Der militärisch-industrielle-Komplex der EU jubelt über den Ukraine-Krieg und will ihn verlängern, um den Höhenflug der Rüstungsausgaben nicht zu gefährden und die Zentralisierung der EU-Außen- und Sicherheitspolitik zu erzwingen.


Seit vielen Jahren liegen die Pläne für einen massiven Aufrüstungsschub in den Schubladen des militärisch-industriellen-Komplexes (MIK) der EU. Doch es gab lange ein Problem: Wie soll man den Menschen erklären, dass zusätzliche hunderte Milliarden für Kriegsgerät und Eingreiftruppen ausgegeben werden, wenn es in so wichtigen Bereichen wie Gesundheit, Pflege, Bildung und Klimaschutz an allen Ecken und Enden mangelt? Das ist umso schwieriger zu erklären, als gerade die neoliberale EU-Austeritätspolitik über viele Jahre hinweg maßgeblich zu Kürzungen im Sozialbereich geführt und zu tiefen inneren Spaltungen geführt hat.

Dietmar Ecker, Betreiber der „Europa-Informationsagentur“, riet schon vor vielen Jahren, dieses Dilemma der Machteliten durch ein uraltes Herrschaftsrezept aufzulösen: „Ich darf den Feind nicht innen suchen, das kann nicht gehen. Ich muss Europa auch definieren durch Abgrenzung von anderen Kulturen, von anderen Wirtschaftsinteressen. Europa brauchte einen Außenfeind. In der Massenkommunikation brauchst du Schwarz-Weiß-Welten. Das ist nicht schön, das ist nicht politisch korrekt, aber es ist so.“ (zit. nach: Standard, 9.1.2006).

„Der gemeinsame Außenfeind schweißt die EU zusammen“

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die EU diesen Außenfeind in Putins Russland dingfest gemacht, um europäische Weltmachtsphantasien mit hunderten Milliarden für die Rüstungsindustrie materiell zu unterfüttern. Dass schon jetzt die Militärausgaben der EU-Staaten das 4- bis 5-Fache der russischen ausmachen, die der NATO sogar das 16-Fache, spielt keine Rolle. Augenblicklich wurden schon lange vorbereitete Pläne aus der Schublade gezogen: Die deutsche Regierung beschloss im Handumdrehen ein 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr; der „Strategische Kompass“, der bereits seit Jahren hinter den Kulissen vorbereitet wurde, wurde im EU-Rat ohne Widerrede durchgewunken. Auch im österreichischen Parlament sind sich plötzlich Regierung und Opposition einig, dass die Militärausgaben verdoppelt werden müssen. „Die Wirtschaft ordnet sich der Politik unter. Der gemeinsame Außenfeind schweißt die EU zusammen“, freut sich Paul Schmidt, Generalsekretär einer Propagandatruppe namens „Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik“.

MIK: Herzkammer der EU

Die russische Führung hat mit diesem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine zweifellos schwere Schuld auf sich geladen. Aber wie schaut es mit der Schuld der EU aus, die – Hand in Hand mit den USA – alles getan hat, um über Jahre hinweg den Konflikt in der Ukraine zu schüren:

  • durch die permanente NATO-Ausdehnung, die alle russischen Sicherheitsinteressen ignorierte
  • durch die Zerstörung der ukrainischen Neutralität mit Hilfe eines prowestlichen Staatsstreichs in Kiew, der schließlich das Land in den Bürgerkrieg führte
  • durch die militärische Anbindung der Ukraine an NATO und EU
  • durch die Ignoranz gegenüber russischen Friedensvorschlägen noch im Dezember 2021
  • durch das Torpedieren von Friedensverhandlungen im März 2022, als sich Kiew und Moskau auf eine Neuauflage der ukrainischen Neutralität zu verständigen schienen  (siehe hier).

Der militärisch-industrielle Komplex ist die Herzkammer der Europäischen Union, seine Interessen sind – weltweit einzigartig – sogar im EU-Primärrecht einzementiert. Der MIK jubelt über diesen Krieg und will ihn verlängern, um den Höhenflug der Rüstungsausgaben nicht zu gefährden und die Zentralisierung der EU-Außen- und Sicherheitspolitik zu erzwingen. Denn zur militärischen Supermacht kann die EU nur werden, wenn es gelingt, das militärische Potential der EU nicht nur auszubauen, sondern es auch unter einem zentralen Kommando einsatzfähig zu machen. Der Geostrategie und Berater des EU-Rats James Rogers brachte das auf die Formel: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden.“ (1)

Krieg als „Gründungsakt“ und „Quantensprung“ für Supermachtsprojekt

Den Krieg in und gegen Jugoslawien haben die politischen Eliten – insbesondere in Berlin – angeheizt und instrumentalisiert, um den Startschuss für dieses Projekt zu setzen. Der seinerzeitige deutsche Kanzler Gerhard Schröder feierte die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO im Jahr 1999 gar als „Gründungsakt des atlantischen Europas“ (2). Dieses Supermachtsprojekt ist seither immer wieder ins Stocken geraten. Aufgegeben wurde es nie. Den Ukrainekrieg sehen die EU-Machteliten als Jahrhundertchance, um nun zum „Quantensprung“ in diese Richtung anzusetzen. Der „Außenfeind Russland“ und grelle Schwarz-Weiß-Propaganda sind dafür unentbehrlich. Kriege sind dafür unentbehrlich. Die EU hat Europa nicht den Frieden gebracht, sie hat maßgeblichen Anteil daran, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist. 
(Juli 2022)

Quellen:
(1) James Rogers/Simón Luis, The new ‘long telegram’, Group on a Grand Strategy, Nr. 1, 2011
(2) Gerhard Schröder, Rede in Berlin zum Stand der deutschen Einheit, 19.4.1999

>> HINWEIS:
Ukraine-Dossier der Solidarwerkstatt Österreich
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