Anhand von Kriegen der letzten Jahre und Jahrzehnte soll exemplarisch gezeigt werden, wie massiv die Politik der westlichen Großmächte und deren Militärpakte NATO und EU zu kriegerischen Eskalationen beigetragen haben, die Millionen von Menschen das Leben gekostet und Abermillionen zu Flüchtlingen gemacht haben.

 

DIE ZERSCHLAGUNG JUGOSLAWIENS

Die BR Jugoslawien zerfiel nicht einfach, sie wurde mit kräftiger Hilfe des Westens zerschlagen. Zunächst durch die brutalen Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF), die ab 1989 innerhalb kurzer Zeit ein Viertel aller Betriebe in den Bankrott trieben, den innerjugoslawischen Finanzausgleich zertrümmerten, Millionen Menschen arbeitslos machten und die Löhne halbierten. Diese Zerrüttungen wurden von der deutschen Außenpolitik (der kräftig in Wien assistiert wurde) gnadenlos ausgenutzt, um den Vielvölkerstaat am Balkan in ethnische Parzellen zu zerschlagen, über die sich leicht herrschen ließe. Die deutsche Außenpolitik pokerte hoch dafür: Der Schlüssel für die Zerschlagung war die rasche Sezession Kroatiens und Bosniens ohne vorherige Klärung von Minderheitenrechten. Deutschland preschte (gemeinsam mit Österreich) bei der Anerkennung der Sezession nicht nur vor, sondern machte auch die Zustimmung zum EU-Maastricht-Vertrag davon abhängig, dass Frankreich und Großbritannien und damit die EU dabei folgten. Jede/r, der/die mit der Frage vertraut war, wusste, dass diese überhastete Sezession zum Krieg führen musste. Als „Genschers War“ – benannt nach dem damaligen deutschen Außenminister - wird daher auch der 1991 beginnende Krieg am Balkan in Politikwissenschaftskreisen bezeichnet. Völlig ins Fadenkreuz westlicher Aggressionspolitik geriet „Restjugoslawien“ schließlich, als sich die dortigen Machthaber weigerten, sich den Marktöffnungsvorgaben des Westens unterzuordnen. Kulmination dieser Aggression war das 78-tägige NATO-Bombardement der BR Jugoslawiens, der zuvor in Rambouillet von USA und EU ein unannehmbares Ultimatum gestellt wurde: Jugoslawien könne – so das westliche Diktat - nur dann den Bombenkrieg abwenden, wenn es die de facto-Besetzung durch NATO-Truppen auf seinem ganzem Territorium akzeptieren würde. Diesem Bombenterror, dem tausende Menschen zum Opfer fielen, das Böden, Wasser und Nahrung mit uranhaltiger Munition auf lange Zeit vergiftete und das Hunderttausende in die Flucht trieb, feierte der damalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder als „Gründungsakt des neuen Europa“: „So wird Europa zum Europa der Menschen. Dies ist ein Gründungsakt, und wie stets geschieht ein solcher Akt nicht im Jubel, sondern im Schmerz.“ (1) Der Krieg gegen die BR Jugoslawien war tatsächlich eine „Gründungsakt“, und zwar für die eigenständige Militarisierung der EU – unabhängig von der NATO. Noch während der Bombardements wurde beim EU-Gipfel in Köln Anfang Juni 1999 der Grundstein für eine eigenständige EU-Interventionstruppe mit einem „Eingreifradius“ von 4.000 km rund um die EU gelegt.

Bereits im Jahr 2000 wurde der „befreite“ Balkan in deutschen Boulevardmedien als „deutscher Hinterhof“ verhöhnt. Wie lebt es sich in diesem „Hinterhof“? Bosnien und Kosovo sind auf den Status von Kolonien gesunken, die von EU- bzw. NATO-Truppen besetzt sind und von westlichen Statthaltern mit umfassenden Befugnissen kontrolliert werden. In Verträgen mit der EU mussten sie sich zur „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichten.
Die Folgen: In Bosnien sind 40% der Menschen arbeitslos, eine eigenständige Industrie wurde weitgehend ausgelöscht. Der Kosovo wird von mafiotischen Clans regiert, die mit Duldung  von EU und USA einen Großteil der SerbInnen vertrieben und den Kosovo „roma- und judenfrei“ gemacht haben. Wirtschaftlich ist der Kosovo zum absoluten Armenhaus Europas herabgesunken, das mit 70% Jugendarbeitslosigkeit alle Rekorde bricht. Nach Umfragen leben 55% der Menschen im Kosovo auf gepackten Koffern, um die erstbeste Möglichkeit zu nutzen, diesem Elend „made by NATO und EU“ zu entfliehen. Die Balkankriege haben insgesamt bis zu 300.000 Menschen das Leben gekostet, die Zahl der Flüchtlinge schätzt das UNHCR auf 2,3 Millionen (2).

IRAK UND IRAN – DREI MÖDERISCHE GOLFKRIEGE

Anfang der 50er Jahre kam im Iran die demokratisch gewählte Regierung unter Premierminister Mohammed Mossadegh an die Macht. Seine Politik gefiel den westlichen Großmächten und Konzernen ganz und gar nicht: Verstaatlichung der iranischen Ölindustrie, die damals von der Anglo-American, der heutigen British Petroleum (BP) kontrolliert wurde. Um die Verstaatlichung wieder rückgängig zu machen, wurde mit Hilfe des CIA 1953 ein Staatsstreich inszeniert, Mossadegh gestürzt und eine Diktatur unter Shah Reza Pahlavi in Teheran installiert. Einer der ersten Maßnahmen: Ein Konsortium westlicher Ölkonzerne (Standard Oil, AIOC, Royal Dutch Shell) übernahm die Förderung, Raffinierung, den Transport und die Vermarktung des iranischen Öls. Der Schah erfreute sich zwar in den westlichen Hauptstädten großer Beliebtheit, immer weniger jedoch bei der eigenen Bevölkerung. Nach dem Sturz des Schahs 1979 durch die „islamische Revolution“ versuchten die westlichen Großmächte die neuen Machthaber in Teheran zu schwächen, indem sie den irakischen Diktator Saddam Hussein zum Krieg gegen den Iran ermunterten und dabei mit Waffen und Logistik tatkräftig unterstützten. Mit Hilfe von deutschem Giftgas wurde etwa ein Massaker an tausenden KurdInnen in Halabdscha verübt. Der Iran-Irak-Krieg (1. Golfkrieg) kostete rund einer Millionen Menschen das Leben (rd. 800.000 IranerInnen und 200.000 IrakerInnen). Europäisches und amerikanisches Kriegsgerät, das mit Fortdauer des Krieges zunehmend an beide Seiten geliefert wurde, sorgten dafür, dass sich die Kontrahenten möglichst lange gegenseitig ausbluteten, sodass das Schlachten bis 1988 dauerte.

Anfang der 90er Jahre besetzte der bis dahin vom Westen hofierte irakische Machthaber Saddam Hussein das Scheichtum Kuwait, um der durch den Krieg zerrütteten irakischen Wirtschaft die Reichtümer des Emirats einzuverleiben. Die US-Botschafterin in Bagdad hatte ihm dafür grünes Licht gegeben. Eine Falle, wie sich bald herausstellte. Denn die USA nutzten den völkerrechtswidrigen Einmarsch in Kuwait postwendend aus, um an der Spitze einer gewaltigen alliierten Streitmacht einen Krieg gegen den früheren Bundesgenossen zu entfachen. Im „Dessert Storm“ 1991 (2. Golfkrieg) wurden bis zu 260.000 Armeeangehörige und bis zu 180.000 ZivilistInnen getötet. Noch mörderischer waren die Folgen des Krieges: Vergiftung von Böden und Luft durch Uranmunition, Zerstörung der humanitären Infrastrukturen, der Wasserversorgung – und schließlich das vom Westen durchgesetzte UN-Embargo gegen den Irak. Alleine 1991 bis 1998 starben laut UNICEF 500.000 irakische Kinder unter 5 Jahren an den Folgen dieser Blockade, die bis 2003 dauerte. 1996 wurde der damaligen US-Außenministerin Madeleine Albright von einer CBS-Reporterin die Frage gestellt: „Wie wir hören, starben (im Irak) eine halbe Million Kinder … ist es den Preis wert?“ Albrights kaltblütige Antwort: „Wir glauben, es ist den Preis wert.“ (3) Dennis Halliday, der Leiter des UN-Hilfsprogramms, trat aus Protest von seinem Amt zurück und bezeichnete das Embargo gegen den Irak als „Völkermord“, dem seiner Einschätzung nach – einschließlich der Erwachsenen – zwischen 1 und 1,5 Millionen Menschen auf Grund des Fehlens von Nahrung, Medikamenten und humanitärer Versorgung zum Opfer fielen. (4)

2003 marschierten US-Streitkräfte gemeinsam mit der direkten und indirekten Unterstützung zahlreicher europäischer Streitkräfte erneut blutig in den Irak ein (3. Golfkrieg). Der Name der Operation „Shock and Awe“ (Angst und Entsetzen) steht sinnbildlich dafür, was dieser neuerliche Krieg in diesem leidgeprüften Land angerichtet hat. Eine Studie der deutschen Friedensorganisation IPPNW hat erhoben, dass alleine zwischen 2003 und 2011 über einer Millionen Menschen dem Krieg und Bürgerkrieg im Irak zum Opfer fielen, rund ein Drittel davon wurden direkt von den Besatzungstruppen getötet. Die Invasion hat das Land ins wirtschaftliche Desaster und die Gräuel des religiösen Bürgerkriegs getrieben.
Hier liegen die Wurzeln des „Islamischen Staates“. Hier liegen die Wurzeln für die Flucht von Millionen IrakerInnen.  Laut dem UN-Hilfskoordinator für den Irak sind derzeit 8,8 Millionen IrakerInnen (5), also fast ein Drittel aller EinwohnerInnen, von internationaler Hilfe abhängig; fast 4 Millionen sind auf der Flucht, der Großteil davon innerhalb des Iraks.

AFGHANISTAN UND PAKISTAN: „Terror und Gewalt heute schlimmer denn je“

Auch der US-amerikanische Einmarsch in Afghanistan im Jahr 2001 forderte gewaltige Opfer. Die IPPNW-Studie schätzt, dass dieser Krieg in Afghanistan 184.000 bis 248.000 Menschen das Leben kostete, in Pakistan (in das der Krieg ab 2004 überschwappte) kamen zwischen 265.000 und 330.000 Menschen, überwiegend ZivilistInnen, ums Leben -  viele von ihnen zum Abschuss durch sog. Killerdrohnen freigegeben. Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro-Asyl fällt über den mittlerweile 15 Jahre dauernden NATO-Krieg in Afghanistan ein vernichtendes Urteil: „Terror und Gewalt wüten heute schlimmer denn je im Land“ (5). Der Drogenanbau hat sich laut UNODOC ("UN-Büro zur Bekämpfung von Drogen und Kriminalität“) seit dem NATO-Einmarsch beinahe verdreifacht, und hinsichtlich der Unterdrückung der Frauen gibt es – so Human Rights Watch „kaum einen Unterschied zur Herrschaft der Taliban.“(6) Die EU beteiligt sich ab Ende 2001 offiziell am Krieg in Afghanistan, zeitweilig stammte bis zu einem Drittel der Besatzungstruppen aus EU-Staaten.

Die Beteiligung am Massenmord an ZivilistInnen wirkt in EU-Armeen durchaus karrierefördernd. Der Offizier der deutschen Bundeswehr, der die Verantwortung für das sog. „Tanklastwagen-Massaker“ 2009 im afghanischen Kundus trägt, bei dem über hundert Zivilisten durch Kampfflugzeuge gekillt wurden, durfte sich 2013 über seine Beförderung zum Brigadegeneral freuen. Der damals für diese Beförderung verantwortliche Verteidigungsminister hieß Thomas de Maiziere. Er ist heute deutscher Innenminister und als solcher zuständig für Flüchtlinge. So fällt manchmal die Schaffung der Fluchtursachen und die Bekämpfung der Flüchtlinge in einer Politikerbiografie zusammen. Denn auch die Kriege in Afghanistan und Pakistan haben Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Derzeit sind 2,6 Millionen Menschen aus Afghanistan auf Flucht außerhalb ihres Heimatlandes, ein weitere Million sind Flüchtlinge im eigenen Land. In Pakistan sind 2,3 Millionen Menschen aus den umkämpften Gebieten geflohen.

LIBYEN – NATO-Krieg auf Seiten von Jihadisten

Anfang 2011 drängte vor allem Frankreich, gemeinsam mit Großbritannien und den USA auf den Krieg gegen den libyschen Machthaber Gadaffi. Der UNO-Sicherheitsrat wurde unter dem Vorwand, bloß eine „Flugverbotszone“ einzurichten düpiert. Die libyische Flugabwehr existierte nach drei Tagen nicht mehr. Gebombt wurde noch weitere 8 ½ Monate. Die Folgen: 50.000 bis 60.000 Tote. Das Land, das bis 2011 den höchsten Lebensstandard in Afrika hatte, versinkt seither in einem Hexenkessel von Armut, Gewalt und Verfolgung, in dem rivalisierende Milizen um die Macht ringen. Jihadistische Terrorgruppen haben seit dem Krieg, der von der NATO geführt und von der EU politisch und militärisch unterstützt wurde, eine stabile Basis in dem nordafrikanischen Land. Von Libyen schwappte der Krieg bald danach sowohl in das westafrikanische Mali als auch – in Form islamistischer Kämpfer und westlicher Waffen – nach Syrien über. Auch der Krieg in Libyen hat hunderttausende Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Viele von ihnen sitzen in Flüchtlingscamps in Libyen fest, wo Folter und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind. Tausende von ihnen ertranken im Mittelmeer. Alleine seit 2013 sind 7.000 im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge dokumentiert.

SYRIEN – „Wir haben das verursacht“Krieg ist Terror

Ähnlich wie in Libyen hat auch in Syrien das Eingreifen des Westens die Proteste der Bevölkerung gegen die Regierungsherrschaft Assads rasch militarisiert und viele Menschen in die Fänge von jihadistischen Terrorgruppen getrieben. Denn auch in Syrien wurden von Anfang an diese Gotteskrieger von USA und EU unterstützt, um die ungeliebte Regierung in Damaskus loszuwerden. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern mittlerweile durch den US-Militärgeheimdienst DIA offiziell belegt. In dem DIA-Dokument aus dem Jahr 2012 heißt es: “Es gibt die Möglichkeit der Schaffung eines sich konstituierenden oder nicht offiziell erklärten salafistischen Kalifats im Osten Syriens, und das ist genau das, was die Unterstützer der [syrischen] Opposition wollen, um das syrische Regime zu isolieren und die schiitische Expansion im Irak durch Iran einzudämmen.”
Als die „Unterstützer der Opposition“ werden in dem Geheimdienstdokument explizit genannt: „Der Westen, die Golfstaaten und die Türkei.“ Die Westmächte wussten laut des DIA-Berichts von Anfang an, dass „Salafisten, die Muslimbruderschaft und AQI (also der Vorläufer von des IS, Anm.d.Red.) die wichtigsten Kräfte (sind), die den Aufstand in Syrien vorantreiben.“ (7) Das vom Westen und seinen Verbündeten gewollte „salafistische Kalifat“ ist mittlerweile Realität geworden. Die Waffen für die Gotteskrieger kamen vor allem über die Türkei und die Golfdespotien Saudi-Arabien, Katar und Vereinigte Arabische Emirate. Und deren Waffen stammen zu 87%  - zu jeweils ziemlich gleichen Teilen – aus den Waffenschmieden von EU und USA.

Der frühere finnische Präsident und Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari gab vor kurzem öffentlich bekannt, dass Russland im Jahr 2012 dem Westen eine politische Lösung – auch ohne Assad – angeboten hatte. Die Westmächte ignorierten dieses Angebot und setzten stattdessen auf die weitere Bewaffnung der Jihadisten, weil sie sich sicher waren, dass der Sturz Assads ohnehin bald bevorstehen würde. Diese Verweigerung einer politischen Lösung durch die Westmächte hat seither einer Viertel Million Menschen das Leben gekostet und 11 Millionen zu Flüchtlingen gemacht, vier Millionen davon sind ins Ausland geflohen (rd. 5% davon nach Europa). „Wir haben das verursacht“, zitiert die britische Zeitung Guardian den ehemaligen finnischen Präsidenten (8). Auch durch die Aufhebung des EU-Ölembargos gegenüber der syrischen „Opposition“ im Jahr 2013 wurden viele Euros in die Taschen von IS & Co gespült. Schon damals war bekannt, dass sich die syrischen Ölquellen im Osten des Landes in der Hand von Jihadisten befanden.

Ein Detail erhellt Grundlegendes: Im Juni 2015 wurde in London ein Verfahren gegen einen Terrorunterstützer eingestellt, nachdem die Verteidigung herausgefunden hatte, dass der britische Geheimdienst dieselben Terrorgruppen in Syrien bewaffnet hatte, der auch der Angeklagte angehörte. Die Staatsanwaltschaft ließ die Anklage in allen Punkten fallen, da „es für den britischen Geheimdienst zutiefst peinlich geworden wäre, wäre der Prozess fortgesetzt worden.“ (Guardian, 1.6.2015)

RUANDA/KONGO - Gemetzel im Herzen Afrikas

1994 wurden im zentralafrikanischen Ruanda innerhalb weniger Wochen rd. 800.000 Tutsis und oppositionelle Hutus grausam abgeschlachtet. Die westlichen Medien starteten daraufhin die Propaganda für sog. „humanitärer Militärinterventionen“; man dürfe nicht mehr länger „zuschauen“, wenn es zu solch einem Völkermord käme. Was verschwiegen wurde: Die westlichen Großmächte hatten in Ruanda nicht „zugeschaut“, sie hatten vielmehr kräftig mitgemischt. Am Anfang standen – wie oft vor Gewaltexplosionen - neoliberale „Strukturanpassungsprogramme“ des von USA und EU dominierten IWF, der das Land mitten in einer schrecklichen Wirtschaftskrise Anfang der 90er Jahre zwang, Handelsliberalisierungen, Subventionskürzungen, Privatisierungen und Massenentlassungen durchzusetzen. Ohne die dadurch ausgelöste soziale Verzweiflung sind die folgenden Gewaltexzesse schwer vorstellbar. Das damals herrschende Regime in Ruanda, das sich auf die Hutu-Mehrheit im Land stützte und eng mit der alten Kolonialmacht Frankreich verbunden war, schürte den ethnischen Hass, um von der sozialen Misere abzulenken und sich an der Macht zu behaupten. Die Massenschlächterei wurde vom Regime nicht nur zugelassen, sondern offen gefördert. Frankreich unterstützte das Regime politisch und militärisch. Auch nach Ausbruch der Massaker setzte Paris die Waffenlieferungen fort und blockierte im UN-Sicherheitsrat die Entsendung einer UNO-Mission zur Einrichtung von Schutzzonen für die Verfolgten. Die USA, die mit Frankreich um die Vorherrschaft in Zentralafrika rivalisierten, unterstützten den Gegenspieler des Hutu-Regimes, Paul Kagame, der die Massaker in Ruanda nutzte, um von Uganda aus zum Gegenschlag auszuholen. Da Kagame militärisch überlegen war, hatten die USA ebenfalls kein Interesse an einer UN-Mission zum Schutz der Bevölkerung, da das der militärischen Eroberung Ruandas durch die Truppen Kagames im Weg gestanden hätte.

Tausende französische Soldaten waren zum Zeitpunkte des Völkermords im Land, ohne einen Finger zum Schutz der Verfolgten zu rühren. Im Gegenteil: Der Bericht einer ruandischen Untersuchungskommission kam im Jahr 2008 zu dem Ergebnis, dass französische Soldaten mit den Mordmilizen kollaborierten. Französische Soldaten „gingen mit ihnen gemeinsam auf Patrouille, sie lieferten ihnen gefangene Tutsi aus, sie ließen sich von den Milizen mit Tutsi-Mädchen beliefern, die sie dann vergewaltigten. In einzelnen Fällen sollen französische Soldaten selbst Morde an verfolgten Tutsi begangen oder Leichen auf ihren Wagen transportiert haben. Am Kivu-See, der die Grenze zu Zaire bildet, erklärten sie den Milizen, wie man Leichen so ins Wasser wirft, dass sie nicht sichtbar an der Oberfläche treiben. In der Südprovinz Gikongoro verhafteten französische Soldaten überlebende Tutsi und warfen sie gefesselt aus Hubschraubern im Tiefflug über dem geschützten Nyungwe-Regenwald ab.“ (9) Die Milizen versammelten sich teilweise in der französischen Botschaft in Kigali, um ihre Mordzüge vorzubereiten.

Als das von Paris protegierte Regime militärisch zusammenbrach, sicherten französische Truppen den Mordmilizen den Rückzug in das benachbarte Zaire (ab 1997: DR Kongo). Nicht zuletzt dadurch wurde die Lunte für den nächsten Krieg gezündet, der das Herz Afrikas in den nächsten Jahren erschütterte.

Nach dem Sturz des französischen Kolonialzöglings Mobutu gelangte mit Laurent Désiré Kabila in der DR Kongo ein Präsident an die Macht, der sich weigerte, die IWF-Schulden aus der Zeit Mobutus zurückzuzahlen und Schürfrechte für wertvolle Rohstoffe an ausländische Konzerne zu vergeben. Das sicherte ihm den Hass der westlichen Großmächte zu. Truppen aus den westlich orientierten Staaten Uganda und Ruanda drangen darauf hin in die DR Kongo ein, um Kabila zu stürzen, dem wiederum Angola, Zimbabwe und Namibia zu Hilfe eilten.
Das Gemetzel in der DR Kongo kostete vier Millionen Menschen das Leben. Große Konzerne finanzierten durch ihre Rohstoffgeschäfte maßgeblich den Krieg mit. In einem UNO-Bericht aus dem Jahr 2002 wurden insgesamt 85 Firmen direkte Beteiligung an der Kriegsfinanzierung vorgeworfen, davon mehr als die Hälfte aus Westeuropa (v.a. Frankreich, Deutschland, Belgien und Großbritannien). Als nach der Ermordung seines Vaters mit Joseph Kabila jun. ab 2003 wieder eine westlich orientierte Politik in Kinshasa einzog, ebbte der Krieg ab. Zwei EU-Missionen sicherten 2003 und 2006 militärisch den Machterhalt des neuen Präsidenten in der DR Kongo ab. Über die groben Wahlmanipulationen, mit denen sich Kabila jun. seither an der Macht hält, sieht die EU, die nach wie vor militärisch im Land präsent ist, großzügig hinweg. Der offensichtliche Grund: Der neue Präsident offerierte ausländischen Konzernen die begehrten Rohstoffe des Kongo „zu Spottpreisen“ (O-Ton, ex. UNO-Generalsekretär Kofi Anan). Elend und Gewalt bestimmen nach wie vor den Alltag dieses unermesslich reichen Landes, dessen Reichtum nur bei wenigen im Land ankommt. Drei Millionen KongolesInnen sind Binnenflüchtlinge, rund eine halbe Million ist ins Ausland geflohen.

UKRAINE – Blutiger Regime Change mit Hilfe von Neofaschisten

Als im Herbst 2013 der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch, der um eine Schaukelpolitik zwischen Ost- und West bemüht war, die Unterschrift unter das Assoziationsabkommen mit der EU verweigerte, hätte er gewarnt sein müssen. Denn jene drei Staaten in der EU-Nachbarschaft, die bisher solche Handelsliberalisierungen zugunsten europäischer Konzerne abgelehnt hatten – das eh. Jugoslawien, Libyen und Syrien – gerieten wenig später ins Fadenkreuz westlicher Militärinterventionen, ob direkt durch Bomben oder indirekt durch die Unterstützung islamistischer Gotteskrieger. In der Ukraine griffen der EU-Auswärtige Dienst und die deutsche Regierung auf ihre langjährig aufgebauten Kontakte zu neofaschistischen und offen antisemitischen Einheiten in der Ukraine zurück (Rechter Sektor, Swoboda,…), um schließlich den sog. „Euromaidan“ im offenen Staatsstreich münden zu lassen, durch den in Kiew eine westlich orientierte Regierung an die Macht geputscht wurde. Seither versinkt der Osten des Landes im Bürgerkrieg, dem bereits tausende Menschen zum Opfer gefallen sind. 700.000 UkrainerInnen flüchteten aus dem Land, die meisten davon nach Russland. Die EU trainiert seit 2014 mit einer Polizeimission Einheiten des ukrainischen Innenministeriums, dem auch neofaschistische Bürgerkriegsmilizen unterstehen, die offen ihre Verherrlichung von ukrainischen Nazi-Kollaborateuren zur Schau stellen.

Gerald Oberansmayr
(20.12.2015)



Quellen:

(1) Gerhard Schröder, Regierungserklärung zum Stand der deutschen Einheit, Berlin 19.4.1999, (2) www.unhcr.org, (3) CBS Fernsehshow „60 Minuten“, 12.5.1996, Lesley Stahl im Interview mit der Madeleine Albright, (4) Cornellchronicle, Cornell University, 30.9.1999, (5) TAZ, 12.6.2015, (6) Spiegel online, 28.3.2012, (7) Sh. Dokumentation Junge Welt, 28.5.2015, (8) The Guardian, 15.9.2015, (9) TAZ, 18.1.2012

Zum Thema "Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge!" siehe auch
"Nein zum EPA-Freihandelsabkommen!"
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1405&Itemid=1