VolksabstimmungErwin Leitner, Vorstandsvorsitzender der Initiative "Mehr Demokratie" plädiert für verpflichtende Volksabstimmungen nach erfolgreichen Volksbegehren und stellt dazu konkrete Überlegungen an.


Noch nie waren die Chancen so groß wie jetzt, dass in Österreich verpflichtende Volksabstimmungen nach erfolgreichen Volksbegehren eingeführt werden. Alle Parlamentsparteien haben sich dem Grunde nach dafür ausgesprochen. Dennoch ist es keineswegs sicher, dass die Gespräche der Parlamentsparteien über eine Einführung Direkter Demokratie von unten auch zu einem Ergebnis führen werden. Nach der Einschätzung von mehr demokratie! werden verpflichtende Volksabstimmungen nur dann in Kraft gesetzt werden, wenn der Nationalrat die erforderliche Verfassungsänderung zeitgerecht vor der Nationalratswahl 2013 beschließen wird.

Aber selbst wenn das Parlament eine solche Verfassungsänderung zeitgerecht beschließt, ist es wahrscheinlich, dass sich die Parlamentsparteien dabei nur auf einen Minimalkonsens „von Parteien für Parteien“ einigen, der nur durch Parlamentsparteien und durch finanzstarke Verbände und Großorganisationen genutzt werden kann, die ohnehin schon jetzt ausreichenden  Einfluss auf Gesetzgebung und Regierungspolitik ausüben. Wir befürchten, dass die Parlamentsparteien das Thema Direkte Demokratie instrumentalisieren, um sich für die Nationalratswahl in die bessere Ausgangsposition zu bringen, dass sie aber die Interessen der breiten Bevölkerung an einer praxistauglichen Ausgestaltung Direkter Demokratie nicht berücksichtigen werden.

Window of Opportunity für die Einführung Direkter Demokratie von unten

mehr demokratie! fordert gegenüber diesem wahrscheinlichen Szenario eine Ausgestaltung Direkter Demokratie "von der Bevölkerung für die Bevölkerung". Wir treten dafür ein, dass sich die Bevölkerung, der Souverän, in die laufende Debatte über die Ausgestaltung Direkter Demokratie mit eigenen Vorschlägen einbringen kann. In der verpflichtenden Volksabstimmung, die über die Einführung Direkter Demokratie entscheidet, soll daher nicht nur über den Konsens der Parlamentsparteien abgestimmt werden. Die Bevölkerung selber soll einen (oder mehrere) Alternativvorschläge ausarbeiten, die in dieser Volksabstimmung gegen den Vorschlag der Parlamentsparteien antreten und um die größere Unterstützung in der Bevölkerung werben. Bei politischem Willen ist eine Volksabstimmung auch über Vorschläge aus der Bevölkerung rechtlich umsetzbar. mehr demokratie! setzt sich dafür ein, dass diese Möglichkeit von den Parlamentsparteien zugestanden wird und dass ein Vorschlag „von der Bevölkerung für die Bevölkerung“ in einem partizipativen Verfahren ausgearbeitet wird. Wir werden dabei auch unser drei-stufiges Modell für Direkte Demokratie von unten einbringen, das gängige Kritikpunkte an Direkter Demokratie von unten ernst nimmt und mit konstruktiven Lösungen ins Prozessdesign integriert.

Was ist Direkte Demokratie von unten?

Direkte Demokratie von unten zielt auf den Kernbereich des Politischen. Direkte Demokratie wirft die Frage auf, wer bindende politische Entscheidungen treffen darf. In unserem gegenwärtigen politischen System der Indirekten Demokratie wird die Macht durch Wahlen an politische Repräsentant_innen übertragen. Immer mehr Menschen sind jedoch mit den politischen Ergebnissen der Parteien und Politiker_innen nicht zufrieden. Gebrochene Wahlversprechen, Reformstillstand, Korruption und Ignoranz gegenüber Forderungen der Bevölkerung hinterlassen ein tiefes Unbehagen, den Parteien und Politiker_innen einflusslos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Indirekte Demokratie - häufig suggestiv und beschönigend als „Repräsentative Demokratie“ bezeichnet - wird in immer größeren Bevölkerungsteilen als nicht repräsentativ empfunden.

Direkte Demokratie von unten fordert demgegenüber, dass die Bevölkerung die Entscheidungsbefugnis, die sie durch Wahlen an Politiker_innen übertragen hat, wieder an sich ziehen kann. Die Bevölkerung soll immer dann selber über konkrete Sachfragen entscheiden können, wenn sie sich durch ihre gewählten Repräsentant_innen nicht ausreichend vertreten fühlt. Über Themen, die nicht auf die offizielle politische Agenda gelangen, muss eine Initiativ-Volksabstimmung eingeleitet werden können. Gegen neue Gesetze des Parlaments und gegen politische Vorhaben der Regierung sollen Veto-Volksabstimmungen offen stehen. Bei Verfassungsänderungen und EU-Vertragsänderungen soll die Unterstützungshürde für das Veto-Referendum besonders niedrig sein, was einer verpflichtenden Volksabstimmung nahe kommt.

Das Potenzial der Weisheit der Vielen nutzen

Direkte Demokratie von unten will das derzeitige politische System der Indirekten Demokratie nicht ersetzen, sondern stellt ein wichtiges Korrektiv dar, das Hoffnung und Perspektiven für eine Weiterentwicklung der Gesellschaft und für eine Aneignung der Politik durch die Betroffenen eröffnet. Schon die bloße Möglichkeit, auf Politik durch bindende Volksabstimmungen wirksam Einfluss nehmen zu können, aktiviert die Zivilgesellschaft, weil Einsatz und Engagement eine faire Chance auf Erfolg bekommen. Schon aufgrund der bloßen Möglichkeit einer Veto-Volksabstimmung bringt Regierungs- und Parlaments-Politik Bürger_innen-freundlichere Ergebnisse zustande.

Entscheidend ist das Design des direkt-demokratischen Verfahrens

Bei Direkter Demokratie von unten geht es nicht nur um die Volksabstimmung als solche. Entscheidend ist vielmehr der Ablauf des gesamten direkt-demokratischen Verfahrens und wie die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung vor der Volksabstimmung ausgestaltet ist. Im drei-stufigen Verfahren aus Initiierungs-Stufe (Volksinitiative), Qualifizierungs-Stufe (Volksbegehren) und Entscheidungs-Stufe (Volksabstimmung) soll ausreichend Raum für Diskurs innerhalb der Bevölkerung sowie zwischen Parlament und Initiative vorgesehen sein. Das direkt-demokratische Prozessdesign soll einige wesentliche Grundsätze und Kriterien berücksichtigen:

Wirksam

Die Ergebnisse der Volksabstimmungen müssen verbindlich sein. Unverbindliche Volksbefragungen, über die sich Machthabende hinwegsetzen können, können nicht jenes Vertrauen in die Weisheit der Vielen vermitteln, um von der Bevölkerung ausreichend ernst genommen zu werden. Das Potenzial der Direkten Demokratie kann sich dabei nicht entfalten. Gleiches gilt für Ausgestaltungen, wo es allein dem Nationalrat vorbehalten bleibt, das Anliegen des Volksbegehens in einen Gesetzestext zu gießen, wie es zB. im Vorschlag des Volksbegehrens MeinOE enthalten ist. Damit würde die Möglichkeit eingeräumt, dass die Parlamentsmehrheit unliebsame Forderungen des Volksbegehrens ins Gegenteil verkehrt.

Menschenrechts-konform

Da Parlament und Regierung ihre Entscheidungsbefugnisse vom Souverän, von der Bevölkerung,  herleiten, muss die Bevölkerung in Volksabstimmungen über alles entscheiden können, worüber auch Parlament und Regierung entscheiden können. Themenausschlüsse, die nur für die Bevölkerung, nicht aber auch für die Machthabenden gelten, sind entschieden zurückzuweisen. Diesem Grundsatz entsprechend ist die Menschenrechts-Bindung der Demokratie durch die Bevölkerung in Volksabstimmungen genauso zu beachten wie sich Parlament und Regierung daran halten müssen. Schon zu Beginn des direkt-demokratischen Verfahrens soll eine Klärung erfolgen, ob das Anliegen Menschenrechts-konform ist. Über Menschenrechtswidriges abzustimmen und es nachträglich vom Verfassungsgerichtshof aber wieder aufzuheben, würde hingegen das Vertrauen in die Wirksamkeit Direkter Demokratie aushöhlen.

Bürger_innen-freundlich und zivilgesellschaftlich

Die Hürden der erforderlichen Unterstützungserklärungen sollen auch für die nicht in Parteien und Großverbänden organisierte Zivilgesellschaft erreichbar und praxistauglich sein. Die Höhe der Vorschläge insb. von SPÖ (700.000, 11%) und ÖVP (630.000, 10%) schließen die nicht partei-förmig organisierte Bevölkerung faktisch von einer realistischen Mitgestaltung und Mitentscheidung aus und versäumen daher die Chance, die Kluft zwischen Parteienstaat und Bevölkerung mithilfe von Direkter Demokratie von unten zu verringern.

Freie Unterschriftensammlung bewirkt einen unkompliziert selbstorganisierten Diskurs innerhalb der Bevölkerung und wird daher zurecht als die „Seele der Direkten Demokratie“ bezeichnet. Das antiquierte bürokratische Hindernis, für eine Unterstützungserklärung aufs Amt gehen zu müssen, ist daher zu beseitigen.

Beteiligungsquoren machen ein gültiges Volksabstimmungsergebnis von einer Mindestbeteiligung der Stimmberechtigten abhängig. Internationale Erfahrungen belegen, dass Beteiligungsquoren fast ausnahmslos dazu führen, dass von der Gegnerseite offen zur Nichtteilnahme an der Volksabstimmung aufgerufen wird und der Diskurs über das Anliegen verweigert wird, weil dies die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Gegnerseite massiv erhöht. Beteiligungsquoren bewirken somit eine „Berlusconisierung“ der Politik und schaffen eine Struktur, wo undemokratische Diskursverweigerung belohnt wird. Sämtliche Parlamentsparteien sowie das Volksbegehren MeinOE sehen jedoch in ihren aktuell vorliegenden Vorschlägen erhebliche Beteiligungsquoren vor.

Fair und Chancen-gerecht

Wichtig ist, dass bei der Werbung für das Anliegen Chancengleichheit sichergestellt wird. Dazu ist eine Abstimmungsbroschüre ein wesentliches Element. In einem fairen Redaktionsprozess wird eine unparteiisch formulierte Gegenüberstellung der Argumente der Befürworter- und Gegner-Seite erstellt. Die Abstimmungsbroschüre wird an alle Stimmberechtigten verschickt wird, sodass sich alle unkompliziert einen raschen Überblick über die maßgeblichen Argumente verschaffen können. Wichtig ist auch ein fairer Zugang insb. zu den öffentlich-rechtlichen und öffentlich geförderten Medien. Darüberhinaus wird auch eine Kostenerstattung (ähnlich der Parteienfinanzierung) erforderlich sein. Außerdem soll die Finanzierung der direkt-demokratischen Kampagne transparent offengelegt werden. Der Rechnungshof soll nicht erst im Nachhinein, sondern bereits während des laufenden Volksbegehrens überprüfen können und darüber informieren, wer eine finanzkräftige direkt-demokratische Kampagne wirklich finanziert.

Deliberativ

Das drei-stufige Modell sieht einen formalisierten Dialog zwischen Parlament und Initiative mit Hearing und Rederecht der Initiative vor, zunächst über den allgemeinen Vorschlag der Volksinitiative und danach über den ausgearbeiteten Gesetzesvorschlag des Volksbegehrens. Da die Initiative die Volksabstimmung aufgrund des erfolgreichen Volksbegehrens durchsetzen kann, kann sie mit dem Parlament auf selber Augenhöhe verhandeln, woraus sich konstruktive Kompromisslösungen eröffnen können. Kommt es zu einer Volksabstimmung, dann kann das Parlament auch einen Alternativvorschlag vorlegen, der gegen den Gesetzesentwurf des Volksbegehrens antritt. Für populistische Volksbegehren reduziert ein solcher Alternativvorschlag die Chancen erheblich. Bei einem Diskurs zwischen mehreren Alternativvorschlägen treten nämlich Scheinlösungen sehr viel deutlicher zutage als bei einer Ja/Nein-Entscheidung über einen einzigen Vorschlag.

Wesentlich ist ein ausführlicher öffentlicher Diskurs, in dem Expert_innen und Interessengruppen ausgiebig Gelegenheit haben, zu Wort zu kommen. Auf dieser Grundlage können sich alle Stimmberechtigten einen Überblick über die wesentlichen Argumente verschaffen. Für diesen Diskurs müssen insb. im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausreichende Diskussionsformate vorgesehen sein.

Direkte Demokratie von oben inszeniert Applaus für Machthabende

Gegenüber Volksabstimmungen und Volksbefragungen, die von oben durch Machthabende angesetzt werden, ist erhebliche Skepsis angebracht. Direkte Demokratie von oben zielt zumeist nicht auf ein Teilen der Macht mit der Bevölkerung, sondern auf ein Beherrschen der Bevölkerung durch inszenierten Applaus für Machthabende. Die Abstimmungsauseinandersetzung ist bei Direkter Demokratie von oben demnach durch altbekannte Parteientaktik und durch die üblichen Blockaden des Lagerdenkens geprägt, sodass das Potenzial Direkter Demokratie und die Weisheit der Vielen ungenutzt verpufft.

Wirksame Direkte Demokratie von unten fällt der Bevölkerung nicht von oben in den Schoss

Die Parlamentsparteien scheinen erkannt zu haben, dass sie mit Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg auf immer größere Unzufriedenheit der Bevölkerung stoßen und immer  schlechtere Umfragewerte ernten. Die aktuelle Debatte der Parlamentsparteien über Direkte Demokratie eröffnet die außergewöhnliche Chance, dass in Österreich eine Demokratie entsteht, bei der die etablierten Parteien und deren Interessengruppen nicht länger alle Entscheidungen fest im Griff haben, sondern die Betroffenen selber maßgeblich mitgestalten können. Erstmals in der Geschichte Österreichs könnten die Österreicherinnen und Österreicher sich ihre demokratischen Spielregeln selber geben. Es wäre jedoch naiv zu erwarten, dass wirksame Direkte Demokratie von unten der Bevölkerung von oben in den Schoss fallen wird. Wir müssen wirksame demokratische Mitentscheidungsmöglichkeiten „von der Bevölkerung für die Bevölkerung“ sehr entschieden und nachdrücklich von den Machthabenden und von den Parlamentsparteien einfordern. Eignen wir uns die Demokratie an! Sie gehört uns!

Erwin Leitner

Vorstandsvorsitzender von mehr demokratie! - die parteiunabhängige initiative für eine stärkung direkter demokratie

www.mehr-demokratie.at