Rede von Gerald Oberansmayr (Solidarwerkstatt Österreich) bei der Kundgebung "Die Waffen nieder!" am 18.3.2022 im Linzer Schillerpark.


Liebe FreundInnen,

wir stehen heute hier mit einer klaren Botschaft: Die Waffen nieder! Stoppt den Krieg! Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, der nicht zu rechtfertigen ist. Die Drohung des Einsatzes von Atomwaffen stellt einen weiteren Bruch des Völkerrechts dar. Wir fordern die russische Führung auf, diesen Krieg sofort zu stoppen und sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Konflikte müssen am Verhandlungstisch gelöst werden!

Wir sind empört über diesen Krieg, es ist aber auch wichtig, kühlen Kopf zu bewahren und sich die Vorgeschichte dieses Krieges anzuschauen, nicht um diesen Krieg zu relativieren oder zu rechtfertigen, sondern um daraus die richtigen friedenspolitischen Schlussfolgerungen zu ziehen, um nicht die Fehler der Vergangenheit ständig zu wiederholen.

Denn: Ich kann für die Solidarwerkstatt sagen, dass wir heute nicht zum ersten Mal mit der Losung „Die Waffen nieder! Stoppt den Krieg!“ auf der Straße stehen. Die Wahrheit ist: Wir stehen alle paar Jahre mit dieser Losung auf der Straße: in den 90er Jahren, als der Irak angegriffen wurde, 1999 als Jugoslawien angegriffen wurde, 2002 als Afghanistan angegriffen wurde, 2003 als wieder der Irak angegriffen wurde, 2011 als Libyen angegriffen wurde. Auch diese Kriege der USA, der NATO, der EU-Staaten waren Angriffskriege, die gegen das Gewaltverbot der Vereinten Nationen verstoßen haben. Auch diese Kriege haben dazu beigetragen, den Respekt vor dem Völkerrecht zu unterminieren. Keiner dieser Kriege rechtfertigt einen anderen Krieg, aber jeder dieser Kriege hat dazu beigetragen, dass weiter völkerrechtswidrige Kriege wahrscheinlicher wurden und werden.

Wir sind auch hier auf der Straße gestanden, als 2014 die ukrainische Regierung gewaltsam gestürzt wurde. Wir erinnern uns: Die EU wollte auf Biegen und Brechen das EU-Ukraine-Assoziationsabkommen durchsetzen, ein neoliberales Freihandelsabkommen, das zugleich die militärische Anbindung der Ukraine an die EU vorsah. Die damalige Regierung Janukowitsch unterschrieb letztlich dieses Abkommen nicht, weil sie die schwierige Balance des Landes zwischen Ost und West, eine gewisse politische Neutralität zwischen Ost und West aufrechterhalten wollte. Wir wissen, was dann geschah: EU und USA bediente sich rechtsextremer, neonazistischer Gruppierungen, um im Februar 2014 die ukrainische Regierung im Staatsstreich zu stürzen und einen prowestlichen Regimechange herbeizuführen. Diese neue Regierung zeigte sich dann willig, das EU-Freihandelsabkommen plus militärischer Anbindung durchzusetzen. Die Ereignisse im Februar 2014 lösten eine Kettenreaktion aus: Einschüchterung der Opposition durch rechtsextremen Straßenterror (tragischer Höhepunkt war, als im Mai 2014 ein nationalistischer Mob Duztender DemonstrantInnen bei lebendigem Leib in Odessa verbrannte); die Annexion der Krim, die Abspaltung der Republiken im Osten, ein fürchterlicher Bürgerkrieg mit 14.000 Toten.

Zur Vorgeschichte gehört auch die permanente Osterweiterung der NATO bis an die russische Grenze – trotz anderslautender Versprechung Anfang der 90er Jahre. Nach dem Staatsstreich in Kiew ist diese NATO-Beitrittsperspektive auch für die Ukraine immer konkreter geworden: 2015 erklärte das ukrainische Parlament, die Stationierung von westlichen Atomwaffen in der Ukraine zuzulassen. 2018 verlieh die NATO der Ukraine den Status einen Beitrittskandidaten. 2019 schrieb die Ukraine das Ziel des NATO-Beitritts in die Verfassung. Das stellt eine dramatische Bedrohung russischer Sicherheitsinteressen dar: Denn in der Ukraine stationierte NATO-(Atom-)Raketen könnten strategische Ziele in Russland wie z.B. Moskau innerhalb von wenigen Minuten erreichen. Das kann keine Rechtfertigung für diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg sein, aber legitime Sicherheitsinteressen sind ein Aspekt, den wir berücksichtigen müssen. Erinnern wir uns: 1962 als sowjetische Atomwaffen auf Kuba vor der amerikanischen Haustür stationiert werden sollten, drohte die USA mit dem 3. Weltkrieg.

Was sind daher aus unserer Sicht die wichtigsten friedenspolitischen Schlussfolgerungen:

1) Das Völkerrecht ist unteilbar! Alle müssen sich daran halten, gerade die Großmächte. Denn der Respekt vor dem Völkerrecht ist die einzige Chance, die Durchsetzung des Faustrechts auf globaler Ebene zu verhindern.

2) Raus aus der Eskalationsspirale! Russland muss sofort diesen Krieg stoppen und sich zurückziehen! Wir müssen aber auch die hypertrophen Aufrüstungsambitionen der westlichen Großmächte stoppen. Die NATO gibt jetzt schon 16-Mal mehr für Rüstung und Militär aus als Russland. Die Welt wird nicht sicherer, wenn die NATO 20-Mal oder 30-Mal mehr ausgibt. Im Gegenteil. Die EU plant bereits seit dem Vorjahr, beim EU-Gipfel im März 2022 einen sog. „strategischen Kompass“ zu starten. Der Hauptzweck ist bereits im Vorjahr durchgesickert. Wörtlich heißt es, es gehe nun darum, „einen beispiellosen Anstieg der militärischen Kapazitäten der EU“, auf Schiene zu bringen. Damals war vom Ukrainekrieg nicht die Rede. Dieser Krieg ist nicht die Ursache, er dient nun als Legitimation. Wir brauchen das Gegenteil: Wir brauchen Abrüstung, wir müssen raus aus der Rüstungsspirale. Wir brauchen diese Milliarden, um soziales Elend zu bekämpfen, um einen Klimakollaps zu verhindern!

3) Neutralität verbindet – Militärblöcke spalten! Das gilt sowohl für die Ukraine (wenn man in die Geschichte des Landes schaut), das gilt aber auch für Österreich. Je stärker sich Österreich der EU-Militarisierung untergeordnet hat, desto weniger hat Österreich dazu beigetragen, sich bei internationalen Konflikten als friedenspolitischer Vermittler und Brückenbauer zu betätigen. Statt bei EU-Eingreiftruppen mitzumarschieren und bei EU-Kriegskassen mitzufinanzieren, brauchen wir wieder eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik. Was wäre eine herausragende Aufgabe für eine solche Politik in Europa? Damit komme ich zu

4) Wir brauchen eine neue Friedens- und Sicherheitsarchitektur in Europa, die an den Aufruf von Gorbatschow aus den 80er Jahren anknüpft: „Für eine gemeinsames Haus Europa!“. Wir brauchen einen neuen Friedensprozess unter Einschluss aller Akteure, also auch von Russland und den USA: Zentraler Leitgedanke: Sicherheit kann es nur miteinander und nicht gegeneinander geben. Es geht darum, in diesem Prozess, gegenseitig Vertrauen aufzubauen und aufeinander gerichtete Waffen abzubauen. Neutrale Staaten wie Österreich müssen als Vermittler in einem solchen Prozess eine wichtige Rolle spielen.

5) Wir brauchen eine starke Friedensbewegung! Denn: Keiner dieser Punkte, die ich genannt habe, ist realistisch ohne eine starke Friedensbewegung. Der derzeitige Krieg, die Kriege der Vergangenheit markieren immer auch ein Versagen der Friedenskräfte. Arbeiten wir daher daran, dass wieder eine starke Friedensbewegung entsteht. Verbinden wir uns mit anderen Überlebensbewegungen wie der Klimabewegung. Denn eines verbindet uns: Nicht neoliberale Konkurrenz, nicht imperialer Überlegenheitswahn können uns retten, sondern: mehr Kooperation, mehr Solidarität, mehr Zusammenarbeit auf respektvoller Augenhöhe.

Die Waffen nieder!