EU-Kommissionpräsident Juncker begrüßte die Begründung der „Aufrüstungsunion“ (EU-SSZ/Pesco) mit den Worten: „Endlich ist die schlafende Schönheit des Lissabon-Vertrags geweckt“. Für die große Mehrheit der Menschen bedeutet dieses Milliardenfeuerwerk für Aufrüstung und Kriegsvorbereitung wohl eher die Geburt eines Monsters, das wir so schnell wie möglich wieder loswerden sollten.

„Superstaat – Supernation – Supermacht“

Seit Anfang der 10er Jahre prägt die Denkfabrik „Group on a Grand Strategy“ (GoGS) immer stärker die EU-Sicherheits- und Militärpolitik. Oder besser gesagt: Diese spricht offen aus, was seit Anfang an die politische DNA der Europäischen Union ist, in dieser Brutalität aber vom EU-Establishment aus taktischen Gründen selten offen artikuliert wird. James Rogers, der Leiter der GoGS: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden“(1). Der Schlüssel für diese EU-Supermacht ist – so die GoGS - die politische, wirtschaftliche und militärische Kontrolle der EU über eine „Grand Area“. Das heißt – so Rogers – „uneingeschränkter Zugang zu einer weiten, angrenzenden Zone, die die östliche Nachbarschaft und das westliche Russland, den Kaukasus und große Teile Zentralafrikas, die arktische Region, die nördliche Hälfte von Afrika, den gesamten Nahen und Mittleren Osten, genauso den Indischen Ozean und Südost-Asien umfasst. Diese ‚Grand Area’ beinhaltet die meisten Rohstoffe, die von der europäischen Wirtschaft benötigt werden; alle zentralen Schifffahrtsrouten von Asien, Australien, Afrika und den Nahen und Mittleren Osten; alle Energiepipelines – gegenwärtige und zukünftige – von Russland, Zentralasien und Nordafrika…“. (2) Ziel dieser aggressiven Militärpräsenz sei es, „ausländischen Regierungen das Fürchten zu lehren und sie gegenüber europäischen Präferenzen aufgeschlossener zu machen.“ (2)

Krieg in Zentralafrika, im Nahen Osten und im Indischen Ozean

Diese Ausführungen haben dem EU-Establishment so imponiert, dass James Rogers beauftragt wurde, den EU-Gipfel im Dezember 2013 mit dem Strategiepapier „Enabling the future“ vorzubereiten. Dieses Strategiepapier wiederholt im Wesentlichen die obigen Thesen des GoGS in etwas diplomatischerem Stil und kommt zum Schluss, dass es darum gehe, die militärischen Fähigkeiten der EU-Staaten schrittweise zu einem „Euro-Militär“ zu zentralisieren. Denn „die Bereitschaft der EU-Staaten, ihre militärischen Fähigkeiten zu integrieren, geht Hand in Hand mit ihren erklärten Ambitionen auf der Weltebene. […]Indem man die Streitkräfte der EU-Staaten unter einer EU-weiten Streitkräftestruktur zusammenbringt, würde man eine beträchtliche Gesamtkapazität zusammenbringen, die es den Europäern ermöglicht, die anspruchsvollsten Operationen zu unternehmen“(3). Wie solche „anspruchsvollsten Operationen“ zukünftig ausschauen könnten, wird dann anhand von Luftlandeeinsätzen in Zentralafrika, Marineoperationen im Indischen Ozean und Großkriegen im Nahen Osten durchgespielt. Der solcherart vorbereitete EU-Gipfel im Dezember 2013 ist in die Geschichte als „EU-Rüstungsgipfel“ eingegangen, da die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, von nun an bedingungslos aufs militärische Gaspedal zu steigen.

Aufrüstung als generelle Verfassungspflicht im EU-Vertrag…

Die Rüstungsbudgets stiegen zwar im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts kräftig an, die tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 ging jedoch auch an den Militärhaushalten nicht spurlos vorbei. Zwischen 2010 und 2013 sanken EU-weit die Militärausgaben, nachdem auf EU-Ebene eine drakonische Austeritätspolitik verordnet wurde. Damit ist seit dem EU-Rüstungsgipfel 2013 Schluss. Die von oben verordnete Austerität soll zwar „den Sozialstaat zu einem Auslaufmodell machen“ (O-Ton EZB-Chef Mario Draghi), aber in keiner Weise den Militarisierungskurs gefährden. Und tatsächlich: Seit 2013 rauschen die Militärhaushalte EU-weit wieder in die Höhe. Handhabe dafür, die Militärausgaben vom generellen Sparzwang auszunehmen, liefert der berüchtigte Artikel 42, Abs. 3 des EU-Vertrags, der 2009 mit dem EU-Vertrag von Lissabon in Kraft trat. Dieser Artikel verpflichtet alle EU-Staaten dazu, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Abrüstung ist also in der EU per Verfassung untersagt.

… und als konkretes Gebot für die Militärhaushalte in der EU-SSZ

Ein weiterer Artikel des EU-Lissabon-Vertrags half dem EU-Establishment schließlich, diese Aufrüstungsabsichten in ein stabiles Korsett zu gießen: der Artikel 42, Absatz 6 (EUV), in dem die Gründung einer „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco) ermöglicht wird, in der all jene EU-Staaten zusammenfinden, die „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen.“ Diese EU-SSZ wurde schließlich Ende 2017 aus der Taufe gehoben, 25 EU-Staaten – darunter Österreich – unterschrieben die Aufnahmebedingungen. Dazu zählt die Verpflichtung

  • zur ständigen Erhöhung der Militärausgaben: Das informelle Ziel der SSZ ist identisch mit dem offiziellen der NATO: zumindest zwei Prozent der BIPs für das Militär. Damit droht ein gewaltiger EU-Aufrüstungsschub im nächsten Jahrzehnt (sh. Grafik), wenn die EU-Staaten – wie vom EU-Parlament gefordert – bis 2030 die 2%-Marke erreichen sollen.
  • sich einem ständigen EU-Evaluierungsprozess (CARD) zu unterwerfen, der die SSZ-Staaten jährlich auf Herz und Nieren prüft, ob sie brav ihre Aufrüstungshausaufgaben machen.
  • zur Teilnahme an EU-Militärinterventionen (EU-Battlegroups) und zu schrankenlosen EU-Kriegsmaterial- und Truppentransporten (Projekt „Militärische Mobilität“).
  • zur Teilnahme an zumindest einem der immer zahlreicher werdenden SSZ-Rüstungsprojekten, deren Ziel es ist, die Armeen der EU-Staaten schrittweise zu einer „Euro-Armee“ (von der Leyen) zusammenzuführen.

Parallel zur Aufrüstung auf nationaler Ebene werden auf EU-Ebene neue Füllhörner für Aufrüstung und Rüstungsforschung eingerichtet, z.B. der Europäische Rüstungsfonds, der zur Kofinanzierung großer nationaler Rüstungsprojekte dient (Euro-Drohne, neue Generation von Kampfflugzeugen, usw.).

„So bedeutend für das Militär wie der Euro für die Wirtschaft“

Sven Biscop von der „Group on a Grand Strategy“ analysiert die SSZ/Pesco begeistert: „Pesco könnte für das Militär der EU einmal so bedeutend werden wie der Euro für die Wirtschaft“ (4). EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerät angesichts der Aussicht auf ein Milliardenfeuerwerk für Aufrüstung und Kriegsvorbereitung regelrecht in Verzückung: „Endlich ist die schlafende Schönheit des Lissabon-Vertrags geweckt“ (5). Das mag für Eurokraten und Rüstungsprofiteure zutreffen. Für die große Mehrheit der Menschen bedeutet es wohl eher die Geburt eines gefährlichen Monsters, das wir so schnell wie möglich wieder loswerden sollten.

>> Weitere Informationen unter Medien im Dossiers „Ja zur Neutralität - NEIN zur EU-SSZ!“

>> Petition gegen Teilnahme Österreichs an der EU-SSZ/Pesco unterstützen:
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Anmerkungen:
(1) James Rogers/Simón Luis, The new ‘long telegram’, Group on a Grand Strategy, Nr. 1, 2011
(2) James Rogers, A new Geography of European Power?, Egmont Paper Nr. 42, 2011
(3) EU-ISS, Enabling the future – European military capabilities 2013-2025: challenges and avenues , Brüssel 2013
(4) Morgenpost, 8.11.2017
(5) Twitter, 11.12.2018