battlegroups neutralitaet„Nationen, die in sich unverträglich sind, gewinnen durch Krieg nach außen Ruhe im Innern“, schrieb vor zwei Jahrhunderten der Philosoph Friedrich Hegel. Diese Aussage beschreibt zutreffend die Politik der EU-Eliten. Je unverträglicher, je krisenhafter und unbeliebter das EU-Konkurrenzregime im Inneren wird, desto mehr drängen diese Eliten auf Außenaggression und auf die dafür notwendigen Gewaltmittel. Die „Hohe Beauftragte der EU-Außen- und Sicherheitspolitik“ Federica Mogherini schwärmt bereits von einer bevorstehenden „Rüstungsrevolution“ in der EU.

Als Reaktion auf die tiefe Krise des Neoliberalismus 2008/09 verordneten die EU-Machteliten eine „Radikalisierung des Neoliberalismus“, die in manchen EU-Staaten die Jugendarbeitslosigkeit auf über 50% ansteigen ließ. Zugleich verschärften EU und NATO die Gewalt nach außen:

  • - Monatelanger Bombenkrieg gegen Libyen, der das Land seither in einen Hexenkessel der Gewalt verwandelt
  • - Überschütten von Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar  und der Türkei mit Waffen, die ihrerseits islamistische Söldnertruppen im Syrienkrieg bewaffnen
  • - Staatsstreich mit Hilfe neofaschistischer Milizen in der Ukraine (2014), der das Land in den Bürgerkrieg stürzte

Warum sind gerade Libyen, Syrien und Ukraine ins Fadenkreuz gekommen? Wegen der Menschenrechte? Mit Sicherheit nicht. Wer mit den Golfsdespotien kungelt, die die Ideologie des „Islamischen Staats“ zur Staatsdoktrin erhoben haben, dem sind Menschenrechte bestenfalls ein Vorwand. Was auffällt: Libyen (unter Gaddafi), Syrien (unter Assad) und die Ukraine (unter Janukowitsch) waren die einzigen Staaten in der „europäischen Nachbarschaft“, die nicht bereit waren, sich neoliberalen Freihandelsabkommen der EU zu unterwerfen. Gaddafi versündigte sich zusätzlich an der von EU und USA beherrschten Weltwirtschaftsordnung, indem er versuchte mit den libyschen Goldreserven eine afrikanische Entwicklungsbank und eine eigene afrikanische Währung aufzubauen, um die afrikanischen Länder aus der Bevormundung von IWF und Weltbank zu befreien.

Konzernmacht braucht Militärmacht

Die „Unverträglichkeit im Inneren“ und der „Krieg nach außen“ sind tatsächlich zwei Seiten einer Medaille. Im Inneren spaltet der Neoliberalismus die Gesellschaften immer stärker in Arm und Reich und schafft zugleich tiefe wirtschaftliche Krisenprozesse, weil Sozialabbau, Lohndumping und Austerität die Nachfrage im Inneren aushöhlen. Das wollen die EU-Mächtigen durch aggressiven Waren- und Kapitalexport ausgleichen.

Neoliberaler Freihandel bedeutet nicht Kooperation zum gegenseitigen Vorteil, sondern gnadenlose Markteroberung, also Unterwerfung des ökonomisch Schwächeren durch den Stärkeren. Die 500 größten Konzerne kontrollieren bereits 41% der Weltproduktion. Ein Drittel dieser Konzerne kommen aus dem EU-Raum. Für diese Konzerne verhandelt die EU-Kommission nicht nur CETA und TTIP, sondern auch Freihandelsabkommen mit den AKP-Staaten (Afrika, karabischer und pazifischer Raum), mit Indien und Brasilien, Argentinien und einer Reihe weiterer Staaten, die insgesamt fast 2 ½ Milliarden Menschen umfassen. Und diese Markteroberung im großen Stil braucht letztlich auch militärische Macht. Wer ist schon freiwillig zu Unterwerfung und Ausverkauf bereit.

„Schlagkräftige Rüstungsindustrie“

Als die EU mit dem Maastricht-Vertrag in ihrer neoliberalen Grundstruktur aus der Taufe gehoben wurde, prophezeite der damaligen deutsche Bundeswehrgeneral Klaus Naumann bereits: „Von nun an zählen nur mehr wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel diese umzusetzen.“ (Spiegel 15/1992). Und bei Letzterem diagnostizieren die EU-Eliten noch immer ein beträchtliches Manko. Nicht dass die Rüstungsausgaben unbeträchtlich wären, immerhin geben die EU-Staaten so viel für Rüstung aus wie China und Russland zusammen. Aber das ist den EU-Eliten zu wenig, quantitativ und vor allem qualitativ. Denn die Ambitionen sind hochfliegend. Das EU-Strategiepapier „Enabling the Future“ (2013) (1) definiert einen Raum, der ganz Osteuropa, den Großteil Afrikas, den Nahen und Mittleren Osten, die Arktisregion sowie die Küstenregionen und Schifffahrtslinien Südostasiens zum „Hinterhof“ der EU erklärt, in dem jederzeit EU-Streitkräfte zu intervenieren in der Lage sein sollen.

In den letzten Wochen und Monaten überbieten sich die EU-Eliten geradezu mit Vorschlägen, die „Fenster zur Hochrüstung“ (sh. Kasten) sperrangelweit zu öffnen. Die Ende Juni 2016 vom Europäische Rat beschlossene EU-Globalstrategie mahnt, dass die EU „in Bezug auf militärische Spitzenfähigkeiten … das gesamte Spektrum der  Rüstungskapazitäten zu Land, See, Luft und im Weltraum“ braucht. Die EU müsse „eine schlagkräftige europäische Rüstungsindustrie schaffen, die ausschlaggebend dafür ist, dass Europa eigenständig entscheiden und handeln kann." Eigenständig entscheiden und handeln wofür? Auch das erklärt uns die EU-Globalstrategie: für „offene Märkte“, „offene Schifffahrtsrouten“ und „Zugang zu natürlichen Rohstoffen“.(2)

„Das volle Potential einer Supermacht“

Auch die „Hohe Beauftragte“ der EU-Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini nimmt sich kein Blatt vor den Mund: „Aufgrund des wachsenden Wettbewerbs auf den globalen Märkten“ müsse die EU „eine wahre Union mit dem vollen Potential der Supermacht im Bereich Sicherheit und Rüstung*“ werden. „Das kann zu einer Rüstungsrevolution führen“, gerät Mogherini bei einer Rede im November ins Schwärmen. Dafür gelte es „das volle Potential des Lissabon-Vertrags“ auszuschöpfen (3).

Mit der Beschleunigung der EU-Militarisierung treten die EU-Eliten die Flucht nach vorne an, um „Ruhe im Inneren“ zu schaffen: Rüstung als wirtschaftlicher Konjunkturmotor, Rüstung als Droh- und Durchsetzungspotential für weitere globale Markteroberung, Rüstung und Krieg als Schmiermittel für die weitere Zentralisierung der immer unbeliebteren EU-Macht. Und Krieg als Befeuerung ständig neuer Feindbilder, um von den zunehmend unerträglicher werdenden Verhältnissen im Inneren abzulenken. Der erstarkende Rechtsextremismus, der die Krisenopfer (Arbeitslose, Verarmte) gegen die Kriegsopfer (Flüchtlinge) dieser Politik hetzt, ist der siamesische Zwilling dieses EU-Regimes. Nicht umsonst unterstützt die FPÖ sowohl die EU-Militarisierung als auch den harten neoliberalen Sparkurs der EU-Kommission.

Was können wir tun?

Was können wir dem Wahnsinn der Herrschenden entgegenhalten, die unerträgliche Verhältnisse im Inneren durch Krieg nach außen in eine Friedhofsruhe verwandeln wollen? Es gilt vor allem erträgliche Verhältnisse im Inneren für zu schaffen: durch Ausbau des Sozialstaats, durch solidarische Formen der Ökonomie, durch demokratische Selbstbestimmung. Dann brauchen wir auch keine Gewalt nach außen. Für immer mehr Menschen wird klar: Im Rahmen der EU geht das nicht. Die EU-Verträge und Institutionen haben den Teufelskreis von Neoliberalismus und Militarisierung in einer einzigartigen Weise politisch und rechtlich einzementiert. Daraus gilt es die Konsequenzen zu ziehen: Solidarstaat Österreich statt EU-Konkurrenzregime! Neutralität statt Mitmarschieren und Mitrüsten für die EU-„Supermacht“! Öxit!

Gerald Oberansmayr
(6.12.2016)

Quellen:
(1) EU-Institut für Sicherheitsstudien, „Die Zukunft ermöglichen – Europäische Militärkapazitäten 2013-2025: Herausforderungen und Wege“, 2015
(2) Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Brüssel, 28.06.2016
(3) Rede bei der Eröffnungskonferenz der EU-Rüstungsagentur, 10.11.2016, Brüssel
*) Der Euphemismus „defence“ wird hier und in Folge wahrheitsgetreuer mit „Rüstung“ übersetzt.


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Fenster zur Hochrüstung

Nahezu wöchentlich werden derzeit auf EU-Ebene neue Vorschläge für die Aufrüstung der EU gemacht, ein (unvollständiger) Überblick:

 

> Die EU-Kommission schlägt die Schaffung eines eigenen EU-Rüstungsfonds vor, der aus zwei „Fenstern“ besteht:

  • - Einem „Fähigkeitsfenster“; die Kommission geht zunächst von einer Dotierung von fünf Milliarden aus, jedoch ist dieser Topf grundsätzlich nach oben hin offen. Damit sollen Investitionen in zentrale EU-Rüstungsprojekte angestoßen werden: Killerdrohnen, Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe, Luftbetankung, Militarisierung des Weltraums, usw. Das besondere Lockmittel: Die über diesen Rüstungsfonds abgewickelten Investitionen sollen bei der Berechnung der nationalen Haushaltsdefizite nicht berücksichtigt werden. Während also Ausgaben für Bildung, Pensionen und Gesundheit leicht zur Verletzung der EU-Defizitkriterien führen, werden diese Rüstungsmilliarden aus dem Staatsdefizit herausgerechnet. Der Rüstungsfonds soll von einem Koordinierungsausschuss geleitet werden, dem neben Vertretern der EU-Staaten auch Rüstungslobbyisten angehören. Außerdem soll die Europäische Investitionsbank (EIB) verstärkt Gelder für „Dual use“-Güter (ziviler und militärischer Verwendungszweck) zur Verfügung stellen.

  • - Einem Forschungsfenster, dotiert mit jährlich 500 Millionen, um die militärische Forschung anzukurbeln. Das entspricht einer Steigerung der Rüstungsforschung in der EU um 25% (derzeit werden auf nationaler Ebene rd. 2 Milliarden Euro für Rüstungsforschung ausgegeben). Dafür soll vor allem aus zivilen Töpfen umgeschichtet werden. Gelder für Bildung (Erasmus+, Förderung regionaler Exzellenzcluster von Universitäten), Entwicklungshilfe usw. sollen in den militärischen Bereich umgelenkt werden.

> Das EU-Parlament fordert die EU-Staaten zu Militärausgaben in der Höhe von mindestens 2% des BIP auf (Beschluss vom 22.11.2016). Für Österreich würde das mehr als eine Verdoppelung der Militärausgaben bedeuten. Die deutsche Kanzlerin Merkel hat bereits eine Erhöhung des deutschen Militäretats von derzeit rd. 34 Milliarden auf mittelfristig 60 Milliarden angekündigt. Ebenfalls durch die EU-Globalstrategie auf der Tagesordnung steht die Einrichtung eines „Europäischen Rüstungssemesters“. So wie derzeit ein „Europäisches Semester“ existiert, in dem die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten zu einem strengen Sparkurs bzw Sozialabbau anhält, soll dieses Rüstungssemester dafür sorgen, dass mehr Geld für Rüstung aus den nationalen Haushalten fließt.

> Schaffung eines gemeinsamen EU-Oberkommandos bzw. -Hauptquartiers für globale Militäreinsätze. Parallel dazu Ausbau und Stärkung der EU-Battlegroups, insbesondere durch maritime und Luftkampfverbände. Das EU-Parlament bedauert ausdrücklich, „dass diese Battlegroups seit 2007 einsatzbereit sind, aber noch nie kämpfen durften.“ (22.11.2016). Gefordert wird deren Einsatz insbesondere in Afrika und im Nahen Osten. Durch Einrichtung eines eigenen EU-Startup-Fonds soll die Finanzierung von Battlegroupseinsätzen erleichtert werden.

> Schaffung eines „militärischen Kerneuropas“ (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit). D. h. besonders aufrüstungswillige Staaten formieren sich zu einem inneren Führungszirkel. Damit kann das Einstimmigkeitsgebot in der EU-Militärpolitik elegant umschifft werden. Denn die Einrichtung dieses Klubs der Hochrüster erfolgt nach dem Mehrheitsprinzip. Und in Folge können weitere Mitglieder von den Klubmitgliedern, ebenfalls nach dem Mehrheitsprinzip, aufgenommen oder – wenn sie nicht mehr entsprechend brav rüsten – wieder vor die Tür gesetzt werden. Das ermöglicht die schrittweise Einführung einer EU-Armee durch die Hintertür.