ImageMitte 2015 hat Michel Barnier, von EU-Kommissionspräsident Juncker zum „Sonderbeauftragten für europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“ ernannt, das EU-Strategiepapier „Zur Verteidigung Europas“ (1) vorgelegt, das wenig in der Öffentlichkeit beachtet wurde. Dabei enthält es Brisantes.

Gefordert wird der rasche Aufbau eines „militärischen Kerneuropas“ als Zwischenschritt in Richtung einer EU-Armee. Dieses militärische Kerneuropa soll auf Grundlage des Artikels 42, Abs. 6 des EU-Vertrages aufgebaut werden. Dieser Artikel, der mit dem Lissabon-Vertrag 2009 eingeführt wurde, sieht die Möglichkeit einer sog. „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ) vor, in der sich jene Staaten zusammenfinden können,die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander festere Verpflichtungen eingegangen sind, begründen.“ Etwas weniger geschraubt: Wer viel rüstet und sich nicht scheut, seine SoldatInnen ins Feuer zu schicken, ist willkommen im Elite-Club.


„Aufwärtsspirale“

Damit soll ein Prozess in Richtung Aufrüstung und Integration in Richtung EU-Armee angestoßen werden. Barnier: „Die SSZ … wird einen größeren politischen Ehrgeiz und einen neuen Prozess der stufenweisen Integration generieren und damit eine Aufwärtsspirale beim Aufbau und Einsatz künftiger europäischer Verteidigungsfähigkeiten in Gang setzen.“ Im Klartext: Die SSZ schafft eine neue Hierarchie in der EU. Wer im militärischen Kerneuropa nicht drinnen ist, hat nicht mehr viel zu sagen. Das soll die Militärbudgets auf Trab bringen und die Widerstände gegen eine EU-Armee brechen. Wer sitzt schon gerne am Katzentisch der Macht.

Soziales runter, Rüstung rauf

Das Strategiepapier geizt auch nicht mit konkreten Vorstellungen, welche nächsten Schritte zu setzen sind, um eine solche „Aufwärtsspirale“ in Gang zu setzen:

  • Der Einsatz der EU-Battlegroups soll forciert und um luft- und seegestützte Eingreifkräfte erweitern werden
  • Schaffung eines Operativen Hauptquartiers für EU-Militärinterventionen, auch unabhängig von der NATO
  • Schaffung bzw. Ausbau gemeinsamer militärischer Einheiten und Infrastrukturen (gemeinsames Lufttransportkommando, EU-Hubschraubergeschwader, Militärakademien, EU-Küstenwache, EU-Projekte zur Militarisierung des Weltraums)
  • Bereitstellung eines EU-Fonds zur gemeinsamen Finanzierung von Militärinterventionen
  • Mehrwertsteuerbefreiung und andere fiskalische Anreize bei EU-weiten Rüstungskooperationen
  • Neue Instrumente für die Finanzierung gemeinsamer Rüstungsprojekte und Rüstungsforschung (z.B. ein „Europäischer Investitionsfonds“ für Rüstungsgüter
  • „Europäisches Semester“ zur Durchsetzung von nationalen Rüstungsanstrengungen

Letzter Punkt entbehrt nicht eines gewissen Zynismus: Um eine radikale Austeritätspolitik durchzusetzen, gibt es seit einigen Jahren bereits ein „Europäisches Semester“, über das die EU-Kommission in die Budgetpolitik der Nationalstaaten eingreifen kann, um diese zum Sozialabbau zu drängen. Dass nun gleichzeitig auch ein „Europäisches Semester“ angedacht wird, um die Militärausgaben anzukurbeln, bringt EU-Europa auf den Punkt: Soziales runter, Rüstung rauf.

Berlin und Paris haben umgehend Zustimmung zur Einrichtung einer solchen SSZ signalisiert. Das österreichische Establishment will im militärischen Kerneuropa wohl ebenfalls an Bord sein. Bereits im Jahr 2013 haben SPÖ, ÖVP und FPÖ die „Österreichischen Sicherheitsstrategie“ beschlossen, in der festgehalten ist, dass sich Österreich „an der EU-Sicherheitspolitik in allen ihren Dimensionen“ (2) beteiligen werde.

Gerald Oberansmayr


(1)    European Political Strategy Centre, 4/2015, 5.6.2015
(2)    Österreichische Sicherheitsstrategie - Sicherheit in einer neuen Dekade – Sicherheit gestalten, Juli 2013