Dass mitten in einer der größten Gesundheitskrisen die Regierung eine solidarische Ausfinanzierung von Pflege verweigert, während gleichzeitig der Verfassungsgerichtshof die Tür für die aktive Sterbehilfe öffnet, mag ein zeitlicher Zufall sein. Beklemmend ist es allemal.

Über 40% der Covid-Toten in Österreich sind BewohnerInnen von Pflege- und Altenheimen. Mitte Dezember waren das bereits über 2.200 Menschen. PflegeexpertInnen weisen auf den engen Zusammenhang dieser hohen Sterblichkeit mit dem Pflegenotstand in den Heimen, d.h. dem eklatanten Mangel an Pflegepersonal, hin. Aufgrund der Unterbesetzung in den Heimen werden Covid-Erkrankungen oft zu spät erkannt und können die zeitintensiven Sicherheitsbestimmungen nicht ausreichend umgesetzt werden. Dieser Personalmangel ist auch der Grund, warum sogar positiv getestete PflegerInnen weiter ihrer Arbeit nachgehen müssen, wenn die Virenlast nicht allzu hoch ist. Freilich kann auch dann eine Ansteckung nicht ausgeschlossen werden. Lakonischer Kommentar von Gesundheitsminister Anschober: „Wir müssen uns anpassen an die Gegebenheiten.“ (Die Presse, 2.11.2020).

Tödlich auch für Nicht-Infizierte

Hinzukommt, dass die coronabdingte Überlastung der Pflegekräfte zu einer schlechteren Versorgung auch der Nichtinfizierten führt. Ein kalifornischer Pflegeforscher stellte etwa fest, dass in Häusern, in denen mindestens drei von zehn Bewohnern infiziert waren, die Rate der Sterbefälle von Nicht-Infizierten doppelt so hoch war, wie es ohne Pandemie zu erwarten wäre. Das stützt die Vermutung, dass eine coronabedingte Überlastung der Pflegekräfte zu einer schlechteren Versorgung der Nichtinfizierten führt.

Das ist auch in Österreich zu befürchten. Die Volksanwaltschaft hat wiederholt auf die – schon vor Corona – oft unhaltbaren Zustände in österreichischen Pflegeheimen hingewiesen. 2017 berichtete der Volksanwalt Günther Kräuter, dass die Unterbesetzung in den Pflegeheimen immer wieder zu „krassen Menschenrechtsverletzungen“ und „struktureller Gewalt“ (Standard, 4.5.2017) führt. Bekannt geworden war u.a., dass verwahrloste Senioren angetroffen wurden, die mit Gurten im Rollstuhl fixiert waren, dass es für viele Pflegeheimbewohner nur einen Dusch- und Badetag in der Woche gibt, dass PatientInnen Medikamente ins Essen gemischt werden, um diese schon am Nachmittag zu sedieren. Zu geringe Betreuungsschlüssel bei Personen mit psychiatrischen Diagnosen führten zu häufigen Stürzen mit zum Teil schweren Verletzungen. Man mag sich kaum vorstellen, welche Ausmaße diese Form der „strukturellen Gewalt“ unter Coronabedingungen annehmen kann.

Minus 15 Prozent

Die Opposition hat sich in den letzten Wochen und Monaten manchmal gegenseitig dabei übertroffen, dem Gesundheitsminister und der Regierung Chaotismus und Stümperhaftigkeit im Umgang mit der Pandemie vorzuwerfen. Sicherlich oft zu Recht. Doch was auch aus Oppositionskreisen nicht thematisiert wird, sind die Ursachen für diesen sich verschärfenden Pflegenotstand. Denn dann müsste man auf ein Thema zu sprechen kommen, um das alle Parlamentsparteien einen großen Bogen machen: die Austeritätsvorgaben durch den EU-Fiskalpakt und diverse EU-Verordnungen. Diese haben auch im Pflegebereich tiefe Spuren hinterlassen. So sind innerhalb von fünf Jahren nach Einführung des EU-Fiskalpakts die realen Pflegeausgaben pro Kopf der über 75-Jährigen in Österreich um 15% gesunken (sh. Grafik).


Eine wichtige Lehre dieser Pandemiekrise muss daher sein: Diese Austeritätsdiktate müssen weg! Stattdessen muss Pflege endlich in die Sozialversicherung integriert werden – finanziell abgesichert durch Versicherungsbeiträge, die sich aus der gesamten Wertschöpfung speisen. Denn dieser Pflegenotstand kostet Menschenleben – schon in normalen Zeiten, in Pandemiezeiten erst recht.
Momentan fließt coronabedingt viel Geld, doch einer Pflegeversicherung erteilt der Gesundheitsminister eine deutliche Absage. Anschober: „In dieser Legislaturperiode wird es mit Sicherheit keine Pflegeversicherung geben“ (Kurier, 5.9.2020). Dass mitten in einer der größten Gesundheitskrisen die Regierung eine solidarische Ausfinanzierung der Pflege verweigert, während gleichzeitig der Verfassungsgerichtshof die Tür für die aktive Sterbehilfe öffnet, mag ein zeitlicher Zufall sein. Beklemmend ist es allemal.