Das Verteidigungsministerium hat Ende 2018 eine „Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2019“ (SJV 2019) herausgegeben. Motto „Sicher. Und morgen?“ Das Credo: Die EU ist überall von Gefahren umgeben, doch die Rettung naht mit Riesenschritten. Sie heißt: Aufrüstung, Aufrüstung und nochmals Aufrüstung.

Auf 224 Seiten breitet das Verteidigungsministerium in der SJV 2019 aus, dass wir – die Europäer, die EU – uns vor unheimlich viel fürchten müssen, denn Gefahren lauern überall: Terroristen, Migranten, Flüchtlingen, Populisten, Russland, China, Trump, … Doch – und auch da sind sich alle Autoren einig – die Rettung naht - mit Riesenschritten. Sie heißt: Aufrüstung, Aufrüstung und nochmals Aufrüstung. Mit Genugtuung wird registriert, dass sich auf diesem Gebiet einiges tut: „Seit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seinem Amtsantritt 2014 angemahnt hat, dass auch eine ‚Soft Power‘ wie die Europäische Union glaubhafte ‚Hard Power‘ braucht, um auf Dauer ernst genommen zu werden, hat sich eine präzedenzlose Dynamik in der europäischen Verteidigungszusammenarbeit entwickelt.“ (Seite 110) Und weiter: „2019 wird sich der Trend fortsetzen, dass die Masse der Mitgliedsstaaten der NATO und der Union ihre Verteidigungsbudgets erhöhen und mehr Mittel für Personal, Betrieb und Rüstung bereitstellen werden…. Dieser wird sich mittelfristig auch in einer merklichen Steigerung der militärischen Fähigkeiten zum Kampf in allen Domänen manifestieren.“ (Seite 116)

„Kampf in allen Domänen“

„Herzstück“ (Seite 106) dieser „präzedenzlosen Dynamik zum Kampf in allen Domänen“ ist die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco), die Ende 2017 aus der Taufe gehoben wurde. Hier finden sich alle EU-Staaten zusammen, die „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen“ (Art. 42, EU-Vertrag) sich zur permanenten Erhöhung ihrer Militärbudgets verpflichten.
Dieses „Herzstück“ wird flankiert von neuen EU-Töpfen: zur Finanzierung einerseits von Rüstungsprojekten und Rüstungsforschung (EDF – Europäischer Rüstungsfonds) und andererseits von Militärinterventionen, die – Orwell wäre von Neid erblasst – von den Eurokraten „Europäische Friedensfaszilität“ (EPF) getauft wurde. Und weil Vertrauen gut, aber Kontrolle besser ist, hat die EU auch einen umfassender Überwachungsmechanismus ins Leben gerufen, um den SSZ-Staaten auf die Finger zu schauen bzw. zu klopfen, sollten sie nicht ambitioniert genug rüsten: der Kapazitätenentwicklungsplan (CDP) und der Jährliche Überprüfungsmechanismus (CARD).
Zur Vorbereitung und Durchführung von globalen EU-Kriegseinsätzen wurden neue Institutionen auf Schiene gebracht: das Militärische Planungszentrum (MPCC) und das Operationalle Hauptquartier (OHQ). Ziel dieser umfassenden Aufrüstung ist die „Europäische Handlungsautonomie“ (sh. Grafik oben) – sprich: Krieg führen bzw. mit Krieg drohen können, wo immer, wann immer und gegen wen immer die Herren in Brüssel, Berlin und Paris das für geboten halten.

Rute im Fenster

Dazu finden wir eine bemerkenswerte Andeutung in der SJV 2019. So heißt es: „Einer nahezu ungehinderten kapitalistischen Wirtschaftspolitik (werden) vermehrt kritische Argumente unterschiedlichster Art entgegengesetzt … alternative Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle (z.B. Verstärkung regionaler Wirtschaftssysteme bei gleichzeitiger ‚Abschottung‘ gegenüber globalen Akteuren oder vermehrte Abwägung zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Zielsetzungen) … Als politische Antwort auf neue Verarmungstendenzen wird die Rekonstruktion nationaler Ökonomien rund um industrielle Produktionsstätten gesehen, wobei auch Zölle und Marktzugangsbarrieren hohe Bedeutung bekommen.“ (Seite 22) Solche Antworten schmecken dem EU-Establishment gar nicht, denn die EU-Verträge verpflichten zur „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ und zum „Abbau internationaler Handelshemmnissen“. In der SJV 2019 wird daher die Rute ins Fenster gestellt: „Es ist nicht auszuschließen, dass auf der Ebene der Auseinandersetzung zwischen Staaten eine bewaffnete Reaktion auf die Einschränkung wirtschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten erfolgen könnte, z.B. wenn Zugänge zu essenziellen Ressourcen oder Infrastrukturen behindert werden.“ (Seite 22)

„Proeuropäisches Programm“

Ausführlich legt die SJV 2019 dar, dass die türkis-blaue Regierung „ein proeuropäisches Regierungsprogramm als verbindliche Grundlage hat und die Fortsetzung und Weiterentwicklung der österreichischen Beiträge zur GSVP auf hohem Niveau ein wesentlicher Nachweis der Glaubwürdigkeit dieser proeuropäischen Ausrichtung sind.“ (Seite 43) So habe die österreichische EU-Ratspräsidentschaft alles in ihrer Macht stehende beigetragen, um die Militärpolitik „zu dem vielleicht dynamischsten Integrationsfeld“ der EU zu entwickeln. (Seite 44) Das ist nicht geflunkert. Immerhin hat sich in der Zeit der österreichischen Ratspräsidentschaft die Zahl der SSZ-Projekte von 17 auf 34 verdoppelt.

Ministerium überführt sich selbst

Und türkis-blau geht bereits einen Schritt weiter. So mahnt die SJV 2019 ein: „Die Frage, ob die EU-Mitgliedsstaaten in strategischen Fragen zu einer wirklichen gemeinsamen Außenpolitik finden werden, wird wohl zum entscheidenden Erfolgskriterium für die GSVP überhaupt.“ (Seite 50) Also mit einer Stimme sprechen, um dann mit einer Faust zuzuschlagen. Denn das schärfste militärische Schwert nutzt nichts, wenn der politische Wille fehlt, damit auch ordentlich zuzuschlagen. Auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird, so weiß doch jeder, was damit gemeint ist: Das Einstimmigkeitsprinzip in der EU-Außenpolitik muss weg. Nur so können Brüssel – Berlin – Paris ungehindert das Kommando geben.
Natürlich ist dann auch jeder Hauch von Neutralität weg, deren Fundament eine eigenständige, unabhängige und friedensorientierte Außenpolitik Österreichs ist. In dieser Hinsicht zeigt das Verteidigungsministerium in der SJV 2019 – wohl unfreiwillig – einen Hang zur Selbstironie. „Neutralitätsverletzungen“ werden nämlich in der Skala der sicherheitspolitischen Risiken, die Österreich drohen, ganz oben gereiht (Seite 29). Wer denn da die Neutralität verletzt, wird vom Verteidigungsministerium zwar im Dunkeln gelassen. Doch nach der Lektüre der SJV 2019 besteht kein Zweifel mehr: Die Regierung kann nur sich selbst gemeint haben.

Gerald Oberansmayr

Quelle: Sicher. Und Morgen? Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2019, Direktion für Sicherheitspolitik, BMLVS, Wien 2018

Nähere Informationen zur EU-SSZ/Pesco hier
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