Das Theater um die Beteiligung am Raketenabwehrsystem Sky Shield ist exemplarisch für die österreichische Regierungspolitik, insbesondere dafür wie die Regierung mit der Neutralität umgeht. Nach dem Motto Tarnen und Täuschen wird die Bevölkerung systematisch hinter das Licht geführt.
Innerhalb weniger Monate von zwei auf sechs Milliarden
Im heurigen Sommer veranschlagte die Regierung für die Teilnahme an Sky Shield rd. zwei Milliarden Euro. Mancher argwöhnte bereits, dass das noch teurer werden könnte. Dass sich wenige Monate später die Kosten bereits auf geschätzt sechs Milliarden verdreifachen würden, haben wohl auch die bezüglich der Glaubwürdigkeit der Nehammer-Kogler-Regierung Illusionslosesten nicht geahnt. Zu den zwei Milliarden, die die Kurz- und Mittelstreckenraketen Iris-T aus deutschen Rüstungschmieden kosten, sollen nochmals vier Milliarden für die Langstreckenrakten Patriot bzw. Arrows aus US-amerikanischen bzw. israelischen Fabriken draufgepackt werden. Um sich eine Vorstellung zu den Kosten zu machen: Andreas Huss, Obmann der Gesundheitskasse, kritisierte am 15.11.2023 in ORF III, dass nach der jüngsten Finanzausgleichseinigung jährlich 500 Millionen an Steuermitteln fehlen, um im Bereich der niedergelassenen Ärzte aus der akuten Notsituation des Kassenärztemangels herauszukommen. Mit den Sky-Shield-Kosten könnte man also 12 Jahre lang dafür sorgen, dass endlich hunderttausende ÖsterreicherInnen nicht zu teuren WahlärztInnen laufen, endlos auf Arzttermine warten oder per Fließbandmedizin durchgeschleust werden. Die Regierung bedient mit unserem Steuergeld lieber die Rüstungsindustrie.
Sky-Shield ist kein Verteidigungsprojekt
Aber, kommt dann der Einwand, Sky Shield diene doch schließlich unserer Sicherheit und Verteidigung, so die Regierung. Das ist wohl nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn bei Raketenabwehrwaffen handelt sich keineswegs – wie suggeriert – von vornherein um Defensivwaffen. Bisher vermied jede Atommacht den Einsatz von Nuklearraketen, weil sie befürchten musste, dass die angegriffene Gegenseite über hinreichende Möglichkeiten verfügen würde, einen Zweitschlag auszuführen. Wer als erster schoss, hatte die Gewissheit als zweiter zu sterben. Raketenabwehrsysteme könnten nun Aggressoren dazu verleiten, sich hinter einem Schutzschild sicher genug zu wähnen, um einen atomaren Erstschlag zu riskieren. Um das zu verhindern, hatten sich die USA und die UdSSR 1972 auf einen Anti-Ballistic-Missile (ABM-)Vertrag geeinigt, der Raketenabwehrsysteme auf ein Minimum begrenzte. Der Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag im Jahr 2002 löste eine gefährliche Entwicklung aus. Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI sieht bereits „das atomare Wettrüsten im vollen Gange“ (Frankfurter Rundschau, 13.6.2023). Von den bisher bekannten Atommächten verzichteten nur China (1964), die Sowjetunion (1982) und Indien (1999) offiziell auf die atomare Erstschlagsoption. Russland entschied sich als Nachfolgestaat der Sowjetunion 1993 dazu, diesen Verzicht nicht zu erneuern. Die USA bzw. die NATO behielt ohnehin immer den atomaren Erstschlag „im Köcher der Eskalation“. Ulrich Kühn, Experte für Rüstungskontrolle am ISFH, kommt deshalb zu Recht zu einem Urteil über „Sky Shield“, das in der bisherigen Debatte zumeist unter den Tisch fällt: „Raketenabwehr ist auch massiv destabilisierend und kann Rüstungswettläufe zusätzlich befeuern.“ (Die Zeit, 23.12.2022).
Mit Sky Shield gegen Völkerrechtsbrecher?
Besonders skurril ist das Argument, Österreich müssen sich mit Sky Shield gegen Angriffe Russlands wappnen, denn dieses habe mit dem Angriff auf die Ukraine unter Beweis gestellt, dass es zum Bruch des Völkerrechts bereit ist. Dieses Argument ist pure Heuchelei. Ja Russland hat mit dem Angriffskrieg gegen die Urkaine Völkerrecht gebrochen und kein Mensch bei Sinnen würde auf die Idee kommen, mit Russland militärisch zu kollaborieren. Aber die meisten Länder, die bei Sky-Shield dabei sind bzw. die entsprechenden Waffensystem liefern (konkret sind das USA, Deutschland und Israel) haben ebenfalls Völkerrecht gebrochen und Angriffskriege vom Zaun gebrochen, die – wie im Irak und Afghanistan – Millionen von Menschen das Leben gekostet haben bzw. führen – wie derzeit Israel – einen mörderischen Krieg in Gaza und verweigern eine Waffenruhe, obwohl dies von der großen Mehrheit der UNO-Generalversammlung gefordert wird.
Außerdem sei angemerkt, dass die Beteiligung an Sky Shield dem österreichischen Staatsvertrag widerspricht. Dieser untersagt nämlich die militärische Kollaboration mit Deutschland bzw. den Ankauf von deutschem Kriegsgerät. Bei der Teilnahme von Sky Shield wird sogar noch eines draufgesetzt: Nicht nur dass deutsche Iris-T-Raketen angeschafft werden, laut Tanner wird die deutsche Regierung sogar beauftragt, diesen Waffenankauf für Österreich gleich mitzuverhandeln. Freilich wird die Regierung einwenden, dass die entsprechenden Artikel des Staatsvertrags (Artikel 14 und 15) von Österreich 1990 für „obsolet“ erklärt wurden. Man muss ergänzen: Diese einseitige „Obsoleterklärung“ von etlichen Artikeln des Staatsvertrags war ein völker- und verfassungsrechtlicher Hasardakt sondergleichen, um Österreich auf den EU-Beitritt vorzubereiten. Auch mehr als drei Jahrzehnte später gilt: Die rechtsstaatliche Verwahrlosung der damaligen Regierung Vranitzky schafft bis heute weder Legalität noch Legitimität.
Ein weiterer Anschlag auf unsere Neutralität
Die Behauptung, Sky Shield wäre eine reine Einkaufsgemeinschaft, ist völlig realitätsfremd. European Sky Shield ist ein Bündnis von Staaten mit dem Zweck der militärischen Kooperation. Und Neutralität ist eben nicht mit der Teilnahme an Militärbündnissen vereinbar. Im „Strategischen Kompass“, den die EU-Staatschefs im März 2022 abgesegnet haben, wird ausdrücklich der Aufbau von Raketen- und Drohnenabwehrsystemen – unter dem Schlagwort „Anti-Access/Area Denial-Kapazitäten (Zugangsverweigerung/Absperrung von Gebieten) und Drohnenabwehrsysteme“ - zum gemeinsamen EU-Ziel erklärt (Seite 32). Zwar gibt es nach wie vor EU-interne Reibereien zwischen Deutschland, das (wie bei Sky Shield) auf den raschen Aufbau von entsprechenden Rüstungskapazitäten drängt – auch unabhängig von der Herkunft der Waffen, und Frankreich, das den Vorrang auf „buy european“ legt, doch die generelle Linie ist klar: „Die EU muss ein geopolitischer Player der obersten Kategorie werden“, so der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Dazu gehören Raketenabwehrsysteme genauso wie die neue EU-Kriegstruppe, die ab 2025 für Militäreinsätze vom Nordpol bis Zentralafrika, vom Nahen Osten bis in den indopazifischen Raum zur Verfügung stehen soll. Die österreichische Regierung hat bereits angekündigt, mit hunderten SoldatInnen 2025 für solche EU-Militäreinsätze Gewehr bei Fuß zu stehen. Selbstverständlich beteuern Nehammer, Tanner und Kogler augenzwinkernd, dass auch das alles mit der Neutralität vereinbar sei. Sie flunkern, sobald sie den Mund zu diesem Thema aufmachen. Nicht weniger als die blaue Opposition, die sich nach außen als Schutzmantelmadonna der Neutralität gebärdet, während hinter den Kulissen die alte neutralitätsfeindliche Agenda des deutschnationalen Rechtsextremismus fortgesetzt (siehe hier) und die volle Teilhabe an der EU-Militarisierung angestrebt wird (siehe hier). Auch Andreas Babler wollte offensichtlich mit dem Antritt als neuer Parteivorsitzender alle bisherigen roten Linien der SPÖ bezüglich Neutralität zertrampeln (siehe hier), erfreulicherweise haben von unten initiierte Anträge, die beim jüngsten SPÖ-Parteitag in Graz beschlossen wurden, diesen neutralitätswidrigen Ambitionen gewisse Grenzen aufgezeigt.
Eine aktive Neutralitätspolitik ist zukunftsweisender denn je. Gerade angesichts der vielfältigen Krisen und Kriege sind neutrale Staaten, die nicht bei waffenstarrenden Großmachtsblöcken mitmarschieren, wichtiger denn je: um Brücken zu bauen, um sich für den Respekt vor dem Völkerrecht stark zu machen, um friedliche Konfliktregelungen zu vermitteln, um sich für Abrüstung und internationale Kooperation zu engagieren, die gerade in Zeiten der voranschreitenden Klimakrise immer dringender wird. Das ist ein wichtiger Beitrag für den Frieden in der Welt – und auch zur Sicherheit der eigenen Bevölkerung. Denn das Mitmarschieren bei der EU-Militarisierung – ob bei Sky Shield oder bei der EU-Kriegstruppe - macht Österreich nicht sicherer, sondern macht es möglicherweise erst zum Angriffsziel.
Daher: Nein zu Sky-Shield und zur Teilnahme Österreichs an der neuen EU-Kriegstruppe! Ja zu einer aktiven Friedens- und Neutralitätspolitik!
(November 2023)