Der 27. Februar 2022 , also jener Sonntag, an welchem der Deutsche Bundestag zu einer Sondersitzung zum Ukraine Krieg zusammentrat und der SPD-Kanzler Scholz eine „Zeitenwende“ regelrecht proklamierte, wird wohl als jenes Datum in die Geschichtsschreibung eingehen, seit welchem die hemmungslose Militarisierung und regelrechte Kriegstreiberei, vor allem in Deutschland aber auch EU-weit gesellschaftsfähig gemacht werden sollte.
Das an diesem Tag auf den Weggebrachte „Sonderbudget“ von 100 Milliarden(!) Euro für die deutsche Bundeswehr fungierte da freilich nur als Speerspitze eines neuerlichen Militarisierungschubes in der gesamten EU. Mit dem im März 2022 beschlossenen „Strategischen Kompass“ will die EU nun einen „Quantensprung“ bei Aufrüstung und Kriegsfähigmachungvollziehen. Denn: Die EU „muss sich als geostrategischer Akteur der obersten Kategorie begreifen.“ (Josep Borrell, Hoher Vertreter für EU-Außen- und Sicherheitspolitik) (1).Der militärisch-industrielle-Komplex der EU jubelt über diesen Krieg und will ihn verlängern, um den Höhenflug der Rüstungsausgaben nicht zu gefährden und die Zentralisierung der EU-Außen- und Sicherheitspolitik zu erzwingen.(2) Die Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung ist inzwischen möglicherweise sogar aktueller als zu sämtlichen Phasen des sogenannten „Kalten Krieges“.
„Potential zu einem neuen nuklearen Wettrüsten“
Die globale Aufrüstung erreichte 2020 mit über 1,981 Billionen US-Dollar einen neuen Höhepunkt, um 2,6% mehr als im Vorjahr. Teil dieser Aufrüstung ist der Modernisierung der Atomwaffen. Weltweit gab es 2020 über 13.000 Atomwaffen, das ist zwar etwas weniger als im Vorjahr, doch 2020 ist erstmals seit den frühen 90er Jahren der Bestand der Atomwaffen mit „hoher operationeller Bereitschaft“, also unmittelbar einsatzbereiter Atomwaffen, gestiegen – von 3720 (2019) auf 3.825 (2020). Alle Atommächte investieren Unsummen, um eine neue Generation nuklearer Waffensysteme, darunter Atomsprengköpfe, Raketen- und Flugzeugträgersysteme zu schmieden. Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI warnt daher im neuesten Friedensreport, dass die Modernisierung der Atomwaffenarsenale „das Potential hat, zu einem neuen nuklearen Wettrüsten zu führen“ (3).
Bis zu 90 Millionen Tote bei „begrenztem Atomkrieg“ mit Mini-Nukes
So arbeiten die USA an der Entwicklung von „Mini-Atomwaffen“ mit einer Sprengkraft von unter 5 Kilotonnen, um – so eine streng geheime, „versehentlich“ an die Öffentlichkeit gelangte US-Doktrin - „grundlegend das Ausmaß einer Schlacht (zu) verändern und Bedingungen (zu) schaffen, die beeinflussen, wie Kommandeure in einem Konflikt siegen werden.“ (4) Mit diesen „Mini-Nukes“ soll also ein „begrenzter Atomkrieg führbar“ gemacht werden. Mit bis zu 90 Millionen Toten rechnen Wissenschaftler des „Princeton’s Science and Global Security Lab“ (5) bei dieser Art von „begrenzter Atomkrieg“.
Auf dem Weg zur EU-Atombombe
Auch Frankreich, die drittgrößte globale Atomstreitmacht, arbeitet fieberhaft an der nuklearen Aufrüstung: Für mehr als 35 Milliarden Euro sollen die Sprengköpfe für U-Boote und Bomber der „Force de Frappe“ in den kommenden Jahren modernisiert werden. Die deutschen Machteliten orientieren bereits seit langen darauf, über die EU zur Atom(bomben)macht aufzusteigen, da ihnen der direkte Zugriff auf die Atombombe durch internationale Verträge verwehrt ist. Bereits 2003 regte der regierungsnahe Münchner Think Tank „Centrum für angewandte Politikforschung“ (CAP) an, „Vereinte Europäische Strategische Streitkräfte“ mit Zugriff auf Atomwaffen aufzubauen, „um sich uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik zu bedienen“ (6).
Nukleares backing“
Trotz innerer Widersprüche schreitet die Militarisierung der EU voran. Die 2018 gestartete „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco) fordert nicht nur die ständige Erhöhung der Militärbudgets der SSZ-Staaten und deren Teilnahme an globalen EU-Militärmissionen, die EU-SSZ dient – so die damalige deutsche Verteidigungsministerin und heute EU-Kommissionspräsidentin Ursula van der Leyen - auch als „ein weiterer Schritt in Richtung der Armee der Europäer“ (7), also einer imperialen Armee unter zentralem Brüsseler Kommando.
Der französische Staatspräsident Macron hat im Februar 2020 in einer
Grundsatzrede die EU-Staaten die „stabilisierende Tugend der Atomwaffen“ gelobt. In dieser Rede rief er die EU-Staaten zu einem „strategischen Dialog“ über die „Rolle der nuklearen Abschreckung Frankreichs“ auf und bot ihnen die Einbindung „in die Übungen der französischen Nuklearkräfte“ an (8). Tom Enders, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), machte sich umgehend dafür stark, dieses Angebot aufzugreifen: beginnend als „deutsch-französischen Nuklearkooperation“ und letztlich mit dem Ziel der gemeinsamen EU-Atombombe. Enders: „In konventioneller Hinsicht hat die EU mit ihren 450 Millionen Bürgern ohne Zweifel das Potenzial, eine der führenden Militärmächte der Welt zu werden. Allerdings ist der Aufbau einer schlagkräftigen Europäischen Verteidigungsunion ohne nukleares backing schlechterdings nicht vorstellbar“ (9). Die DGAP gilt als Sprachrohr des dEUtschen Militärisch-industriellen-Komplexes, finanziert wird sie vom deutschen Außenamt, der deutschen BANK-AG und dem größten EURüstungskonzern Airbus, dessen Vorstandsvorsitzender DGAP-Präsident Tom Enders bis 2019 war.
Halbe Billionen für „Kampfflugzeug der 6. Generation“
Ein konkreter Schritt in die Richtung der deutsch-französischen Nuklearkooperation bahnt sich mit dem von Berlin und Paris initiierten gemeinsamen Bau des „Future Combat Arial Systems“ (FACS) an, eines „Kampfflugzeugs der 6. Generation“. Dieses FACS toppt mit prognostizierten Kosten bis zu einer halben Billionen Euro (!) nicht nur alle bisherigen EU-Rüstungsprojekte, es soll auch als zukünftiges Trägerflugzeug für Atomraketen dienen. Kofinanziert wird dieses deutschfranzösische Kampfflugzeug aus den neu eingerichteten EU-Rüstungstöpfen, für die auch Österreich zahlt.
Österreichs Machteliten ordnen sich EU-Militarisierung unter...
Die UNO-Vollversammlung hat 2017 mit großer Mehrheit einen Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) beschlossen, der die Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz von Atomwaffen verbietet. Im Jänner 2021 ist dieser Vertrag in Kraft getreten. Das ist ein wichtiger Erfolg der internationalen Friedensbewegung in ihrem Ringen für eine atomwaffenfreie Welt. Österreich gehörte zu den ersten Staaten, die diesen Vertrag ratifiziert haben (und ist neben Malta der bislang einzige EU-Staat, der den AVV ratifiziert hat). Österreichs Außenpolitik hat sich um den Beschluss des Atomwaffenverbotsvertrags verdient gemacht. Doch diese Verdienste werden durch die laufende Unterordnung unter die EU-Militarisierung konterkariert, zum Beispiel
- durch den Bereitschaftsdienst für die EU-Battegroups, der innerhalb weniger Tage – auf Zuruf des EU-Rats - in einen Kriegseinsatz in Afrika, im Nahen oder Mittleren Osten umschlagen kann, um dort gewaltsam den „Zugang zu natürlichen Rohstoffen“ und „freien Märkten“ zu erzwingen (EU-Globalstrategie, 2016).
- durch die Teilnahme an der EU-SSZ/Pesco, zu der u.a. auch die Verpflichtung gehört, die österreichischen Verkehrswege „panzerfit“ zu machen, also mit enormen Geldaufwand so zu präparieren, dass schweres EU/NATO-Kriegsgerät zu Militäreinsätzen rasch Richtung Osten bzw. Süden rollen kann (sh. z.B. die NATOKriegsübung „Defender Europe 2021“, die vor allem zum Säbelrasseln gegenüber Russland diente).
- durch das Mitfinanzieren von EU-Töpfen, die der Erforschung und Entwicklung neuer Waffensysteme dienen (EU-Rüstungsfonds) bzw. Waffenexporte und Militäreinsätze stimulieren sollen („EU-Friedensfazilität“)
- durch die Unterordnung unter die konfrontative EU-Außenpolitik, die in vielfältiger Form die kriegerischen Eskalationen am Balkan, in Afghanistan, in Libyen, in Syrien, in der Ukraine usw. angeheizt und damit auch die nukleare Aufrüstung angekurbelt hat.
- Durch die Unterstützung grausamer EU-Wirtschaftssanktionen wie z.B. gegen Syrien, die laut UN-Welternährungsprogramm eine der Hauptursachen für die Hungerkatastrophe in diesem geplagten Land sind und die das Flüchtlingsleid weiter anheizen.
- durch die Teilnahme an EU-FRONTEX-Einsätzen, die ein menschen- und
völkerrechtswidriges Grenzregime an den EU-Außengrenzen befestigen, das zehntausenden Flüchtlingen das Leben kostet und das Recht auf Asyl aushebelt. durch die Teilnahme an EU- und NATO-Militäreinsätzen z.B. am Balkan, am afrikanischen Kontinent und (bis vor kurzem) in Afghanistan. Diese Einsätze sind keine „Friedensmissionen“, im Gegenteil: sie dienen der geopolitischer Machtprojektion und neokolonialer Ausbeutung. - Durch die Weiterleitung von Abhördaten der Lauschstation Königswarte in Hainburg an ausländische Geheimdienste. Damit werden derzeit insbesondere dem US-Militär Zieldaten für die mörderischen illegalen Drohnenkriege in Afghanistan, Somalia, Mali, Jemen, Irak, Syrien und Pakistan geliefert. Österreichs Verstrickung in zukünftige EU Drohnenkriege ist damit absehbar, da das Projekt „Euro-Drohne“ zu den militärischen Prestigeprojekten der EU-SSZ zählt.
- durch die Mitgliedschaft in EURATOM, wodurch Österreich Jahr für Jahr mit über hundert Millionen Euro die EU-Atomlobby fördert. Diese Förderung der „zivilen“ Nutzung der Atomenergie kann nicht von der militärischen losgelöst werden. So kommen etwas Wissenschaftler der Universität von Sussex (10) zu dem Ergebnis, dass der britische Atomreaktor Hinkley Point C, für den EU-Kommission und EuGH grünes Licht gegeben haben, weniger für die Energiegewinnung, sondern vor allem für die atombetriebenen U-Boote benötigt wird, die als Abschussbasis für die nuklearen Trident-Raketen dienen.
... und treiben diese an
Die EU-Militarisierung hat vor allem seit der Einrichtung der EU-SSZ wieder enorm an Dynamik gewonnen. Das zeigt sich an den in letzten Jahren rasant wachsenden Militärausgaben in der EU (real plus 16,6% im Zeitraum 2014 bis 2020). Doch noch ist bislang der Aufbau zentraler EU-Streitkräfte am Einstimmigkeitsprinzip in militärischen Fragen gescheitert. Die türkis-grüne Regierung hat nun in ihrem Regierungsprogramm festgeschrieben, sich für die Beseitigung der Einstimmigkeit auf EU-Ebene in außen- und sicherheitspolitischen Fragen einzusetzen. Damit würde jede Form einer unabhängigen Außen- und Sicherheitspolitik – die Grundvoraussetzung für die Neutralität! – über Bord geworfen. Damit geht die türkisgrüne Regierung weiter in Richtung Militarisierung und Zerstörung der österreichischen Neutralität und Unabhängigkeit als jede vorherige!
Unterstützt wird diese verfassungswidrige Regierungspolitik durch Bundespräsident Van der Bellen. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die öffentliche Unterstützung der Ljubljana-Initiative (11) für eine neue EU-Verfassung. Dieser Verfassungsentwurf sieht eine EU-Armee „bestehend aus einem EU-Heer, EU-Seeund Luftstreitkräften“ vor, die global „im Anti-Terrorkampf“ eingesetzt werden soll. Atomenergie erhalten, ua mit folgende Zielen: „Förderung der Atomforschung“, Atomenergie in der EU notwendig sind“, „regelmäßige und angemessene Versorgung besondere Spaltstoffe“ soll auf die EU übergehen. ffensichtlich steht hinter der geschichtsvergessenen Polemik des Bundespräsidenten gegen die „österreichische Kleinstaaterei“ das Bedürfnis, Österreich in ein militärisch hochgerüstetes, atomares EU-Imperium einzugliedern.
Teil der Lösung werden!
77 Jahre nach den Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und 77 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs ruft die Solidarwerkstatt Österreich daher dazu auf, Widerstand gegen diese gefährliche Politik des österreichischen Establishments zu leisten. Wir treten für ein unabhängiges und neutrales Österreich ein, das sich für internationale Solidarität und faire Handelsbeziehungen stark macht, statt bei EU-Kriegseinsätzen zur Durchsetzung neoliberalen Freihandelsverträge mitzumarschieren.
Wir treten für eine glaubwürdige Anti-Atompolitik Österreichs ein,
die sich international für die Beseitigung aller Atomwaffen und den Ausstieg aus der Atomenergie engagiert, statt beim Aufbau einer atomaren EU-Großmachtsarmee mitzumachen und die EU-Atomlobby mitzufinanzieren. Wir treten für ein weltoffenes Österreich ein, das sich für Dialog und friedliche Konfliktbeilegung engagiert, statt im Rahmen des EU-Regimes die Spaltungen und Konfrontationen innerhalb- und außerhalb Europas anzuheizen.
Kämpfen wir für ein Österreich, das - angesichts der vielfältigen globalen
Herausforderungen - Teil der Lösung und nicht Teil des Problems ist!
Vorstand der Solidarwerkstatt Österreich
(6.8.2022)
Quellen: 1:quantensprung- der-EU-militarisierung 2:aussenfeind 3: zit. nach TAZ, 14.6.2021 4: Joint Publication 3-72, Nuclear Operations, 11.6.2019 HIROSHIMA 2022 Seite 94 5: 90-million-casualties-in-a-few-hours4 6: Centrum für Angewandte Politikforschung, Zukunft Europas, Mai 2003, München 7: ORF-Abendjournal, 13.11.2017 8: Zit. nach: Die Welt, 7.2.2020 9: Die Zeit, 4.3.2020 10: 11: The new draft treaty fort the constitution oft the EU, Ljubljana, 2016 Wichtige Informationen zu diesem Thema: www.hiroshima.at
>> HINWEIS:
"DIE WAFFEN NIEDER!" - Ukraine-Dossier der Solidarwerkstatt Österreich
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