wohnen ist keine wareDie Bundesregierung hat in ihrem neuen Arbeitsprogramm einen gefährlichen Anschlag auf den sozialen Wohnbau versteckt. Vertreter der Gemeinnützigen sind alarmiert und warnen vor dem "Öffnen der Büchse der Pandora".


Eine kleine Passage im neuen SP/VP-Regierungsprogramm könnte für den sozialen Wohnbau in Österreich brandgefährlich werden. Unter dem Punkt „1.8 Wohnpaket“ heißt es: „Um institutionellen Anlegern Investitionen in Anteile gemeinnütziger Wohnbauträger zu erlauben, soll der künftige Verkaufspreis dieser Anteile über dem Kaufpreis liegen können, ohne dass es zu höheren Gewinnausschüttungen der Wohnbauträger kommen muss.“

Damit will die Regierung Anreize für privaten Investoren – Versicherungen, Pensionsfonds, Banken, usw. – schaffen, Gelder für den sozialen Wohnbau zu mobilisieren. Die Krux dabei: Gemeinnützigkeit und Profitorientierung sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Gemeinnützige Wohnbauträger dürfen nur sehr eingeschränkt Gewinne machen und müssen diese wiederum in günstige Wohnungen investieren. Das Vermögen ist also in der Gesellschaft gebunden. Darüber hinaus dürfen die Anteile an den Gemeinnützigen nicht über ihrem ursprünglichen Wert verkauft werden. Statt mit den Anteilen zu handeln, um das beste Angebot anzunehmen, muss sich jeder Eigentümer an den von vornherein festgelegten Preis halten. Als Gegenleistung für Gewinnverzicht und Vermögensbindung sind die Gemeinnützigen von der Körperschaftsteuer befreit. Den Nutzen haben die MieterInnen mit 20% bis 25% niedrigeren Quadratmetermieten als im privaten/gewerblichen Bereich.

„Büchse der Pandora öffnen“

Derzeit ist die Bewertung der Anteile an den Gemeinnützigen mit dem Grundkapital begrenzt. Das Eigenkapital der 186 gemeinnützigen Wohnbauträger beträgt rund 600 Millionen Euro. Der Wert des Eigenkapitals wird auf ein Vielfaches, rund 10 Milliarden Euro geschätzt. Wenn nun die Regierung die Tür öffnet, dass die Eigentümer ihre Anteile künftig deutlich höher bewerten und mit Gewinn verkaufen können, so droht damit „ein Angriff auf die Gemeinnützigkeit“, warnt Herwig Pernsteiner, stv. Obmann der Gemeinnützigen in Oberösterreich (OÖN, 1.2.2017). Zunächst würde das den derzeitigen Eigentümer – oft parteinahe Versicherungen und Verbände – helfen, ihre Bilanz aufzupolieren. Aber "dadurch können Gemeinnützige nicht mehr und billiger bauen", kritisiert Herwig Pernsteiner. Vielmehr könnte es „die Büchse der Pandora öffnen“. Denn wenn tatsächlich zusätzliches privates Kapital mobilisiert werden soll, muss die Möglichkeit zur Gewinnausschüttungen erhöht werden, die derzeit mit 3,5% des Eigenkapitals begrenzt ist. Das aber würde zu einem Vermögensabfluss aus dem sozialen Wohnbau führen und die Mietpreise nach oben treiben, was den Gemeinnützigkeitsgedanken ad absurdum führt. Daher würde es wohl auch nicht lange dauern, bis die Befreiung von der Körperschaftssteuer fällt, was den Anstieg der Mietpreise weiter anheizen würde. Christian Switak, Geschäftsführer der Innsbrucker gemeinnützigen Wohnungseigentum GmbH, befürchtet deshalb „das Ende der Gemeinnützigkeit“. Als „Genickschuss für den sozialen Wohnbau“  bezeichnet die grüne NR-Abgeordnete Gabriele Moser die Regierungspläne (zit. n. Standard, 3.3.2017).

„An den Kragen gehen“

„Dem sozialen Wohnbau geht es in der EU nach und nach an den Kragen“, titelt der Kurier am 3.11.2016. Der Hintergrund: Die EU-Kommission kritisiert den sozialen Wohnbau als „wettbewerbsverzerrende“ und fordert von den Mitgliedsstaaten, den sozialen Wohnbau auf die untersten Einkommensschichten zu beschränken. Durchschnittsverdiener sollen auf den deutlich teureren privaten Wohnungsmarkt abgedrängt werden. Entsprechende Vorgaben der EU-Kommission führten in den Niederlanden bereits dazu, dass 650.000 Haushalten der Zugang zum sozialen Wohnungssektor verwehrt wurde. Den Vorstoß der Kern-Regierung, den sozialen Wohnbau in Österreich für private Investoren lukrativ zu machen, wird man in Brüssel mit Genugtuung registrieren. Er könnte der Kommission eine neue Handhabe verschaffen, dem sozialen Wohnbau in Österreich „an den Kragen zu gehen“, indem man ihn unter das EU-Wettbewerbsrecht zwingt.

Mieten laufen Löhnen davon

Mit seinen rd. 880.000 Wohnungen und einem Anteil von 24% am gesamten Wohnungsbestand (60% des Mietwohnungssektors) nimmt der soziale Wohnbau in Österreich innerhalb der EU eine Spitzenposition ein. Der Anteil der Wohnungskosten an den gesamten Konsumausgaben liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt. Trotzdem ist die Entwicklung auch in Österreich alles andere als erfreulich. Aufgrund des permanenten Spardrucks ist seit dem EU-Beitritt ist der Anteil des geförderten Wohnbaus deutlich zurückgegangen. Die Mietpreise galoppieren der Lohnentwicklung davon. Das durchschnittliche Nettorealeinkommen eines Arbeitnehmers ist zwischen 1998 und 2014 um 4% gesunken, die Wohnungskosten je Quadratmeter (Miete plus Betriebskosten) sind in diesem Zeitraum inflationsbereinigt um 15% gestiegen. Im Vergleich zu Anfang der 90er Jahre müssen ArbeitnehmerInnen heute fast 30% länger arbeiten, um sich dieselbe Wohnung leisten zu können (siehe hier).

Soziales Menschenrecht

Wer auf diese Fehlentwicklung mit einem „Genickschuss für den sozialen Wohnbau“ reagiert, verschärft das Problem statt es zu lösen. Die richtige Antwort auf Wohnungsnot und Mietenwucher muss vielmehr sein: soziale Mietrechtsreform (z.B. Mietpreisdeckel, Eindämmung der befristeten Mietverträge, Abschaffung der Maklerprovision für MieterInnen, Senkung des Wohnungsleerstandes) und vor allem deutlich mehr öffentliche Gelder für den sozialen Wohnbau. Die Zweckwidmung der Wohnbauförderung muss sofort wiedereingeführt werden. Menschenwürdiges und leistbares Wohnen ist ein soziales Menschenrecht!
(März 2017)