Die EU-Außen- und Sicherheitspolitik hat sich in Bezug auf Syrien als Brandstifter erwiesen. Bereits seit einem Jahrzehnt hat die EU mit der Anbahnung von Assoziationsabkommen enormen Druck ausgeübt und viele Millionen Euro flüssig gemacht, um den „Übergang zur Marktwirtschaft“ in Syrien zu fördern, sprich die Wirtschafts- und Sozialpolitik in Syrien neoliberal umzugestalten. Marktöffnung, Privatisierung, Abbau sozialer Sicherheit haben in Folge zu einem deutlichen Anstieg von Armut, Arbeitslosigkeit und privater Bereicherung einiger weniger geführt. Trotz offizieller Kritik an der syrischen Außenpolitik, haben die Geheimdienste von EU-Staaten gemeinsam mit den USA wiederholt oppositionelle Syrer dem Regime in Damaskus ausgeliefert, solange es ihnen im sog. „Krieg gegen den Terror“ opportun erschien - wohlwissend, dass den Ausgelieferten Folter drohte.
Die Forderungen nach mehr Demokratie und mehr sozialer Gerechtigkeit sind Triebfedern der syrischen Massenproteste. Doch daran hatten und haben die Westmächte nicht das geringste Interesse, denn diese Bewegungen richten sich nicht nur gegen die autokratische Herrschaft im eigenen Land, sondern letztlich auch und gerade gegen die neokolonialen Herrschaftsansprüche des Westens. Sie gefährdeten damit den mit den EU-Assoziationsabkommen eingeschlagenen Kurs in Richtung neoliberaler Öffnung des Landes. EU und USA haben daher rasch darauf gesetzt, diese Aufstände zu militarisieren und ethnisch und religiös zu spalten. Damit sollen - ähnlich wie zuvor in Libyen – jene politischen Kräfte an die Wand gedrängt werden, die auf gewaltlosen Protest setzen und sich gegen Auslandsinterventionen jeder Art verwehren. EU und USA kollaborieren dabei mit despotischen Regimen wie Saudi-Arabien und Katar, die im eigenen Land Menschenrechte und Demokratie mit Füßen treten.
Das alles zeigt: Dem Westen geht es nicht um eine Demokratisierung in Syrien, sondern darum,
- ein Regime zu bekämpfen, das trotz vielfacher Anpassung an westlichen Druck nicht bereit war, sich vollständig zu unterwerfen bzw. sich in die geostrategische Frontstellung gegen Iran, Russland und China einzureihen.
- die fortschrittliche und demokratische Oppositionsbewegung im Land zu bekämpfen, indem reaktionär-fundamentalistische Gruppen an die Macht geputscht werden, die bereit sind, die weitere marktradikale Öffnung des Landes voranzutreiben und sich den geostrategischen Interessen der westlichen Großmächte unterzuordnen.
- durch Anheizen von Krieg und Bürgerkrieg die demokratische Energie des „Arabischen Frühlings“ zu brechen. Nicht zuletzt will man damit verhindern, dass die mit dem Westen am engsten verbundenen Diktaturen wie Saudi-Arabien, VAE, usw. erschüttert werden. Alleine im Jahr 2010 lieferten die EU-Staaten (darunter auch Österreich) Rüstungsgüter für mindestens 3,3 Milliarden Euro an Saudi-Arabien. (Quelle: EU-Kommission)
Unverhohlen wird dabei das Völkerrecht mit Füßen getreten. Zunehmend arbeiten die Westmächte an einer Neuauflage des Kalten Krieges gegenüber Russland und China und bereiten mit dem Anheizen des Bürgerkriegs in Syrien dafür möglicherweise schon den nächsten heißen Krieg vor – gegen den Iran.
Eine eigenständige österreichische Außenpolitik, die glaubwürdig zwischen den Konfliktparteien vermittelt und sich für ein Ende der Gewalt in Syrien einsetzt, ist nicht wahrnehmbar. Schlimmer noch: Offen wird die Militarisierung der Proteste gefördert, während die fortschrittliche und laizistische Opposition, die mit gewaltlosen Mitteln für Veränderungen im Land kämpft, ignoriert, ja bekämpft wird. Die österreichische Außenpolitik ist zu einem Nachvollzugsorgan der Vorgaben aus Brüssel und Berlin geworden. Seit der Installierung des sog. Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) im Jahr 2010 wurde die Gleichschaltung und Militarisierung der EU-Außenpolitik weiter verschärft. Im EAD werden Außen- und Militärpolitik zu einer Mega-Behörde zusammengeballt, um die Vorgaben der großen Hauptstädte – v.a. von Berlin, Paris, London – zu exekutieren. Als oberste EU-Maxime gilt: „Europa muss mit einer Stimme sprechen“, um gegebenenfalls „mit einer Faust zuschlagen zu können“.
Wir halten diese Maxime für autoritär und gefährlich. Sie dient der gewaltsamen Durchsetzung der Interessen der großen EU-Industrie- und Finanzkonzerne, sie fördert die Ausbreitung eines gewaltigen Industriell-Militärischen-Komplexes, sie zielt auf die Rekolonialisierung Afrikas, des Nahen und Mittleren Ostens und treibt den Sozial- und Demokratieabbau in den europäischen Staaten voran.
Wir lehnen diese aggressive Politik ab, die immer wieder neues Leid hervorbringt; sie steht in vollkommenem Widerspruch zur Neutralität Österreichs. In einer Situation, in der die Neuauflage des Kalten Krieges zwischen den Großmächten inklusive heißer Stellvertreterkriege drohen, ist die Neutralität nicht ein Konzept von gestern, sondern gerade für einen Kleinstaat modern und zukunftsweisend.
Wir wollen ein Österreich, das ausbricht aus der duckmäuserischen Kumpanei mit den Großmächten und selbstbewusst seine Stimme für Abrüstung und friedliche Konfliktlösungen im Sinne unserer Neutralität erhebt.
Wir wollen ein Österreich, das weltoffene Allianzen mit anderen neutralen und blockfreien Staaten sucht, statt bei einem zunehmend rabiaten Euro-Chauvinismus mitzumarschieren. Neutralität verbindet, Militärblöcke spalten!
Wir wollen ein Österreich, das mithilft, die Gewaltspirale in Syrien zu durchbrechen, statt im Rahmen der EU-Politik weiter mitzuzündeln. Nur so kann Österreich bei diesem Konflikt Teil der Lösung werden, statt weiterhin Teil des Problems zu sein.
Wir fordern daher insbesondere:
- den sofortigen Ausstieg Österreichs aus dem Europäischen Auswärtigen Dienst und allen EU-Militär- und Rüstungsstrukturen, denn das ist die unabdingbare Voraussetzung für eine eigenständige österreichische Nahost-Politik, die sich an den Prinzipien einer aktiven Friedens- und Neutralitätspolitik orientiert und völkerrechtliche Errungenschaften gegen die Kriegspolitik der Großmächte verteidigt.
- das internationale Engagement Österreichs für einen sofortigen Waffenstillstand und ein Ende der bewaffneten Auslandsinterventionen
- für eine Ende der Sanktionen gegenüber Syrien, die in erster Linie die ärmeren sozialen Schichten treffen
- Aufnahme des Dialogs mit jenen Teilen der Opposition in Syrien, die sich für gewaltfreie Veränderungen im Land einsetzen, um Verhandlungslösungen zwischen den Konfliktparteien im Land zu ermöglichen
- humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung
- das internationale Engagement Österreichs für ein Verbot aller Rüstungsexporte in die Region des Nahen Ostens
- aktive Unterstützung der UN-Initiative für einen Nahen Osten ohne Massenvernichtungswaffen.
Vorstand der Solidar-Werkstatt Österreich, 23. September 2012