ImageEin Kommentar von Boris Lechthaler, Solidarwerkstatt, zu Libyen, EU-Battle Groups und Neutralität.

Dazu auch ein Audiobeitrag auf Freies Radio Freistadt hier zum Nachhören!

Vor mir ein Bild: Auf einem grob gezimmerten Gerüst hängen 2x7 Männer, die Köpfe absurd verrenkt. Rundherum jede Menge Volk, neugierig, staunend, ängstlich. Das Bild stammt aus Tripolis. Es handelt sich jedoch nicht um den letztgültigen Beweis für die Gräueltaten des Obersten Muammar al Gaddafi. Dafür ist es zu alt. Genau um 100 Jahre zu alt.

 

Nachdem die Franzosen Tunesien und Algerien in Besitz genommen hatten, in Marokko einmarschiert waren, die Briten Zypern, Ägypten und Suez kontrollierten, gerieten auch bei den Eliten in Italien, die Hormone in Wallung. „Mare nostrum“, unser Meer, freilich diese Bezeichnung für das Mittelmeer setzte sich erst unter dem Faschisten Bennito Mussolini durch. Offiziell war man besorgt um das Kräftegleichgewicht im Mittelmeerraum. Äktschn, so würde man heute sagen, war angesagt. Freilich dafür bedurfte es eines Vorwands – auch schon vor 100 Jahren – sollte er auch noch so absurd sein – auch schon vor 100 Jahren.

 

Die italienischen Gemeinden würden von den muslimischen Berbern unterdrückt, lautete in Folge das Narrativ, das die Volksseele  zum Kochen brachte. Am 27. September 1911 sandte die italienische Regierung unter dem Liberalen Giovanni Giolitti ein Ultimatum an Mohammed den V:, Reschad, dem türkischen Sultan. Tripolitanien stand formell unter türkischer Herrschaft. Der Sultan wurde aufgefordert sein Wohlwollen gegenüber der Okkupation von Tripolis durch die italienische Armee zu zeigen. Der wies das Ultimatum nicht zurück. Er ersuchte Italien bloß, seine formelle Herrschaft über Tripolitanien anzuerkennen. Dieses Ersuchen wurde abgelehnt und am 29. September 1911 um 14.30 erklärte Italien der Türkei den Krieg. Zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte kam eine Luftwaffe zum Einsatz. Neben 8.000 türkischen  Soldaten, die in der Cyrennaica und in Tripolitanien stationiert waren, wurden  20 000 Angehörige irregulärer Truppen – berberische Guerilleros -  umgebracht.

Doch es kam immer wieder zu Ausschreitungen zwischen dem Militär und der Zivilbevölkerung. Erst 1931 konnte Libyen von Marschall Graziani endgültig – befriedet – werden.

 

Pause - Szenenwechsel

 

Wir schreiben, Freitag, den 8. April 2011. Ich stehe auf dem Taubenmarkt in Linz. Mit mir Menschen der Solidarwerkstatt und der MigrantInnenorganisation DIDF. „Bomben schaffen keinen Frieden!“, so lautet das Motto auch der 3. Mahnwache gegen den Bombenterror der Westmächte gegen die Menschen in Libyen. Mit entschlossen-schneidigem Schritt nähern sich drei junge Männer.

 

„Sad's ia da fian Gaddafi?“ Eine geschlossene Frage, so lernt man das bei Verkaufstrainings. Deine Antwort sei ja oder nein. Ein Drittes gibt es nicht. Tertium non datur, wie der Lateiner sagt. Eine Diskussion wird eingefordert. Darauf habe man ein Recht, dafür stehen wir ja da, so scheint mir, lautet die unausgesprochene Anmaßung. Freilich, was folgt, kann man nicht als Diskussion bezeichnen. Dafür ist Haltung erforderlich, etwas was diese Gymnasiasten gegen „Ich habe eine Meinung“ ausgetauscht haben.

 

Die Unterstellung, Fraternisierung, Verbrüderung mit dem Feind, ist so alt wie die Friedensbewegung. Viele haben sie mit dem Leben bezahlt. Diese drei jungen Wächter an der Heimatfront sind nicht so unbedarft, wie sie sich geben. Im Gesprächsverlauf wird deutlich, dass sie an eine Parteijugendorganisation angedockt sind.

 

Pause 

„Für die Grünen stand und steht der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung im Vordergrund unserer Überlegungen“, so beginnt die etwas holprige Antwort des Dialogbüros des grünen Parlamentsklubs auf die Petition: „Keine Österreichische SoldatInnen nach Libyen!“ der Solidarwerkstatt Österreich. Unmittelbar darauf eitert die Willfährigkeit, jegliche Legitimation für die Gewalttätigkeit des EU-Regimes zu verkaufen, auch wenn sie kriminell ist: „Da ein Massaker an der Bevölkerung von Bengasi drohte, ...“ Am Beginn waren es die Luftangriffe Gaddafis auf Demonstranten. Beweise wurden nie vorgelegt. Jetzt sind es die drohenden Massaker, die man verhindert habe. Verhinderte Massaker haben den Vorteil, dass man sie nicht beweisen muß. Es genügt, sie zu behaupten. Mit dieser Begründung kann man Gesellschaften rund um den Globus in Schutzhaft nehmen.

„Wir versichern Ihnen, dass wir uns die Entscheidung nicht leicht gemacht haben.“ heißt es weiter. Gemeint ist die Zustimmung der Grünen zur Entsendung von zwei Stabsoffizieren in das EU-Hauptquartier nach Rom. Sie haben, wie schon bei der Zustimmung zur Bombardierung Jugoslawiens 1999, wieder einmal Bauchweh dabei gehabt. Die EU drängt auf einen Einsatz ihrer Battle-Groups in Libyen. Seit 1. Jänner 2011 stehen auch 180 österreichische Soldaten im Rahmen des EU-battle group-Programms abmarschbereit. Jetzt gibt es eine ausgewachsene Krise vor der eigenen Haustür. Es wäre doch zu schade, könnte man diese Einheiten da nicht im Echteinsatz testen. An der Legitimationskulisse wird gearbeitet. „Zur Absicherung eines humanitären Einsatzes“ heißt es, würden diese Kampfgruppen benötigt. Man warte auf ein Hilfsersuchen der Vereinten Nationen. Die senden jedoch bislang keines. Im Gegenteil, gerade wurde mit der libyschen Regierung die Errichtung eines UN-Büros in Tripolis  zur Koordinierung der Hilfe vereinbart. Aber es wird ihnen schon noch etwas einfallen. Gleiwitz, Tonking, Racak, Lehrstücke aus der Geschichte gibt es ja genug. Streumunition sei von den Regierungstruppen eingesetzt worden, heißt es tags darauf. So wie bei den Kriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan, den Irak? Wird da noch wer rot?  Laut „Die Presse“ wurden diese Bomben vom EU-Mitgliedsland Spanien gestiftet.

 

„..., insbesondere die EU, muss nun aber auf eine möglichst rasche politische Lösung des Libyen-Konflikts drängen“, schreibt uns das grüne Dialogbüro weiter. Nun gut, jetzt wird’s lächerlich. Man drängt auf eine politische Lösung, die man vorher weggebombt hat.

 

Die Demokratiebewegung in den arabischen Ländern hat die EU-Machteliten am falschen Fuß erwischt. Regime, mit denen man jahrzehntelang beste Geschäfte machte gerieten ins Wanken oder drohen ins Wanken zu geraten. Wurde das östliche Europa für Deutschland in den vergangenen Jahren zu einer Region von spezifischem Interesse, so plante Frankreich das – in Fortsetzung seiner kolonialen Traditionen - für den mediterranem Raum. Angesichts des neuen Selbstbewußtseins der Menschen in der Region drohten all diese Pläne zur Makulatur zu werden. Zeit für Äktschn.

 

Libyen liegt da am Präsentierteller. Ein weites Land mit einer geringen Bevölkerung. Die beabsichtigte Spaltung des Landes wird die dauernde Präsenz der Großmächte begründen. Zudem hat die libysche Regierung in der Vergangenheit mit den Einnahmen aus dem Ölgeschäft die Afrikanische Union unterstützt. Ein lästiger Gegner der neokolonialen Ambitionen Frankreichs wäre ausgeschalten.

 

Manche meinten in den vergangenen Jahren die immerwährende Neutralität Österreichs habe sich überlebt. Es sei ein sicherheitspolitisches Konzept des 20. Jahrhunderts und habe angesichts der Integration Österreichs in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union keine Zukunft. Ginge der Weltenlauf immer nach den Plänen der Mächtigen, hätte man die Neutralität schon längst – auch offiziell und legistisch - entsorgt.

 

Dass das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität vom 26. Oktober 1955, 2011 noch immer in Kraft ist, verdanken wir der kollektiven Intelligenz der Menschen in Österreich, ihrer Ahnung, dass die Neutralität sie weniger vor äußeren Feinden als vor den kurzsichtigen Abenteuern der eigenen Eliten schützen - kann.