Der neue Ampel-Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP versteht sich auf die Kunst, friedenspolitische Sehnsüchte in der rot-grünen Basis mit weitgehend inhaltsleeren Bekenntnissen zu befriedigen. Dort aber, wo es konkret wird, wird dagegen klargemacht: die militärische Aufrüstung soll hoch-, die Hindernisse zum Führen von Kriegen runtergefahren werden.


"Strategischer Kompass" zum Krieg

Das Zauberwort im EU-Sprech dafür heißt „strategische Souveränität Europas“. Der obergrüne Habek hat bereits im Wahlkampf erläutert, was damit gemeint ist: „Weltpolitikfähigkeit einschließlich militärischer Einsatzmöglichkeiten“ (1). Genau daran orientiert sich der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Verklausuliert heißt es: „Wir werden die Arbeiten am „Strategischen Kompass“ konstruktiv mitgestalten, um Ziele und Mittel der EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung ambitioniert als Teil des Integrierten Ansatzes auszugestalten“ (2) (S. 135). Was bedeutet diese ominöse „strategische Kompass“? Im Vorfeld der EU-Ratstagung am 15. November stand hinter verschlossenen Türen eine Erstpräsentation auf dem Programm. Der spanischen Zeitung „El Pais“, die über ein Naheverhältnis zum EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verfügt, ist das vertrauliche Dokument zugespielt worden sein. Am 15.11.2021 lässt El Pais über den „strategischen Kompass“ durchsickern: „Das Dokument, das als ‚Strategischer Kompass‘ bezeichnet wird, befürwortet einen beispiellosen Anstieg der militärischen Kapazitäten der EU mit dem Ziel, über die notwendige Kraft zu verfügen, um ‚ihre Vision zu fördern und ihre Interessen zu verteidigen‘“ (3).

Diese „Visionen und Interessen“ sind in der EU-Globalstrategie (2016) bereits definiert worden, u.a. den Zugang zu „offenen Märkte“, „Schifffahrtsrouten“ und „natürlichen Rohstoffen“ notfalls auch mit Gewalt zu erzwingen.

„Beispielloser Anstieg der militärischen Kapazitäten“

Welche konkreten Schritte plant der „strategische Kompass“? Zentral ist der Aufbau einer einsatzfähigen EU-Interventionstruppe von 5.000 SoldatInnen. Diese sollen – im Unterschied zu den derzeitigen EU-Battlegroups – nicht mehr unter nationalem Kommando stehen, sondern ab 2025 soll der Oberbefehl an den EU-Generalstab mit einem eigenen EU-Hauptquartier übergehen. Eine eigene „Military Planning and Execution Capacity“ gibt es zwar auch jetzt schon, diese hat aber bisher nur das Kommando über „nicht-militärische Missionen“ übernommen. In Zukunft soll dieses Hauptquartier kräftig aufgestockt werden und das Kommando für „Kampfeinsätze“ übernehmen.

Ab 2023 ist geplant, die ersten EU-Militärmanöver durchzuführen, die Finanzierung soll zunehmend aus dem EU-Haushalt erfolgen. Ob es bei den 5.000 Mann/Frau bleiben wird, darf bezweifelt werden, denn EU-Außenbeaufragter Borell beharrt – so El Pais – darauf, dass „es die Mission sein wird, die die Anzahl der benötigten Truppen bestimmt und nicht umgekehrt." "Wir müssen schneller, robuster und flexibler agieren können", zitiert El Pais eine nicht näher benannte diplomatische Quelle das neue Ziel (3).

Grünes Licht für Drohnenkrieg

Der neue deutsche Regierungsvertrag richtet sich darauf ein, diesen „beispiellosen Anstieg der militärischen Kapazitäten“ auf Schienen zu bringen. So sollen neue atomwaffenfähige Kampfflugzeuge angekauft werden. Grünes Licht gibt es für die Bewaffnung der Bundeswehr mit Drohnen, denn diese können „zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen“ (3) (S. 149). So schön kann man das Killen per Mausklick verbrämen. Mit der Entwicklung einer „Euro-Drohne“, die derzeit auf Hochtouren läuft, will man an die diesbezügliche Mordkompetenz der USA anschlussfähig werden, die diese in Afghanistan, Jemen, Pakistan, Irak usw unter Beweis gestellt hat. 98% der durch Drohnenangriffe Getöteten waren zivile „Kollateralschäden“. Aber was juckt schon die Auslöschung von Hochzeitsgesellschaften und Spitälern, wenn sie „zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz dienen.“

Ganz im Sinne des „strategischen Kompasses“ treten SPD, FDP und Grüne "für eine verstärkte Zusammenarbeit nationaler Armeen integrationsbereiter EU-Mitglieder ein" und wollen dafür "gemeinsame Kommandostrukturen und ein gemeinsames zivil-militärisches Hauptquartier schaffen" (3) (S. 135).

Weiters heißt es im Regierungsvertrag der „Ampel“: „Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen und entsprechend investieren“ (3) (S. 145). Das ist eine vornehme Umschreibung dafür, dass die Aufstockung des Militärbudgets energisch fortgeführt wird. Diese sind von 32,5 Mrd. (2014) auf 45,1 Mrd. (2020) gewachsen. Zum Erreichen der NATO-Fähigkeitsziele sollen es dann 61,5 Mrd. bis 2025 sein. Das passt auch bestens zur „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco), die die Mitgliedsstaaten zur permanenten Anhebung der Militäretats verpflichtet.

Aushebelung der Vetomöglichkeit = Türöffner für Kriegseinsätze

Doch die Schaffung „beispielloser militärischer Kapazitäten“ ist nur die eine Seite der Medaille, die andere ist: Wer kann über ihren Einsatz entscheiden? Immer wieder beklagten die EU-Eliten in den letzten Jahren, dass das Einstimmigkeitsprinzip in der EU-Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik den Einsatz der EU-Battlegroups bisher verhindert habe. Damit will die neue deutsche Regierung nun Schluss machen. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir wollen deshalb die Einstimmigkeitsregel im EU-Ministerrat in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) durch Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit ersetzen und dafür mit unseren Partnern einen Mechanismus entwickeln, um auch die kleineren Mitgliedstaaten auf diesem Weg angemessen zu beteiligen.“ (S. 135). Der erste Halbsatz macht klar: Krieg braucht straffe Entscheidungsstrukturen und eine zentrale Befehlskette; deshalb muss die Möglichkeit einzelner Mitgliedsstaaten, durch ein Veto den Einsatz der EU-Interventionstruppe zu blockieren, eliminiert werden. Der zweite Halbsatz wird durch allerlei juristische Raffinesse versuchen, den Regierungen von kleineren Staaten Anreize und Ausreden fürs Umfallen anzubieten.

Die türkis-grüne Regierung in Österreich liegt übrigens schon. Sie hat in ihrem Regierungsprogramm bereits 2019 verankert, dass sie das Einstimmigkeitsprinzip in der Außen- und Sicherheitspolitik beseitigt sehen will. Das wäre das völlige Aus für die österreichische Neutralität. Denn eine ernsthafte Neutralität lebt von der Unabhängigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik. Nur diese sichert, dass der Neutrale nicht – direkt oder indirekt – in Kriege hineingezogen wird. Diese außenpolitische Unabhängigkeit ist notwendig, um friedenspolitisch zwischen Konfliktparteien vermitteln zu können. Die Neutralität wurde seit dem EU-Beitritt Schritt für Schritt demontiert, durch die Aufhebung der Einstimmigkeit in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik würde sie zertrümmert.

Vom Adabei zum Kommandanten

Die erste rot-grüne Regierung Schröder-Fischer öffnete die Tür für die erstmalige Teilnahme deutscher Truppen bei Angriffskriegen seit 1945. Militärisch war Deutschland im Rahmen der NATO-Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan freilich noch eher ein Adabei. Die jetzige rot-grün-gelbe Regierung scheint vom Ehrgeiz getragen, vom Adabei zum Kommandanten einer EU-Kriegsmacht aufzurücken. Ein bellizistischer Sprung vorwärts lässt sich offensichtlich leichter vermarkten, wenn die ehemalige Pazifistenpartei der Grünen an Bord ist. Der sympathische Titel des Koalitionspakts „Mehr Fortschritt wagen“ weckt jedenfalls falsche Erwartungen. „Mehr Krieg wagen“ wäre wohl angemessener.

Gerald Oberansmayr
(Dezember 2021)

Anmerkungen:

  1. Siehe vice, 28.8.2021
  2. „Mehr Fortschritt wagen“, Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
  3. El Pais, Bernando de Miguel, "Die EU plant, im 2023 die ersten Militärübungen ihrer Geschichte durchzuführen", 14.11.2021