ImageEine ebenso brisante wie weitgehend unbekannte Studie des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2004 legt offen: Wenn Österreich an harten EU-Kriegseinsätzen („anspruchsvollere Kampfeinsätze“) teilnehmen will, muss das Bundesheer auf eine „reine Berufsarmee“ umgerüstet werden. Gerade AntimilitaristInnen und Friedensbewegte rufen wir daher auf, am 20. Jänner für die Wehrpflicht zu stimmen! Denn bei einem Auto, das schon jetzt in die falsche Richtung fährt, sollen nicht auch noch die Bremsen ausgebaut werden!


Bereits 2004 ließ das Büro für Sicherheitspolitik des Verteidigungsministeriums die Studie "Die Außen, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU und Österreichs Ambitionen" erstellen.*) Ihr Inhalt ist ebenso brisant wie weitgehend unbekannt. Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich ist der damalige Sektionschef im Verteidigungsministerium Erich Reiter. Reiter kommt aus dem freiheitlichen Lager, musste 2006 auf Druck der Friedensbewegung seinen Hut nehmen, da er sich offen für EU-Atombomben und deren Einsatz aussprach. Heute wird er von der SPÖ-Führung als Propagandist des Berufsheeres eingesetzt.

Sage niemand, er/sie habe es nicht wissen können - einige Auszüge aus dieser Studie:

„Die Europäischen Streitkräfte werden gerade zu Expeditionsstreitkräften umgewandelt, die die ‚Netzwerkszentrierte Kriegsführung’ anwenden…. (S. 4)

Aus politischen Gründen können in den meisten Staaten Wehrpflichtige nur für die kollektive Verteidigung eingesetzt werden. Andere Aufgaben, einschließlich der Petersberg-Aufgaben (= militärische EU-Auslandseinsätze), erfordern Freiwillige. (S. 13)…

Eine sensible Frage bei der Zusammensetzung der (österreichischen) Streitkräfte ist die Frage der Wehrpflicht. Die fundamentale politische Entscheidung, die getroffen werden muss, ist, ob Österreich an anspruchsvolleren Kampfoperationen teilnehmen will. Österreichs Beitrag zu einer multinationalen Expeditionsstreitmacht hängt von seinen politischen Ambitionen ab, die – unter anderem – eine grundlegende politischen Entscheidung in Bezug auf die Wehrpflicht erfordert. Reservisten und Wehrpflichtige können nur für Peacekeeping und humanitäre Hilfsaufgaben mit niedrigem Risiko sowie einigen spezifischen Heimatschutz-Aufgaben herangezogen werden. In der Praxis können Wehrpflichtige nicht für Auslands-Kampfmissionen eingesetzt werden. Aus diesem Grund ist in vielen Mitgliedsstaaten eine Debatte entstanden, die Wehrpflicht-Armeen in kleinere, ausschließliche Berufsarmeen umzuwandeln. ….

Zusammengefasst, die Entscheidung an internationalen Militärkoalitionen für anspruchsvollere Kampfeinsätze teilzunehmen, erfordert die Umstrukturierung der Österreichischen Armee, insbesondere die Umwandlung in eine reine Berufsarmee, mit der Betonung auf hoch mobile, einsetzbare Infanterie mit beträchtlicher Feuerkraft und Luftstreitkräften, die mit ausgewählten Partnern interoperabel sind.“ (S. 26) *)

"Hätten wir die Wehrpflicht, wären wir nicht in Afghanistan und Irak"

Wir wissen, es gibt aufrechte AntimilitaristInnen, die am 20.1. für die Abschaffung der Wehrpflicht stimmen wollen, weil sie hoffen, dass damit ein Prozess der Entmilitarisierung eingeleitet wird. Wir rufen Euch auf: Lest diese Studie des Verteidigungsministeriums! Die Einführung einer „reinen Berufsarmee“ wird dort als klare Voraussetzung gesehen, um an „anspruchsvolleren Kampfeinsätzen“ teilzunehmen. Im Klartext heißt das: Härteste Kampfeinsätze Marke Afghanistan und Irak. Der linksliberale Kolumnist der New York Times hat es auf den Punkt gebracht: „Hätten wir die Wehrpflicht, wären wir nicht in Irak und Afghanistan.“ (NYT, 24.8.2009). Nirgendwo hat die Abschaffung der Wehrpflicht zur Entmilitarisierung geführt. Im Gegenteil die Berufsarmeen von USA und EU-Staaten haben in den letzten Jahren eine verheerende Blutspur gezogen! Der Proponent der Pro-Berufsheer-Komitees Hannes Androsch nennt explizit die Armeen dieser Staaten als "Vorbild" für ein österreichisches Berufsheer. 

Es gibt auch AntimilitaristInnen, die gar nicht zur Abstimmung gehen oder ungültig stimmen wollen; sie argumentieren, dass auch jetzt schon das Bundesheer in die EU-Militarisierung eingebunden ist. Diese Einschätzung ist richtig, aber auch ihnen geben wir zu bedenken: Wenn ein Auto mit hoher Geschwindigkeit in die falsche Richtung fährt und dann jemand auch noch die Bremsen abmontieren und das Gas voll durchtreten will, sollte man als erstes versuchen, das zu verhindern und es nicht einfach achselzuckend hinnehmen, weil das Auto ja ohnehin in die falsche Richtung fährt. Genauso darauf läuft aber die Haltung hinaus, ungültig am 20.1. zu stimmen.

Die Frage Wehrpflicht oder Berufsheer ist keinesfalls nebensächlich oder unbedeutend:

-         Der Herausgeber der obigen Studie, Erich Reiter, schwärmt davon, dass mit Abschaffung der Wehrpflicht sofort 300 bis 400 Millionen für neue Waffen und Auslandseinsätze frei würden, die derzeit noch bei der Ausbildung der Wehrpflichtigen gebunden sind. D.h. es werden auf der Stelle 20% des Militär-Budgets für die Vorbereitung von offensiven Militäreinsätzen umgeschichtet! Nicht umsonst soll im Darabos-Modell der Anteil der Zeitsoldaten, die unmittelbar für Auslandseinsätze zwangsverpflichtet (!) werden, gegenüber dem derzeitigen Stand fast vervierfacht werden.

-         Ein reines Berufsheer bedeutet, dass österreichische SoldatInnen in Hinkunft auch bei härtesten Kriegseinsätzen eingesetzt werden. Damit sind deren Leben und deren physische wie psychische Gesundheit bedroht, sie werden zu Tätern von Tod und Zerstörung in den Ländern, in denen sie eingesetzt sind. Und: Diese Einsätze bedrohen die gesamte Bevölkerung in Österreich. Denn wer Gewalt exportiert, wird Gewalt ernten. Auch Österreichs Bevölkerung wird damit Anschlagsziel. Krieg ist der Terror der Reichen gegen die Armen, Terror ist der Krieg der Armen gegen die Reichen!

-         Die Einführung des Berufsheers stellt die unabdingbare Vorleistung für die Anbindung an einer EU-Armee dar. Denn Wehrpflichtigen sind nach wie vor auf die Verteidigung der Republik vereidigt, ihr Einsatz an Entscheidungen des österreichischen Parlaments gebunden. BerufssoldatInnen dagegen könnten leicht in eine EU-Armee eingegliedert und unter EU-Oberkommando gestellt werden. Das ist keine ferne Zukunftsmusik, sondern deklariertes Ziel der deutschen Regierung, dem die österreichische und etliche andere Regierung bereits zugestimmt haben. Worauf eine solche EU-Armee demokratiepolitisch hinausläuft hat der Chefkommentator der konservativen „Welt“ (BRD) ungeschminkt dargelegt: „Europas Elite rüstet sich, um Krieg auch dann kollektiv führen zu können, wenn es in keinem einzelnen EU-Mitgliedsland dafür eine Mehrheit gibt.“ (Die Welt, 16.9.2007)

Daher unser Aufruf gerade an Friedensbewegte und AntimilitaristInnen: Stimmt am 20. Jänner für die Wehrpflicht – nicht um den bestehenden Zustand unter einen Glassturz stellen, ganz bestimmt nicht, sondern um bei einem Auto, das in die falsche Richtung fährt, nicht auch noch die Bremsen abzumontieren! Und um die Zukunft der Sicherheitspolitik in Österreich gestaltbar zu halten! Denn das ist die Voraussetzung, dass wir das Auto wieder in Richtung Frieden und Neutralität umlenken können.


*) Büros für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung:
Strategische Analysen: Die Außen, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU und Österreichs Ambitionen
Autor: Rob de Wijk, Wien März 2004
Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich: Sektionschef DDr. Erich Reiter

Weitere Informationen siehe das Werkstatt-Dossier "Nein zum Berufsheer - Ja zur Neutralität!"