syrien haende wegNur auf der Grundlage des Völkerrechts und der territorialen Integrität Syriens kann eine Friedenslösung für Syrien erreicht werden.

Vorneweg: Das syrische Regime ist dem Westen keineswegs wegen seiner Menschenrechtsverletzungen verhasst. Brüssel und Washington kommen mit weitaus despotischeren Regimen wunderbar zurecht. CIA und deutsche Geheimdienste kooperierten im Gefolge von 9/11 zeitweilig sogar mit dem syrischen Regime bei der Jagd auf „Terroristen“ und lagerten die Folterungen von „Verdächtigen“ in syrische Gefängnisse aus. So vermeldete der Spiegel am 13.3.2008: „Die syrischen Kerker werden zu Folterkammern für den zivilisierten Westen.“ Den Hass des Westens zog sich Assad zu, weil seine Regierung letztendlich nicht bereit war, die geopolitische Orientierung an Russland bzw. dem Iran aufzugeben und das Land völlig für neoliberale Freihandelsverträge mit der EU zu öffnen. Das war schon in Jugoslawien (1999), Libyen (2011) und der Ukraine (2014) der Grund für die direkte bzw. indirekte Intervention.

„Mit Tausenden Tonnen Waffen überschüttet“

Kaum hatte man in Libyen durch ein achtmonatiges NATO-Bombardement und jihadistische Bodentruppen die Regierung gestürzt, wurde der Regime-Change in Damaskus auf die Tagesordnung gesetzt. Auch hier setzten USA und EU auf Gotteskrieger (oftmals dieselben, die bereits in Libyen gekämpft hatten), um den Umsturz zu erzwingen. Ähnlich wie in Libyen wurden durch die gezielte Militarisierung und Konfessionalisierung des Konflikts demokratisch und sozial motivierte Proteste bzw. friedliche Oppositionskräfte rasch an den Rand gedrängt. Ein Bericht des US-amerikanischen Geheimdienstes DIA aus dem Jahr 2012, der erst 2015 an die Öffentlichkeit gelangte, gibt unumwunden zu, dass „der Westen, die Golfstaaten und die Türkei … die Schaffung eines salafistischen Kalifats im Osten Syriens… wollen, um das syrische Regime zu isolieren und die schiitische Expansion im Irak durch Iran einzudämmen.” Mit dem Westen verbündete Staaten wie Saudi-Arabien, VAE, Katar und Türkei, die von EU und USA hochgerüstet werden, „schütteten die Leute von al-Nusra und al-Qaida und die extremistischen Elemente der Jihadisten aus allen Teilen der Weltdiese Hunderten Millionen Dollar und Dutzenden, ja, Tausenden Tonnen Waffen zu.“ (O-Ton Joe Biden, eh. US-Vizepräsident).

Der eh. finnische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari warf 2015 in einem aufsehenerregenden Interview (The Guardian, 15.9.2015) den westlichen Großmächten vor, in Syrien von Anfang an die kriegerische Eskalation gesucht und eine greifbare Friedenslösungen im Jahr 2012 vereitelt zu haben. Seither hat der Krieg hunderttausenden Menschen das Leben gekostet und Millionen zur Flucht gezwungen. „Wir haben das verursacht“, geißelte Ahtisaari die westliche Aggressionspolitik.

Völkerrechtswidrige Aggression

Nach der jüngsten US-Präsidentschaftswahlen machte sich bei den EU-Eliten Sorge breit, dass die USA aus der Front gegen Assad ausscheren könnten. Mit großer Genugtuung wurde in Brüssel, Berlin, Paris und London nun der US-Angriff auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt bei Homs aufgenommen. Nach der jahrelangen Aufrüstung jihadistischer Gotteskrieger stellt dieser Angriff mit 59 Marschflugkörper einen weiteren Schritt der völkerrechtswidrigen Aggression gegen Syrien dar. Als Vorwand diente ein Giftgaseinsatz, für den im Westen sofort die syrische Armee verantwortlich gemacht wurde, obwohl es keine Beweise dafür gibt und die Urheber unklar sind. Klar ist nur, wem dieses Massaker nützt: den jihadistischen Söldnern in Syrien sowie den Falken im EU- und US-Machtestablishment, den Golfdespotien und der türkischen Regierung. Erinnern wir uns zurück an 2013. Auch damals gab es einen grauenhaften Giftgaseinsatz in der syrischen Stadt Ghouta, dem über tausend Menschen zum Opfer gefallen sind. Auch dieser wurde sofort der syrischen Regierung in die Schuhe geschoben. Warum redet heute niemand mehr darüber? Weil mittlerweile immer mehr Quellen darauf hinweisen, dass nicht die syrische Armee, sondern jihadistische Kräfte dieses Verbrechen in Kollaboration mit dem türkischen Geheimdienst verübten, um einen westlichen Militärschlag zu provozieren (sh. dazu "Angriffe unter falscher Flagge?" im Syrien-Dossier).

Auch aktuell ist eine solche Interessenslage nicht unwahrscheinlich. So analysiert etwa Günter Meyer, Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Mainz, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt: „Wir müssen uns fragen, wem nützt so etwas. In der aktuellen Situation sind die Assad-Truppen an allen Fronten am Vormarsch, während die Rebellen auf der anderen Seite sehen, dass sie überall militärische Niederladen erleiden. … In dieser Situation ist das der letzte verzweifelte Versuch, die letzte Chance, um das Blatt tatsächlich zu wenden zugunsten der extremistischen Jihadisten.“ (in: WDR-Morgenecho, 6.4.2017)

Dass der österreichischen Außenminister „Verständnis“ für den völkerrechtswidrigen Militärschlag gegen Syrien äußerte, markiert einen neuen Tiefpunkt in der österreichischen Außenpolitik. Während sich hierzulande die Regierungsmitglieder dabei überbieten, Terrorverdacht gegenüber Muslimen zu schüren, die vor dem Krieg flüchten, befürwortet die Regierung in Syrien eine Politik, die den jihadistischen Terror stärkt und den Krieg anheizt. Die Unterordnung unter die EU-Außenpolitik hat Österreich zu einem feigen und brutalen Mitläufer bei dieser gefährlichen Eskalationspolitik gemacht.

Öffnen der Büchse der Pandora

Die Politik von EU und USA, geopolitisch nicht genehme Regierungen durch Gewalt zu beseitigen, ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht, das die Souveränität und territoriale Unversehrtheit schwächerer Staaten vor der militärischen Macht der Stärkeren schützen soll. Wer diese Grundlagen des Völkerrechts infrage stellt, öffnet die Büchse der Pandora, das Faustrecht in den internationalen Beziehungen durchzusetzen. Wohin diese „Regime-Change“-Politik führt, zeigt Libyen, das der NATO-Krieg in einen Hexenkessel von Chaos, Armut und Gewalt gestoßen hat. Wer Frieden will, muss das Völkerrecht respektieren. Die Aggressionen gegen die Souveränität und die territoriale Unversehrtheit Syriens müssen beendet werden. Es gibt genug Gründe, die syrischen Machthaber zu kritisieren, aber wie immer man die Politik der syrischen Regierung beurteilt: Die Entscheidung über die Zukunft Syriens und über die Regierung Syriens liegt bei der syrischen Bevölkerung – und nicht in Washington oder Brüssel, Riad oder Ankara. Kein ernsthafter Beobachter und auch nicht die Opposition in Syrien zweifeln daran, dass die Regierung Assads derzeit einen Großteil der Bevölkerung hinter sich hat. Wohl nicht, weil sie ihn liebt, sondern weil sie erkannt hat, dass die Alternative – siehe Libyen - noch entsetzlicher ist.

Wer Frieden will, muss das Völkerrecht respektieren!

Eine interkonfessionelle Delegation von FriedensaktivistInnen unter Leitung der irischen Friedensnobelpreisträgerin Mairead Corrigan-Maguire, die Ende 2015 Syrien besuchte, stellt eine Reihe von Forderungen an die internationale Gemeinschaft auf, unter anderem:

  • Respekt vor dem Völkerrecht, d.h. Schutz der territorialen Integrität Syriens und Anerkennung von Syrien als souveränem Staat. Die Einheit und reiche Vielfalt des syrischen Volkes darf nicht zerschlagen werden.
  • Die Beendigung der Einmischung in die syrischen Angelegenheiten, insbesondere der Stopp jeglicher Waffenlieferungen und Unterhaltung von Söldnerarmeen.
  • Die Aufhebung der lähmenden Sanktionen, die eine schwere Last für die Menschen in Syrien sind.

Aufgaben des neutralen Österreich

Die Solidarwerkstatt unterstützt diese Forderungen und erkennt in ihnen auch Leitlinien für eine auf die Neutralität aufbauende friedensstiftende Außenpolitik Österreichs, gerade auch in Bezug auf Syrien. Die für eine derartige Politik notwendige Glaubwürdigkeit Österreichs, als neutrales Land, setzt jedoch einen Bruch mit der derzeitigen außenpolitischen Praxis des Mitmarschierens, Mitkrakeelens, der Unterordnung unter Brüssel und Berlin voraus.

    • Österreich hat jahrelang die Losung „Assad muss weg!“ offiziell unterstützt. Diese Losung hat wesentlich zur Eskalation des Krieges beigetragen. Durch diese Losung wurde jeder bewaffneten Gruppe und ihren Hintermännern in Aussicht gestellt, sie würden ein fettes Stück Beute vom baldigen syrischen Kadaver abbekommen. Mit der Formel „Assad muss weg!“ auf den Lippen in Verhandlungen zu gehen, ist ein Unding, perfektionierter Zynismus, ein Ausdruck von Rücksichtslosigkeit gegenüber den Menschen in Syrien. Wer Verhandlungen mit der Vorbedingung eröffnet, dass sein Verhandlungspartner verschwinden solle, besser früher als später, ist offenkundig an einer Friedenslösung nicht interessiert. Österreich muss sich deshalb sofort, klar und unmissverständlich von der Losung „Assad muss weg!“ distanzieren und die völkerrechtswidrigen Aggressionen gegen das Land verurteilen. Nur so kann Österreich einen konstruktiven Beitrag für einen Ausstieg aus der Gewaltspirale in Syrien leisten.
    • Österreich hat im Rahmen der EU die Sanktionen gegen die syrische Gesellschaft mitbeschlossen und exekutiert diese auch. Diese Sanktionen wurden in der gleichen Zeit beschlossen, als der Handel mit von sogenannten Rebellen beherrschten Gebieten legalisiert wurde. Die Ausfuhr von Öl wurde bald zu einer wesentlichen Finanzquelle diverser fundamentalistischer Gruppen. Mit der Legalisierung dieses Handels trägt Österreich dazu bei, dass Kräfte wirtschaftlich unterstützt werden, die die Einrichtungen der syrischen Gesellschaft zerstören, während es mit den Sanktionen dazu beiträgt, dass die Menschen in Syrien nicht die Mittel bekommen, um die Schäden zu sanieren. Österreich muss deshalb sofort aus dem Sanktionsregime der EU aussteigen. Österreich muss klar deutlich machen, dass es hinsichtlich der Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Syrien die Souveränität Syriens respektiert und deshalb die legitime syrische Regierung nicht übergeht.
    • Österreich liefert Waffen an viele Regionalmächte, die in den Krieg in Syrien involviert sind. In den letzten zehn Jahren haben sich die österreichischen Waffenlieferungen an Länder wie Saudi-Arabien, VAE und die Türkei um das Zwanzigfache erhöht. So landen Waffen aus Österreich in einem Kriegsgebiet, aus dem wir täglich von schrecklichen Gräueltaten hören und das viele Menschen zur Flucht zwingt. Österreich muss deshalb sofort den Waffenexport in den Nahen und Mittleren Osten stoppen. Bekämpfen wir die Fluchtursachen, nicht die Flüchtlinge!
    • Die westlichen Großmächte und ihre Verbündeten haben bislang die Abhaltung einer UNO-Konferenz für einen ABC-Waffen-freien Nahen und Mittleren Osten torpediert. Österreich soll sich gemeinsam mit anderen neutralen und blockfreien Staaten dafür einsetzen, dass ein Neuanlauf für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten gelingen kann.
    • Die EU-Eliten heizen Konflikte auch deshalb an, um die Krise im Inneren durch Militarisierung und Außenaggression abzufangen. EU-Außenbeauftragte Mogherini schwärmt bereits von einer bevorstehenden „Rüstungsrevolution“ in der EU. Der Ausstieg aus diesem imperialen Projekt schafft nicht nur Freiraum für eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik, sondern ist auch ein konkreter Beitrag zu mehr Sicherheit für die Menschen in Österreich. Denn wer Gewalt exportiert, wird auch Gewalt ernten. Österreich muss daher aus den Battlegroups, der Rüstungsagentur, dem EU-Auswärtigen Dienst und anderen Strukturen der EU-Militarisierung aussteigen.

Herausforderungen für eine österreichische Friedensbewegung

Die derzeitige Regierungspolitik ist meilenweit von einer solchen Politik entfernt. Die Solidarwerkstatt sieht daher in diesen Aufgaben eines neutralen Österreich die Herausforderung für eine österreichische Friedensbewegung. Ohne Bewegung von unten können wir keine Wende in Richtung Friedens- und Neutralitätspolitik erreichen. In diesem Sinn laden wir zur Mit- und zur Zusammenarbeit ein.
(9.4.2017)

Bisherige Beiträge zu diesem Thema sh. Solidarwerkstatt-Dossier Syrien