Foto: wikipediaEin Beitrag von Dr. Hans Hautmann über die "Strafexpedition" Österreich-Ungarns gegen Serbien 1914.

Mit der Kriegserklärung des Habsburgerreiches an Serbien am 28. Juli 1914 und der Beschießung Belgrads aus Monitoren der k.u.k. Donauflottille am 29. Juli eskalierten die imperialistischen Gegensätze zwischen den Mittelmächten und der Entente binnen weniger Tage zum großen Krieg. Der Beginn der Kampfhandlungen der Millionenarmeen an der West- und Ostfront überschattete sogleich den Feldzug Österreich-Ungarns gegen Serbien und degradierte den Balkan zum Nebenschauplatz. Was hier bis zum Jahresende 1914 geschah, blieb weitgehend unbeachtet. Der Krieg der Donaumonarchie mit dem Königreich Serbien wies jedoch im Rahmen des allseits imperialistischen Krieges Besonderheiten auf. Er hatte von Anfang an den Charakter einer „Strafexpedition“; und er hatte seitens Serbiens als einziger das Merkmal eines gerechten nationalen Verteidigungskrieges. Beides war das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung – mit der nicht unwesentlichen Beifügung, dass die Attacken der Serben gegen die Habsburgermonarchie bürgerlich-nationalistisch bestimmt waren, die Anti-Serben-Haltung der Österreicher hingegen von imperialistischen, rassistischen und sozialdarwinistischen Positionen ausging.

Wüten unter der serbischen Zivilbevölkerung

Vom Wiener Ballhausplatz wurde seit dem 28. Juni 1914, dem Tag des Attentats von Sarajevo, der illusionäre Versuch unternommen, das ganze „kulturelle Europa“ gegen die serbische „Barbarei“ zu einen, das Vorgehen Österreich-Ungarns gegen Serbien gleichsam als Wohltat, als Kreuzzug zur Bewahrung „westlicher Kulturwerte“ hinzustellen. Verbunden wurde das mit der schon seit Jahren benützten Propagandafloskel, dass man sich von Serbien schon viel zu viel gefallen habe lassen, dass ihm endlich eine „Lektion erteilt“ werden müsse, eine „Strafexpedition“ notwendig sei, bei der Österreich-Ungarn mit Serbien allein zu bleiben habe und die anderen Großmächte, wollten sie nicht als Verräter an der „abendländischen Zivilisation“ dastehen, sich jeglicher Einmischung zu enthalten hätten.

Dass man eher vermied, das Wort „Krieg“ in den Mund zu nehmen und lieber von einer „Strafexpedition“ sprach, gewissermaßen der Züchtigung eines missratenen, frechen Außenseiters, macht vieles von dem verständlich, was nach dem 28. Juli 1914 geschah. „Krieg“ bedeutet, dass man sich bei der Erreichung des Zieles, dem Gegner gewaltsam seinen Willen aufzuzwingen, doch an bestimmte völkerrechtliche Regeln und Gebräuche hält. „Strafexpedition“ heißt, dass man gar nicht so sehr und primär die Niederwerfung des Feindes anstrebt, sondern möglichst viel zerstört, vernichtet, niederbrennt, weniger den feindlichen Soldaten trifft als die Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung, dass man sich gerade an ihr rächt, sie mit blutigem Terror überzieht. Die Kampfhandlungen des August/September 1914 sollten zeigen, dass die österreichisch-ungarischen Truppen gar nicht in der Lage waren, die letztere Art der Kriegführung auf das Territorium des Königreiches Serbien zu tragen und dort zur Anwendung zu bringen. Die „Strafexpedition“ musste daher so gut wie ausschließlich die im Verband der Monarchie ansässige serbische Bevölkerung über sich ergehen lassen.

Ihre Zahl war beträchtlich und belief sich auf 2,1 Millionen: 120.000 in der österreichischen Reichshälfte (vorwiegend im Südteil Dalmatiens), 880.000 in Bosnien-Herzegowina, 1,1 Millionen in der ungarischen Reichshälfte (Syrmien, Batschka, Banat). Gegen sie ging man unter der Anschuldigung des Einverständnisses mit dem Feind, der Spionage, Sabotage und des massenhaft begangenen Verrats mit Erschießungen und Erhängungen vor, die Frauen, Greise und Halbwüchsige einbezogen; mit dem Niederbrennen ganzer Dörfer; mit Geiselnahmen und Geiseltötungen; und mit Deportationen Zehntausender in Anhaltelager, wo ein großer Teil an Hunger, Seuchen und Misshandlungen zugrunde ging.

Ein Augenzeuge dieser Kriegs- und Humanitätsverbrechen war Egon Erwin Kisch, damals Korporal beim Infanterieregiment Nr. 11, des „Prager Korps“: Schauplatz Bjelina in Bosnien am Freitag, 7. August 1914: „Auf dem Marktplatz steht ein Galgen, ein Pflock mit einem Nagel oben. Heute sind ein Pope und ein Student gehängt worden.“ Schauplatz Bjelina am Samstag, 8. August 1914: „In einem Wagen fuhr eine verwundete Serbin vorüber. Sie hatte angeblich einen Brunnen vergiftet und war dabei ertappt worden; als sie flüchtete, sandte man ihr einen Schuss nach. Ein Serbe wurde mittels Automobil ins Korpskommando eingeliefert (...) In seinem Gesicht zeugte kein Fältchen von Besorgnis oder gar Angst, obwohl ihm der Tod von Henkershand gewiss ist.“

Schätzungsweise fielen dem Terror der k.u.k. Truppen im Sommer und Herbst 1914 30.000 serbische Zivilisten zum Opfer. Diese Zahl nannten südslawische Abgeordnete in Reden, Anfragen und Interpellationen in den Jahren 1917 und 1918 im österreichischen Parlament. Ihr Wahrheitsgehalt erweist sich daran, dass weder das Kriegsministerium noch das Armeeoberkommando jemals Anstalten machten, sie zu dementieren, zu entkräften oder richtig zu stellen.

Das Feldzugsdesaster

Vor Österreich-Ungarn stand im August 1914, wollte man den Nimbus einer Großmacht wahren, die gebieterische politische Forderung, gegenüber Serbien einen raschen Erfolg zu erzielen. Offensives Vorgehen um jeden Preis lautete daher für den Oberkommandierenden der Balkanstreitkräfte, Feldzeugmeister Oskar Potiorek, selbst dann noch die Devise, als nach dem Abgang der österreichisch-ungarischen 2. Armee nach Galizien keine ausreichende Truppenstärke für Angriffsoperationen mehr verfügbar war. Die am 12. August 1914 an den schwer zu überwindenden Flusshindernissen Drina und Save eröffneten Kampfhandlungen stießen sofort auf hartnäckige serbische Gegenwehr und endeten mit Misserfolgen. Mehr noch: Die Truppen der 5. und 6. Armee sahen sich an verschiedenen Stellen sogar in eine wilde, panische Flucht geschlagen, deren Schrecknisse Egon Erwin Kisch in seinem Kriegstagebuch eindringlich schildert.

Nach zwölf Tagen, am 24. August, waren die österreichisch-ungarischen Truppen vom serbischen Boden überall vertrieben.

Noch zweimal versuchte im Herbst 1914 Potiorek, die Offensive wieder aufzunehmen, am 8. September und am 6. November. Während die erste Offensive sich erneut festlief, ja die Österreicher sogar in Abwehrkämpfe mit den auf bosnisches Territorium vordringenden Serben verwickelt wurden, schien sich bei der zweiten Offensive ein Erfolg anzubahnen. Die 5. und 6. Armee stieß über Valjevo auf Belgrad vor und nahm die serbische Hauptstadt am 2. Dezember 1914 ein. Doch schon am Tag darauf leitete das serbische Armeeoberkommando den Gegenschlag ein und zwang die kaiserlichen Truppen bis zum 15. Dezember, Belgrad und das gesamte eroberte serbische Gebiet wieder zu räumen.

Die Verluste im Verlauf der viermonatigen Kämpfe waren auf beiden Seiten erschreckend hoch. Das österreichisch-ungarische Heer verlor von den aufgebotenen 462.000 Mann 28.000 an Toten, 122.000 an Verwundeten, 76.000 an Gefangenen und Zehntausende, die an Cholera, Ruhr und anderen Seuchen erkrankten. Das serbische Heer büßte rund 200.000 Mann ein (23.000 Tote, 91.000 Verwundete, 19.000 Gefangene, der Rest Erkrankte). Als Folge der riesigen Opfer und unmenschlichen Strapazen trat auf dem Balkankriegsschauplatz eine zehnmonatige Erschöpfungspause bei den Kämpfen ein.

Die Hauptursache für das militärische Desaster der österreichisch-ungarischen Offensive gegen Serbien im Jahr 1914 lag nicht nur darin, dass man die Widerstandskraft des serbischen Heeres in imperialistisch-rassistischer Verblendung unterschätzte, sondern vor allem im Faktum begründet, dass die Überzeugung, für eine gerechte Sache, für die nationale Unabhängigkeit zu kämpfen, den Serben eine überlegene Kampfmoral verlieh. Der Misserfolg Österreich-Ungarns gegen das kleine Serbien erschütterte sein militärisches und politisches Prestige nachhaltig, stärkte in den übrigen Balkanstaaten die ententefreundlichen Kräfte und förderte die nationale Befreiungsbewegung unter den südslawischen Völkern der Donaumonarchie.

Dr. Hans Hautmann ist ao. Universitätsprofessor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte im Ruhestand in Wien.

i Egon Erwin Kisch, Schreib das auf, Kisch!, in: Gesammelte Werke in Einzelausgaben, hrsg. von Bodo Uhse und Gisela Kisch, Berlin-Weimar 1976, S. 172.
ii Ebenda, S. 172f.
iii Anton Wagner, Der Erste Weltkrieg. Ein Blick zurück, 2. Aufl., Wien 1981, S. 79.