Der Mainstream des grünen Parteiestablishment, ob in Berlin oder Wien, ist mittlerweile auf Militarisierungskurs. Aufrüstung, Waffenexporte und Krieg erhalten den grünen Sanktus. Wie konnte aus der ursprünglich pazifistischen Partei eine bellizistische werden? Boris Lechthaler (Solidarwerkstatt Österreich) hat dazu am 24.3.2024 auf einer Friedenskonferenz in Belgrad Überlegungen anstellt.


Liebe Freundinnen und Freunde,

als die Bomberstaffeln der Nato am Mittwoch, den 24. März 1999 gegen Belgrad und andere jugoslawische Städte starteten, war ich Bezirkssekretär der Grünen in Linz und oberösterreichischer Kandidat für den Nationalrat. Der Landesvorstand bereitete sich auf seinen Osterurlaub vor. Am ersten Kriegswochenende war kein zentraler Funktionär mehr erreichbar. Eine Reihe von Mitstreiter*innen und ich begannen, Mobilisierungen gegen den Nato-Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vorzubereiten. In der ersten Bombennacht veranstalteten wir eine Mahnwache vor dem deutschen Konsulat in Linz. Am 13. April 1999 fand eine große Manifestation mit mehreren tausend Teilnehmern auf dem Hauptplatz in Linz statt. Zahlreiche Kulturschaffende, einzelne politische Repräsentanten anderer Parteien und viele einfache Menschen erkannten die grundlegende Bedeutung dieses Kriegsereignisses. Es war der erste Angriffskrieg gegen ein souveränes Land ohne ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nach 1945.

Wir bezeichneten diesen Krieg als Verbrechen. Und die, die dafür verantwortlich waren als Kriegsverbrecher. Unsere Forderung: Ein sofortiges Ende des Bombardements und politische Verhandlungen. Von den österreichischen Grünen forderten wir die klare Distanzierung von den Kriegsgrünen in Deutschland und den Austritt aus dem Verbund der europäischen Grünparteien.

Ich denke, dass die Regierungsbeteiligung der Grünen in der Bundesrepublik Deutschland von entscheidender Bedeutung für dieses Kriegverbrechen war. Seit Ende der 1980er Jahre gab es in der deutschen politischen Öffentlichkeit die Diskussion, ob die Grünen regierungsfähig sind. Die Gretchenfrage war dabei immer – nicht etwa ob AKWs in Betrieb genommen oder Autobahnen gebaut werden – die Gretchenfrage war immer, würden die Grünen in der deutschen Bundesregierung einer Kriegsbeteiligung Deutschlands zustimmen.

Regierungsfähig ist, wer bereit ist, in den Krieg zu ziehen.

Das war der Nasenring, an dem die deutsche Grünpartei medial durch die Manege gezogen wurde. Vor der Regierungsbeteiligung in Berlin gab es noch eindeutige Beschlüsse der höchsten Parteigremien, Kriegseinsätzen der Bundeswehr unter keinen Umständen zuzustimmen.

Im Herbst 1998 wurde die rot-grüne Regierung unter Schröder-Fischer gebildet und die Probe aufs Exempel, ob Grüne in den Krieg ziehen würden, wurde systematisch vorbereitet. Ich brauche vor euch die Geschichte nicht zu wiederholen: das angebliche Massaker von Racak, die angeblichen Verhandlungen von Rambouillet, die von Anfang an so angelegt waren, dass sie zum Krieg führen mussten. Der grüne Außenminister Joschka Fischer spielte dabei eine zentrale Rolle. Und der deutsche Kanzler sprach von einer „Europäischen Geburt“, die wie so oft „nicht im Jubel, sondern im Schmerz“ stattfinde. Die deutschen Grünen waren tief gespalten. Auf einem Sonderparteitag wurde neuerlich die Kriegsbeteiligung Deutschlands verurteilt. Nur über statutarische Tricks konnte sich die Führung der Kriegsgrünen durchsetzen.

Die österreichischen Grünen hatten es einfacher. Aufgrund seiner Neutralität war Österreich nicht direkt in den Krieg verwickelt. Indirekt schon: Die deutschen Tornadobomber flogen über Österreich zu ihrem Einsatzflughafen Aviano in Italien. Der österreichische Heeresnachrichtendienst mit seinen historisch gewachsenen guten Kenntnissen des jugoslawischen Territoriums hatte bei der Konstruktion der sogenannten „Operation Hufeisen“ seine Finger im Spiel. Zunächst hielten sich die Grünen bedeckt. Dann aber wurde der damalige Bundessprecher der Grünen und nunmehrige Bundespräsident zu einem der Hauptpromotoren dieser den Angriffskrieg legitimierenden Lügengeschichte.

Unserer Forderung nach einer klaren Trennung von den Kriegsgrünen in Deutschland kam die Partei nicht nach. Wir zogen daraus unsere Konsequenzen und 36 Mitglieder der Grünen in Oberösterreich verließen die Partei.

Doch die Geschichte geht weiter: Auch bei der letzten Bundestagswahl warben die deutschen Grünen mit der Absicht, deutsche Rüstungsexporte zu unterbinden. Heute ist unter der Ampelregierung Deutschland einer der Hauptlieferanten von Rüstungsgütern sowohl in die Ukraine als auch nach Israel. Im Jahr 2022 lagen die deutschen Waffenlieferungen an Israel gleichauf mit denen der USA.

Was ist der Grund für diese widersprüchliche Politik? Viele sind versucht die Erklärung einzig in der minderen charakterlichen Festigkeit des handelnden grünen Personals zu suchen. Mag sein. Aber ich denke, dass die Gründe tiefer reichen. Sie reichen zurück bis in die 1968er Bewegung. Wir haben diese und andere Bewegungen als „antiautoritäre“ Bewegungen charakterisiert, oft unter dem Begriff „Neue Soziale Bewegungen“ zusammengefasst. Die Grünen und ihre Partei sind eine Spätfolge dieser Bewegungen. Die langsame Etablierung dieser politischen Strömung, ihr „Marsch durch die Institutionen“ bis zu den Schalthebeln der Macht fiel genau in jene Epoche, in der auch die „neoliberale Konterrevolution“ durchgesetzt wurde. Die richtige Kritik an überkommenen autoritären Strukturen wurde von den Eliten geschickt genutzt, um daraus einen politischen Hebel gegen soziale und wirtschaftliche Regulierungen im Dienste der Arbeitenden zu machen.

Und so wurden aus den ursprünglich EU-kritischen Grünen, jene Partei, die am Entschiedensten alle Hemmnisse für ein Europa der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb bekämpfte.

Es blieb aber nicht bloß beim Angriff auf soziale und wirtschaftliche Regulierungen, auf öffentliches, kommunales, genossenschaftliches Eigentum. Die Idee der nationalen Souveränität schlechthin wurde als gestrig gebrandmarkt und desavouiert.

Auch die internationale Friedensordnung mit dem Gewaltverbot der Vereinten Nationen wurde als veraltet verpönt. Jetzt gelte es Verantwortung für Menschenrechte zu übernehmen. Und das heißt Kriegseinsätze rund um den Globus. Und so wurden aus den ursprünglich pazifistischen Grünen eine bellizistische Partei. Menschenrechte sind dabei nur ein Vorwand. Am Ende geht es immer um den offenen Zugang zu Märkten und Rohstoffen, wie in den sicherheitsstrategischen Papieren der EU zig mal betont wird.

Doch wir wollen das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Nach wie vor gibt es innerhalb der grünen Bewegung Menschen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, und die als Verbündete in unserem Kampf für ein freies, neutrales, solidarisches und weltoffenes Österreich gewonnen werden können.