ao. Univ. Prof. i.R. Dr. Hans Hautmann beleuchtet einen Aspekt des "Anschlusses" Österreichs an Nazi-Deutschland, der heutzutage kaum beleuchtet wird: Der Annexion ging der systematische wirtschaftliche Ausverkauf an deutsche Kapitalgruppen voraus. Auszug aus einem Vortrag auf dem Antifaschismus-Seminar der Solidar-Werkstatt „1938 – 2008. Europa der Konzerne und Generäle“ in Ebensee am 12. Juli 2008 (gekürzte Fassung).

 


 I.

Um die Ereignisse von 1938 zu verstehen, muss man vom Ursprung ausgehen, von der Herausbildung des imperialistischen Finanzkapitals in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie. Finanzkapital ist die Verschmelzung des Industrie- und Bankkapitals durch Kapitalverflechtung und Personalunion zwischen der Industrie- und Bankwelt, und es ist jenes Machtzentrum, das in der kapitalistischen Gesellschaft nach wie vor – und heute mehr denn je – herrscht. Das Finanzkapital bildet kein einheitliches Ganzes, sondern gliedert sich in Gruppen mit verschiedenen ökonomischen Schwerpunkten und Interessen, Gruppen, die in der Regel auch untereinander sich in scharfen Konkurrenzkämpfen befinden. 

Die vier Gruppen, die in Österreich bereits vor dem 1. Weltkrieg bestanden, waren

1) die Creditanstalt gemeinsam mit der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft. Beide standen mit der deutschen Discontogesellschaft in Verbindung, die das führende Finanzinstitut der Ruhrschwerindustrie war;

2) der Wiener Bankverein, der in enger Verbindung zur Deutschen Bank stand. Die Deutsche Bank war das führende Institut der neuen Industrien Chemie-Elektro;

3) die Gruppe der Anglobank, Länderbank und Unionbank, die sich hauptsächlich an das englische, französische und niederländische Kapital anlehnte; und

4) die Bodencreditanstalt, die die Bank des Kaiserhauses war mit Verbindungen sowohl zum französischen als auch reichsdeutschen Kapital.

Der Einfluss des deutschen Kapitals auf die Wiener Großbanken als Zentren des österreichischen Finanzkapitals war also schon zu Zeiten der Monarchie erheblich. Trotzdem verstanden es letztere, eine gewisse Selbständigkeit zu bewahren und eigene, dem deutschen Großkapital bisweilen entgegengesetzte Interessen zu verfechten bis hin zu heftigen Machtrangeleien um Einflusssphären in Balkanländern wie Rumänien, Bulgarien und den europäischen Restgebieten des Osmanischen Reiches. Die Wiener Großbanken stellten deshalb im Spektrum der finanzkapitalistischen Zentren der imperialistischen Weltmächte vor 1914 noch einen durchaus eigenständigen Faktor dar.

Jede dieser vier genannten Gruppen war bestrebt, womöglich in alle Industriezweige einzudringen, um sich so vor den Folgen von Wirtschaftskrisen besser zu schützen und um elastischer auf die Unausgeglichenheiten der ökonomischen Entwicklung reagieren zu können. Das gelang aber nicht vollständig, und gewöhnlich dominierte bei ihnen ein bestimmter Industriezweig. Bei der Creditanstalt und der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft – also Großbanken, die sich an das deutsche Kapital anlehnten – sowie bei der Bodencreditanstalt nahm die Schwerindustrie, die Gruppe Kohle-Eisen-Stahl, die stärkste Position ein. Die Länderbank, Anglobank und Unionbank, die überwiegend mit den französischen, englischen und holländischen Kapital in Verbindung standen, sowie der Wiener Bankverein dominierten hingegen in den so genannten neuen Industrien Elektro, Chemie, Erdöl, Automobil. Alle Wiener Großbanken bezogen auch Konzerne der Leicht- und Konsumgüterindustrie in ihren Machtbereich ein, darunter die Papierindustrie. Letztere war für sie wichtig, weil sie damit die Kontrolle über das österreichische Verlags- und Zeitungswesen und in dessen Gefolge über die öffentliche Meinung erlangten.

Diese verschiedenen Gewichte in- und ausländischen Kapitals und die abgestufte Dominanz bei den Industriebeteiligungen wirkten sich bei der Einflussnahme der Gruppen des österreichischen Finanzkapitals auf die Außen- und Innenpolitik entsprechend aus.

Außenpolitisch lassen sich drei Richtungen unterscheiden. Die erste Gruppe plädierte für engstes Zusammenwirken mit dem deutschen Finanzkapital bis hin zur gänzlichen Unterordnung in der Hoffnung, an der Seite des stärkeren und aggressiveren deutschen Imperialismus effektiver auf Raubzüge ausgehen zu können. Die zweite Gruppe war ebenfalls für ein Bündnis mit dem deutschen Kapital, jedoch in der Rolle als selbständiger und gleichberechtigter Partner. Die dritte Gruppe, übrigens die schwächste in der Zeit der Monarchie, strebte hingegen gute und freundschaftliche Beziehungen zum westeuropäischen Finanzkapital an, und hatte dementsprechende Vorbehalte gegen eine Vereinnahmung seitens des deutschen Imperialismus.

Innenpolitisch gab es zwei Richtungen, die sich besonders in der Haltung gegenüber der Arbeiterbewegung äußerten. Die eine Linie war die der Verweigerung jeglicher Zugeständnisse, der unnachgiebigen Ablehnung von gewerkschaftlichen Forderungen und von ökonomischen, sozialen und politischen Reformen. Für sie waren die Arbeiterbewegung und die Sozialdemokratie ganz einfach eine Sache der Polizei, behördlicher Verbote, der Gerichte, der Klassenjustiz. Diese scharfmacherische Tendenz verkörperte vor allem die traditionelle Schwerindustrie, die Gruppe Kohle-Eisen-Stahl. Die andere Linie war die flexible der modernen Kapitalgruppe Chemie-Elektro, die bereit war, gewissen, als notwendig erachteten, sozialpolitischen Reformen nachzugeben, und die erkannte, welche Möglichkeiten die Umwandlung der damals noch marxistisch orientierten Sozialdemokratie in eine reformistische Partei für die Herrschaftssicherung des imperialistischen Finanzkapitals bot.

So war im Wesentlichen die Konstellation bis zum Ende des 1. Weltkriegs. Nach 1918 aber sah sich die österreichische Großbourgeoisie mit einer vollständig anderen Situation konfrontiert.  

II.

Die Wiener Banken, vordem die Lenker aller wichtigen Finanztransaktionen im gesamten Habsburgerreich und darüber hinaus in verschiedenen Balkanstaaten, sahen sich nunmehr in einen staatlichen Rahmen eingeschnürt, der nach ihren bisherigen Maßstäben dem Tätigkeitsbereich kleiner Provinzbanken entsprach.

Aus diesen Gründen empfand die österreichische Großbourgeoisie noch weit stärker als die deutsche die Nachkriegsordnung als unerträglich. Die Konsequenzen, die sich für sie daraus ergaben, waren jedoch völlig andere als für die deutsche. Während – langfristig gesehen – die Niederlage und der Versailler Diktatfrieden die Aggressivität der deutschen Monopolbourgeoisie verstärkten, so konnte die österreichische Großbourgeoisie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen daran denken, ihre Revisionswünsche mit einer Politik der Stärke oder gar mit Waffengewalt durchzusetzen. Der Verlust der Führungsposition einer europäischen Großmacht war so einschneidend, dass man zunächst dem verbliebenen Staatsgebilde jede Lebensfähigkeit absprach und allen Schwierigkeiten durch den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zu entgehen hoffte. Der Vollzug des Anschlusses wurde von den Siegermächten jedoch verhindert und friedensvertraglich untersagt.

Ohnedies zeigte sich das österreichische Finanzkapital über den einzuschlagenden Weg zur Schaffung eines „lebensfähigen“ größeren Staatengebildes uneinig. Für die „großdeutsche“ Lösung traten dauerhaft nur jene Gruppen und Wirtschaftskreise ein, die sich vom Anschluss an den größeren deutschen Markt Vorteile versprachen. Der überwiegende Teil der österreichischen Großbourgeoisie benutzte hingegen die Anschlussparole mehr als Druckmittel gegenüber den Siegermächten und dem Völkerbund, um diese der österreichischen Kreditwünschen geneigter zu machen. Große Teile des Industriekapitals fürchteten die Konkurrenz der leistungsfähigeren deutschen Wirtschaft im Falle eines Anschlusses. Sie richteten – ebenso wie bestimmte Kreise des Bank- und Handelskapitals – ihre Hoffnungen deshalb stärker auf die Wiederherstellung der alten Wirtschafts- und Handelsbeziehungen durch ein Zusammenrücken der Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie. In diese Richtung zielten die bekannten Bemühungen in den 1920er Jahren um die Schaffung einer „Donaukonföderation“.

Da aber auch diese Lösung sich als ungangbar erwies, sah man sich genötigt, sich durch die völlige Unterwerfung unter ausländisch-westeuropäische Finanzkontrolle einen Kredit zur Stabilisierung der Wirtschaft zu verschaffen. Es war das die bekannte Genfer Sanierung unter dem christlichsozialen Bundeskanzler Seipel im Herbst 1922. Schon zuvor, in den Jahren 1919 bis 1921, hatten die Wiener Großbanken, weil sie den Verlust ihrer traditionellen Einflusssphären in Mittel- und Südosteuropa befürchten mussten, dem durch eine Allianz mit dem Ententekapital entgegengewirkt. Sie gaben beträchtliche Teile der eigenen Aktien an westliche Finanzgruppen ab, um sich so vor Enteignungsansprüchen der Nachfolgestaaten der Monarchie besser schützen zu können.

Es ist bekannt, dass ein Hauptgrund für die wirtschaftliche Stagnation in den 1920er Jahren in der Unfähigkeit des österreichischen Finanzkapitals lag, den Produktionsapparat entsprechend den Dimensionen und Möglichkeiten des 1918 entstandenen Kleinstaates umzustrukturieren. Daher vollzog sich der Konzentrations- und Schrumpfungsprozess der Industrie und der Banken chaotisch und katastrophal, nämlich als eine schier endlose Abfolge von Zusammenbrüchen und Liquidationen. 1930 brach die Bodencreditanstalt zusammen und musste von der Creditanstalt übernommen werden. 1931 stand die Creditanstalt vor dem Ende und konnte nur durch massive Staatshilfe, sprich: mit Geldern der Steuerzahler, und Staatshaftung erhalten werden. Durch Schuldenübernahme wurde der österreichische Staat ihr Mehrheitseigentümer. 1934 wurde der Wiener Bankverein mit der Creditanstalt fusioniert, und die Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft übertrug ihren Bereich des Bankgeschäfts ebenfalls an die Creditanstalt.

Das heißt, dass ab 1934 aus den ursprünglich 7 Wiener Großbanken der Monarchie eine einzige, die Creditanstalt-Bankverein, geworden war. Daneben bestanden nur noch vier Banken mittlerer Größe, die Länderbank als nach wie vor französisch dominiertes Geldinstitut, die Merkurbank, die Kompassbank und das Kreditinstitut für öffentliche Arbeiten und Unternehmungen. Sie alle hatten nach wie vor den Großteil der österreichischen Industrieunternehmen in ihrem Macht- und Einflussbereich, die Creditanstalt-Bankverein und die Merkurbank überdies immer noch bedeutende Beteiligungen an Bank- und Industriebetrieben in ost- und südosteuropäischen Ländern.

  III. 

Aber wie sah es hier in der Realität aus? Das deutsche Monopolkapital war nach 1934 bereits inniger denn je mit der Industrie und den Banken Österreichs verflochten. In der Montanindustrie gehörte den Vereinigten Stahlwerken Düsseldorf 56 % des Aktienkapitals der Alpine Montan, des mächtigsten Bergbau- und Hüttenbetriebes Österreichs.

In der Hand der deutschen Elektroriesen Siemens und AEG befanden sich die bedeutendsten österreichischen Elektrobetriebe.

Der größte Chemie-Konzern des deutschen Imperialismus, die IG Farben, waren indirekt an Betrieben in Österreich in hohem Maße beteiligt.

Dasselbe bei den Banken. Die Merkurbank gehörte bereits zu 90 Prozent der Dresdner Bank, und die Deutsche Bank war bereits im Verwaltungsrat der Creditanstalt-Bankverein vertreten, obwohl sie nur einen Minoritätsanteil der Aktien der CA in der Höhe von 13 Prozent besaß. Das sagte aber über den Einfluss der Deutschen Bank auf die österreichische Wirtschaft insgesamt nur wenig aus, weil man hier berücksichtigen muss, dass 61 deutsche Aktiengesellschaften schon vor dem Anschluss direkte Beteiligungen an österreichischen Unternehmungen hatten und bei 34 dieser Gesellschaften die Deutsche Bank als Großaktionär und über Vertreter in den Vorständen und Aufsichtsräten die dominante Position einnahm.

Nicht zufällig erwarben deutsche Finanzkapitalisten vor allem Beteiligungen an solchen österreichischen Gesellschaften, die vielseitige und umfangreiche Beziehungen zu den ost- und südosteuropäischen Ländern besaßen.

Das deutsche Finanzkapital hatte also schon in der Ständestaatsära wichtige wirtschaftliche Positionen inne und übte über sie einen ständigen ökonomischen und politischen Druck auf Österreich aus.

Daher auch die Rolle, die Österreich in den Aggressionsplänen des deutschen Imperialismus spielte. Es sollte aufgrund seiner günstigen militärstrategischen Lage Aufmarschgebiet für die Einkreisung der wirtschaftlich noch reicheren Tschechoslowakei werden und zum Ausfallstor für die Expansion nach Ost- und Südosteuropa. Mit der Besetzung Österreichs verfolgte man weiters das Ziel, den noch verbliebenen Einfluss des französischen und britischen Kapitals aus dem Donauraum zu verdrängen. Und nicht zuletzt sollte Österreich Rohstoffe und Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie liefern und selbst als Rüstungsbasis ausgebaut werden. Es waren Österreichs ergiebige Eisenerzvorkommen, die Ressourcen an Blei und Zink, an Kupfer und Antimon, an Magnesit und Holz sowie die reichen Gold- und Devisenbestände der Österreichischen Nationalbank in der Höhe von 1,3 Milliarden Reichsmark, die diese Begehrlichkeiten erweckten, und nicht das Propagandagerede von der „Vereinigung aller Deutschen in einem Großdeutschland“.

Es fragt sich: was wurde aus jener Fraktion des österreichischen Finanzkapitals, die den Ständestaat vier Jahre lang stützte und beherrschte?

Hier muss man sich vergegenwärtigen, dass die Wirtschaftsmächtigen sich niemals auf nur eine einzige Option festlegen, sondern sich stets mehrere Möglichkeiten offen halten.

Schon 1936, im Gefolge des verhängnisvollen Juli-Abkommens, besuchte eine Delegation des Hauptverbandes der österreichischen Industrie Berlin und wurde von Göring und Hitler empfangen. Das Ergebnis der Besprechungen war, dass Österreich im Weg von Kompensations- und Clearingverträgen 1936/37 Gelder und Rohstoffe für die deutsche Aufrüstung zur Verfügung stellte. 1937 wurde eine deutsche Wirtschaftsdelegation vom österreichischen Industriellenbund in Wien empfangen, und auf dem offiziellen Bankett im Hotel Imperial tauschte man warme freundschaftliche Worte aus und zeigte sich begeistert über den gigantischen Aufschwung der deutschen Wirtschaft unter dem NS-Regime.

  IV. 

Es ist in dem Zusammenhang sehr bezeichnend, wer von deutscher Seite bei der Annexion Österreichs das Heft in die Hand nahm, denn es war nicht Hitler, sondern es waren Göring und Keppler, die bei der Vorbereitung und Durchführung des österreichischen Anschlusses die Regie führten.

Von Göring weiß man, dass er seit Anbeginn in der NS-Führung die engsten Beziehungen zum Monopol- und Finanzkapital besaß: zunächst, 1933/34, zur Dresdner Bank und zu Schacht und Thyssen von der Ruhrschwerindustrie; ab 1936 aber als führender Vertrauensmann der IG-Farben in Zuge der Autarkiebestrebungen des Vierjahresplans, und über die IG-Farben zur Deutschen Bank.

Die zweite entscheidende Figur war Wilhelm Keppler. Er war ursprünglich Ingenieur und Besitzer einer Fabrik für Klebstoffe. Seit 1927 NSDAP-Mitglied, wurde er 1931 Wirtschaftsberater der NSDAP und gründete im selben Jahr den „Freundeskreis Reichsführer SS“, ein Gremium, in dem Industrielle und Bankiers als Förderer und Geldgeber Himmlers und der SS saßen. 1934 wurde Keppler „Wirtschaftsbeauftragter des Führers“ und 1936 Berater Görings beim Vierjahresplan. Im September 1937 ernannte ihn Hitler zum „Sonderbeauftragten für österreichische Angelegenheiten“.

Kepplers eigentliche Rolle bestand darin, dass er der Verbindungsmann der IG-Farben und des Chemie-Elektro-Flügels der Deutschen Bank zur Ruhrindustrie war und die Linie der Verständigung mit der Gruppe Kohle-Eisen-Stahl verfocht sowie den Weg einer Kompromisslösung der Gegensätze zwischen den zwei konkurrierenden Hauptzentren des deutschen Finanzkapitals, der Deutschen Bank und der Dresdner Bank.

Unter Görings und Kepplers Regie trugen zunächst die Reichswerke Hermann Göring, die Dresdner Bank und die IG-Farben im annektierten Österreich den Löwenanteil davon.

Die Dresdner Bank, die in Wien bereits seit 1932 die Merkurbank kontrollierte, erwarb 1938 zusätzlich noch aus ausländischem Besitz die Länderbank Wien, fusionierte sie mit der Merkurbank und besaß damit das zweitgrößte Banknetz in Österreich.

Die „Reichswerke Hermann Göring“  übertrafen noch diesen Coup. Sie entwickelten sich seit dem Anschluss – also nur acht Monate nach ihrer Gründung – in eine Richtung, die sie von ihrer ursprünglichen Konzeption weit entfernte: statt sich ganz auf die Verhüttung eisenarmer Erze zu konzentrieren, erwarben sie nun mit dem Erzberg in der Steiermark eines der größten Erzvorkommen Europas und drangen außerdem in die eisenverarbeitende Industrie ein. Auf Görings Geheiß gaben die Vereinigten Stahlwerke Düsseldorf ihre in den 1920er Jahren erworbene Mehrheitsbeteiligung an der Alpinen Montangesellschaft – dem größten österreichischen Industrie- und Bergbaukonzern, in dessen Besitz sich der steirische Erzberg befand – an die Reichswerke ab. Die Leitung der Stahlwerke fühlte sich hier mit Recht vergewaltigt, aber der Stahlverein, der größte und mächtigste Ruhrkonzern, hatte Grund, sich den NS-Machthabern erkenntlich zu zeigen, weil diese nach 1933 die Reprivatisierung zugelassen und forciert hatten.

Weiters erwarben die Reichswerke Hermann Göring mit der Steyr-Daimler-Puch AG Österreichs größtes Kraftfahrzeug-Unternehmen.

Dasselbe bei den IG-Farben. Sie vereinigte die österreichische Chemie-Industrie unter ihrer Führung zu einem Tochterkonzern, zur „Donau-Chemie“. Einer der Betreiber war hier Hermann Neubacher, der im März 1938 als Angestellter der IG-Farben nach Österreich zurückkehrte und auch Bürgermeister von Wien wurde (von Göring in diese Position gehievt). Im 2. Weltkrieg war Neubacher „Sonderbeauftragter“ für Südosteuropa, besonders im Hinblick auf das rumänische Erdöl.

Auch Krupp ging beim österreichischen Anschluss nicht leer aus. Der Konzern meldete sein Interesse an der Berndorfer Metallwarenfabrik an, die seit 1927 nicht mehr im Krupp-Besitz war. Sofort nach dem deutschen Einmarsch in Österreich begann Wilmowsky, ein Schwager Krupps, über die bereits erwähnte Merkurbank in der Sache der Berndorf-Werke zu verhandeln und hielt sich mit Hilfe einer staatlichen Verordnung Konkurrenten vom Leibe.

  V. 

Die zweite beherrschende deutsche Finanzgruppe, die Deutsche Bank, hat aber dem nicht tatenlos zugesehen und es ebenfalls verstanden, den Anschluss zur Stärkung ihrer Machtpositionen auszunützen. Die Schlüsselfigur war hier Hermann Josef Abs, der seine und der Deutschen Bank Aspirationen auf das wertvollste Stück des österreichischen Finanzkapitals, auf die Creditanstalt-Bankverein, richtete.

Was nun geschah und welches Gerangel hier einsetzte, soll näher geschildert werden, weil es ein Lehrstück darüber ist, wie sich Machtkämpfe und deren Lösungen auf dem Kompromissweg innerhalb der Gruppen des Finanzkapitals abspielen.

Die Deutsche Bank hatte schon seit langem, seit 1876, enge Geschäftsbeziehungen zum Wiener Bankverein, und der Bankverein ist am 25. Mai 1934, also in der Ständestaatsära, mit der Österreichischen Creditanstalt fusioniert worden. Obwohl die Deutsche Bank über keinen nennenswerten Aktienbesitz an der Creditanstalt verfügte (sie kontrollierte nicht ganz 13 % ), war sie doch – zumindest im Ergebnis ihrer traditionellen Verbindungen zum Wiener Bankverein – mit einem ständigen Vertreter in deren Verwaltungsrat vertreten. Diesen Sitz nahm bis 1937 Gustav Schlieper ein.

Abs wurde am 6. November 1937 Nachfolger von Schlieper in der CA-BV und nahm an dem Tag an einer Sitzung des Verwaltungsrates in Wien teil. Gegenüber dem Reichswirtschaftsministerium in Berlin machte er bereits damals den Anspruch der Deutschen Bank auf die CA geltend und reiste nach Wien, wo am 4. und 5. März 1938 Besprechungen stattfanden – also ebenfalls noch kurz vor dem Anschluss.

Bei diesen Besprechungen erklärte die Deutsche Bank ihre Bereitschaft, der CA bei der Reprivatisierung zu helfen und ihre Stammaktien aus dem Besitz des Bundesstaates Österreich und der österreichischen Nationalbank zu übernehmen.

Am 17. März 1938 traf Josef Abs mit 20 Mitarbeitern in Wien ein und verhandelte mit der Leitung der CA. Das Ergebnis war der so genannte „Freundschaftsvertrag“ vom 26. März 1938 zwischen der Deutschen Bank und der Creditanstalt-Bankverein.

Der „Freundschaftsvertrag“ war aber in der Form nicht zu realisieren und scheiterte zunächst am Widerstand der Konkurrenz, vor allem der Dresdner Bank. Auch das Reichswirtschaftsministerium legte sich quer. Es übernahm die aus dem österreichischen Staatsbesitz stammenden Aktien der CA und übertrug sie einer ihr unterstehenden Reichs-Holding, die damit 76 % des Aktienkapitals der CA kontrollierte. Das heißt, dass das  Reichswirtschaftsministerium nicht bereit war, dass die Deutsche Bank allein, ohne Absprache mit staatlichen Stellen, die CA schluckte.

Abs war in der Sache ein gravierender Fehler unterlaufen. Er hatte versäumt, sich rechtzeitig Verbündete zu schaffen. Er gab aber nicht nach und ging zunächst den Weg des Kompromisses: Verbündete zu gewinnen, indem Industrieaktien aus dem Besitz der CA „im Publikum placiert wurden“, wie es in der Börsensprache so schön heißt.

Ein solcher Schritt war die Zuschanzung von Krupp-Berndorf aus dem Besitz der CA an den Krupp-Konzern-Essen.

Weitere Schritte von Abs und der Deutschen Bank waren: Die CA verkaufte Steyr-Daimler-Puch, die Steirischen Gussstahlwerke, Simmering-Graz-Pauker und die Stahlwerke Traisen an die Reichswerke Hermann Göring; weiters die Wiener Lokomotiv-Fabrik an den Henschel-Konzern; weiters die Pulverfabrik Skoda-Wetzler an die IG Farben; und schließlich die Phönix-Versicherung an die deutsche Allianz-Versicherung.

Im Gefolge dieser Übernahmen fusionierten die Hermann-Göring-Werke die sehr preiswert erworbenen Unternehmen zur Alpinen Montan AG „Hermann Göring“, und die IG Farben fusionierten die Pulverfabrik Skoda-Wetzler mit ihrer Wiener Tochter, der Anilin-Chemie AG, zur neuen Donau-Chemie AG.

Mit diesen Verkäufen sicherte sich Abs die Unterstützung durch Göring und Bürckel, dem von Hitler eingesetzten Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. Das Resultat war die Genehmigung, dass sich die Deutsche Bank an der CA beteiligen darf. Am 1. November 1938 wurde von der Reichs-Treuhand-Holding ihre Sperrminorität an der CA an die Deutsche Bank zum Nennwert verkauft und der Deutschen Bank die Option auf weitere 25 % des Aktienkapitals eingeräumt (d.h. zugesagt, dass diese weiteren 25 % nicht an die Konkurrenz verkauft werden.) Damit hatte Abs gewonnen.

Anfang Mai 1942 ging Abs zu einem weiteren Angriff über und sicherte der Deutschen Bank 61 % des Grundkapitals der CA.

Die von der Deutschen Bank nunmehr dominierte CA firmierte unter dem Aufsichtsratsvorsitz von Abs fortan als CA-BV Wien. Das Wiener Haus verfügte insgesamt über 17 Filialen in Österreich, 2 Filialen in Ungarn, 2 Filialen in Polen (Krakau und Lemberg) und besaß die Option, eine Filiale in Kiew (!) errichten zu können. Die Niederlagen der deutschen Wehrmacht an der Ostfront nach dem Desaster von Stalingrad machten Letzteres allerdings zum Luftschloss.

  VI. 

Der Mann, der Abs bei all diesen Schritten innerhalb des Vorstands der CA unterstützte, war Dr. Josef Joham, eine der Schlüsselfiguren des österreichischen Bank- und Industriekapitals im Ständestaat, in der Nazizeit und in der 2. Republik.

Joham (1889-1959), ein gebürtiger Kärntner, war seit 1914 im Bankfach tätig. Ab 1921 hatte er Funktionen in der Bank für Tirol und Vorarlberg, einer Tochterbank der CA, und wurde während der Krise 1931 in den Vorstand der CA entsandt. 1936 berief ihn Schuschnigg zum Generaldirektor der CA. Wegen seiner schon damals gepflogenen engen Beziehungen zur Deutschen Bank und zu Abs blieb er bis 1945 der maßgebliche Mann im Vorstand der CA und übte während des Krieges auch hohe Wirtschaftsfunktionen in Ostmitteleuropa aus.

Ab 1942 war Joham Agent des US-Geheimdienstes OSS, des Vorgängers des CIA und versorgte diesen mit erstklassigen Informationen über das Wirtschaftsleben in Nazi-Deutschland. Er hat also für die Nachkriegszeit rechtzeitig vorgesorgt.

1945 wurde Joham von der Renner-Regierung als „unentbehrlicher Fachmann“ zum öffentlichen Verwalter der CA und 1948 neuerlich zum Generaldirektor der nunmehr verstaatlichten CA bestellt.

Anfang der 1950er Jahre war er in einen Wirtschaftsskandal im Zusammenhang mit Verschiebung von Geldern aus dem Marshallplan verwickelt. Dazu gab es sogar einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Passiert ist nichts. Joham wurde von der ÖVP unter Bundeskanzler Raab gehalten und blieb bis zu seinen Tod 1959 Generaldirektor der CA.

Eine andere verhängnisvolle Gestalt neben Joham, die sich aber im Unterschied zu ihm direkt an Naziverbrechen beteiligte und deshalb nicht so ungeschoren davonkam, war Hans Fischböck (1895-1967).

Gebürtiger Niederösterreicher und von Beruf Rechtsanwalt, wurde er in den 1920er Jahren Prokurist der Österreichischen Verkehrsbank. Hier stieg er zum stellvertretenden Direktor auf.In den Jahren 1936 bis 1938, bereits als illegaler Nationalsozialist, wirkte er bei der Österreichischen Versicherungs AG als Direktor. Im Zuge der Vereinbarungen von Berchtesgaden vom 12. Februar 1938 ernannte ihn Schuschnigg am 18. Februar 1938 zum Staatsrat, zuständig für die Wirtschaftskontakte zum Deutschen Reich.

In der Anschluss-Regierung Seyß-Inquart war Fischböck zunächst Minister für Handel und Verkehr, ab 15. Mai 1938 Minister für Wirtschaft und Arbeit und zusätzlich Minister für Finanzen. Er war besonders aktiv bei den Arisierungen und in dem Zusammenhang eng mit Göring liiert. Ab Mai 1939 fungierte er als Vorstandsvorsitzender der CA-BV, war also kurzfristig Joham vorgesetzt. Überdies leitete er die Wiener Wirtschaftskammer und war im Aufsichtsrat der Steyr-Daimler-Puch AG.

1940 ging er mit Seyß-Inquart in die besetzten Niederlanden und wurde dort Wirtschaftskommissar. Auch hier leitete er die Plünderung des jüdischen Vermögens. 1943 erklomm er den Höhepunkt seiner Karriere als Staatssekretär im

Reichswirtschaftsministerium, zuständig für die Preisbildung.

1945 tauchte Fischböck unter und lebte bis 1950 unter falschem Namen in München. Ein kroatischer katholischer Priester besorgte ihm einen Pass des Roten Kreuzes unter dem Namen Jakob Schramm. Mit Hilfe der Organisation „Odessa“ konnte er so nach Argentinien entkommen, wo er am 2. Februar 1951 in Buenos Aires ankam. In Österreich wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Hochverrats angestrengt, was aber zu keiner Verurteilung führte. Sein Vermögen wurde in Österreich am 15. März 1951 eingezogen. Im Jahre 1957 fielen seine Delikte unter eine österreichische Amnestie.

1960 kehrte Fischböck in die BRD zurück und verdingte sich bis zu seinem Tod 1967 als Berater eines Stahlkonzerns in Essen.

An den Karrieren der beiden kann man erkennen, was sich so in den Etagen der Bankpaläste des Finanzkapitals vor und nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich abspielte, eine Geschichte, von der der Normalösterreicher wenig bis nichts zu hören bekommt und die noch geschrieben werden muss.

  VII. 

So gesehen entpuppte sich das österreichische Finanzkapital in der Ära des austrofaschistischen Ständestaats geradezu als Totengräber der eigenen Nation. Es war es, das das österreichische Volk unfähig machte, gegen die Vernichtung seiner eigenstaatlichen Existenz durch Hitlerdeutschland Widerstand zu leisten. Diese schlichtweg hochverräterische Rolle der Wirtschaftsmächtigen wurde von den Arbeiterorganisationen nach der Befreiung Österreichs 1945 und bei ihren Forderungen nach Verstaatlichung sehr klar gesehen. Deshalb forderte die steirische Landesorganisation des Österreichischen Gewerkschaftsbundes am 4. Juli 1945, „dass die steirische Großindustrie (...) verstaatlicht wird.“ Und als Begründung führte man an, „dass besonders in der Steiermark die Leitungen der Unternehmungen fast ausschließlich die Agenten des kriegsverbrecherischen deutschen Großkapitals gewesen sind, wie sie überhaupt auch schon vor dem Naziregime die Kommandeure der Sozialreaktion waren. Sie waren es in erster Linie, die dem deutschen Faschismus in Österreich den Weg bereiteten. (...) Nachdem dieselben Leute nach den Maitagen 1945 die Betriebsinteressen wie auch jene der Arbeiter und Angestellten durch ihre Flucht verrieten und sich dadurch so treulos erwiesen wie ein Kapitän, der das sinkende Schiff zuerst verlässt, herrscht in der steirischen Arbeiter- und Angestelltenschaft die Überzeugung, dass nie wieder die Leitung der Großindustrie, des Großhandels und der Banken oder anderer großer Geldinstitute privater Spekulation anheim fallen darf.“

Dem ist in Zeiten wie diesen, in denen der Neoliberalismus Orgien feiert und das Finanzkapital der Masse der Menschen einen immer schwereren Tribut auferlegt, nichts hinzuzufügen.

Vortrag auf dem Antifaschismus-Seminar der Solidar-Werkstatt „1938 – 2008. Europa der Konzerne und Generäle“ in Ebensee am 12. Juli 2008 (gekürzte Fassung)

Dr. Hans Hautmann ist ao. Universitätsprofessor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte i.R. 


Literaturverweise:

Zum österreichischen Finanzkapital vor 1914:
Jurij Krizek, Zur Geschichte der Entstehung und des Einflusses des Finanzkapitals in der Habsburger Monarchie in den Jahren 1900-1914, in: Die Frage des Finanzkapitals in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1900-1918, Bukarest 1965
Egon Scheffer, Das Bankwesen in Österreich. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung für Wirtschaft und Geist, Wien 1924
Eduard März, Österreichische Bankpolitik in der Zeit der großen Wende 1913-1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe, Wien 1981

Zum österreichischen Finanzkapital in der 1. Republik:
Peter Berger, Ökonomische Macht und Politik, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933. Hg. Tálos/Dachs/Hanisch/Staudinger, Wien 1995
Gerhard Senft, Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934-1938 = Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, hrsg. Von Anton Pelinka und Helmut Reinalter, Band 15, Wien 2002

Zum Einfluss des deutschen Kapitals in Österreich:
George W. F. Hallgarten/Joachim Radkau, Deutsche Industrie und Politik von Bismarck bis in die Gegenwart, Reinbek bei Hamburg 1981
Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. Der Anschluss, Wien-München 1979 Zur Rolle von Göring und Keppler: Kurt Gossweiler, Die Röhm-Affäre. Hintergründe – Zusammenhänge – Auswirkungen, Köln 1983
Zu Abs: Eberhard Czichon, Die Bank und die Macht. Hermann Josef Abs, die Deutsche Bank und die Politik, Köln 1993
Zu Joham und Fischböck: Gerald D. Feldman/Oliver Rathkolb/Theodor Venus/Ulrike Zimmerl, Österreichs Banken und Sparkassen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, München 2006 Oliver Rathkolb (Hrsg.), Bank Austria Creditanstalt. 150 Jahre österreichische Bankengeschichte im Herzen Europas, Wien 2005 
Gerhard Hirschfeld, Fremdherrschaft und Kollaboration - Die Niederlande unter deutscher Besatzung 1949 - 1945, Stuttgart 1984
Wolfgang Schumann, Ludwig Nestler (Hrsg.), Die faschistische Okkupationspolitik in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden (1940-1945), Berlin 1990
Zur Forderung der Verstaatlichung nach 1945: Hans Hautmann, Verstaatlichungen in Österreich nach 1945, in: Manfred Mugrauer (Hg.), Öffentliches Eigentum – eine Frage von Gestern? 60 Jahre österreichische Verstaatlichungsgesetzgebung = Alfred Klahr Gesellschaft. Quellen & Studien, Sonderband 8, Wien 2007
Heimo Halbrainer, „Jetzt ist dieses geraubte Gut in die Hände Österreichs zurückzugeben.“ – Die steirische Arbeiterbewegung als Vorreiterin der Verstaatlichungsaktion, in: Ebenda