Ab 1.1.2011 stehen österreichische SoldatInnen im Rahmen der EU-Schlachtgruppen („battle groups“) „Gewehr bei Fuß“ (stand by), um innerhalb weniger Tage auf Kommando des EU-Rates in Kriege der Europäischen Union zu ziehen. Mit wenigen Ausnahmen wird dieses historische Datum der Militarisierung Österreichs von Medien und offizieller Politik todgeschwiegen oder kleingeredet. (Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt ein Artikel im Profil dar, sh. http://www.profil.at/articles/1039/560/279909_s1/manoeverbericht-oesterreich-soldaten-eu-battle-group)
Verschwiegen wird in Bezug auf die EU-Schlachtgruppen:
1) Die EU-Battlegroups sind für offensive Militäraktionen – sprich – Angriffskriege einsatzbereit. Grundlage sind die sog. „Petersberg Aufgaben“, die nach dem neuen EU-Vertrag von Lissabon u.a. zur „Abrüstung“ des Gegners bzw. zur "Bekämpfung des Terrorismus im Hoheitsgebiet von Drittstaaten“ durchgeführt werden können. Welcher Gegner mit Waffengewalt „abgerüstet“ bzw. wer als „Terrorist“ zum Abschuss freigegeben wird, entscheidet der EU-Rat. Ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates ist dafür nicht erforderlich. Als bevorzugte Einsatzgebiete der Battlegroups nannte bereits vor etlichen Jahren der damalige Hohe Beauftragte der EU-Außenpolitik Javier Solana die rohstoffreichen Gebiete Afrikas, des Nahen und mittleren Ostens. Der offiziell deklariert Einsatzradius von 6.000 km rund um Brüssel markiert exakt diese Regionen. In EU-Strategiepapieren werden "Regionalkriege zur Verteidigung Europäischer Interessen", u.a. zum „Stabilitätsexport zum Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Rohstoffen“ propagiert. (siehe hier) In Vorbereitung auf die Battlegroups-Einsätze trainierte das Bundesheer im vergangenen Jahr gemeinsam mit der deutschen Bundeswehr den Einmarsch einer EU-Streitmacht in die Kaukasusregion (European Endeavour 2009).
2) Die Teilnahme Österreichs an den EU-Battlegroups ist daher klar neutralitätswidrig. Und zwar nicht erst der Einsatz, sondern bereits die ab 1.1. 2011 beginnende Einsatzbereitschaft. Denn Pflicht des Neutralen ist sowohl die Nichtteilnahme an Kriegen als auch die Nicht-Teilnahme an Organisationen, die der Vorbereitung und Durchführung von Kriegen dienen. Pflicht des Neutralen ist es, bereits in Friedenszeiten alles zu unterlassen, was die Glaubwürdigkeit des Friedensgebotes erschüttern könnte. Kaum etwas kann diese Glaubwürdigkeit mehr erschüttern, als die Bereitschaft, innerhalb von wenigen Tag auf Befehl aus Brüssel unter Umgehung der UNO in Rohstoffkriege zu ziehen.
3) Die Battle-Groups sind auch für Einsätze im Inneren der EU gedacht. Grundlage dafür bietet ebenfalls der EU-Vertrag von Lissabon. In der sog. „Solidaritätsklausel“ des Artikels 222 (Vertrag über die Arbeitsweise der EU) heißt es: „Wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag oder einer Katastrophe natürlichen oder menschlichen Ursprungs betroffen ist, mobilisieren die Mitgliedsstaaten alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel…“ Regierungstreue Rechtsgelehrten wird es kaum schwer fallen, Streikbewegungen und andere soziale Protestmaßnahmen in eine „Katastrophe menschlichen Ursprungs“, wenn nicht gar in einen „terroristischen Akt“ umzuinterpretieren. Im Juni dieses Jahres hatte EU-Kommissionspräsident Barroso bei einem Treffen mit Gewerkschaftsvertretern offen damit gedroht, es Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal könnten „Militärdiktaturen“ drohen, „wenn sie nicht bereit sind die Sparpakete auszuführen.“ (siehe hier) Der damalige deutsche Verteidigungsminister Struck wies bereits 2004 darauf hin, dass EU-Schlachtgruppen auch für Einsätze innerhalb der EU bereit stehen: „Die Konzeption ist also folgende: Wenn ein Konflikt in Europa oder außerhalb von Europa auftritt, dann wollen wir schnell eine solche Battle-Group einsetzen.“ (zit. N. Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht 126. Sitzung, Berlin, 23.09.2004)
4) Die österreichische Teilnahme bei den Battlegroups ist auch staatsvertragswidrig. Der Staatsvertrag untersagt eindeutig die militärische Kooperation Österreichs mit Deutschland. Schon in Vorbereitung auf den Battlegroups-Einsatz sind österreichische Offiziere in die Kommandostrukturen der deutschen Bundesehr eingebunden, finden laufend deutsch-österreichische Militärmanöver statt. Beim zweiten Battegroups-Einsatz im Jahr 2012 stehen österreichische Soldaten sogar explizit unter deutschem Kommando. Das ist mit dem Staatsvertrag unvereinbar. Dass die östereichische Regierung im Vorfeld des EU-Betritts Anfang der 90er Jahre die einschlägigen Bestimmungen des Staatsvertrages einseitig (d.h. ohne Parlamentsbeteiligung und unter Umgehung der Signatarstaaten) für „obsolet“ erklärt hat, ist zwar Ausdruck der rechtsstaatlichen Verwilderung der Machteliten, ändert aber nichts am Inhalt des Staatsvertrages.
5) Mit der Teilnahme an den EU-Battle-Groups wird auch der sog. „Parlamentsvorbehalt“ bei Auslandsmissionen des Bundesheeres ausgehebelt. Da diese Kampftruppen innerhalb von 5 Tagen nach Entscheidung des EU-Rates bereits aufbrechen und innerhalb von weiteren 10 Tagen im Einsatzgebiet gefechtsbereit sein müssen, ist eine parlamentarische Entscheidung geschweige denn Debatte faktisch ausgeschlossen. Zudem wurde Bundeskanzler und Außenminister im sog. „Kriegsermächtigungartikel 23f“ B-VG bereits grünes Licht gegeben, Österreich an EU-Kriegseinsätzen auch ohne UN-Mandat zu beteiligen.Wer schweigt, macht sich mitschuldig!
Alle Parlamentsparteien – SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, BZO – unterstützen offen oder durch Schweigen die Teilnahme Österreichs an den EU-Battlegroups. Kein einziger Abgeordneter ist bislang aufgestanden, um seine/ihre Stimme gegen die Teilnahmebereitschaft österreichischer Truppen an EU-Kriegen, gegen die Verletzung von Neutralitätsgesetz und Staatsvertrag, gegen die Umgehung des Parlaments zu erheben. Wir sagen Euch, den Abgeordneten des „Hohen Hauses“: Wer schweigt, stimmt zu; wer schweigt, macht sich mitschuldig!
Einen besonderen Aufruf machen wir auch an den ÖGB. Der ÖGB hat sich erfreulicherweise bei seinem Bundeskongress im vergangenen Jahr gegen die Teilnahme Österreichs an den EU-Schlachtgruppen ausgesprochen. Aber selbst jetzt, wenige Wochen vor der Teilnahme an diesen Kampftruppen, rührt sich keine Stimme eines offiziellen ÖGB-Vertreters gegen diesen Akt der Militarisierung und Neutralitätsverletzung. Auf einen offenen Brief der Solidar-Werkstatt an einige Dutzend ÖGB-Funktionäre im Nationalrat, diesem ÖGB-Beschluss im Parlament Taten folgen zu lassen, hat es bislang keine einzige Rückmeldung gegeben. Ist das die Art und Weise, mit der Ihr die Beschlüsse Eurer Mitglieder umsetzt?! Seht Ihr Euch bloß als verlängerter Arm von Regierungsspitzen und Parteisekretariaten?!
Die Solidar-Werkstatt wird die nächsten Wochen noch intensiv nutzen, um die Nationalrats-Abgeordneten aufzufordern, die Teilnahme Österreichs an den Battlegroups zu verhindern. Und – sollte das nicht gelingen – den Mächtigen eine eindeutige Botschaft zukommen zu lassen: Ihr habt derzeit zwar die Macht, Gesetze mit Füßen zu treten und das Leben von Menschen bei EU-Kriegen aufs Spiel zu setzen, aber ihr habt nicht unsere Legitimation: NICHT IN UNSEREM NAMEN!
Jede und jeder, der dabei mitmachen und mithelfen will, ist uns herzlich willkommen! Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!