Viele Karotten - eine RichtungBemerkenswerter Gleichklang bei den EU-Wahlen, wenn auch mit verteilten Rollen. „Mit einer Stimme sprechen, mit einer Faust zu schlagen.“


Die zentralen Akteure in Brüssel und Berlin haben einen zentralen Fokus in der EU-Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik: Mit einer Stimme sprechen, mit einer Faust zuschlagen, also eine zentralisierte Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich des Aufbaus einer gemeinsamen Armee unter EU-Oberkommando. Ein im Auftrag der EU-Rats erstelltes Strategiepapier will ein solches „EU-Militär“ bis spätestens 2025 erreicht haben. Nach außen hin spielt dieses strategische Thema bei den Wahlen zum EU-Parlament wenig Rolle. Ein genauerer Blick auf die Parteien offenbart bemerkenswerten Gleichklang, wenn auch mit verteilten Rollen.

Die SPÖ-Führung hält sich zwar mit Äußerungen zu diesen Fragen zurück, um die offiziellen Neutralitätsbeteuerungen nicht zu blamieren. Dafür nickt SP-Vorsitzender und Kanzler Faymann auf EU-Ebene jeden weiteren Schritt in Richtung EU-Militarisierung ab. Jüngst geschehen beim EU-Gipfel im Dezember 2013, als die EU neue Militarisierungsprojekte im Bereich Drohnen und Luftraumbetankung beschloss und eine rasche Feuertaufe für die EU-Battlegroups in Aussicht stellte. SP-Verteidigungsminister Klug nahm den Ball gleich auf und forderte, dass die EU-Battlegroups endlich „einmal zum Einsatz kommen“. Österreichs SoldatInnen sollten sich dabei u.a. beim „Kampf im Hochgebirge“ profilieren (Kleine Zeitung, 03.01.2014).

ÖVP-Vorsitzender Vizekanzler Michael Spindelegger „wünscht sich eine Euro-Armee … damit die EU stärker in der Welt auftreten kann.“ (Heute, 19.3.2014). Othmar Karas ist nicht nur VP-Spitzenkandidat, im Nebenberuf ist er auch Präsident der „Kangeroo-Group“, einer der mächtigsten Lobbyvereinigung des Militär-Industriellen-Komplex im EU-Parlament. Als solcher macht er aus seinem Herzen keine Mördergrube: „Die Neutralität entspricht weder dem Geist der EU noch dem Buchstaben des Lissabon-Vertrages“ (Standard, 30.1.2013).

Lästig für Rüstungslobbyisten a’ la Karas ist allerdings, dass die einzelnen Regierungen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik im EU-Rat noch über ein Vetorecht verfügen. Und damit haben auch die 28 nationalen Parlamente in diesem Bereich noch ein Wörtchen mitzureden. Diese nationalen Vetomöglichkeiten sind Brüssel und Berlin ein besonderer Dorn im Auge. Wie verhasst diese Vetomöglichkeit den EU-Eliten ist, hat der damalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zum Ausdruck gebracht: „Das Veto ist wie eine Art Atombombe. Wir können nicht mehr zulassen, dass jedes Land jede größere Entscheidung dank der Macht des Vetos blockiert.“ (OÖN, 12.1.2002). Diese Vetomöglichkeiten müssen fallen, wenn man mit einer Stimme sprechen und mit einer Faust zuschlagen will. Wie soll man schließlich in den Krieg ziehen, wenn man 28 Regierungen bzw. 28 Parlamente um Erlaubnis dafür fragen muss. Ein mächtiger Präsident – ein bereitwilliges Parlament – eine hochgerüstete Armee. So wird imperiale Politik gemacht. Die USA haben das schließlich vorexerziert. Der EU-Geostratege James Rogers hat das markig auf den Punkt gebracht: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden“ (Group on a Grand Strategy, 2011).

Für die Aufhebung dieser nationalen Vetos hat sich bei den österreichischen EP-Wahlen eine „bunte“ Koalition gebildet: Sie reicht vom VP-Spitzenkandidaten Karas, über die grüne Frontfrau Lunacek bis hin zum Spitzenpersonal von NEOS und „Europa anders“. Die Begrifflichkeiten variieren: Sie reichen von „europäischer Verteidigungsunion“ (Karas), „Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips“ (Lunacek), den „Vereinigten Staaten von Europa“ (NEOS) bis zur „Abschaffung des Rates“ (Europa anders). Es läuft auf dasselbe Ergebnis hinaus: Zentralisierung der Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik auf EU-Ebene - Schluss mit nationalen Vetomöglichkeiten.

Nicht einmal ein Hauch von Neutralität

Schon jetzt ist eine glaubwürdige Neutralität mit der EU-Mitgliedschaft unvereinbar. Wenn die nationalen Vetomöglichkeiten fallen, dann bleibt aber nicht einmal mehr ein Hauch von Neutralität über, da Österreich als eigenständiges außen- und sicherheitspolitisches Subjekt schlicht und einfach verschwindet. Neutralität aber lebt von der Souveränität in der Außen- und Sicherheitspolitik, um in keine Form der Kriegspolitik hineingezogen zu werden und - darauf aufbauend - eine aktive Friedenspolitik betreiben zu können. Karas und die NEOS sind konsequent: Sie machen kein Hehl daraus, dass sie die Neutralität loswerden wollen, lieber heute als morgen. Grüne und „Europa anders“ versuchen diesen Durchmarsch zur Militärunion dagegen durch substanzlose Neutralitätsrethorik zu übertünchen. Bei den Grünen überrascht diese Pinoccio-Politik wenig – wir haben sie in dieser Zeitung schon oft dokumentiert - beim KP-Projekt „Europa anders“ schon etwas mehr. Die Forderung von „Europa anders“ nach Abschaffung des Rates bedeutet die Abschaffung der nationalen Vetomöglichkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik und damit die Abschaffung der Neutralität. Man könnte glatt auf die Idee kommen, dass die Kampagne der Bundes-KPÖ für die Abschaffung des Bundesheeres anlässlich der Auseinandersetzung um die Wehrpflicht nicht antimilitaristischen Idealen geschuldet war, sondern bloß auf die Abschafffung österreichischer Streitkräfte zielte, um sie flott durch EU-europäische zu ersetzen.

Rechtsaußen wird ein ähnliches Spiel gespielt. Im Bierzelt poltert HC Strache für die Neutralität, abseits der Öffentlichkeit praktiziert die FPÖ das Gegenteil: Der langjährige EU-Abgeordnete Mölzer hat schon vor langem seiner Genugtuung Ausdruck verliehen, dass „mit dem EU-Beitritt die Neutralität auf dem Misthaufen der Geschichte landen dürfte“ (Servus Österreich, 1996). Mölzers Glaubensbekenntnis: „Dieses Europa muss eine unabhängige Weltmacht sein, das … seine vitalen Interessen auch weltweit zu vertreten und durchzusetzen weiß. Eine gemeinsame Außenpolitik und eine gemeinsame Sicherheitspolitik sind dafür die unabdingbaren Voraussetzungen … mit einer starken europäischen Armee mit internationalen Eingreiftruppen“ (Europa im rechten Licht, 2004). Dafür ist Mölzer sicher nicht geschasst worden. Auch der neue FP-Spitzenkandidat Vilimsky fordert „eine gemeinsame EU-Position gegenüber der Weltöffentlichkeit in geopolitischen Fragen“ (Kleine Zeitung, 10.4.2014). Und im Vorjahr hat die Strache-Truppe gemeinsam mit SPÖ und ÖVP die neue österreichische Sicherheitsstrategie beschlossen, die die Teilnahme Österreichs an der EU-Sicherheitspolitik „in allen ihren Dimensionen“ vorsieht, einschließlich der Teilnahme an EU-Kampftruppen-Einsätzen in einem Raum, der „vom Balkan in den Donauraum und die Schwarzmeerregion oder vom Golan in weitere Bereiche des Nahen und Mittleren Ostens oder ins nördliche Afrika“ reicht.

Resümee:

Es lebe der Unterschied! Alle wollen zwar mehr oder weniger das Gleiche, es werden aber in vollendetem Pluralismus alle Schattierungen abgedeckt, wie man das Gleiche unterschiedlich ausdrücken, ja sogar gegensätzlich darstellen kann, um verschiedene WählerInnengruppen zu erschließen. Schließlich sollen ja möglichst große Teile der Bevölkerung auf dem Weg des Establishments mitgenommen werden. Dafür müssen viele Karotten aufgehängt werden, die letztlich alle in die gleiche Richtung führen. Und damit sind wir so ziemlich zum Wesen unserer heutigen „markt- und EU-konformen“ Demokratie durchgedrungen. Es zeigt sich einmal mehr: Eine demokratische und solidarische Wende können wir nicht über dubiose Wahlprojekte erreichen, sondern nur durch Selbstermächtigung von unten und Selbstorganisation völlig unabhängig vom ImageEstablishment.

Gerald Oberansmayr, 13.5.2014