Es ist Zeit die Wahrheit zu sagen: An den Händen der Mitglieder der österreichischen Bundesregierung klebt Blut. Doch es sind nicht nur die Mitglieder der Bundesregierung, die schwere Schuld auf sich geladen haben. Die gesamte parlamentarische Opposition schweigt zu den Verbrechen in Palästina, für die die österreichische Bundesregierung versucht, die Mauer zu machen. Das gesamte politische Establishment einschließlich des medialen Apparats legitimiert den tausendfachen Mord, der in diesen Tagen in Palästina ausgeführt wird.
Von Raimund Boris Lechthaler-Zuljevic
Humanitäre „Phantastereien über einen Waffenstillstand“ (c. Karl Nehammer, Bundeskanzler der Republik Österreich)
Der österreichische Bundeskanzler, Karl Nehammer, hat die Forderung nach einem humanitären Waffenstillstand als „Phantasterei“ bezeichnet. In der martialischen Pose des „Warrior on Terror“ befürwortet er den rücksichtslosen Krieg gegen die Menschen arabischer Herkunft in Palästina. Mit 120 Stimmen wurde in der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution für eine humanitäre Waffenpause und die Einrichtung von Korridoren für Hilfslieferungen an die Zivilbevölkerung verabschiedet. Österreich hat gemeinsam mit dreizehn anderen Staaten dagegen gestimmt. Nur drei andere EU-Mitgliedsstaaten, Tschechien, Ungarn und Kroatien, haben sich ebenso verhalten. Das ist der absolute Tiefpunkt in der Außenpolitik Österreichs der letzten Jahrzehnte.
In den Minuten, in denen ich hier an sicherem Ort, diese Zeilen verfasse, sterben Menschen, werden verletzt, werden verstümmelt. Palästinensische Mütter und Väter versuchen die zerfetzten Leichen ihrer Kinder zu identifizieren. Vor unseren Augen und Orten findet eine humanitäre Tragödie epischen Ausmaßes statt. Die israelische Regierung ruft die Menschen in Gaza auf, sich in Sicherheit zu bringen. Am nächsten Tag, werden die Häuser, in die sie flüchten, zerbombt. Es fehlt an allem, Wasser, Nahrung, Medikamente, Kommunikation, Treibstoff. Das offizielle Österreich schweigt dazu.
Krieg gegen die Hamas?
Es sei ein Krieg gegen die Hamas. Die Hamas müsse vernichtet werden. Die Hamas sei eine islamistische Terrororganisation. In einem solchen Krieg sei jegliches Mittel legitim. Dazu gilt es zu sagen: Der Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 wurde nicht allein von Hamas Kämpfern durchgeführt. Daran waren auch andere palästinensische Organisationen beteiligt, auch laizistische. Das Ziel des Angriffs am 7. Oktober 2023 auf Israel war Terror, die Verbreitung von Angst und Schrecken unter der israelischen Zivilbevölkerung. Dabei wurden abscheuliche Verbrechen verübt, Verbrechen, die wir von ganzem Herzen und bei vollem Verstand verurteilen müssen. Eine derartige Verurteilung macht jedoch kein Opfer wieder lebendig und noch weniger sorgt sie dafür, sie in alle Zukunft zu verhindern. Für die Hamas und andere palästinensische Organisationen war und ist Terror offenkundig ein kalkuliertes Instrument, um sichtbar zu machen, dass nicht nur die palästinensischen Entitäten in Palästina, die Menschen arabischer Herkunft in dieser Region, verletzlich sind und verletzlich bleiben, sondern auch die Gesellschaft der Besatzungsmacht. Terror ist kein Alleinstellungsmerkmal der Hamas. Terror ist nach wie vor ein gängiges Instrument in der politischen Auseinandersetzung. Wir erinnern uns an das „shock and awe“ der USA beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak. Wir erinnern uns an die Bombardierung des Fernsehturms in Belgrad durch die Nato im April 1999, wir erinnern uns an den Beifall für den Lynchmord an Muammar al Ghadaffi 2011. („We came, we saw, he died“ H. Clinton) Wir erinnern an die von Isreal zuerst entwickelte Praxis des „targeted killing“, die über die Jahrzehnte immer absurdere Ausmaße angenommen hat.
Eine Verurteilung des Terrors, die zur Realität der Besatzung nicht Stellung nimmt, wird deshalb zur hohlen Phrase. Auch gegenüber den jüdischen Opfern. Die Strategie des Terrors muss entschieden kritisiert werden. Diese Kritik kann aber nur dann glaubwürdig sein, wenn sie mit einer mutigen Parteinahme für politische und gewaltfreie Methoden zur Überwindung des Apartheidregimes in Palästina verbunden ist. Von österreichischer Seite erleben wir jedoch in den letzten Jahren das genaue Gegenteil. So wurde die Kampagne der von der palästinensischen Zivilgesellschaft ausgehenden internationalen Kampagne „Boycott, Divestment, Sanctions“ in Österreich als antisemitisch denunziert und mit dem Nazislogan „Kauf nicht bei Juden!“ gleichgesetzt. Immer wieder hören wir: Kritik an der Politik Israels sei legitim, sie dürfe jedoch nicht in Antisemitismus münden. D’accord! Wo bleibt aber die Kritik? Jene, die diese Position richtigerweise einfordern, verstummen regelmäßig, wenn es darum geht, die notwendige Kritik auszusprechen. Es wird versucht, prominente jüdische Holocaustüberlebende, die die Besatzungspolitik kritisieren, mundtot zu machen. Ihnen wird die Stimme in öffentlichen Einrichtungen verwehrt. In Linz wird Sumaya Farhat-Naser, einer palästinensischen Christin und Friedenskämpferin, der Auftritt im Rathaus verwehrt. Bedenken wir, auch jemanden mundtot zu machen, ist bereits ein Akt der Gewalt.
Was derzeit in Palästina stattfindet, ist kein Krieg gegen die Hamas. Es ist ein Krieg gegen die Menschen. Die Ausrottung der Hamas, der sich auch die österreichische Bundesregierung verpflichtet hat, kann nicht durchgeführt werden ohne Ausrottung oder Vertreibung der arabischstämmigen Bevölkerung in Palästina. Und genau das findet vor unseren Augen mit Zustimmung des offiziellen Österreich statt. Unter den gegebenen Umständen wird die Hamas oder andere militanten palästinensische Gruppen, sollten sie tatsächlich im Gazastreifen vernichtet werden, im Westjordanland oder in Israel selbst wiedererstehen. Sollten sie auch dort physisch vernichtet werden, werden sie sich in jenen Ländern wieder formieren, in die die autochthone Bevölkerung Palästinas vertrieben wird. Das ist nicht neu. Das ist die Geschichte der letzten Jahrzehnte, die jeder vernunftbegabte Mensch kennen sollte. Sicherheit ist unteilbar. Sicherheit für die Menschen jüdischer Herkunft in Palästina wird es nur geben, wenn auch die Menschen arabischer Herkunft in Sicherheit leben können.
Die besondere Verantwortung Österreichs
Begründet wird die kritiklose Parteinahme für Israel und seine Besatzungspolitik mit der besonderen Verantwortung Österreichs, die es aufgrund seiner Verstrickung in die nationalsozialistischen Verbrechen an den Jüdinnen und Juden habe. Am jüngsten Nationalfeiertag äußerte Bundespräsident Alexander van der Bellen, die Parteinahme für Israel sei deshalb wichtig, weil es die einzige sichere Heimstatt für jüdische Menschen sei, wenn „bei uns wieder einmal alles schief geht“. Man/frau braucht einige Minuten des Innehaltens, um sich die Ungeheuerlichkeit der Aussage zu vergegenwärtigen. Mit der Kurzatmigkeit, mit der wir derzeit verurteilen und uns distanzieren müssen, bleibt anscheinend keine Zeit für dieses Innehalten. Der Bundespräsident meint nichts anderes, als dass wir hier in Österreich rund 80 Jahre nach dem europäischen Holocaust, für Leib und Leben unserer jüdischen Mitmenschen nicht auf alle Zeit garantieren können. Sicher seien sie nur in Israel, auf einem Territorium, das der autochthonen arabischen Bevölkerung geraubt wurde. Das zionistische Projekt reicht zeitlich weit hinter den Holocaust zurück. Es wurzelt im europäischen Rassismus und Kolonialismus des späten neunzehnten Jahrhunderts. Die Losung „ein Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land“ war von Anfang an eine rassistisch-kolonialistische Konstruktion. Das Land ohne Volk gab es nie. Es ließe sich erst mit der Ausrottung der dort seit Jahrhunderten lebenden Menschen realisieren. Es ist eine uralte Herrschaftstechnik: Wenn du deine Herrschaft auf Dauer stabilisieren willst, dann mache die Unterdrückten selbst zu Tätern. Die Überwindung des tief sitzenden Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft können sich offenkundig manche nur vorstellen, wenn wir mit dem Staat Israel in Täterschaft vereint sind. Hinter dem zur Schau gestellten Philosemitismus mancher Repräsentant*innen versteckt sich vielfach nichts anderes als auf andere Menschengruppen gewendeter Antisemitismus. Jegliche vernünftige Diskussion des historischen Zusammenhangs von Antisemitismus mit Herrschaft und Ausbeutung wird als Infragestellung der Einzigartigkeit des Holocaust gebrandmarkt. Es scheint, als sei der Holocaust völlig voraussetzungslos in die Welt gekommen.
Wie steht es mit den Anstrengungen zur Überwindung des Antisemitismus in Österreich? Die deutschnationale, rechtsextreme FPÖ sitzt in drei Landesregierungen. Das sind Leute, die fast durchgängig aus Burschenschaften kommen, die in ihren Statuten noch das Abstammungsprinzip verankert haben und jüdische Menschen systematisch ausschließen. Der nö. Landeshauptfraustellvertreter, Udo Landbauer, kommt aus einem Verein, indem die Vernichtung der siebten Million jüdischer Menschen besungen wurde. Die Zusammenarbeit von ÖVP und Grünen in der Bundesregierung hat das nicht gestört. Doch es sind nicht nur die Deutschnationalen in der FPÖ, die voraussichtlich in der nächsten Bundesregierung sitzen werden, die hier genannt werden müssen. Die palästinensische Christin und Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser wurde für ihren Vortrag vom Pressesaal im Alten Rathaus in Linz ausgeladen. Aus „Rücksicht“ auf Farhat-Naser. Der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt Linz hat jüngst, Ulrich Püschel, einen bekennenden Rechtsextremen und rechtsidentitären Aktivisten zum städtischen Direktor für Gesundheit und Sport befördert. Regelmäßig werden städtische Einrichtungen den türkischen Grauen Wölfen zur Verfügung gestellt. Auf allen Ebenen sind wir mit politischen Repräsentanten konfrontiert, die ihre antisemitische Gesinnung dann entdecken, wenn es darum geht, den Palästinenser*innen ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung abzusprechen, in Österreich selbst aber zu jeder opportunistischen Zusammenarbeit mit bekennenden Antisemit*innen bereit sind.
Es wird versucht die Friedens- und Solidaritätsbewegung für Palästina zu kriminalisieren. Die jüngste Chuzpe dabei: Die Losung „From the river to the sea, Palestine will be free!“ sei kriminell. Sie sei ein Aufruf, Israel zu vernichten. Übergangen wird dabei, Israel herrscht tatsächlich „from the river to the sea“. Mit einer derartigen Rechtspraxis könnte die Unterdrückung jeglicher Freiheitsbewegung auf der ganzen Welt legitimiert werden. Die Losung ist Teil der palästinensischen Nationalcharta. Mit ihr verbinden hunderttausende Menschen ihr Recht auf Rückkehr in ihr Heimatland. Wer diese Losung verteidigt, will nicht die „Juden ins Meer treiben“, sondern kämpft für ein Palästina, in dem alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft in Freiheit leben können. Diese politische Vision kann nicht verboten werden.
Kriegsermächtigung und EU-Integration
Mit der Ratifikation des Amsterdamer Vertrages der EU 1998 wurde auch ein Kriegsermächtigungsartikel in die österreichische Bundesverfassung integriert. Gemäß Artikel 23 j BVG, vormals 23f, sind Bundeskanzler und Außenminister ermächtigt im EU-Rat, Kriegseinsätzen unter österreichischer Beteiligung zuzustimmen. Vor dem Hintergrund der heutigen Selbstinszenierung Nehammers und Schallenbergs als Warrior on Terror, zeigt sich, wie gefährlich diese Entscheidung war. Die gesamte mit der EU-Integration verbundene Erzählung, Österreich würde damit seine provinzielle Beschaulichkeit überwinden und sich gegenüber der Welt öffnen, entpuppt sich als Märchen. Österreich ist dabei, sich von der internationalen Staatengemeinschaft zu isolieren und seine über Jahrzehnte aufgebaute internationale Stellung zu verlieren. Entgegen der großen Mehrheit der Staatengemeinschaft üben wir uns in Kumpanei mit Kriegsverbrechern.
Aufstand der Zivilgesellschaft
Dem Bundeskanzler ist derzeit die Sicherheit von Fahnen wichtiger als der Leib und das Leben von Menschen. Es heißt, jedes Volk habe die Regierung, die es sich verdiene. Haben wir uns eine Regierung verdient, die in den Vereinten Nationen gegen eine humanitäre Waffenruhe votiert? Man mag den Österreicher*innen einiges vorwerfen, diesen opportunistischen Dreck haben wir uns jedoch dennoch nicht verdient. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, wir können ihn nicht abwählen. Nach jeder Wahl würden wir den selben Dreck in anderer Konstellation bekommen. Wir brauchen eine Anstrengung aller Menschen mit Anstand und Mitgefühl. Wir brauchen einen Aufstand der Zivilgesellschaft. Wir brauchen Initiativen für den Frieden und der Solidarität mit den Notleidenden. Wir müssen uns dafür in Komitees und Vereinen organisieren. Wir müssen dafür auf die Straße gehen.
Das offizielle Österreich hat seinen durch Verbotsgesetz und Staatsvertrag verankerten antifaschistischen Verfassungsauftrag jahrzehntelang sabotiert. Antikommunismus war über Jahre wichtiger als die Aufarbeitung der Verbrechen, in die tausende Österreicher*innen involviert waren. Politische Verbindungen, die im Nationalsozialismus wurzeln, wurden nicht verboten, sondern sie wurden und werden umhätschelt. In den letzten Jahren stimmt Österreich in der Generalversammlung der Vereinten Nationen regelmäßig gegen antifaschistische Resolutionen, wenn sie von der Russischen Föderation eingebracht werden. Es bedurfte des unablässigen Engagements der zivilgesellschaftlichen antifaschistischen Bewegung, um diese Tatsachen ins grelle Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Diese Bewegung ist noch lange nicht am Ziel. Tagtäglich werden ihre Bemühungen vom politischen Establishment konterkariert. Die antifaschistische Bewegung darf auch nicht zu den Verbrechen schweigen, in die uns die derzeitige Politik des Establishments im Zusammenhang mit dem Krieg in Palästina verstrickt.
(November 2023)
Hinweis:
Solidarwerkstatt-Dossier zum Krieg in Palästina
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