ImageAm Samstag, 27. Dezember hat Israel den Gaza-Streifen mit Luftschlägen angegriffen. Die bisherige Bilanz: 300 Tote und über 900 Verletzte. Die israelische Regierung begründet dieses Blutbad mit dem andauernden Beschuss südisraelischer Städte durch Kassam-Raketen. Sieht man sich die Entwicklung der Opferzahlen auf beiden Seiten an, so erweist sich die israelische Behauptung, es handle sich um einen „notwendigen Gegenschlag“ bzw. „legitime Selbstverteidigung“ als unhaltbar. Aufruf für eine sortiges Ende der Gewalt und für die Solidarität mit jenen Kräften auf beiden Seiten, die sich für eine friedliche Konfliktlösung und für die Überwindung des Kolonialeinflusses der westlichen Großmächte im Nahen Osten einsetzen.



Am Samstag, 27. Dezember hat Israel den Gaza-Streifen mit Luftschlägen angegriffen. Die bisherige Bilanz: 300 Tote und über 900 Verletzte. Die israelische Regierung begründet dieses Blutbad mit dem andauernden Beschuss südisraelischer Städte durch Kassam-Raketen. Sieht man sich die Entwicklung der Opferzahlen auf beiden Seiten an, so erweist sich die israelische Behauptung, es handle sich um einen „notwendigen Gegenschlag“ bzw. „legitime Selbstverteidigung“ als unhaltbar. Die Israelische Menschenrechtsorganisation B`tselem („Israelisches Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzen Gebieten“) hat auf ihrer Web-Page (http://www.btselem.org/) die Getöteten auf beiden Seiten des Israelisch-Palästinensischen Konflikts seit Anfang 2000 penibel aufgelistet (Name, Ort und Ursache des Todes). Diese sprechen eine ganz andere Sprache, als wir sie aus den Medien erfahren. Seit dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Gaza-Streifen (Ende 2005 bis November 2008) sind 1.226 Palästinenser (darunter 227 Minderjährige) in Gaza durch israelische Militäraktionen getötet worden, durch den Beschuss von Kassam-Raketen sind in diesen drei Jahren 6 israelische Zivilisten getötet worden, bei Kampfhandlungen starben 11 israelische Soldaten. Allein im Jahr 2008 (bis Ende November) wurden 404 Palästinenser (darunter 75 Minderjährige) von Israelischen Streitkräften getötet, 2 Israelis starben durch Kassam-Beschuss, 3 israelische Soldaten bei Kampfhandlungen. Allein der israelische Luftangriff am 27. Dezember 2008 hat 50 Mal so vielen Menschen das Leben gekostet wie der Kassam-Attacken in den letzten drei Jahren.  

Strukturelle Gewalt. Nicht mitgezählt sind die vielen Opfer der strukturellen Gewalt, die durch die Blockade des Gaza-Streifens verursacht worden sind. Sogar schwerkranke Personen, die nur außerhalb des Landes lebensnotwendige Medikamente bekommen können, werden immer wieder an der Ausreise gehindert. Die israelischen „Ärzte für Menschenrechte“ haben alleine 225 Todesfälle von Gaza-BewohnerInnen dokumentiert, die sterben mussten, weil ihnen aufgrund der Blockade eine rechtzeitige medizinischer Behandlung verwehrt wurde. Rund 80% der 1,5 Millionen BewohnerInnen des Gaza-Streifens leben in bitterster Armut und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen, Hunger und Unterernährung breiten sich auf Grund der Blockade aus. Anfang des Monats wurde ein libysches Frachtschiff, das mit 3000 Tonnen Milchpulver, Lebensmitteln, Medikamenten und Decken für die notleidende Bevölkerung beladen war, von der israelischen Marine zur Umkehr gezwungen.

Teufelskreis der Gewalt. Es geht nicht um die Aufrechnung von Toten, denn jeder Toter ist ein Toter zu viel, und auch die bittere Not und die wiederkehrenden Massaker der israelischen Armee rechtfertigen umgekehrt die Raketenangriffe der Hamas auf Israel nicht. Der Terror gegen die Zivilbevölkerung ist immer zu verurteilen. Aber angesichts des Vielfachen der palästinensischen Opfer - alleine in den ersten elf Monaten dieses Jahres 200 Mal mehr durch die israelische Armee als durch Kassams Getötete - von „notwendigen Gegenschlägen“ und „legitimer Selbstverteidigung“ Israels zu reden, ist ein Hohn. Und politisch genauso perspektivlos wie die Abfeuerung von Kassam-Raketen. Denn durch diese Militärschläge werden Israel und seine Menschen nicht sicherer, es wird nur der Teufelskreis der Gewalt weiter angefacht und eine friedliche Lösung verunmöglicht. Scharfmacher mögen genau darin den Sinn dieser Aktionen sehen, aber für die breite Mehrheit der Bevölkerung bedeutet es die fortwährende soziale und physische Bedrohung der eigenen Existenz.

Teile und herrsche. Auch die Großmächte USA und EU haben offensichtlich kein Interesse an einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts. Sie pumpen die Region mit Waffen voll. Beliefert werden sowohl Israel als auch reaktionäre arabische Regime wie Saudi-Arabien, die die Hamas unterstützen. Nach dem Motto der alten Kolonialmächte wird auf ein „Teile und Herrsche“ gesetzt, um in dieser geostrategisch und ökonomisch so wichtigen Region nicht die Kontrolle zu verlieren. Dabei hat die EU mittlerweile mächtig gegenüber den USA „aufgeholt“. Die vier größten EU-Rüstungsexportnationen Frankreich, BRD, Großbritannien und Italien haben zwischen 2002 und 2005 85% ihrer Rüstungsexporte in den Nahen Osten geliefert – und dabei sogar die USA überflügelt (1). Gerade die jetzige Eskalation der Gewalt könnte jenen gelegen kommen, die sich wiederholt für die Entsendung von EU-Truppen in diese Krisenregion ausgesprochen haben. Gewinner dieser Strategie sind daher in erster Linie die westlichen Großmächte und die Rüstungsindustrie, VerliererInnen dagegen sind die Bevölkerungen - auf beiden Seiten.

Neutrales Österreich könnte wichtigen Beitrag leisten. Als Werkstatt Frieden & Solidarität waren und sind wir solidarisch mit jenen Kräften auf beiden Seiten, die sich für friedliche Konfliktlösungen und Aussöhnung stark machen. Das geht jedoch nur auf einer politischen Plattform, die dafür eintritt, dass sich Israel/Palästina aus der Abhängigkeit von westlichen (oder anderen) Großmächten löst, dass die Reichtümer gerechter verteilt und alle Menschen unabhängig von Kultur und Religion gleiche Rechte haben. Denn die Anstachelung des religiösen und ethnischen Hasses ist bloß die Kehrseite der Kolonialstrategie des „Teile und Herrsche“. Gerade in diesen tragischen Tagen stimmt es uns auch ein wenig optimistisch, dass im Jahr 2008 wieder vermehrt Dialoge von fortschrittlichen Israelis und Palästinensern stattgefunden haben, die sich für einen gemeinsamen demokratischen Staat der Juden und Araber engagieren. Vielleicht dient die Eskalation der Gewalt auch dazu, das Erstarken diese demokratischen Kräfte zu bekämpfen.Aufruf der Werkstatt Frieden & Solidarität zur aktuellen Gewalteskalation im Gaza-Streifen.

Wie auch immer eine mögliche Konfliktlösung aussieht, der erste Schritt muss es jetzt sein alles zu tun, diese Gewalteskalation zu beenden. Die Werkstatt Frieden & Solidarität fordert daher

  • die israelische Regierung auf, die militärischen Angriffe auf den Gaza-Streifen zu stoppen und wir fordern die politisch Verantwortlichen im Gaza-Streifen auf, die weitere Beschießung Israels durch Kassam-Raketen zu beenden.
  • das sofortige Ende der Blockade des Gaza-Streifens und Verhandlungen mit jenen politischen Kräften, die von den PalästinenserInnen gewählt wurden
  • den Rückzug Israels aus dem Westjordanland.
  • die EU-Staaten auf, sofort alle Waffenlieferungen in die Nahost-Region einzustellen.
  • die österreichische Regierung auf, eine eigenständigen Außenpolitik für eine friedliche Konfliktlösung zu entwickeln, statt weiterhin als Verlautbarungsorgan der Brüsseler und Berliner Machtpolitik zu agieren. Gerade ein kleines, neutrales Land könnte in einem solchen Konflikt eine wichtige Rolle als Brückenbauer einnehmen. Das hat Kreisky in den 70er Jahren bewiesen. Dafür ist es unerlässlich, aus den Gremien und Streitkräften der EU-Militärpolitik auszutreten (Rüstungsagentur, Battle-Groups, etc.)
  • humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung des Gaza-Streifens zu leisten
  • aus dem ÖIAG-Aufsichtsrat bzw. den Aufsichtsräten staatsnaher Unternehmen müssen die VertreterInnen jener Rüstungskonzerne, die mit ihren Waffenlieferungen in den Nah-Ost-Raum die Eskalation der Gewalt mitzuverantworten haben (Siemens, Daimler, Thyssen-Krupp) sofort abberufen werden.


Anmerkungen:
(1) CRS-Report for Congress, Conventional Arms Transfer to Developing Countries, 1998 - 2005

Siehe dazu auch: "Stoppt Krieg und Massaker in Gaza" von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen: http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1865

Web-Page der israelischen Friedensbewegung Gush Shalom http://www.gush-shalom.org/