ImageDer Vorstoß von EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker für eine gemeinsame EU-Armee ist nicht wirklich überraschend. Juncker wurde nicht zuletzt deshalb Kommissionspräsident, weil er ein glühender Verfechter einer solchen EU-Armee ist.


Juncker hielt seine inoffizielle Antrittsrede als Kommissionspräsident wenige Tage vor seiner offiziellen Nominierung bei der 2. Berliner Strategiekonferenz, einer Veranstaltung, die vom Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), der Lobbyorganisation der deutschen Rüstungsindustrie, ausgerichtet wurde. Die Kernbotschaft von Junckers Vortrag, den er sich von den Rüstungsindustriellen mit kolportierten 15.000 Euro versüßen ließ: „Wir brauchen eine europäische Armee!“ (1).

„Was, wenn die Söhne in den Tod geschickt werden müssen?“

Junckers Plädoyer für die EU-Armee fand sofort Zuspruch bei der deutschen Regierung. Die deutschen Machteliten machen schon seit vielen Jahren Druck für eine solche Armee. Das „Centrum für Angewandte Politikforschung“ (CAP), ein regierungsnaher deutscher Think-Tank, hat die mit einer solchen EU-Armee verbundenen Ambitionen bereits 2003 so zusammengefasst: "Nur im Szenario Supermacht Europa wird das große Europa seinem objektiven Weltmachtpotential gerecht. (...) Der Aufbau der Vereinten Europäischen Strategischen Streitkräfte … wird die internationale Rolle der EU verändern. (...) Die Supermacht Europa verabschiedet sich endgültig von der Idee einer Zivilmacht und bedient sich uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik" (2).

Alan Posener, Kommentarchef der konservativen „Welt“ (BRD) und als solcher Chefpropagandist der EU-Militarisierung, erläutert unverblümt den antidemokratischen Mehrwert einer EU-Armee für die Mächtigen. Zuerst stellt er die die rhetorische Frage: „Was, wenn die Söhne in den Tod geschickt werden müssen?“ und gibt sofort die Antwort: „Will Europa sie nicht nur auf dem Papier realisieren, werden neben nationalen Eitelkeiten wie üppige Generalstäbe und eigene Rüstungsindustrien auch nationale Eigenheiten wie etwa Deutschlands Parlamentsvorbehalt beim Auslandseinsatz fallen müssen. Das ist nicht trivial: Europas Elite rüstet sich, um Krieg auch dann kollektiv führen zu können, wenn es in keinem einzelnen EU-Mitgliedsland dafür eine Mehrheit gibt.“ (3) 

„Superstaat – Supernation – Supermacht“

Besonders eifrige Propagandisten von vereinigten EU-Streitkräften finden sich in der „Group on a Grand Strategy“, einer Vernetzung mächtiger, regierungsnaher außenpolitischer Think-Tanks, darunter der Bertelsmann-Stiftung. Der Direktor der „Group on an Grand Strategy“, James Rogers, wurde 2013 beauftragt, den EU-Rüstungsgipfel im Dezember 2013 mit einer Studie vorzubereiten. Obwohl dieses Elaborat mit dem Namen „Enabling the future“ den Ausdruck „EU-Armee“ vermeidet, lässt es keinen Zweifel daran, dass und warum der Zusammenschluss der EU-Streitkräfte auf der Tagesordnung des Establishments nach vorne rückt: „Die Bereitschaft der EU-Staaten ihre militärischen Fähigkeiten zu integrieren, geht Hand in Hand mit ihren erklärten Ambitionen auf der Weltebene. […] Indem man die Streitkräfte der EU-Staaten unter einer EU-weiten Streitkräftestruktur zusammenbringt, würde man eine beträchtliche Gesamtkapazität zusammenbringen, die es den Europäern ermöglicht, die anspruchsvollsten Operationen zu unternehmen […] Eine engere politische Integration führt zu einem überlegenen Niveau militärischer Kapazitäten auf allen Gebieten und somit zu besseren Streitkräften“ (4).

Was mit „anspruchsvollsten Operationen“ gemeint ist, wird in dieser Studie ebenfalls ausgeführt: Kriege und militärische Interventionen, die vom Nordpol bis Zentralafrika, vom Nahen Osten bis Südost-Asien reichen. Als Chef der „Group on a Grand Strategy“ hat Rogers diese Ambitionen kantig auf den Punkt gebracht: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden“ (5). Dafür braucht es freilich auch eine Super-Armee. Rogers fordert daher „eine neue Ära der europäischen Integration auf Grundlage militärischer Zusammenarbeit“, mit einem gemeinsamen EU-Rüstungshaushalt, einem zentralen EU-Hauptquartier und einem einheitlichen EU-Rüstungsmarkt sowie einem einheitlichen Geheimdienst für das europäische In- wie Ausland (6).

Nach der „Radikalisierung des Neoliberalismus“ folgt die „Radikalisierung der Militarisierung“

Auch der Zeitpunkt für den Vorstoß in Richtung EU-Armee ist nicht zufällig. Die EU hat auf die tiefe Wirtschaftskrise seit 2008/2009, mit der die neoliberale Wirtschaftspolitik krachend gegen die Wand gefahren ist, mit einem „More of the same“-Programm der „Radikalisierung des Neoliberalismus“ (Joachim Becker, WU-Wien) geantwortet und über diverse Richtlinien und Verträge (z.B. EU-Fiskalpakt) die Mitgliedsstaaten auf einen Kurs von Sozialabbau und Austerität eingeschworen. Diese Verschärfung des EU-Konkurrenzregimes zieht die Zentralisierung und Militarisierung der Sicherheitspolitik zwingend nach sich - nach innen wie nach außen. Nach innen, um soziale Proteste und zentrifugale Kräfte an der Peripherie niederzuhalten, die sich diesem Austeritätsdiktat entgegenstellen. Nach außen, weil die durch Lohndumping und knappe öffentliche Budgets schrumpfende Binnennachfrage durch die Eroberung von Exportmärkten für die EU-Konzerne kompensiert werden soll. Diese aggressive Freihandelsorientierung wurde schon bisher nicht nur mit ökonomischen Mitteln, sondern auch mit brutaler Gewalt durchgesetzt. Vier Staaten in der „europäischen Nachbarschaft“ haben sich bislang solchen EU-Freihandelsverträgen widersetzt: Jugoslawien (bis 1999), Libyen (bis 2011), Syrien und die Ukraine (bis Anfang 2014). Wir kennen das Schicksal dieser Staaten bzw. deren Regierungen, die nicht zur Unterordnung unter die EU-Freihandelsregime bereit waren.

Ungeachtet der Tatsache, dass die direkten und indirekten Militärinterventionen in diesen Staaten in Chaos, Verelendung und dem Aufstieg extremistischer Gruppen mündeten, setzen die EU-Eliten auch hier auf ein „More of the same“-Programm der „Radikalisierung der Militarisierung“. Die „Group on a Grand Strategy“ hat eine „Grand Area“ definiert, zu der sich die EU „uneingeschränkten Zugang“ verschaffen müsse, nötigenfalls auch mit Gewalt. Diese „Grand Area“ umfasst die „östliche Nachbarschaft und das westliche Russland, den Kaukasus und große Teile Zentralafrikas, die arktische Region, die nördliche Hälfte von Afrika, den gesamten Nahen und Mittleren Osten, genauso den Indischen Ozean und Südost-Asien umfasst. Diese ‚Grand Area’ beinhaltet die meisten Rohstoffe, die von der europäischen Wirtschaft benötigt werden; alle zentralen Schifffahrtsrouten von Asien, Australien, Afrika und den Nahen und Mittleren Osten; alle Energiepipelines – gegenwärtige und zukünftige – von Russland, Zentralasien und Nordafrika…“ (6).

Juncker richtet die EU-Armee-Pläne direkt gegen Russland. Eine gemeinsame Armee der Europäer würde – so der Luxemburger -  "Russland den Eindruck vermitteln, dass wir es ernst meinen mit der Verteidigung der Werte der Europäischen Union.“ (7) Der Mann hat Chuzpe: Die „Grand Area“, in die die EU „uneingeschränkten Zugang“ haben soll, reicht – siehe Grafik – bis weit hinter den Ural. Bekanntlich wurde auch Deutschland schon einmal an der Wolga „verteidigt“.

Tarnen und Täuschen im Verteidigungsministerium

Im österreichischen Establishment ist die weitere EU-Militarisierung bis hin zur einer EU-Armee weitgehender Konsens. Gerade die letzten Wahlen zum EU-Parlament haben diesbezüglich einen bemerkenswerten Gleichschritt quer durch die Fraktionen sichtbar gemacht. Dass Verteidigungsminister Klug auf den Vorstoß Junckers für eine EU-Armee zunächst ablehnend reagiert hat, weil „das mit der Neutralität nicht vereinbar ist“, können wir wohl unter der Rubrik „Tarnen und Täuschen“ vermerken. Denn gerade Verteidigungsminister Klug zählt keineswegs zu den Bremsern, sondern zu den Einpeitschern einer weiteren EU-Militarisierung. Auf der 2. Berliner Strategietagung trat Klug als Koreferent Junckers auf; oder besser gesagt als sein Adjutant. Klug im O-Ton: „Die EU muss handlungsfähig werden und sich sicherheitspolitisch emanzipieren. Die Mittel dafür stehen bereit. Immerhin geben die 28 EU-Staaten mit rund 190 Milliarden Euro mehr für Verteidigung aus als China, Russland, Indien und Brasilien zusammen. Aber wir bringen diese Pferdestärken nicht auf die Straße“ (8).

Wer im militärischen Bereich „Pferdestärken auf die Straßen bringen will“, erklärt ziemlich unverblümt, dass er Krieg führen bzw. mit Krieg drohen können will. Folgerichtig forderte Klug die weitere EU-Militarisierung insbesondere bei Drohnen, Transportkapazitäten und für den Cyber-Krieg. Schon davor hatte der österreichische Verteidigungsminister gefordert, dass „die EU-Battlegroups endlich einmal zum Einsatz kommen“ müssen und österreichische SoldatInnen „für den Kampf im Hochgebirge“ bereit stehen (9). Auch bei „robusten Einsätzen mit aktiven Kampfhandlungen in Afrika“ (10) will der Verteidigungsminister österreichische SoldatInnen an vorderster Front sehen.

„Europa der verzahnten Armeen“

Wenn Klug derzeit nicht von EU-Armee reden will, sondern "ein Europa der verzahnten Armeen" mit einem „hohen Maß an Zusammenarbeit, gemeinsamen Ausbildungen, Übungen, Manövern und gemeinsamen Friedensmissionen“ (11) einmahnt, dann formuliert er nicht Widerstand gegen das Projekt EU-Armee, sondern beschreibt den Weg in diese Richtung. Genau dieser Weg der schrittweisen „Verzahnung der Streitkräfte“ wird auch im EU-Strategiepapier „Enabling the future“ als Pfad vorgeschlagen, um Schritt für Schritt zu gemeinsamen Streitkräften zu gelangen. Die österreichische Regierung praktiziert diesen Weg bereits seit langem durch die fortschreitende Einbindung des österreichischen Bundesheeres in die Kommandostrukturen der deutschen Bundeswehr, z.B. beim EU-Streitkräftekommando in Ulm, von wo aus eine bis zu 60.000 Mann/Frau starke EU-Interventionstruppe befehligt werden kann.

Hochrangige – aber nicht näher genannt werden wollende - Offiziere im Bundesheer machen sich deshalb bereits öffentlich lustig über den Lügenbaron im Verteidigungsministerium: Österreich werde sich „den riskanten EU- Armee- Plänen ja gar nicht verweigern können: Eine tatsächliche Integration wird dann sicher wieder sehr kreativ betitelt werden" (12). Und Parteikollege Jörg Leichtfried, SP-Delegationsleiter im EU-Parlament, beeilte sich klarzustellen, dass es keineswegs darum geht, die Pläne für eine EU-Armee grundsätzlich in Frage zu stellen, sie seien bloß „verfrüht“ an die Öffentlichkeit gebracht worden (13).

Am 26. Oktober für die Neutralität auf die Straße gehen!

Als der österreichische Verteidigungsminister Klug, der immerhin auf die österreichische Verfassung, zu der die immerwährende Neutralität gehört, vereidigt ist, forderte, die EU solle ihre „militärischen PS auf die Straße bringen“ und österreichische Soldaten würde dafür Gewehr bei Fuß stehen, rührte sich im Parlament nicht ein Hauch der Kritik: rot, schwarz, blau, grün, gelb, pink standen Habt Acht. Und alle stehen Habt Acht auf dem Weg Richtung EU-Armee, wenn auch manche aus taktischen Gründen das öffentlich noch nicht so benennen wollen. Das österreichische Parlament ist in der Sicherheitspolitik schon seit langem zur oppositionsfreien Zone geworden.

Wir werden die Opposition zur Anbindung Österreichs an EU-Militär und EU-Kriege von unten her organisieren müssen. Am 26. Oktober 2015 jährt sich die Beschlussfassung des Gesetzes über die immerwährende Neutralität zum 60. Mal. Ein wichtiges Datum für die Friedensbewegung, um mit Aktionen für ein neutrales, friedenspolitisch aktives Österreich, das bei keinen Großmachtsarmeen mitmarschiert, auf die Straße zu gehen. Zur Vorbereitung von Aktionen am 26. Oktober 2015 haben bereits zwei Vernetzungstreffen von FriedensaktivistInnen stattgefunden. Die nächste Friedensberatung wird es am 31. Mai geben. Wer dabei mitmachen will, ersuchen wir um Rückmeldung an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Gerald Oberansmayr  

(23.3.2015)

Anmerkungen:

(1)   Weser-Kurier, 25.6.2014
(2)   Centrum für Angewandte Politikforschung, Europas Zukunft, März 2003
(3)   Die Welt, 16.9.2007
(4)   EU-Institut für Sicherheitsstudien, „Die Zukunft ermöglichen – Europäische Militärkapazitäten 2013-2025: Herausforderungen und Wege“, 2015
(5)   James Rogers, A new Geography of European Power?, Egmont Paper Nr. 42, 2011
(6)   James Rogers/Simón Luis, The new ‘long telegram’, Group on a Grand Strategy, Nr. 1, 2011
(7)   Zit. nach www.euractive.de, 9.3.2015
(8)   Zit. nach OTS/APA, 22.6.2014
(9)   Kleine Zeitung, 03.01.2014
(10) Die Presse, 25.2.2015
(11) Kurier, 8.3.2015

(12) Kronzenzeitung, 8.3.2015
(13) Standard, 10.3.2015

Buchtipp:
Das Buch "Denn der Menschheit drohen Kriege..." (Hg. Solidarwerkstatt) beschreibt die Militarisierung der EU bis zum Jahr 2012. Die gedruckte Ausgabe ist leider schon vergriffen. Wir schicken aber gerne für EUR 3,50 ein pdf dieses Buches per Mail zu.
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