Friedensradtour durch KasachstanDr. Michael Schober, Notarzt am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz, berichtet von der IPPNW-Friedensradtour, die ihn und andere Mitglieder der Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) von 10. bis 29. August 2014 durch Kasachstan führte, um auf die Gefahr hinzuweisen, die von Atomwaffen ausgeht.

 

 

Image1991 wurde in Semipalatinsk – dem heutigen Semey im Osten Kasachstans – das Testgelände für sowjetische Atombomben geschlossen, nachdem 456 Atombomben  im  „Polygon“ detonierten…

Semey war also der Start unserer Friedensradtour – diese sollte uns über Pavlodar in die neue Hauptstadt Astana führen. Nach einer angenehmen Reise mit dem Nachtzug nach Semey wurden wir dort herzlich begrüßt! Aus 18 Radlern aus 8 Ländern und von 4 Kontinenten bestand unser Team: Unsere tollen Organisatoren Gerli (Estland), Arashdeep (Indien), Michelle (USA) und Karima (Kasachstan) planten für uns über 1 Jahr die ca. 800 km lange Tour. Mit dabei waren noch Alisher, Synbad, Raffael, Ruslan und Alibek aus dem Gastgeberland, Kami  (USA), Bimal (Nepal), Antonia, Roman, Judith, Aino und Jonathan (Deutschland), Clement (Kenia) und ich.

Die ersten vier Tage waren wir in Semey und besuchten neben vielen Presseterminen, Museen und der Universität, das Testgelände „Polygon“ etwa 150 km außerhalb von Semey. Igor Vasilyevich Kurchatov leitete das Atombombenprogramm der Sowjetunion dort über Jahrzehnt, die erste Atombombe wurde 1949 auf diesem Gelände getestet. Mit geschlossenen Schuhen und Atemmasken konnten wir genau an jener Stelle stehen - der Geigerzähler zeigt über 20 µSv/h in etwa 20 m Entfernung zum Epizentrum an.

 

200.000 Geschädigte durch Atomtests

ImageIn Gesprächen mit den Leuten in den umliegenden Dörfern, aus den Resultaten der wissenschaftlich aufgearbeiteten Daten und den Berichten von selbst Betroffenen und behandelnden Ärzten erfuhren wir im Laufe der Radtour und des Kongresses Details der Auswirkungen der Atomtests: Tausende Dorfbewohner und Arbeiter wurden Opfer der Strahlenkrankheit. Man wusste auch damals nicht, woher diese kam – die Tests waren streng geheim und die Erschütterungen und die Wolken seien durch Erdbeben verursacht, hieß es.

In weiterer Folge gab es viele Fälle von Leukämien und anderen Krebsarten, Fehlbildungen sowie erhöhte Raten von kardiovaskulären, endokrinen und psychischen Erkrankungen. Die Bewohner der Gegend berichten noch immer von gehäuften Fehlbildungsraten bei Geburten in zweiter und dritter Generation und dass niemand Personen aus dieser Region heiraten wolle. Soziale Hilfe ist sehr begrenzt und medizinische Hilfe kaum möglich. Ein eindrucksvolles Referat hielt ein Künstler beim Kongress, der ohne Arme geboren wurde und sich mit seinen Bildern und Aktionen für die Opfer der Strahlung einsetzt.

Diese persönlichen Geschichten werden von wissenschaftlichen Arbeiten beleget, die am Kongress präsentiert wurden: Es gibt signifikant erhöhte Inzidenzen der oben genannten Krankheiten in der Bevölkerung in der Umgebung des Testgeländes – mit einer Odds Ratio im Vergleich zur Kontrollgruppe von 2,0-2,5 (d.h.: Die Chance, von einer der Krankheiten betroffen zu sein, ist für die Testgruppe um 2 -2,5 mal höher, als die der Kontrollgruppe). In Blutproben wurden Genmutationen zytogenetisch und  mit FISH Technik untersucht: Die Odds Ratio von genetischen Mutationen im Vergleich zur Kontrollgruppe betrug  2,3 in 1. Generation, von 2,2 in der 2. Generation und noch immer 1,4 in der 3. Generation (welche bereits weit nach Ende der Tests 1991 geboren wurde). Dazu kommen noch die Umweltschäden, die das ganze riesige Gebiet um das Testgelände betreffen. Insgesamt vermutet man, dass ca. 200 000 Menschen direkt in irgendeiner Form durch die Tests geschädigt wurden. Die heute verfügbaren Atombomben hätten noch eine weitaus größere Sprengkraft und Strahlung!

 

Viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft

ImageZurück zu unserer Radtour: Am 14. August ging es schließlich nach der Verabschiedungszeremonie in Semey auf die Räder und quer durch die endlose Kasachische Steppe. Mit Polizeieskorte und Rettungsbegleitung sowie mit Kamera und Fotografenteams radelten wir 2 Wochen über 400 km. (der Rest wurde mit dem Bus zurückgelegt). Da wir oft im nationalen Fernsehen und in vielen Zeitungen zu sehen waren, blieben viele Passanten stehen, winkten und feuerten uns an. Die schönsten Erinnerungen sind unser Zusammenhalt in der Gruppe, die vielen lustigen und aufregenden Tage und natürliche das herzliche Willkommen in den Dörfern, wo wir zu Mittag eingeladen waren und übernachteten.

Ich hab kaum zuvor so viel Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und aufrichtiges Interesse erlebt wie hier. Alle Register wurden gezogen: Reichlichste Kost, Aufführungen traditioneller Tänze und Gesänge, Gastgeschenke und viele Fotos und Geschichten überall… Und wir konnten mit unserer Botschaft „Atomare Abrüstung für mehr Sicherheit“ und „Frieden durch Zusammenhalt und Solidarität“ viele Leute erreichen! Radfahren auf Kasachisch ist nicht idyllisches Zelten, Freiheit und Ruhe, sondern Foto- und Pressetermine (einerseits hörten viele unsere Botschaft, andererseits wurden wir sicher auch zu Propaganderzwecken des Präsidenten gebraucht), Feste, Gespräche und Polizeieskorte, die uns kaum von der Seite wich. So waren wir auch überglücklich und ein bisschen stolz, als wir am 24. August in Astana ankamen, wo ein ganzes Spitalsteam plus 4 Kamerateams auf uns warteten…

 

ImageEin großes Abenteuer ging für mich zu Ende, aber ein weiteres wartete in den nächsten Tagen schon auf mich: Ich durfte meine Vorträge im Plenum und in Workshops über das Engagement der IPPNW Österreich im Arms Trade Treaty, mit unserer Posterausstellung „Kleine Waffen ziehen große Kreise“ und über unser Projekt in Sambia vor wirklich außerordentlichem Publikum halten. Neben Offiziellen aus Kasachstan, vielen Professoren der Unis hier und den erfahrenen und so bewundernswerten IPPNW „Urgesteinen“ war auch der österreichische Gesandte Dr. Ronald Sturm im Auditorium. Nach längeren Gesprächen mit Hr. Sturm in den Pausen und beim Abendprogramm freute es mich sehr, dass das Interesse von zivilgesellschaftlicher Seite und offizieller Seite an atomarer Abrüstung auch in Österreich groß ist. Das motiviert und trägt zum Fortschritt für unser gemeinsames Bestreben bei!

Zur Unterstützung der internationalen Bemühungen zur Eliminierung von Kernwaffen betont Österreich wie viele andere Staaten die verheerenden humanitären Auswirkungen dieser Waffen. Nach Oslo/Norwegen (2013) und Nayarit/Mexiko (Februar 2014) findet in Wien die dritte Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Kernwaffen statt (Hofburg, 8. & 9. Dezember), und davor die ICAN Veranstaltung für die NGOS.

 

„World is overarmed, peace is underfunded“

Denn Abrüstung heißt auch mehr Geld für Soziales, Bildung und Entwicklungszusammenarbeit – weiters mehr Diplomatie, Solidarität und Stabilität, was Grundsatz für Frieden, Wohlstand und Gesundheit weltweit ist. „The world is overarmed and peace is underfunded“ drückte es Hr. Ban Ki Moon bekanntlich aus.

Außerdem wurden am Kongress Studien über (mögliche) Auswirkungen von Atomwaffen präsentiert (Dr. Ira Helfand, Dr. Alan Robock, Dr. Alex Rosen):

• Die „Nuclear Chain“ schädigt heute die Gesundheit Vieler in Bereichen von „Uranium Mining“, „Enriching“, „Nuclear Energy“, „Nuclear Weapons Testing and Use“, „Nuclear Waste“, „Uranium Ammunition“. Es wurde der Zusammenhang von ziviler und militärischer Nutzung von Nuklearen Kettenreaktionen dargestellt.

•  „Nuclear Famine“: Modelle zeigen die katastrophale Auswirkung von vom akzidentiellen oder vorsätzlichen Gebrauch von Atomwaffen, mit Senkung der Temperatur weltweit durch Rauchentwicklung um mehrere Grad C. Damit Verbunden der Ausfall von Ernten und das Sterben von Millionen Menschen. (Derzeit gibt es weltweit noch über 5000 Atombomben, die jederzeit eingesetzt werden können – Zunehmende Konfliktsituationen, Terrorismus oder menschliche oder technische Fehler machen einen Einsatz dieser möglich!!)

•  Direkte Auswirkungen von heute verfügbaren Atombomben mit riesiger Zerstörungskraft als derzeit „greatest threat to human lives“.

•  Bekannterweise beinahe gezündete Atombomben aufgrund von Fehlern (technisch/menschlich) in den Jahren 1979-1995.

Auch unsere Kampagne gegen Gewalt durch konventionelle Waffen „Aiming for Prevention“ stand auf dem Plenum- und Workshopprogramm, mit neuen Aktionen, Studien und Projekten.

Dr. Chris Mikton von der WHO betonte wiederholt, dass Mediziner und Gesundheitsberufe durch die Behandlung der Opfer und das ihnen entgegengebrachte Vertrauen der Bevölkerung in allen Teilen der Welt, eine entscheidende Rolle in der Prävention von Krieg und Gewalt spielen.

Meine Zeit in Kasachstan gab mir viel neue Motivation für weiteres Engagement für Frieden und in der IPPNW! Und natürlich unglaublich schöne Erinnerungen und neue, innige Freundschaften. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen bei der ICAN Konferenz in Wien mit unseren Aktivisten aus allen verschiedenen Teilen der Welt – und vor allem aus Kasachstan.

Als Abschluss möchte ich noch einen Auszug meiner Rede vor dem Plenum vorstellen:
Image“For me, I have been engaged in violence prevention for two reasons which are also why I studied medicine, and why I work as a doctor 1) helping people to get healthy,  and 2) helping people to stay healthy.
In my country, fortunately, disease prevention and health care are well implemented. Unfortunately, doctors are often too focused on their careers and earning more and more money. Career attention is good, if it brings benefit to patients and community by offering good quality of medicine and treatment.
But, in my opinion, my colleagues in Austria and also myself, should stop sometimes in their work and reflect: Is what I am doing now, the same which I intended to do when I started studying? Is my communication with patients enriching and enables us to trust each other, or is it routine and just time consuming? Are the influences of materialistic society, the aim of increasing our own wealth, and the pressure of the medical and pharmaceutical industries misleading us in our goal to help people?
I asked myself, what could be my efforts in a peaceful, wealthy country to save lives somewhere else instead of increasing my own wealth?  These thoughts can lead to more satisfaction in our job and also to better treated patients. These thoughts can also lead to solidarity and understanding with people of different social, educational and ethnic backgrounds. They can lead to engagement for them, and also to engagement for peace and equality worldwide. This leads to extraordinary insights and mind broadening experiences for myself. Instead of working for a new Mercedes Benz, I could work for a smaller car, abicycle, some fair traded delicious bars of chocolate and for a better world. I think, reflection, modesty and engagement makes happy :)
Other reasons for my engagement include my experiences abroad. I worked and studied in Portugal, Brazil and Zambia and could see the impact of violence - especially of armed violence - on patients and health systems. I also had the chance to speak at the United Nations in New York and Vienna about public health impacts of the global arms trade at the Arms Trade Treaty negotiations.
And IPPNW Austria works with Amnesty international, the Versöhnungsbund and other NGOs, and have regular meetings with representatives at the Ministry of Foreign affairs in Vienna to lobby for peace. 
I also read a lot about development cooperation, of history of repression, wars and economic disasters. And also about possible solutions, which most of the time seem to be promising, but have often failed – at least in part.
There are just a few principles, which bring more wealth and health worldwide. One of these is peace. So let’s work and continue to work for peace at this congress and in the future!”

Michael Schober

21.11.2014


Hier einige Bilder der Friedensradtour vom Themenabend der Solidarwerkstatt Linz "Friedensradtour durch Kasachstan" vom 20. November 2014, mit Dr. Michael Schober.

Zur Gallerie: http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_ponygallery&Itemid=97&func=viewcategory&catid=27