Nicht nur die NATO drängt nach Osten, auch die Europäische Union. Wer die geopolitischen Ambitionen der EU verstehen will, wird beim Geostrategen James Rogers fündig – bereits vor zehn Jahren. James Rogers war damals geostrategischer Berater des Europäischen Rates, Mitarbeiter des EU-Instituts für Sicherheitsstudien und Direktor der „Group on a Grand Strategy“, einer Vernetzung von Repräsentanten mächtiger, regierungsnaher Denkfabriken. Sein Credo: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden.“ (1).

„Grand Area“
Der Schlüssel für diese EU-Supermacht ist die politische, wirtschaftliche und militärische Kontrolle über eine „Grand Area“. Das heißt – so Rogers – „uneingeschränkter Zugang zu einer weiten, angrenzenden Zone, die die östliche Nachbarschaft und das westliche Russland, den Kaukasus und große Teile Zentralafrikas, die arktische Region, die nördliche Hälfte von Afrika, den gesamten Nahen und Mittleren Osten, genauso den Indischen Ozean und Südost-Asien umfasst. Diese ‚Grand Area’ beinhaltet die meisten Rohstoffe, die von der europäischen Wirtschaft benötigt werden; alle zentralen Schifffahrtsrouten von Asien, Australien, Afrika und den Nahen und Mittleren Osten; alle Energiepipelines – gegenwärtige und zukünftige – von Russland, Zentralasien und Nordafrika…“. (2)
Rogers veranschaulicht mittels Grafik (sh. oben) die Dimensionen des angepeilten Imperiums. Dieser Raum müsse mit einem dichten Netz aus EU-Militärbasen überzogen werden, um „Geografie und Politik miteinander zu verknüpfen [und] um die Macht und die Einflusssphäre des heimischen Territoriums zu maximieren.“

„Das Fürchten lehren“
Ziel dieser Militärpräsenz sei es, „erstens, ausländische Mächte davon abzuhalten, sich in Länder in der größeren europäischen Nachbarschaft einzumischen; und zweitens Halsstarrigkeit und Fehlverhalten auf Seiten der lokalen Machthaber vorzubeugen.“ (2) Neue europäische Militäranlagen könnten „im Kaukasus und Zentralasien, der arktischen Region und entlang der Küstenlinie des indischen Ozeans benötigt werden.“ Und natürlich in Afrika, um „ein System der Vorwärtspräsenz für Interventionen auf dem afrikanischen Kontinent bereitzustellen“ (3). Diese Außenexpansion diene dazu, „ausländischen Regierungen das Fürchten zu lehren und sie gegenüber europäischen Präferenzen aufgeschlossener zu machen.“ (2)

„Direkte militärische Konfrontation“
Diese geostrategischen Planspiele sind in einer Zeit besonders brisant, in der die EU dabei ist, die Ukraine in die „Grand Area“ einzugemeinden. James Rogers lieferte als Vorlage für den EU-Gipfel im Mai 2013 das EU-Strategiepapier „Enabling the Future“, in dem die Ukraine bereits als ein Gebiet bezeichnet wurde, in das man die eigenen „Streitkräfte zeitweilig projizieren bzw. dauerhaft auszudehnen“ müsse (4). Es dauerte dann kein Jahr mehr, bis im Februar 2014 gewaltsam der prowestliche „Regime-Change“ in Kiew gelang.
Doch schauen wir genau auf die Graphik: Die Grafik des Geostrategen zeigt an, dass das Territorium, in dem die EU „uneingeschränkten Zugang“ haben müsse, bis hinter den Ural reicht. Die EU-Geostrategen haben also nicht vor, in der Ukraine stehen zu bleiben. In einem Strategiedokument des EU-Instituts für Sicherheitsstudien wurde bereits 2009 ungeniert ein neuer Ostfeldzug angedacht. Dort heißt es: Russland sei möglicherweise einer jener „der Globalisierung entfremdeten Staaten, … die es - wenn möglich - umzudrehen gilt“ oder denen ansonsten mit „direkter militärischer Konfrontation“ zu Leibe zu rücken sei (4).

(März 2022)

Anmerkungen:
(1) James Rogers/Simón Luis, The new ‘long telegram’, Group on a Grand Strategy, Nr. 1, 2011
(2) James Rogers, A new Geography of European Power?, Egmont Paper Nr. 42, 2011
(3) James Rogers, Papier für das EU-Parlament, 19.2.2009
(4) EU-ISS, Enabling the Future – European Military Capabilities 2013 – 2025, Mai 2013
(5) EU-ISS, What Ambitions for European Security in 2020, Paris 2009; Seite 69