Die FPÖ spielt sich derzeit wieder einmal besonders als „Schutzpatron“ der österreichischen Neutralität auf. Das ist ungefähr so richtig wie die NS-Propaganda in den 30er Jahren, die Adolf Hitler als „Friedenskanzler“ feierte.

Die FPÖ wurde als Sammelbecken ehemaliger NSDAP-Mitgliedern gegründet. Als Partei des deutschnationalen Rechtsextremismus war ihr von Anfang an das kleinstaatliche, neutrale Österreich verhasst. Die Vorgängerpartei der FPÖ, der VdU (Verband der Unabhängigen), stimmte als einzige Partei gegen Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz, die beiden Pfeiler der 2. Republik. Da der Anschluss an Deutschland durch Staatsvertrag und Verbotsgesetz unterbunden war, verlegten sich die FPÖ auf den Anschluss „durch die Hintertür“ – sprich über „Europa“. Die FPÖ forderte deshalb bereits 1962 den Anschluss an die EWG (Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft) und sprach sich als erste Partei schon Anfang der 80er Jahre für den EG-Anschluss ein, lange bevor dieser bei SPÖ und ÖVP zum Thema wurde.

Spektakuläre Volte

Doch Anfang der 90er Jahre wendete sich - scheinbar - das Blatt. SPÖ und ÖVP übernahmen die europapolitische Linie der Freiheitlichen und trommelten für den Beitritt zur Europäischen Union, während die FPÖ in Opposition zu der Politik ging, die sie jahrzehntelang propagiert hatte. Sie gebärdete sich EU-oppositionell und wendete sich Neutralität und Österreich-Patriotismus zu. Süffisant vermerkte der FPÖ-Rechtsausleger Otto Scrinzi: „Hatte man bisher die Europapolitik der Freiheitlichen als staatsvertragsgefährend, neutralitätswidrig und anschlussverdächtig vernadert, rissen die beiden Altpartien die europäische Meinungsführerschaft nun an sich und traten in ernsthafte Beitrittsverhandlungen ein. Diese endeten schließlich 1994 mit dem berühmten ´Ohne-Wenn-und-Aber-Beitritt´ nach der Volksabstimmung im Juni desselben Jahres.“ (1) Es ist eine der spektakulärsten Volten der österreichischen Innenpolitik, die erstaunlich wenig reflektiert wird. Man mag darüber rätseln, wie es zu dieser Volte kam, weniger rätselhaft ist, wer wie davon profitierte:

  • Das EU-Establishment konnte die historische Agenda des deutschnationalen Rechtsextremismus – die Demontage von Neutralitätsgesetz und Staatsvertrag - ohne den altrechten Mundgeruch in Angriff nehmen. Mehr noch: Denjenigen, die sich dem entgegenstellten, drohte, selbst in rechte Ecke gerückt werden.
  • Die FPÖ konnte ungeahnte wahlpolitische Erfolge feiern, indem sie als „Anti-Establishment-Partei“ in taktische Opposition zu ihrem bisherigen Programm ging.
  • Für das Establishment war das unproblematisch, denn sollte die FPÖ dadurch so stark werden, dass ihr der Sprung in die Regierung gelang, so war auf eines völliger Verlass: Die FPÖ setzte die Politik der Entsorgung der Neutralität und der Teilhabe an der EU-Militarisierung nicht nur widerspruchslos um, sie gerierte sich regelrecht als deren Einpeitscher.

Zwei Regierungsbeteiligungen (2000 bis 2006, 2018/19) legen davon reichlich Zeugnis ab. Hier einige Beispiel, wie unter Regierungsbeteiligung der FPÖ, oft sogar unter freiheitlichen Verteidigungsministern, die Neutralität und Unabhängigkeit Österreichs mit Füßen getreten wurde:

  • Streichung des Neutralitätsvorbehalts aus dem Kriegsmaterialgesetz und dem Truppenaufenthaltsgesetzes, wodurch der Durchfuhr von EU-/NATO-Truppen und -Kriegsgerät Tür und Tor geöffnet wurde
  • Streichung des Straftatbestandes der „Neutralitätsgefährdung“ aus dem Strafgesetzbuch
  • Entsendung österreichischer Truppen unter deutschem Kommando in den US/NATO-Afghanistan-Krieg sowie die EU/NATO-Besatzungsmissionen am Balkan
  • Bekenntnis im nationalen Sicherheitsrat zur vollen Teilnahme an EU-Militärmissionen sowie zur Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU-Außenpolitik
  • Beitritt zum EU-Vertrag von Nizza und Vorbereitung des Beitritts zum EU-Vertrag von Lissabon, beides Meilensteine der EU-Militarisierung (sh. Seite 4)
  • Beitritt zu den EU-Battlegroups - Interventionstruppen mit einem Einsatzradius bis Zentralafrika und den Kaukasus
  • Beitritt zur EU-Rüstungsagentur (Motor des Militärisch-industriellen-Komplexes in der EU)
  • Einfädelung des Eurofighter-Ankaufs, des bislang größten Rüstungsgeschäfts der 2. Republik
  • Beitritt zur „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco), dem militärischen Kerneuropa; Teilnahme des Bundesheeres an einer Reihe von SSZ-Militarisierungsprojekten
  • Vorbereitung der Einrichtung des EU-Rüstungsfonds und der EU-„Friedensfazilität“, also der Einrichtung der EU-Kriegskasse zur Finanzierung von Waffenexporten und Militärmissionen.

Trojanisches Pferd

Wie ist es angesichts dieser Fakten möglich, dass sich die FPÖ heute ungeniert als „Schutzpatron“ der Neutralität inszenieren kann, ohne dass Homerische Gelächter über die blauen Pharisäer losbricht? Die Antwort ist einfach: Keine der Parteien im Nationalrat hat daran ein Interesse. Nicht nur weil alle bei der Demontage der Neutralität selbst Butter am Kopf haben, sondern weil damit jene politische Volte kollabieren würde, mit der seit Anfang der 90er Jahre erfolgreich an den Pfeilern der 2. Republik gesägt wird. Als trojanisches Pferd ist die FPÖ unersetzlich für das Establishment.

„Auf dem Misthaufen der Geschichte“

Ist die FPÖ also auch in Bezug auf die Neutralität einfach eine heillos opportunistische Partei, die in der Opposition verspricht, was sie als Regierungspartei dann mit Füßen tritt? Nun ist die FPÖ zweifellos ein Sammelbecken von Glückrittern, Korruptionisten und Kriminellen, doch gleichzeitig wurzelt die Partei tief im deutschnationalen Rechtsextremismus und dessen Europa-Strategie. Andreas Mölzer, der Chefideologe der Partei, hat daraus auch nach der scheinbar „österreichpatriotischen Wende“ nie ein Hehl gemacht: In seinem Buch „Servus Österreich“ freut sich Mölzer, dass mit dem EU-Beitritt „der biedere Angehörige der ‚österreichischen Nation’ zur Kenntnis nehmen (muss), dass das angeblich primäre Kriterium seiner Identität, eben diese Neutralität, auf dem Misthaufen der Geschichte landen dürfte.“ . Denn: „Das Gegenteil der neutralen ‚Kleinstaaterei’ ist der Reichsgedanke... Das neue Europa…kann nur an den alten Reichsgedanken anknüpfen. Neutralität, Neutralismus oder schlechthin der Typus des Neutralen werden für dieses Europa uninteressant, ja unverträglich sein.“ (2).

2004 poltert Mölzer bereits ganz in dem Stil, den Scholz und Macron erst heute an den Tag legen: „Dieses Europa muss eine unabhängige Weltmacht sein, das nicht nur die eigene Sicherheit und die all seiner Mitglieder garantieren kann, sondern seine vitalen Interessen auch weltweit zu vertreten und durchzusetzen weiß. Eine gemeinsame Außenpolitik und eine gemeinsame Sicherheitspolitik sind dafür die unabdingbaren Voraussetzungen […] mit einer starken europäischen Armee mit internationalen Eingreiftruppen.“ (3) Und dann kommt Mölzer auf den Punkt: Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU muss völlig unabhängig von den USA erfolgen. Hier müssen die europäischen Interessen im Mittelpunkt stehen und nicht Hilfsdienste für raumfremde Mächte *) wie die USA. … Keinesfalls darf die Neutralität abgeschafft werden, um damit den Interessen einer außereuropäischen Macht zu dienen. Solange es keine eigenständige, also von den USA unabhängige europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik gibt, muss Österreich an seiner Neutralität festhalten.“ (4) Aber wenn es die gibt, dann bitte Neutralität ab „auf den Misthaufen der Geschichte.“ Auch im „Freiheitlichen Handbuch“ (2013, Seite 284) wird eine militärische Beistandspflicht nur für den Fall abgelehnt, sollten „außereuropäische Kräfte“ darin eingebunden sein (sprich NATO).

Der Fokus der FP-Neutralitätsdemagogie

Damit ist die Katze aus dem Sack: Die Neutralitätsdemagogie der FPÖ ist keineswegs bloß opportunistische Rhetorik in Zeiten der Opposition, sie zielt vielmehr darauf ab, den machtpolitischen Kern des EU-Projekts herauszuschälen. Das bedarf einer kurzen Erläuterung: Lord Ismay, der erster NATO-Generalsekretär, benannte als Zweck der NATO pointiert, „die USA in Europa herinnen, die Deutschen unten und Russen draußen zu halten.“ Ebenso pointiert könnte man den machtpolitischen Kern der EU charakterisieren: „Die Amerikaner draußen, die Deutschen oben und die Russen (Osteuropäer) drunten zu halten.“ Doch das ist ein zäher Prozess mit Rückschlägen. Denn so sehr sich die nationalen EU-Eliten einig sind, die Militarisierung Europas voranzutreiben, so schnell geraten sie ins Streiten, wenn es um die machtpolitische Hierarchisierung des Kontinents geht. Die Europapolitik des deutschnationalen Rechtsextremismus blieb und bleibt über alle taktischen Winkelzüge darauf ausgerichtet, diesen machtpolitischen Fokus der EU zu forcieren: ein deutsch geführtes hochgerüstetes Europäisches Imperium mit Weltmachtsambitionen. Die FPÖ ist keine „Anti-Establishment“-Partei, sie hält die Fahne im Wind der aggressivsten Kräfte vor allem des Berliner Machtestablishments. Die im Vorjahr beschlossene EU-Militarisierungsagenda („strategische Kompass“), die Ansagen von Scholz & Co, die deutsche Bundeswehr zur „stärksten Armee in Europa aufzurüsten“, weisen darauf hin, dass diese langfristige Agenda derzeit wieder an Fahrt gewinnt.

Die FPÖ führt die Neutralität also nicht im Munde, weil sie auch nur ansatzweise für ein aktiv neutrales und friedliches, demokratisches und unabhängiges Österreich anstrebt, sondern weil sie darin derzeit eine taktisches Instrument sieht, sich gegenüber der NATO („außereuropäische Mächte“) abzugrenzen und einem hierarchisierten EU-Militärblock unter deutscher Führung („innereuropäischen Mächte“) Schützenhilfe zu leisten. Das ist das exakte Gegenteil einer echten Neutralitätspolitik, denn diese will Militärblöcke überwinden und nicht bei ihnen mitmarschieren – egal ob unter US-amerikanischer oder dEUtscher Dominanz. Letzteres ist besonders konstitutiv für die österreichische Neutralität, mit der die historischen Lehren aus den katastrophalen Verstrickungen Österreichs mit dem deutschen Imperialismus in zwei Weltkriegen gezogen wurde. Das Eintreten der FPÖ für die Neutralität ist ungefähr so ernsthaft, wie die Ansagen Adolf Hitlers nach dessen Machtergreifung, als „Friedenskanzler“ in die Geschichte eingehen zu wollen.

Freilich gilt es anzumerken: Die Freiheitlichen haben mit dieser doppelbödigen Strategie kein Alleinstellungsmerkmal. Sie sind vielleicht bloß hinsichtlich Demagogie und der Wahl ihrer Mittel die Skrupellosesten.

Gerald Oberansmayr

Fußnoten:
(1) Otto Scrinzi; Imperium, Reich, Europa, in: Andreas Mölzer Hg.): Europa im rechten Licht, Zur-Zeit-Edition, Wien 2004
(2) Andreas Mölzer; Servus Österreich, Berg 1996
(3) Andreas Mölzer, Europa im rechten Licht, Zur-Zeit-Edition, Wien 2004
(4) Freiheitlicher Parlamentsklub, OTS0102, 24.9.2010

*) Der Ausdruck „raumfremde Mächte“ ist aufschlussreich. Diese Formulierung geht auf den NS-Kronjuristen Carl Schmitt zurück, der mit seinem Werk „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ den Expansionsdrang des „Dritten Reiches“ völkerrechtlich abzusichern versuchte. Bekanntlich marschierten die Nazis unter der Parole „Europa den Europäern“ bis nach Moskau und Stalingrad.