Das von der chinesischen Staatsführung vorgelegte 12-Punkte-Positionspapier „zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“ wurde von westlicher Seite zumeist umgehend zurückgewiesen. Es sei „russlandfreundlich“, „einseitig“, gar „ein Ablenkungsmanöver“. Liest man sich das Papier durch, entsteht ein gänzlich anderer Eindruck: Dieses Positionspapier hat das Potential, Eckpunkte für Verhandlungen für eine nachhaltige Friedenslösung in diesem Krieg und darüber hinaus abzustecken.


Bereits die ersten beiden Punkte sprechen zwei entscheidende Aspekte an:

  1. Das allgemein anerkannte Völkerrecht, einschließlich der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, muss strikt eingehalten werden. Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit aller Länder muss wirksam gewahrt werden – ohne „doppelte Standards“.
  2. Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder Ausweitung von Militärblöcken erreicht werden. Die legitimen Sicherheitsinteressen und -belange aller Länder müssen ernst genommen und angemessen berücksichtigt werden.(Hier der Originalwortlaut des chinesischen Positionspapiers)

Respekt vor dem Völkerrecht - ohne doppelte Standards

So diplomatisch die Sprache, so klar richtet sich der erste Punkt gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg. Die Schlussfolgerung kann nur sein: Russland muss sich aus den annektierten Territorien in der Ukraine zurückziehen. Freilich richtet sich dieser Punkt auch gegen die Politik der „doppelten Standards“, die bei NATO und EU Hochkonjunktur hat. Denn wenn wir uns an die Kriege westlicher Mächte in den vergangenen Jahrzehnten erinnern – Stichworte: Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen, Palästina – so wird deutlich, dass völkerrechtswidrige Angriffskriege beileibe kein russisches Alleinstellungsmerkmal sind.

Sicherheit nicht auf Kosten anderer

Der zweite Punkt spielt auf einen zentralen Gesichtspunkt der Vorgeschichte des Krieges an: Die ständige Osterweiterung von NATO und EU bis an die russischen Grenzen, der Aufbau von militärischen Drohpotential direkt vor der russischen Haustür hat zur Eskalation beigetragen. Die Schlussfolgerung daraus: Wir brauchen in Zukunft ein kooperatives Sicherheitssystem – also Sicherheit miteinander statt gegeneinander bzw. auf Kosten anderer. Im konkreten Fall: Nicht nur der Rückzug der russischen Truppen aus den annektierten Gebieten muss Teil einer Friedenslösung sein, sondern auch die Sicherstellung, dass die Ukraine nicht zum militärischen Aufmarschgebiet westlicher Großmächte gegen Russland wird.

Weiterer Punkte im chinesischen Papier zielen vor allem in Richtung Deeskalation, um den Boden für Verhandlungen aufzubereiten, z.B.: humanitäre Maßnahmen insbesondere zum Schutz der Zivilbevölkerung aber auch der Kriegsgefangenen, Verurteilung aller Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen, Schritte zum Ausstieg aus dem sich aufschaukelnden Wirtschaftskrieg, der nicht zuletzt auf dem Rücken der Menschen im globalen Süden ausgetragen wird.

Rückzug der russischen Truppen - Neutralität der Ukraine

Diese Vorschläge sind grundvernünftig. Sie können ein Fundament für eine nachhaltige Friedenslösung liefern. Bemerkenswerterweise waren sich Kiew und Moskau bei ihren Gesprächen in der Türkei im März/April 2022 gerade in den ersten beiden Punkten schon erstaunlich nahe gekommen (siehe hier) . So etwa war die Ukraine bereit, einen neutralen Status mit internationalen Sicherheitsgarantien zu akzeptieren, wenn Russland seine Truppen von ukrainischem Territorium abzieht. Alle offenen territorialen Fragen (Krim, Donbass-Republiken) sollten am Verhandlungstisch unter Einbeziehung der betroffenen Bevölkerungen gelöst werden. Doch die westlichen Großmächte hatten offensichtlich kein Interesse an einer neutralen Ukraine, sie setzten auf massive Waffenlieferungen und eine wirtschaftliche Sanktionsspirale. Und die russische Führung beschritt mit den völkerrechtswidrigen Annexionen im Herbst 2022 einen fatalen Weg, der einer solchen Verhandlungslösung den Boden unter den Füßen wegzog.

Diese Blockade droht sich nun zu wiederholen: Sowohl die westlichen Großmächte als auch der Kreml äußern sich ablehnend zum chinesischen Vorstoß. Interessanterweise zeigt sich die ukrainische Führung aufgeschlossen, mit Peking über diese Initiative zu reden.

Hoffnungsschimmer

Aus einer Friedensperspektive ist die chinesische Initiative jedenfalls ein Hoffnungsschimmer. Denn sie umreißt Möglichkeiten, nicht nur den Krieg zu beenden, sondern auch Grundlagen für eine neue europäische Friedensarchitektur zu schaffen, die Abrüstung, Respekt vor dem Völkerrecht und Kooperation auf Augenhöhe zum Ziel hat. Daran dürften derzeit weder die Machthaber in USA und EU noch in Russland ein Interesse haben. Denn die Ukraine als zwischen Ost und West zerrissenes Land kann den Scharfmachern auf beiden Seiten als permanente Quelle für Feindbildproduktion und Aufrüstung dienen – auf Jahrzehnte. Eine ungeteilte, souveräne und neutrale Ukraine könnte dagegen Brücken zwischen Ost und West bauen und zu einer dauerhaften Entspannung auf unserem Kontinent beitragen.

Wo bleibt das neutrale Österreich?

Es zeigt, wie sehr die EU ein Projekt der Spaltung und Militarisierung des Kontinents ist, dass es einer „außereuropäischen“ Macht wie China bedarf, solche vernünftigen Vorschläge für eine europäische Friedensarchitektur zu benennen. Auch lateinamerikanische Staaten (z.B. Mexiko, Brasilien) haben bereits Vorschläge in diese Richtung gemacht. Es ist ein Versäumnis, dass das neutrale Österreich bislang nicht in der Lage war, ähnliche friedenspolitische Initiativen zu entwickeln, sondern sich an Aufrüstung und Blockbildung im Rahmen der EU beteiligt. Anstatt unser Land zum Durchmarschgebiet für westliche Waffenlieferungen und Militärtransporte zu machen und sich an EU-Militärmissionen, wie jetzt im Niger, zu beteiligen, sollte sich die österreichische Bundesregierung endlich friedenspolitisch engagieren. Eine solche aktive Neutralitätspolitik durchzusetzen, muss ein Ziel der österreichischen Friedensbewegung sein.
(März 2023)

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