Jeden Tag werden in Gaza 100 Kinder umgebracht – und ein Waffenstillstand könnte sie retten. Aufrüttelnde Rede von Roba Darwish beim Friedensmarsch am 24.2.2024 in Linz. 

Das, was in Gaza vor sich geht, ist kein Konflikt, kein Krieg, sondern ein Genozid. Und den Kindern in Gaza war das Wort Frieden noch nie so fremd. Jamal Mahmoud hat nicht einmal sein erstes Lebensjahr erreicht, aber hätte er sprechen können, würde er diese Welt fragen: “Was habe ich getan, um einen Hungertod in den Armen meiner Mutter zu verdienen? Hasst uns diese Welt so sehr, Mama?” 

Wie sonst kann die Welt tatenlos zusehen, anstatt die Tötungen weiterer Kinder zu verhindern? Weitere Kinder, wie die 3 Jahre junge Reem Ali, die mit ihrem Bruder durch die Bombenangriffe Israels getötet wurde. Die Reem, die ihren Großvater mit einem gebrochenen Herz zurückgelassen hat. Reem, “die Seele meiner Seele” waren die Worte ihres Großvaters, als er ihren leblosen Körper zur Grabstätte trug. Oder Ruqaya, das 4-jährige Mädchen, dem man in den Rücken geschossen hat. Hätte die Kugel ihr Gesicht gesehen, hätte sie ihren Kurs geändert? Wäre Ruqaya noch am Leben? 

Was ist mit Hind, deren verzweifelte Hilferufe am Telefon nicht zu überhören waren, nachdem sie stundenlang im Auto mit den Leichen ihrer Familie festsaß? Sanitäter eilten ihr zur Hilfe, aber man verlor jeglichen Kontakt mit ihnen, bevor sie Hind erreichen konnten. Wer weiß, wie lange die 6-jährige diese unvorstellbare Situation aushalten musste, bevor auch sie von der israelischen Armee ausgelöscht wurde. 12 Tage später fand man die getöteten Sanitäter und die leblose Hind mit ihrer ermordeten Familie. 

Eine Szene, die sich auch in Gaza ereignet hat, von der man glauben könnte, sie stamme aus einem Horrorfilm: Die 7 jährige Sidra Hassouna hing reglos an der Wand eines zerstörten Gebäudes, das sie einst ihr Zuhause nannte. Dort wo ihre Unterschenkel einst waren, hingen nur noch blutüberströmte Fleisch- und Hautfetzen. Das spärliche Licht der Taschenlampen enthüllte diese grausame Szene in der Dunkelheit der Nacht. Selbst wenn es nur Bilder auf unserem Smartphone sind, der Schock über Sidras Schicksal erreicht auch uns. Was hat Sidra getan, um so etwas zu verdienen? 

Ich meinte erst, es sei wie eine Szene aus einem Horrorfilm. Aber ein Horrorfilm dauert nur 2 Stunden, nicht 140 Tage. 140 Tage der Gewalt, des Bombardements, des Geruchs von Blut und Leichen, 140 Tage ohne ordentlichen Schlaf und des freien Zugangs zum Essen, Trinken und medizinischen bzw. hygienischen Notwendigkeiten beraubt. 140 Tage verhungern, 140 Tage Angst. 140 Tage ohne zu wissen, ob man den nächsten Tag überleben wird. 

Niemand ist sicher in Gaza. Kinder, Frauen und Männern, unschuldig oder nicht, allen droht die Gefahr des Todes und alle leiden unter denselben inhumanen Umständen. Es ist ein Völkermord. Normalerweise ist die Absicht eines Genozids am schwierigsten zu beweisen. Aber nicht dieses Mal. 

Ich zitiere nun einige Aussagen wichtige Personen aus Israel. Der Präsident Israels gab folgendes von sich – „Das ganze Volk ist verantwortlich. Diese Rhetorik über Zivilisten, die angeblich nicht involviert wären, ist absolut unwahr und wir werden kämpfen bis wir ihr Rückgrat brechen.“

Der Veteran der israelischen Armee gab jetzigen Soldaten der IDF diesen Befehl bezogen auf die Palästinenser: „Löscht ihre Familien aus, ihre Mütter und ihre Kinder. Diese Tiere dürfen nicht länger leben.“ 

Der Verteidigungsminister Israels meinte: „Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff. Alles wird ihnen verwehrt. Wir kämpfen gegen Tiermenschen und wir handeln dementsprechend.“  

So werden die Palästinenser entmenschlicht. Sie sind Menschen mit Leben und Träumen. Sie sind Kinder, die zur Schule gingen, Ärzte, Väter und Mütter. Sie sind Menschen und sie verdienen es, zu leben. 

Knesset-Abgeordnete in Israel sagte folgendes: „Es gibt keine Symmetrie, und die Kinder in Gaza sind selbst schuld.“ In was für einer Welt werden Kinder kriminalisiert und entmenschlicht? Das sind Kinder. Man sollte leise sein, wenn Kinder schlafen, und nicht, wenn sie getötet werden! 

Bereits über 14.000 palästinensische Kinder sind von Israel ermordet worden. Wie viele müssen noch auf grausamste Art und Weise sterben, damit die Menschen aufwachen? All diese Aussagen und mehr, die ich nicht aufgezählt habe, sind offensichtliche Aufrufe zum Völkermord der Palästinenserinnen und Palästinensern. Aber weitaus aussagekräftiger sind die Taten der IDF. Israelische Schütze erschießen Kinder beim Essen holen, Väter beim Wasser nach Hause bringen und Mütter mit ihren Kindern bei der Suche nach Milch für ihr Neugeborenes. 

Das Verhungern der Menschen in Gaza ist eine zusätzliche Waffe zu den tausenden Tonnen an Bomben, die auf Gaza fallen und das Gebiet unbewohnbar für die nächsten dutzend Jahre machen. Hanin Jumaa, eine 8-Jährige, schlief hungrig ein. Beruhigt durch das Versprechen ihres Vaters, dass er ihr morgen in der Früh etwas zu essen geben werde. Leider ist Hanin in derselben Nacht unter den Trümmern ihres Hauses begraben worden. Hanin ist hungrig getötet worden. 

Ich habe euch von nur 6 Kindern erzählt, die ermordet worden sind. 6 Geschichten, die nur vom Tod dieser Kinder erzählen, nicht von ihren Träumen, Persönlichkeiten oder ihrem kurzen Leben. 6 Kinder, 6 Gesichter, 6 Namen, 6 gestohlene Leben von 14000. Nein, es sind nicht 14000, sondern 14000 Kinder und 1 Kind. Jedes, genauso wertvoll wie das andere und ein Waffenstillstand hätte sie retten können. 

Wie können in einem “Krieg gegen Hamas” jeden Tag 100 Kinder umgebracht werden? Zu Kindern in Gaza zählen all jene, die das 14. Lebensjahr noch nicht überschritten haben. In welcher Welt werden täglich 100 Kinder getötet, und es wird einfach hingenommen? In einer Welt, wo das Leben der Palästinenserinnen und Palästinenser als trivial dargestellt wird. In einer Welt, wo Palästinenserinnen und Palästinenser in den Medien “sterben” und nicht “getötet” werden. In einer Welt, wo die Dehumanisierung der Palästinenserinnen und Palästinenser sehr stark präsent ist. Wie können wir uns jemals mit einer Welt zufriedenstellen, die es wagt, ein Leben aufgrund von Herkunft, Religion oder Ethnie als weniger wertvoll darzustellen als ein anderes? 

Wie können wir diesen Kindern in Gaza erklären, dass sie lediglich Kollateralschaden sind und dass diese Welt es als okay sieht, wenn sie mit ihrem Leben zahlen für etwas, worin sie nicht einmal involviert sind? Wir sollten nicht länger verharmlosen, was vor sich geht. Es ist kein Krieg, es ist ein Genozid. Es ist absurd zu behaupten, dass diese Anschuldigung anti-semitisch ist. Das würde implizieren, dass Israel im Namen des Judentums handelt und das ist sehr wohl antisemitisch. 

Außerdem soll kein Staat unkritisierbar sein, Israel genauso wenig. Frieden braucht Gerechtigkeit, also verharmlost nicht, was für Grausamkeiten Israel den Menschen in Gaza angetan hat. Israel ist nicht über dem Gesetz, wie Benjamin Netanyahu denken mag, und Israel muss zur Rechenschaft gezogen werden für ihre Kriegsverbrechen. 

Und damit kommt auch die dringende Forderung: Stoppt diese Kriegsverbrechen. Stoppt den Genozid. Stoppt das Töten. Eine Verminderung der Gewalt ist keine Lösung. Gaza braucht einen permanenten Waffenstillstand und sofortige humanitäre Hilfe. Das ist der erste Schritt in Richtung Frieden. Und Österreich sollte besser wissen, als in der UN-Vollversammlung schamlos gegen einen sofortigen humanitären Waffenstillstand im Gazastreifen zu stimmen. Und nicht nur einmal, sondern ganze drei Mal hat Österreich als vermeintlich neutrales Land gegen einen Waffenstillstand gestimmt. 

Das Versprechen der Neutralität, die Österreich ihren Bürgern vor 68 Jahren gegeben hat, wird dadurch gebrochen und durch ihre bedingungslose Unterstützung Israels macht sich Österreich mitschuldig am Völkermord. Nennt Israels Verbrechen beim Namen. Es ist ein Genozid. Und den Kindern in Gaza war das Wort Frieden noch nie so fremd.