Das EU-Parlament feierte den 60. Jahrestag der „Römischen Verträge“ auf seine Art: Mit einem Beschluss, der die massive Aufrüstung der EU einmahnt. U.a. fordert das EU-Parlament mit großer Mehrheit zusätzliche 100 Milliarden für neue Rüstungsgüter, entschiedene Schritte in Richtung EU-Armee und deren raschen weltweiten Einsatz. Für diese Hochrüstungspläne haben neben den ÖVP-Abgeordneten auch alle SPÖ-Abgeordneten gestimmt, die das allerdings der Öffentlichkeit und den Parteimitgliedern tunlichst vorzuenthalten versuchen.
Die Entschließung des EU-Parlaments vom 16. März 2017 artikuliert die feuchten Träume von EU-Chauvinisten und Rüstungsindustrie. Unter anderem fordert das EU-Parlament (1):
- Jeder EU-Staat müsse mindestens 2% des BIP für Militär und Rüstung ausgeben. Im Falle Österreichs hieße das, das Militärbudget mehr als zu verdreifachen. Konkret fordern die EU-Parlamentarier, dass „bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts zusätzliche Ausgaben in Höhe von fast 100 Mrd. EUR für Verteidigungszwecke getätigt werden“. Wohlgemerkt: Die Militärausgaben sollen dann jährlich um 100 Milliarden höher liegen (derzeit rund 200 Milliarden, dann also rd. 300 Milliarden). Ein besonderes Anliegen ist es dem EU-Parlament, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen für die Militarisierung zu mobilisieren, indem zivile Forschungsergebnisse für die Rüstungsindustrie nutzbar gemacht werden („dual use“).
- Das EU-Parlament verlangt „spürbare Schritte“ in Richtung einer EU-Armee. Konkret fordern das EU-Parlament die rasche Einrichtung eines militärischen Kerneuropas („Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“), in dem sich jene zusammenschließen, die „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander weiter gehende Verpflichtungen eingegangen sind“ (Art. 42, EUV). Das heißt: Nur wer besonders ambitioniert rüstet und bereit ist, seine SoldatInnen ins Feuer zu schicken, darf in diesem neuen EU-Führungsgremium Platz nehmen.
- Diese „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ soll eine „ständige Integrierte Europäische Streitkraft“ aufstellen. Im Klartext bedeutet das die Errichtung einer EU-Armee durch die Hintertür des militärischen Kerneuropas. Die bereits existierenden EU-Battlegroups sollen Teil dieser EU-Streitkräfte sein.
- Besonders drängen die EU-Abgeordneten darauf, dass diese EU-Streitkräfte endlich zum Einsatz kommen und zwar im Sinne der „schnellen und entschiedenen Wahrnehmung“ des Artikel 43 des EU-Vertrags. Dieser Artikel 43 ermöglicht den Einsatz von EU-Truppen „auf dem Hohheitsgebiet vom Drittländern“ bei der „Bekämpfung des Terrorismus“ – de facto erhält der EU-Rat durch den Artikel 43 eine Ermächtigung zu globalen Kriegseinsätzen. Dabei gilt für das EU-Parlament: Klotzen nicht kleckern. Ziel müsse es sein, „europäische Streitkräfte“ aufzustellen, „die befähigt sind, Kampfkräfte in Konflikten hoher Intensität… sicherzustellen.“
- Zur Finanzierung solcher Interventionskriege soll ein „Anschubfonds“ auf EU-Ebene eingerichtet werden. Zusätzlich wird ein „Europäisches Semester“ für Rüstung gefordert, in dem die EU-Kommission den EU-Staaten auf die Finger schauen (oder hauen) kann, damit auch auf nationaler Ebene fleißig gerüstet wird.
„Welt(un)ordnungspolitik“
Ziel dieser Aufrüstung sei – so die Entschließung des EU-Parlaments – „dass die EU ihre Bemühungen um Stärkung der Weltordnungspolitik intensivieren muss.“ Eine gefährliche Drohung, wenn man bedenkt, welcher Ergebnisse die „Weltordnungs(un)politik“ der EU in den letzten Jahrzehnten gebracht haben. Diese reichen von der Beihilfe zur kriegerischen Zerschlagung Jugoslawiens und Libyens, dem Hochpäppeln des Jihad im syrischen Krieg, dem neoliberalen Regime Change in Kiew mit Hilfe von Neofaschisten bis hin zu Freihandelsverträgen mit afrikanischen Staaten, die dort Armut und Flucht auslösen.
Dass die ÖVP-Abgeordneten geschlossen diesem Antrag zugestimmt haben, überrascht wenig. VP-Frontmann Othmar Karas war jahrelang Präsident der Kangaroo-Gruppe im EU-Parlament, einer einflussreichen Lobby für die Kriegswaffenindustrie. Während früher bei ähnlich radikalen Aufrüstungsanträgen im EU-Parlament zumindest ein Teil der SPÖ-Abgeordneten nicht zugestimmt hatte, wollte diesmal kein/e einzige/r SPÖler/in aus der Reihe tanzen. Alle stimmten zu. Offensichtlich folgen alle dem neuen Glaubenssatz, den SPÖ-Infrastrukturminister Leichtfried, früherer Fraktionsführer im EU-Parlament, vor kurzem hinausposaunte: „Wir sind die proeuropäischste Kraft“. Dank der Abstimmung am 16. März 2017 im EU-Parlament können wir „proeuropäisch“ nun übersetzen: Zustimmung zu zusätzlichen 100 Rüstungsmilliarden, EU-Armee und globalen Militäreinsätzen. Und konkret für Österreich heißt das: Österreichische SoldatInnen weltweit in Kriege zu schicken und die Militärausgaben zu verdreifachen, denn 2% Militärausgaben am BIP hieße eine Erhöhung des Militärbudgets von derzeit rd. 2,1 Milliarden auf fast 7 Milliarden! Zum Vergleich: Im Jahr 2015 betrugen die Gesamtausgaben für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung 0,87 Milliarden.
„Wiederbelebung der Neutralität“
Die SPÖ-Abgeordneten versuchen freilich ihr „proeuropäisches“ Abstimmungsverhalten im EU-Parlament so gut wie möglich vor der Öffentlichkeit und den Parteimitgliedern zu verbergen. Sie wissen wohl zu gut, dass nach wie vor eine Mehrheit der Menschen in Österreich und in der Sozialdemokratie mit solchen Hochrüstungsambitionen nichts am Hut hat, sondern eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik Österreichs befürwortet. David Stockinger, Vorsitzender der SPÖ Schwechat und Vorstandsmitglieder der Solidarwerkstatt, forderte bei einer antifaschistischen Kundgebung am 2. Mai 2017 in Wien die „Wiederbelebung der österreichischen Neutralität“ als Alternative zu Hochrüstung und zum Mitmarschieren bei Kriegseinsätzen. Er formulierte auch die dafür notwendigen Rahmenbedingungen: „Österreich kann keine selbstbestimmte Friedens- und Neutralitätspolitik machen, solange wir den Verträgen der Europäischen Union unterliegen.“ (3)
Wer ein Zeichen für eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik Österreich setzen möchte, ist herzlich zur Aktion der Solidarwerkstatt am 14. Mai 2017 in Wien eingeladen: „SolidarstaAt statt EU-Konkurrenzregime! 2. Republik statt 4. Reich!“.
Quellen:
(1) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. März 2017 zu dem Thema „Verfassungsmäßige, rechtliche und institutionelle Auswirkungen einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Möglichkeiten aufgrund des Vertrags von Lissabon“ (2015/2343(INI))
(2) Standard, 10.5.2017
(3) Rede bei der Gedenkkundgebung "3 Jahre Massaker von Odessa", 2.5.2017, Schwarzenbergplatz