Zwei Ereignisse der letzten Wochen zeigen, worauf die oft geforderten „europäischen Lösungen“ im Rahmen der EU hinauslaufen: Fluchtursachen schüren, Flüchtlinge bekämpfen. Humane Lösungen erfordern das Gegenteil: Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge!
EU unterstützt Terrormiliz in Syrien
In den letzten Wochen kam es zu zwei Ereignissen, die viel miteinander zu tun haben, wenngleich in der veröffentlichten Meinung sicherlich alles getan wird, um deren Zusammenhang zu vernebeln. In Syrien startete die Gotteskrieger der Jihad-Miliz Ahrar-al-Sham Anfang April eine blutige militärische Offensive und brach damit den Waffenstillstand. Sowohl Ideologie als auch Kampfweise verbinden Ahrar-al-Sham mit den jihadistischen Terrorgruppen „Islamischen Staat“ und Al-Nusra. Mit letzter wird auch militärisch offen kooperiert. Sogar die deutsche Bundesstaatsanwaltschaft bezeichnete in einem Prozess gegen Mitglieder von Ahrar-al-Sham die Organisation als „terroristische Vereinigung“, Mitarbeiter des Bundeskriminalamts der Organisation attestieren eine "klassisch terroristische Kampfführung" (1). Nach Erkenntnis des deutschen Bundesgerichtshofs will Ahrar al Sham „eine Gesellschaftsordnung unter dem Gesetz der Sharia“ errichten, strebe „einen islamischen Staat über die Grenzen des heutigen Syriens“ an und urteilt weiter: „Eine politische Lösung des Konflikts lehnt die Organisation ab, der bewaffnete Kampf wird als einzige Möglichkeit angesehen. Das politische System des zu schaffenden Staates soll auf der Basis der Sharia autoritär geprägt sein, Säkularismus und Demokratie sieht die ‚Ahrar al Sham‘ als Übel an, die in ihrem Staat keinen Platz hätten.“(2)
Warum ist dieses Ereignis so erwähnenswert? Ahrar-al-Sham wird von der EU und der deutschen Regierung im Besonderen nach Kräften protegiert. Der deutsche Außenminister Steinmeier hat sich öffentlich vehement dafür stark gemacht, dass diese Terrormiliz an den Genfer Friedensgesprächen beteiligt wird, während gleichzeitig auf Grund des Druck des EU-Bündnispartners Türkei die Kurden von den Verhandlungen ausgeschlossen blieben, die oftmals die Hauptlast im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ tragen. Mit der Unterstützung für Ahrar-al-Sham setzt sich fort, was auch der frühere finnische Präsident Martti Ahtisaari im Vorjahr angeprangert hat: Die westlichen Großmächte haben von Anfang an jede Friedenslösung in Syrien hintertrieben. „Wir haben das verursacht “, kritisiert Ahtisaari, dass ein Viertel Million Toter und 11 Millionen Flüchtlinge in Syrien maßgeblich auf das Konto von USA und EU gehen.
EU schließt „Teufelspakt“ mit der Türkei
Das zweite Ereignis, um das es hier geht, ist der EU-Türkei Flüchtlingsdeal, der Mitte März abgeschlossen wurde. Dieses Abkommen – nicht zu Unrecht von Michael Genner (Asyl in Not) als „Teufelspakt“ (3) gebrandmarkt – sieht im Kern Folgendes vor: Rückschiebung von Flüchtlingen aus der Türkei im Schnellverfahren: d.h. Abschiebung in ein Land, dessen Regierung selbst die Menschenrechte mit Füßen tritt, politische Opposition und KurdInnen mit brutaler Gewalt verfolgt und den jidahistischen Terror in Syrien seit Jahren unterstützt. Die Türkei erhält Milliarden an EU-Geldern, um das Flüchtlingsleid von Europa fernzuhalten. Menschenrechtsorganisationen berichten von Lagern in der Türkei, die von der EU kofinanziert werden, in denen Flüchtlinge von jeglichem Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten sind und zum Teil geschlagen und gefesselt werden. Die Türkei selbst hat die Genfer Flüchtlingskonvention nur eingeschränkt unterzeichnet. Nur Flüchtlinge aus Europa (!) haben Recht auf Asyl. Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak usw. können also jederzeit abgeschoben werden, auch wenn ihnen Verfolgung und Tod drohen. Genau das passiert auch: Amnesty International berichtet bereits von zahlreichen Abschiebungen nach Syrien und in den Irak. Außerdem sind bereits etliche Fälle dokumentiert, in denen die türkische Grenzbehörden das Feuer auf Flüchtlinge aus Syrien öffnet haben. Anfang März 2016 wurde dabei bei einem einzigen Fluchtversuch neun Menschen erschossen (4).
Perfide ist ein weiterer Aspekt des EU-Türkei-Deals: Für jeden erwischten „illegal“ nach Griechenland Flüchtenden (der sofort in die Türkei abgeschoben wird), soll ein Flüchtling aus den türkischen Lagern legal in die EU einreisen können. D.h. um jemanden eine legale Einreise zu ermöglichen, muss jemand anderer sein Leben bei einer Überfahrt im Schlauchboot aufs Spiel setzen. Mit der „illegalen“ Einreise wird also Hand in Hand die legale Einreisemöglichkeit gedrosselt.
„Schlicht illegal“
Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muinieks, bezeichnete den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal als „schlicht illegal" (5). Auch die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR distanziert sich vom EU-Türkei-Deal: „UNHCR ist weder Teil des EU-Türkei-Deals, noch werden wir uns an den Rückführungen und Inhaftierung beteiligen“ (6). Die deutsche Regierung – Haupteinfädler des EU-Türkei-Deals - gibt sich unbeeindruckt von dieser Kritik. Der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat bereits angekündigt, den Abschiebepakt mit Ankara als Blaupause für identische Abkommen mit nordafrikanischen Staaten zu nehmen.
EU-Politik: Fluchtursachen schüren, Flüchtlinge bekämpfen
Machen wir eine Zusammenschau auf beide Ereignisse: Die EU unterstützt jihadistische Terrormilizen, die derzeit in Syrien den Waffenstillstand brechen. Gleichzeitig vereinbart sie mit der der türkischen Regierung ein Grenzregime, das die vor dem Krieg Flüchtenden das Recht auf Asyl verweigert. Kurz gesagt: Die EU-Machthaber schüren Krieg und bekämpfen die davor Flüchtenden. Oder anders herum: Sie bekämpfen die Flüchtenden, um weiter Krieg für ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen führen zu können, ohne von den Fluchtopfern behelligt zu werden.
Das ist die Quintessenz der „europäischen Lösungen“ , bei der die österreichische Regierung vorzüglich mitspielt: Im Rahmen des EU-Auswärtigen Dienstes unterstützt die österreichische Regierung die – maßgeblich von Berlin vorgegebene – EU-Politik in Syrien, einschließlich der Unterstützung von Terrorganisationen wie Ahrar al Sham. Gleichzeitig sollen durch die nunmehr geplanten Notverordnungen, die Abschiebungen im Schnellverfahren an die EU-Außengrenzen vorsehen, die Dublin-Verordnungen der EU besonders strikt exekutiert werden. Das zielt auf die völlige Zentralisierung der Asylpolitik auf EU-Ebene ab, wodurch – siehe EU-Türkei-Deal – die Genfer Flüchtlingskonvention immer weiter ausgehebelt wird.
Humane Lösung: Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge!
Einmal mehr zeigt sich: Der Ruf nach „europäischen Lösungen“ führt im Rahmen der EU zum Anheizen der Fluchtursachen und zur Bekämpfung von Flüchtlingen. Humane Lösungen erfordern genau das Gegenteil: Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge! Unter diesem Titel hat die Solidarwerkstatt eine Broschüre erarbeitet (7). Darin werden sowohl die Fluchtursachen beleuchtet als auch ausführliche Überlegungen anstellt, was wir in Österreich tun können, um nicht mehr länger Teil des Problems zu sein, sondern Teil der Lösung zu werden.
(April 2016)
Anmerkungen:
(1) Steinmeier und das Oberlandesgericht, in: www.german-foreign-policy.com, 28.1.2016
(2) Beschluss des deutschen Bundesgerichtshofes, BGH AK 10/15, 19. Mai 2015
(3) Rede bei der Demonstration am 19.3.2016 in Wien
(4) In: www.german-foreign-policy.com, Die europäische Lösung, 7.3.2016
(5) Nils Muinieks: Diese Pläne sind schlicht illegal. www.coe.int 16.03.2016
(6) Zit. nach www.proasyl.de, 24.3.2016
(7) Die Broschüre wird ab der 2. Mai-Woche erhältlich sein. Wer Interesse daran hat, dem/der können wir gerne auf Wunsch ab Mitte dieser Woche ein Inhaltsverzeichnis und Preis zuschicken. Eine ausführliche Vorstellung der Broschüre "Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge!" erfolgt mit dem nächsten Rundbrief.
Weitere Informationen und Hintergründe zu diesem Thema siehe Solidarwerkstatt-Dossier:
Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge!