Am 26. Oktober 2020 veranstaltete die Solidarwerkstatt anlässlich des 65. Jahrestags der immerwährenden Neutralität eine Kundgebung unter dem Motto „Neutralität verbindet, Militärblöcke spalten“. In seiner Rede bringt Norbert Bauer, Vorsitzender der Solidarwerkstatt Österreich, dabei etwas ans Tageslicht, was das EU-Establishment gerne im Dunkeln lässt: die rechtsextremen, deutschnationalen Wurzeln des EU-Beitritts.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

auch während einer globalen Pandemie stehen wir von der Solidarwerkstatt, gemeinsam mit vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, am 26.Oktober auf der Straße, um einerseits den Tag der Beschlussfassung der immerwährenden Neutralität zu feiern, um aber andererseits auch wieder einmal die inzwischen leider sehr fortgeschrittene Demontage eben dieser Neutralität anzuklagen.

Im Jahr 2020 ist es freilich ein besonderer Anlass, ein rundes Jubiläum. Vor 65 Jahren fand nämlich diese Beschlussfassung im Parlament der erst wenige Monate zuvor durch den Staatsvertrag aus der Taufe gehobenen, selbstbewussten 2. Republik Österreich statt.

Die heurige Kundgebung steht nun unter dem Motto: Militärblöcke spalten, Neutralität verbindet und wendet sich damit speziell gegen jene unerträglichen, geradezu wahnwitzigen Narrative ,mit denen uns im Wortsinn – erzählt werden soll, wie nötig wir doch den „Wirtschaftsgroßraum EU“ und die  zur Machtprojektion angeblich notwendige militärische Stärke des sich langsam als solches herauskristallisierenden EU-Imperiums hätten, angesichts der anderen Machtblöcke wie China, USA, Russland, Indien u.s.w.. Immer wieder heißt es, wir EUropäer  dürften den Anschluss an diese außereuropäischen Großreiche nicht verlieren. Auch hört man in diesem Zusammenhang immer öfters, Deutschland und die EU wären drauf und dran zum Beispiel im Wettlauf um die Vorherrschaft im Bereich der Digitalisierung zu kurz zu kommen und gegenüber den gegenwärtigen zwei Giganten auf diesem Gebiet, den USA und China hoffnungslos zurückzubleiben.

Dabei könnte einem der kalte Schauer über den Rücken laufen, wenn wir nämlich die 65 Jahre des heutigen Jubiläums verdoppeln und uns quasi 130 Jahre in der Geschichte zurückversetzen lassen.

Denn schon damals fühlte sich das erst jüngst mit dem Blut, den Eingeweiden und den Knochen zehntausender Toter der so genannten „Einigungskriege“ Preußens zusammengezimmerte neue „Deutsche Reich“ gegenüber den anderen damaligen „Imperien“ als „zu kurz gekommen“ und nahm sich mit dem neuen, jungen Kaiser Wilhelm II. vor,  unter seiner Vorherrschaft ein europäisches Imperium zu schmieden, um dem Britischen Empire, den aufstrebenden USA, Russland, aber auch China und Japan in jeder Hinsicht Paroli bieten zu können.

Das Schauderhafte an den vorher erwähnten gegenwärtigen Narrativen ist nun, dass uns auch heute die Europäische Union - dominiert von Deutschland – wenn auch mit anderen Phrasen, so doch im Grunde nichts anderes verspricht, als uns alle „herrlichen Zeiten entgegen zu führen“ und den EUropäern einen „Platz an der Sonne“ in Aussicht stellt im heraufdräuenden „Zeitalter der Imperien“(Guy Verhofstadt).

1955: Ehemalige Nazis gegen Neutralität und für Anschluss an „europäische Marktgemeinschaft“ als „Daseinssinn“

Doch bereits 1955, also nach 2 Weltkriegen und einer 10-jährigen Besatzungszeit wähnten sich die Östereicherinnen und Österreicher endgültig geheilt von solch gefährlichen, wahnwitzigen Erzählungen. In einem Kommentar für das aktuelle Werkstatt-Blatt habe ich auf diesen Umstand Bezug genommen und geschrieben: „Würden nicht Leopold Figl, seine Mitstreiter aus der Sozialdemokratie, ja würden wahrscheinlich nicht alle Österreicherinnen und Österreicher des Jahres 1955 die Hände über den Kopf zusammenschlagen und die gegenwärtige PolitikerInnenriege schärfstens anklagen und ihr zurufen: Wie konntet ihr nur?!“(1)

Doch eigentlich möchte ich den einen Satz nun um das Wort „fast“ ergänzen. Also „fast alle Österreicherinnen“, denn eine kleine Minderheit opponierte schon 1955, sogar am 26.10. dieses Jahres im Parlament gegen die Gesetzesvorlage zur Neutralität, eingebracht von ÖVP, SPÖ und KPÖ. Der Wortführer dieser Minderheit war ein gewisser Max Stendebach, der Bundesobmann der VdU (Verband der Unabhängigen), dem Sammelbecken der ehemaligen Nationalsozialisten. Max Stendebach war erst 1947 österreichischer Staatsbürger geworden, ein gebürtiger Deutscher also, aufgewachsen und zum Offizier ausgebildet im wilheminischen Deutschland, der in zwei Weltkriegen für die deutsche Vorherrschaft in Europa gekämpft hatte (2). Und dieser quasi als Österreicher „verkleidete“ Deutsche , der später maßgeblich an der Gründung und vor allem der Namensgebung der „FPÖ“ beteiligt sein wird, also ein Gründervater der FPÖ - ergreift nach der Rede des Staatsvertragskanzlers Julius Raab im österreichischen Parlament das Wort und begründet, weshalb  er dem zur Debatte stehenden Gesetz nicht zustimmen wird. Dabei beruft er sich immer wieder auf eine seiner früheren Reden zur Thematik: „Wir sind nicht die Schweiz, wir haben einen anderen geschichtlichen Werdegang. Wir haben eine andere Wirtschaftslage und wir haben eine sehr viel andere geopolitische Lage. (...) Ein eindeutiges Bekenntnis zu unserer Zugehörigkeit zu Europa habe ich mit den Worten geschlossen. ‚Wir können uns nicht abschotten von Europa, selbst wenn wir wollten. Aber wir wollen es auch nicht. Denn uns von Europa auszuschließen hieße, einen Teil unseres Selbst, unseres Daseinsinns(!) aufzugeben.‘“ Und - so Stendebach weiter: „Ich habe dann dargelegt, daß die arbeitsteilige Industriewirtschaft der Gegenwart zwingend nach wirtschaftlichen Großräumen verlangt und daß dies besonders für eine exportabhängige Wirtschaft wie die unsrige gilt. (…) Ich habe diese Darlegungen geschlossen mit der Feststellung ‚Unsere wirtschaftliche Lage verlangt deshalb gebieterisch nach einer Teilhabe an der werdenden europäischen Marktgemeinschaft.‘“(3)

2020: FP-Kickl „liebt EU“

Es gehört nun wohl zu den vielen Grotesken der Geschichte, dass nur 40 Jahre später unter genau (!) umgekehrten politischen Vorzeichen ausgerechnet ÖVP und SPÖ gemeinsam die Österreicherinnen und Österreicher in die Falle der EU-Mitgliedschaft gelockt haben und die damalige Haider FPÖ die „Anti-EU“ Kraft vortäuschen(!) konnte.

Doch des Pudels Kern, definiert durch die Rede des FPÖ-Gründervaters Max Stendebach vom 26.10.55, hat in dieser Partei stets die entscheidende (Aus)Richtung vorgegeben, und spätestens seit heuer, also 2020 der aktuelle geschäftsführende Klubobmann dieser Partei Herbert Kickl auf einer Pressekonferenz seine - Liebe(!) -  zur Europäischen Union beschworen hat - die „EU-Kritik“ der FPÖ erklärte er mit dem Umstand, dass, wenn man wirklich liebt(!) auch gelegentlich kritisieren darf, ja muss - spätestens seit dieser Pressekonferenz(4) also sollte wirklich jeder und jedem in diesem Land klar geworden sein, dass es mit der FPÖ niemals  einen EU-Austritt wird geben können, und de facto keine(!) der zur Zeit im österreichischen Parlament vertretenen Parteien dieses politische Anliegen eines immerhin nach wie vor gar nicht so kleinen Teils der hiesigen Bevölkerung vertritt.

Umso mehr freut es mich, dass es die politische Organisation Solidarwerkstatt Österreich gibt , die sowohl am 15. Mai und am 26. Oktober jedes Jahres sich öffentlich dazu bekennt, dass eine völlige Wiederherstellung der immerwährenden Neutralität im Sinne der Beschlussfassung von 1955 nur durch einen Austritt Österreichs aus der EU erreicht werden kann!

Dass es sich lohnt, dann die längst ins Koma versetzte, zur Zeit also noch schlafende Schönheit Neutralität wieder zu neuem, blühenden Leben zu erwecken und den dann wieder souveränen, selbstbewussten Kleinstaat Österreich auf seiner Reise in eine spannende , erfreuliche Zukunft zu begleiten und zu unterstützen.

In diesem Sinne:
Es lebe der zukünftige souveräne Solidarstaat Österreich!
Es lebe die immerwährende Neutralität Österreichs!

(26.10.2020)

Quellen:

(1) Werkstatt-Blatt 03/2020
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Stendebach
(3)
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/VII/NRSITZ/NRSITZ_00080/imfname_158639.pdf
(
4)  „Auf eine Journalistenfrage nach einem möglichen EU-Austritt Österreichs hin ließ sich Kickl zu einer überraschenden Liebeserklärung zur EU hinreißen. ‚Wir kämpfen für dieses europäische Projekt und wenn sie wen liebhaben, ist es das falsche Rezept immer nur lieb zu demjenigen zu sein, manchmal werden sie notwendige Strenge walten lassen‘, so der FPÖ-Klubobmann.“ Quelle: https://www.oe24.at/oesterreich/politik/kickl-oesterreich-solle-keinen-cent-mehr-an-eu-zahlen/417769416 (im Video ab. Min. 23:28)