Nach dem fast ein Jahr lang dauernden Bundespräsident-schaftswahlkampf beginnen sich die Nebelschwaden zu lichten. Für die vorgeblich „EU-kritische“ FPÖ fordert HC Strache eine EU-Armee samt Atombewaffnung. Und kaum ins Präsidentenamt gewählt, macht sich der vorgeblich menschenrechtsaffine und ökologisch sensible Grün-Kandidat Van der Bellen für eine neue EU-Verfassung stark, durch die eine hochgerüstete EU-Armee, ein globaler EU-Spitzeldienst, eine starke Atomunion und ein autoritäres Präsidialregime geschaffen werden soll.
Ende Februar 2017 trat der freiheitliche Vorsitzende HC Strache mit der Forderung an die Öffentlichkeit, „eine EU-Armee einzurichten“, um Europa „unabhängiger von der US-dominierten NATO zu machen“. Auch Atomwaffen „sollen selbstverständlich Teil dieser EU-Armee sein“, so Strache weiter (zit. nach: Die Presse, 26.2.2017). Für manche, die die SP-, VP- oder Grün-Wahlkampfslogans oder die Inseratenkampagne Haselsteiners geglaubt haben, wonach die FPÖ eine „EU-kritische“ Kraft oder gar für den EU-Austritt wären, mag dies überraschend klingen. Für jene, die die Publikationen der Solidarwerkstatt verfolgen, wohl nicht. Die FPÖ, als die zentrale Kraft des rechtsextremen Deutschnationalismus, war immer schon für die Errichtung einer von Berlin dominierten europäischen Großmacht, einschließlich hochgerüsteter EU-Streitkräfte.
FPÖ weiß, was die EU-Eliten wollen
Dass Strache derzeit so offensiv für die Radikalisierung der EU-Militarisierung vorprescht, hängt damit zusammen, dass die Rechtsextremen eben ein besonders Gespür für die Anliegen der Berliner Machteliten haben. Vor allem seit dem Brexit wird von Merkel & Co Druck gemacht, um die eigenständige Militarisierung der EU – einschließlich von Atomwaffen – voranzutreiben. Merkel hat angekündigt das deutsche Militärbudget in absehbarer Zeit nahezu zu verdoppeln. Die Hohe Beauftragte für die EU-Außenpolitik Mogherini schwärmt sogar von einer bevorstehenden „Rüstungsrevolution“ in der EU. Dass Strache das Mitmachen Österreichs bei EU-Armee für vereinbar „mit der Beibehaltung der Neutralität“ hält, offenbart einmal mehr die unfassbare Arroganz der Machteliten (einschließlich der blauen „his majesty`s loyal opposition“). Man verachtet die Bevölkerung so sehr, dass man glaubt, ihr wirklich jeden Bären aufbinden zu können.
Van der Bellen auch: die „Lubljana-Initiative“
Womit wir zum neuen österreichischen Präsidenten gelangen. Van der Bellen hat zwar im Grunde nie ein Hehl daraus gemacht, dass er für eine EU-Armee eintritt. Im Wahlkampf war er jedoch bemüht, die beachtlichen Schnittmengen mit Rechtsaußen unter den Teppich und den menschenrechtsaffinen, ökologisch sensiblen Professor hervor zu kehren. Kaum gewählt nutzt Van der Bellen das Präsidentenamt, um wieder Druck für eine militarisierte EU-Großmachtspolitik mit einem autoritären Präsidialregime zu machen. Wo, wann und wie mag mancher ungläubig fragen. Die entsprechende Initiative fand sich tatsächlich eher beiläufig in den Medien, wohl nicht weil sie unbedeutend, sondern im Gegenteil weil sie enorm brisant ist. Anfang 2017 weilte der slowenische Staatspräsident Borut Pahor auf Besuch bei Van der Bellen, um diesem die sog. „Lubljana-Initiative“ schmackhafte zu machen. Dabei handelt es sich um einen „neuen Vertragsentwurf für eine Verfassung der EU“. (1) Er hat in der Hofburg offene Türen eingerannt. Wir entnehmen den Medien, dass Van der Bellen diese „Lubljana-Initiative“ „ausdrücklich befürwortet“ (Kurier, 10.1.2017). Nicht den Medien entnehmen konnte man leider den Inhalt dieser „Lubljana-Initiative“. Da dieser Entwurf für eine neue EU-Verfassung im Netz steht, kann man, ja sollte man nachlesen, was unser Bundespräsident „ausdrücklich befürwortet“:
- Die EU soll „gemeinsame Streitkräfte bekommen, bestehend aus einem EU-Heer, EU-See- und Luftstreitkräften“ (Artikel 184). Diese Streitkräfte sollen unter anderem zum „Antiterrorkampf im Hoheitsgebiet von Drittstaaten“ eingesetzt werden (Artikel 185). Also potentiell überall auf der Welt. Die Sicherung der EU-Außengrenzen soll den einzelnen Nationalstaaten vollkommen entzogen werden und „ausschließliche EU-Kompetenz“ werden (Artikel 151). Die derzeitige Aufrüstung von FRONTEX läuft bereits in diese Richtung, die EU-Außengrenzen zu militarisieren.
- In der Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik soll das Einstimmigkeitsprinzip fallen (Artikel 177). Das ist eines der Hauptanliegen der EU-Machteliten vor allem in Berlin, die immer wieder beklagen, dass das derzeitige Vetorecht im Bereich der Sicherheits- und Militärpolitik den Einsatz von Streitkräften wie z.B. der EU-Battlegroups verhindert. Schon jetzt ist die Neutralität mit dem EU-Primärrecht in vielerlei Hinsicht unvereinbar; wenn Van der Bellen aber die Abschaffung des Vetorechts in der Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik fordert und zugleich die Neutralität erhalten will, tischt er den Menschen dieselben Lügen auf wie HC Strache.
- Die neue politische Verfassung der EU soll sich in vieler Hinsicht an jener der USA orientieren. Insbesondere soll ein mächtiges Präsidentenamt geschaffen werden. „Der Präsident übt in Friedens- und Kriegszeiten repräsentative und exekutive Autorität in der EU-Außen- und Verteidigungspolitik aus“ (Artikel 83). Dieser EU-Präsident soll auch weitgehend das Monopol auf Gesetzesinitiative haben (Artikel 73). Diese Machtbefugnis haben nicht einmal der US-amerikanische oder der russische Präsident. Und selbst die von Erdogan nun forcierte autoritäre Präsidialverfassung für die Türkei sieht diese Machtfülle für das Präsidentenamt nicht vor.
- Die EU soll die „ausschließliche Kompetenz“ im Bereich der Atomenergie haben, ua mit dem Auftrag folgende Ziel „sicherzustellen“ (Artikel 154): „Förderung der Atomforschung“, „Investitionen und Betriebsstätten für Basiseinrichtungen, die für die Entwicklung der Atomenergie in der EU notwendig sind“, „regelmäßige und angemessene Versorgung mit Erzen und Nukleartreibstoff“ für alle Atomenergienutzer in der Union; auch das „Recht auf Eigentümerschaft in Bezug auf besondere Spaltstoffe“ soll auf die EU übergehen.
- Einrichtung eines zentralen weltweit agierenden EU-Geheimdienstes, der„European Intelligence Agency“ (Artikel 182)– schließlich will man auch beim Spitzeln der NSA nicht mehr hinterherhinken.
- Über die Handelspolitik – also den Abschluss von Freihandelsverträgen a´ la CETA, TTTIP, TiSA & Co - soll ebenfalls ausschließlich auf EU-Ebene entschieden werden (Artikel 157). Mitbestimmungsmöglichkeiten der nationalen Parlamente (wie derzeit noch bei CETA) wären dann völlig eliminiert. Wie bereits in den heute gültigen EU-Verträgen sollen Freihandel und unbeschränkte Kapitalverkehrsfreiheit die EU-Wirtschaftspolitik nach innen wie außen bestimmen.
Fassen wir zusammen: Mit der „Lubljana-Initiative“ befürwortet Bundespräsident Van der Bellen „ausdrücklich“ EU-Streitkräfte, die unter zentralem Kommando rund um den Erdball zum Schuss gebracht werden können; weiters befürwortet er „ausdrücklich“ globale EU-Spitzeldienste, eine autoritäre Präsidialverfassung, die EU-Kompetenz für Förderung und Entwicklung der Atomenergie, die völlige Eliminierung der Mitbestimmung des österreichischen Parlaments bei Freihandelsverträgen.
Unterschiedliche Verpackung, gleiche Zielrichtung
Dass auch die FPÖ nach den Wahlen nach eine EU-Armee samt Atombewaffnung ruft, verdeutlicht, wovor die Solidarwerkstatt bereits während des BP-Wahlkampfes gewarnt hat: Van der Bellen und HC Strache stehen weniger für unterschiedliche Inhalte, sondern für unterschiedliche Verpackungen einer Politik, die in dieselbe Richtung marschiert. Sowohl der Deutschnationalismus der Rechtsextremen als auch der EU-Chauvinismus des politischen Zentrums münden im selben Ziel: Etablierung einer waffenstarrenden EU-Großmacht. Die Lubljana-Initiative macht daraus kein Geheimnis. Schon im Aufruf für die „Lubljana-Initiative“ erläutern die Autoren ihr Motiv für diesen Anlauf zu einer neuen EU-Verfassung: Überwindung des „Mangels an Kompetenzen und Machtinstrumenten im Bereich Sicherheit, Rüstung, Außenpolitik, Geheimdienste“ (2).
Die demokratischen und friedenspolitischen Grundlagen der 2. Republik verteidigen!
Dass Van der Bellen mit der „ausdrücklichen Befürwortung“ der „Lubljana-Initiative“ gleich am Beginn seiner Amtszeit Wahlkampfversprechungen und ehemals grüne Grundsätze in der Luft zerreißt, mag – vor allem für jene, die große Hoffnungen in ihn gesetzt haben - schlimm genug sein. Schwerer wiegt aber, dass der Bundespräsident damit die Verfassung der 2. Republik, auf die er angelobt wurde, mit Füßen tritt und die Regierung zum fortgesetzten Verfassungsbruch ermuntert. Denn Neutralitätsgesetz und Staatsvertrag verknüpfen die österreichische Souveränität ausdrücklich mit Friedenspflicht und der Selbstverpflichtung bei keinen militärischen Großmächten mitzumarschieren. Mehr denn je stehen fortschrittliche Kräfte in Österreich vor der Herausforderung, die demokratischen und friedenspolitischen Grundlagen der 2. Republik gegen die eigenen Machteliten zu verteidigen.
Gerald Oberansmayr
(3.3.2017)
Quellen:
(1) The new draft treaty fort the constitution oft the EU, Lubljana, 2016, http://www.predsednik.si/up-rs/uprs.nsf/cc1b0c2e0c8f0e70c1257aef00442bbd/6e9c355dcac33036c12580a0004d8dc2/$FILE/Predlog%20nove%20evropske%20ustave%20The%20new%20draft%20treaty%20for%20the%20constitution%20of%20the%20European%20Union.pdf
(2) Vorwort: „The Lubljana Initiative – On the new constitutional process an new draft establishing a constitution for European Union“, Porut Pahor ua., Jänner 2017