Rede von Boris Lechthaler, Aktivist der Solidarwerkstatt-Österreich, bei der Kundgebung für Frieden und Klimagerechtigkeit am 24.2.2023 in Linz.


Geschätzte Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde,

Frieden-Klima-Gerechtigkeit

Unter diese drei Begriffe wollen wir heute, dem 24. Februar 2023, dem Jahrestag der Invasion Russlands in die Ukraine, unser Gedenken an die Opfer dieses Krieges stellen und unserer Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit Ausdruck geben.

Zahlreiche Befunde wurden über die Ursachen dieser Katastrophe ausgeführt.
In einem Punkt bin ich mir aber völlig sicher: Es gibt keinen einzigen Grund, der den Tod eines ukrainischen Kindes durch eine Bombe, der den Tod eines russischen Soldaten in Kampfhandlungen rechtfertigen würde.

Dieser Krieg mag Gründe haben, er ist aber vor allem eines: ein Verbrechen, für das es keine Rechtfertigung gibt.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz sprach von einer Zeitenwende. Dem muss ich widersprechen: Der Beginn dieses Krieges markiert keine Zeitenwende! Wir kommen aus und wir leben in einer Periode des permanenten Kriegs. Nichts anderes war und ist der War on Terror des Westens! Irak, Jugoslawien, Kolumbien, Kongo, Afghanistan, Sudan, Libyen, Syrien, Türkei, Palästina.

Diese Liste von Kriegsschauplätzen der letzten Jahre ließe sich fortsetzen. Diese Liste demonstriert aber auch: Militärische Gewalt ist kein taugliches politisches Instrument im 21. Jahrhundert. Nirgends konnten die politischen Ziele mit Gewalt durchgesetzt werden. Und auch Russland ist damit gescheitert.

Die Friedensbewegung erkennt in der Charakterisierung des 24. Februar als Zeitenwende, deshalb den simplen Versuch damit eine neue Welle der Hochrüstung zu legitimieren. So haben sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dazu verpflichtet bis zum Jahr 2025 zusätzlich 200 Mrd Euro in Rüstung zu investieren.

Wir sehen: Aufrüstung, Blockbildung und Krieg führen immer weiter an den Rand des Abgrunds. Die Missachtung des Gewaltverbots der Vereinten Nationen ist offenkundig kein Privileg des Westens. Ist es das, was uns Russland mit der Invasion in die Ukraine demonstrieren wollte? Eine Demonstration, die bereits in den ersten Tagen in einem Desaster mündete.

Die offene Drohung mit dem Ersteinsatz von nuklearen Massenvernichtungswaffen, die gewaltsame Annexion ukrainischen Territoriums Ende September 2022 markieren keine Zeitenwende, sondern eine neue Qualität der menschheitlichen Rückwärtsentwicklung in Folge der Geringschätzung des Gewaltverbots der Vereinten Nationen. Diese Annexionen sind tätige Verachtung des Gewaltverbots der Vereinten Nationen.

Ja, wir sind für einen sofortigen Waffenstillstand. Ja, wir sind für Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Die Anerkennung der gewaltsamen Annexion fremden Territoriums, wie das Russland von der Ukraine verlangt, kann keine Vorbedingung sein. Ebenso wie die Völkergemeinschaft die Anerkennung der Annexion palästinensischen Territoriums durch Israel nie als Vorbedingung für Friedensverhandlungen je akzeptiert hat. Die russischen Invasionstruppen müssen sich hinter die Linien des 24. Februar 2022 zurückziehen und der Terror gegen die zivile ukrainische Infrastruktur durch russische Luftangriffe muss sofort beendet werden.  Auf dieser Grundlage müssen Verhandlungen stattfinden.

Freilich müssen russische Sicherheitsinteressen dabei ebenso berücksichtigt werden. Die Zukunft der Ukraine liegt nicht darin ein Aufmarschgebiet imperialer Kräfte gegen Russland zu sein.

Liebe FreundInnen und Freunde,

was auf dem Spiel steht, ist nichts weniger als das Fortbestehen der internationalen Ordnung, insbesondere des Gewaltverbots der Vereinten Nationen. Wir stehen vor der drängenden Aufgabe, die bestehende internationale Ordnung, das bestehende Gewaltverbot der Vereinten Nationen, zu verteidigen, und gleichzeitig sehen wir die drängende Aufgabe, diese Ordnung weiterzuentwickeln, sie für das 21. Jahrhundert neu zu gestalten.

Klimagerechtigkeit ist eine der drängenden Herausforderungen, mit der wir konfrontiert sind. Ohne eine kooperative internationale Ordnung wird die Menschheit diese Herausforderung nicht bewältigen.

Heute sind vier von fünf Vetomächten des UN-Sicherheitsrats im weiteren Sinne europäische Mächte. Afrika und Lateinamerika sind überhaupt nicht repräsentiert. Bevölkerungsreiche Staaten wie Indien fehlen. Dieses System muss, insbesondere wenn das Vetorecht und die nukleare Drohung zur Durchsetzung reaktionärer Ziele missbraucht wird, früher oder später kollabieren. Und wir sehen heute schon, dass außereuropäische Mächte bei der friedlichen Beilegung dieses europäischen Kriegs in der Ukraine eine besondere Rolle spielen werden.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

was geht das uns in Österreich an? Hat unser kleines Land in diesem Zusammenhang eine Bedeutung? Helmut Kohl, ein ehemaliger deutscher Kanzler sprach von der, ich zitiere, „Gnade der späten Geburt“. Er meinte damit, dass er sich gegen Faschismus und Krieg nicht unter Gefahr für den eigenen Leib, ohne Gefahr für das eigene Leben, entscheiden musste.

Ich kann mittlerweile von der Gnade der frühen Geburt sprechen. Meine Erkundung der Welt und einer Politik, die sie versucht zu gestalten, fand in einer Zeit statt, in der jede Bäuerin auf dem Feld, jeder Arbeiter in der Fabrik, sich dessen bewusst war, dass ihre Zukunft, die Zukunft ihrer Familien, auch die Zukunft Österreichs, von internationalen Entwicklungen abhängt. Und dass wir uns diesen Entwicklungen zuwenden müssen, dass wir sie bearbeiten müssen. Was bedeutet internationale Entwicklungen? Es ist die Erfahrung und die Tatsache, dass auch das Leben eines Bauern in Vietnam, eines Arbeiters in Detroit, einer Familie in Palästina für ein gutes Leben für uns in Österreich wichtig sind. Diese Erfahrungen sind untrennbar mit dem Wirken des damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky verbunden.

In den späteren Jahrzehnten ist der Horizont enger geworden. Aus manchen Internationalisten wurden glühende Europäer. Diese glühen für einen strategischen Kompass, für eine globale imperiale Machtprojektion Europas, für Aufrüstung und Blockbildung unter einheitlichem Kommando. „Wir müssen mit einer Stimme sprechen, und mit einer Faust zuschlagen!“, so das prahlerische Diktum.

Immer wieder stehen wir vor der Frage, ob wir das als Bedrohung ernst nehmen sollen oder im Verglühen der glühenden Europäer ihre wichtigtuerische Lächerlichkeit erkennen. Hinter dem glühenden Europäertum wird nichts anderes sichtbar, als der überkommene chauvinistische Anspruch, dass am europäischen Wesen die Welt genesen werde. Die Europäische Union fabuliert sich selbst zum Friedensprojekt, gleichzeitig sieht sie sich als Imperium. Auf dieser Grundlage kann die Hinwendung zur Welt, zur Weltgesellschaft und ihren Herausforderungen nicht gelingen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

nicht das Europagetue, nur ernsthafte aktive Neutralitätspolitik bedeutet Zuwendung zur Welt, Zuwendung zur Weltgesellschaft und zu den Herausforderungen vor der sie steht. Eine derartige Neutralitätspolitik hat aber nichts gemein mit jenen sozialreaktionären Kräften, die uns heute empfehlen, auf Grundlage der Neutralität durch Gewalt gesetzte Fakten in der Ukraine widerspruchslos zu akzeptieren.

Es sind auch dieselben, wie jene, die meinten: „Zu was brauchen wir Maßnahmen gegen die Covid-Pandemie? Es sterben ja doch nur Alte und Schwache.“

Es sind dieselben wie jene, die meinen: „Zu was brauchen wir Maßnahmen gegen den Klimawandel? Es sind ja doch nur die Maroden, Armen und Schwachen, die bei Anstieg des Meeresspiegels ersaufen. Gegen die, die davor flüchten errichten wir halt Zäune.“

Das sind auch genau jene, die es als ihre Leistung für unser Österreich betrachten, wenn sie in ihrer Sozialpolitik krankhaft bemüht sind, dass kein Armer, keine Arme, einen Euro, einen Cent zuviel erhält. So wie hier bei uns in Oberösterreich mit dieser schwarz-braunen Landesregierung.

Es ist nicht die Sehnsucht nach Frieden mit Russland, die diese Kräfte antreibt. Es ist nicht die Sehnsucht, nach der friedensstiftenden Rolle der immerwährenden Neutralität Österreichs, die diese Kräfte antreibt. Es ist die Vergötzung der Gewalt, es ist die Verachtung der Schwachen, die diese Kräfte antreibt. Das ist nicht die Neutralitätspolitik, die wir brauchen.

Auf Grundlage der immerwährenden Neutralität können wir als kleines Österreich, uns für eine neue internationale Ordnung engagieren, die auf dem Gewaltverbot aufbaut. die auf Kooperation auf Augenhöhe orientiert. Ein gutes Leben für Alle! Solidarität, Anteilnahme! Klimagerechtigkeit! Können wir nur erreichen, wenn wir die Kriege beenden.

Frieden – Klima – Gerechtigkeit!

Dafür muss sich das immerwährend neutrale Österreich engagieren!

(24.2.2023, Linz)