Rede von Gerald Oberansmayr, Solidarwerkstatt Österreich, bei der Friedenskundgebung am 18. Juni 2021 vor der Kaserne in Zwölfaxing gegen die neutralitätswidrigen NATO-Truppentransporte durch Österreich.

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Durchfuhrgenehmigungen für die NATO-Truppen, die derzeit im Rahmen von „Defender Europe 2021“ durch Österreich rollen, sind neutralitätswidrig und friedenspolitisch gefährlich, weil sie dazu dienen, weiter mit dem Säbel gegenüber Russland zu rasseln. Statt Beihilfe für diese Kriegsspiele zu leisten, müsste das neutrale Österreich sich für die Deeskalation in der Ukraine einsetzen, diplomatische Vermittlungsarbeit leisten. Ich möchte dabei auf einen Aspekt eingehen, der oftmals in dieser Auseinandersetzung zu kurz kommt. Und zwar auf die Frage WARUM? Warum ist es fast schon „normal“ geworden, dass Truppen und Kriegsgerät durch Österreich für Kriege und Kriegsübungen rollen? Warum rührt sich im Parlament keine Stimme der Opposition dagegen? Warum schweigen die Medien zu diesem skandalösen Verfassungsbruch?

Beihilfe zum Massenmord am Golf

Für die Beantwortung möchte ich einen Blick zurück in die Geschichte machen. Und zwar zunächst in den Jänner 1991. Die USA und ihre Verbündeten starten „Dessert Storm“, den Wüstensturm. Mit über einer halben Million Soldaten und absoluter Überlegenheit an Kriegsgerät wird der Irak angegriffen. Innerhalb weniger Wochen werden hunderttausende Iraker getötet, die Infrastruktur des Landes zerstört. Das Land wird in ein Tal der Tränen gestoßen, in dem bis heute weit über eine Millionen Menschen zu Tode gekommen sind. Das österreichische Parlament beschließt im Jänner 1991 in einer Nacht- und Nebelaktion eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes, das es ermöglicht US-Kriegsgerät durch Österreich zu transportieren. Es wird die Möglichkeit geschaffen, Kriegsmaterial für Kriege, die ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates haben, durch Österreich zu transportieren. U.a. werden damals sog. „Bergepanzer“ durch Österreich transportiert. Sie werden als „humanitäre“ Geräte dargestellt, die dazu dienen Verletzte zu bergen. Monate später erfährt die Öffentlichkeit, dass im Irak große Baggerschaufeln auf dieser Bergepanzer montiert wurden, um tausende irakische Soldaten bei lebendigem Leib in ihren Stellungen im Wüstensand niederzuwalzen und zu beerdigen. Bemerkenswert war die Begründung des damaligen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt Peter Jankowitsch für diese Beihilfe zum Massenmorden am Golf: „Wir müssen uns auf die Pflichten eines EG-Mitglieds vorbereiten“.

Und tatsächlich: Wenn man sich die Geschichte der militärischen Beihilfe Österreichs zu Kriegen und Kriegsspielen anschaut, dann beginnt das im Vorfeld des EU-Beitritts und mit dem EU-Beitritt werden alle Schritte der EU-Militarisierung mitgegangen – unabhängig von der jeweiligen Zusammensetzung der Regierung – und die Neutralität wie eine Salami scheibchenweise demontiert. Besonders erwähnt sei hier der Artikel 23f bzw. j, der 1998 in die österreichische Verfassung gemogelt wurde. Dieser Artikel ist ein Kriegsermächtigungsartikel, der es ermöglicht, sich an globalen Interventionskriegen zu beteiligen, wurde zeitgleich mit der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages beschlossen, der genau auf solche globalen Militäreinsätze der EU vorsieht.

2.500 Überflugsgenehmigungen für ausländische Militärflugzeuge monatlich!

Auch das Kriegsmaterialgesetz bzw das Truppenaufenthaltsgesetz wurde ein weiteres Mal novelliert. Als NATO und EU dazu übergingen, auch Kriege ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates zu führen, wurde 2001 das Kriegsmaterialgesetz erneut novelliert und ein Truppenaufenthaltsgesetz beschlossen: Der Neutralitätsvorbehalt wurde völlig eliminiert, Ansuchen der NATO oder EU reichten in Zukunft aus, um Kriegsmaterial- und Truppentransporte zu genehmigen und den zeitlich unbeschränkten Aufenthalt von EU- und NATO-Truppen unabhängig von einem UNO-Mandat zu ermöglichen. Hintergrund auch hier: Anpassung an die neuen Militarisierungsschritte der EU: Es war die Zeit, wo eine eigene EU-Interventionstruppe aus der Taufe gehoben wurde, in der Folge dann die EU-Battlegroups, die EU gab grünes Licht für die Teilhabe am Afghanistankrieg.

Infolgedessen sind mittlerweile die Militärtransporte durch Österreich in die Höhe geschnellt. So ergab zum Beispiel eine Parlamentarische Anfrage im Jahr 2015, dass zwischen 2011 und 2015 5.593 Militärtransporte durch Österreich genehmigt und durchgeführt wurden. Nicht mitgezählt sind dabei die Überflugsgenehmigungen. Darüber gibt ein Artikel in der „Kleinen Zeitung“ vom September 2014 Auskunft: Monatlich werden im Durchschnitt 2.500 Überflugsgenehmigungen für Militärflugzeuge großteils aus dem NATO-Raum erteilt. Viele dieser Militärtransporte diente Kriegseinsätzen wie z.B. in Afghanistan und Libyen.

„Panzerfitte“ Transeuropäische Netze

Mit dem Beitritt zur „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco), dem sog. Militärischen Kerneuropa, ab 2018 bekommen solche Militärtransporte eine weitere Aufgabe: Sie dienen als Probegalopp für das Projekt „Militärische Mobilität“ der EU. Die Aufgabe: Die Transeuropäischen Netze, also die Autobahnen und großen Transportwege der EU, „panzerfit“ zu machen, also für schwerstes Kriegsgerät zu präparieren. Dafür wurde sogar ein eigener milliardenschwere EU-Finanzierungstopf beschlossen.

Noch müssen Genehmigungen erteilt von der Bundesregierung erteilt werden, wenn solche Militärtransporte durch Österreich gehen sollen. Doch geht es nach dem politischen Willen der türkis-grünen Regierung, sollte es auch damit vorbei sein. Denn im Regierungsprogramm finden wir die Forderung nach Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik. Damit würde jede Unabhängigkeit und Eigenständigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik, die die unverzichtbare Grundlage jeder ernstgemeinten Neutralität darstellt, abgeschafft werden. In der Konsequenz hieße das auch, dass die Souveränität über das eigene Territorium und den Luftraum völlig aufgegeben werden würde.

Neutralität ist Kontraprogramm zur EU-Militarisierung

Ich halte die Neutralität für ungemein zukunftsfähig. Gerade in Zeiten wachsender Spannungen zwischen Großmächten, ist die Selbstverpflichtung eines kleinen Staates, sich an keinen Kriegen zu beteiligen, sondern sich stattdessen international als Friedensdienstleister zu bewähren, ungemein wertvoll, um Eskalationen entgegenzuwirken, um sich international für Abrüstung und Dialog stark zu machen. Wir müssen uns aber auch klar machen. Eine Neutralität, die diesen Namen verdient, ist das Kontraprogramm zu Teilnahme an der EU-Militarisierung, die diese Spannungen und diese Aufrüstung mitschürt. Wer eine ernsthafte Neutralitäts- und Friedenspolitik will, muss zum Ausstieg aus allen Programmen und Organisationen dieser EU-Militarisierung bereit sein wie z.B. der EU-SSZ, den EU-Battlegroups oder dem EU-Rüstungsamt. Und natürlich gehört dazu auch eine neutralitätskonforme Novellierung des Kriegsmaterialgesetzes, um endlich diese Truppentransporte für Kriege und Kriegsspiele zu beenden.
(18.6.2021)