Eine Kritik am Militäreinsatz in Mali aus französischer Perspektive. Ein Beitrag von Pierre Lévy, übernommen aus der Monatszeitschrift Bastille République Nations Nr. 24 vom 30/01/2013 übernommen.
Sonderbares Paradox, zumindest dem Anschein nach. Der französische Präsident hat eine Militärintervention in Mali angeordnet, offiziell um auf Wunsch des dortigen Präsidenten die territoriale Integrität wiederherzustellen. Und um die Stabilität der Sahel-Region durch das ‚Eliminieren’ dort prosperierender Terroristen zu sichern. Gleichzeitig stehen die französischen Führer an der Spitze eines versteckten Krieges, der offen darauf abzielt, den syrischen Präsidenten zu stürzen; dies auf die Gefahr hin, den Nahen Osten zu destabilisieren. Und dabei stützen sie sich auf ‚Rebellen’, deren entschlossenste Teile Cousins derer sind, die südlich der Sahara ausgerottet werden sollen. Diesbezüglich ist auffällig, dass es sich bei den beiden einzigen Ländern, die die französische Intervention ablehnen, um Katar und Ägypten handelt. Katar als Financier sowohl von Ansar Dine im Sahel als auch der radikalen islamistischen ‚Revolutionäre’ in Syrien, und das Ägypten von Präsident Mursi, das von Doha stark abhängig ist.
In Mali stehen verschiedene Dinge auf dem Spiel, an dem mehrere alliierte oder rivalisierende Mächte beteiligt sind: Frankreich, Großbritannien und natürlich die USA; dann Algerien, das eine Rückkehr der Djihadisten auf seinen Boden befürchtet und seine regionale Rolle in der Region anerkannt wissen will. Das alles während sich der chinesische Einfluss stetig ausweitet, auf einem Kontinent, der über außerordentliche Reichtümer an Bodenschätzen verfügt. Ein Reichtum, der überaus selten den Völkern zugutekommt, die eigentlich davon profitieren sollten. Vor Ort tummeln sich verschiedenste Geheimdienste sowie Gruppen und Fraktionen, denen der Schmuggel oft wichtiger ist als die Liebe des Propheten.
In dieser komplexen Gemengelage und zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien drei Punkte hervorgehoben.
Den ersten bestreitet niemand – obwohl die Verantwortlichen im Westen aus gutem Grund möglichst wenig darüber reden: die Offensive der nordmalischen Sezessionisten – der "Terroristen" gemäß der geläufigen Diktion – ist direkte Konsequenz der Niederwerfung der alten libyschen Macht dank des bewaffneten Arms der Nato. Nicht nur weil das Liquidieren von Oberst Gaddafi beträchtliche Waffenvorräte ‚freigesetzt’ hat, die in den Sahel gewandert sind. Sondern auch, weil der verstorbene libysche Führer gewissermaßen der ‚Schatz- und Zahlmeister’ ganz Afrikas war: das Zerbrechen seiner Netzwerke stellt einen gewichtigen Faktor regionaler Destabilisierung dar.
Zweitens hat sich die EU als unfähig erwiesen, in Sachen ‚Außen- und Verteidigungspolitik’ gemeinsam auch nur die geringste Rolle zu spielen – derart unterschiedlich sind die Standpunkte und die Interessen. Die ProponentInnen der europäischen Integration werden rasend – wir dürfen uns freuen.
Der dritte Punkt hingegen ist beunruhigend. Er betrifft den ‚kollektiven’ Deckmantel, den die Mächtigen ihren Militärinterventionen umhängen wollen, um sie legitim erscheinen zu lassen. So hoffte der französische Präsident, bevor er dann blitzartig seine Truppen schickte, auf ein ‚europäisches Kostüm’ für seine Operation. Vor allem hat die selbst ernannte ‚internationale Gemeinschaft’ – jetzt leider abgelöst vom UNO-Sicherheitsrat - vor, die Beaufsichtigung der Lage in Mali einer Streitmacht der CEDEAO (engl. ECOWAS - westafrikanische Staatengemeinschaft) zu übertragen, gemäß dem Grundsatz: Afrika regelt afrikanische Probleme.
Dieses Prinzip, dem der Anschein sympathischer Selbstverständlichkeit gegeben werden soll, ist alarmierend: es ermutigt und zementiert den Verlust der Unabhängigkeit der Nationalstaaten zugunsten einer kontinentalen Überwachung. Die Souveränität jedes Volkes verschwindet so in der Versenkung – entsprechend der Zukunftsvision der globalisierten Eliten. Stellen wir uns einen Moment lang vor, dass SezessionistInnen in Belgien ärgere Unruhen verursachen; oder dass die von Mittal, Renault und Goodyear (Auswahl willkürlich) Gekündigten in einem beliebigen anderen Gemeinschaftsstaat revoltieren. Im Namen desselben ‚Kontinentalprinzips’ wäre es dann legitim, Truppen der Nachbarländer zu entsenden, um dieses Problem ‚unter EuropäerInnen’ zu regeln.
Die Vorstellung ist ungeheuerlich. Für alle?
Pierre Lévy
Übersetzung des Artikels aus dem französischen `Entre Europeens?` Editorial der Monatszeitschrift Bastille République Nations Nr. 24 vom 30/01/2013. Informationen und Abonnements: www.brn-presse.fr
Siehe zu diesem Thema auch die Stellungnahme der Solidar-Werkstatt
Brandstifter als Feuerwehr