que nous Jeunes étudiantes et étudiants du pays des hommes intègres vous attendions avec impatience. Certaines questions me sont chères et pour lesquelles la responsabilité de la France ne fait aucun doute. Profitant donc de la plateforme qui nous est offerte, sans protocole diplomatique, je souhaite votre éclairage : Allez-vous accepter de déclassifier les archives françaises sur le dossier Thomas Sankara ? Nous avions d’ailleurs, sans trop y croire, il faut l’avouer, espérer voir dans vos valises, le frère cadet de notre ancien président. Allez-vous nous l’envoyer avec Air France ? Enfin, si vous en avez l’occasion, ne manquez pas de dire à nos autorités à nous que la confiance des populations se mérite…“ Ich habe in der Mitschrift “photocopie“ durch “protocole“ ersetzt. GL. Quelle: Ana Kam, Discours Macron : Un coin de voile sur Salimata Nah Traoré, l’étudiante voilée, Burkina Online, 28.11.2017, http://www.burkinaonline.com/wp/discours-macron-un-coin-de-voile-sur-salimata-nah-traore-letudiante-voilee/

[13] Foto von Salimata Nah Traorés Facebook-account, zugeschnitten GL, https://web.facebook.com/photo.php?fbid=1306331582786624&set=pb.100002293833623.-2207520000.1511945185.&type=3&theater

[14] Die Mitschrift der gesamten Rede gibt es auf http://www.jeuneafrique.com/497596/politique/document-le-discours-demmanuel-macron-a-ougadougou/

[15] Eine interessante Kurzanlayse bietet Thomas Borrel/Survie, Discours de Ouagadougou : Le renouveau des leçons, mais pas de la politique, 29.11.2017 http://lefaso.net/spip.php?article80691

[16] Siehe meine beiden Radio Afrika-Artikel Günther Lanier, Libyen, noch immer kein willfähriges Opfer, Radio Afrika TV, Wien 26.1.2017 http://www.radioafrika.net/2017/01/26/libyen-noch-immer-kein-fugsames-opfer/ und Günther Lanier, Unruhiges Westafrika – Koloniale Grandeur – Folter in Libyen, Radio Afrika TV, Wien 20.4.2017 http://www.radioafrika.net/2017/04/20/unruhiges-westafrika-koloniale-grandeur-folter-in-libyen/

[17] Siehe Günther Lanier, L’énigme malienne : Une analyse politique polémique (Das malische Rätsel. Eine polemische politische Analyse), Ouagadougou (Lefaso.net) 15.12.2016, http://lefaso.net/spip.php?article74804