Die Lehren, die die EU-Eliten aus dem Debakel der Militärintervention in Afghanistan, der hunderttausende Menschen zum Opfer gefallen sind, ziehen, offenbart den imperialen Starrsinn des EU-Projekts.

Krisen und Niederlagen können Chancen für fruchtbare Lernprozesse sein. So könnte das Afghanistan-Debakel auch für die westlichen Eliten eine Chance sein zu erkennen, dass militärischer Interventionismus erst die Probleme schafft, die zu bekämpfen er vorgibt. Die EU-Machteliten sind von solchen Einsichten nicht nur weit entfernt, ihre Schlussfolgerungen gehen geradewegs in die entgegengesetzte Richtung. Der Hohe Vertreter der EU-Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell will nun Dampf dahinter setzen, dass möglichst rasch aus den EU-Battlegroups eine zumindest 5.000 Mann/Frau starke Eingreiftruppe geformt wird. Der slowenische Ratsvorsitz hat gleich nachgebessert und eine 20.000 Mann/Frau starke EU-Truppe für solche Einsätze ins Spiel gebracht. Diese Truppe soll „innerhalb kurzer Zeit in Krisenländer verlegt werden kann. Sie soll – so Borrell - zum Beispiel auch im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Ländern wie Mali zum Einsatz kommen können.“ (zit. nach „Zeit-online“, 31.8.2021).

Imperialer Starrsinn

Dass Borrell ausgerechnet Mali als Einsatzgebiet für eine solche Truppe ins Spiel bringt, unterstreicht den imperialen Starrsinn der EU-Eliten. Denn gerade der Militäreinsatz in Mali und den Sahelstaaten, den die EU bzw. etliche EU-Staaten – darunter Österreich – seit 2013 sukzessive ausweiten, belegt einmal mehr das Scheitern dieses neokolonialen Interventionismus. Je mehr Truppen die EU-Staaten in den Sahel schicken, desto heftiger eskaliert die Gewalt, desto mehr breitet sich der Jihadismus in dieser Region aus, desto mehr leidet die Bevölkerung unter Krieg und Terror. Die Brüsseler NGO International Crisis Group beschreibt die gegenwärtige Stimmung der Bevölkerung als "weitverbreitete Feindseligkeit gegenüber der westlichen Intervention im Sahel". Beobachter vergleichen die Entwicklung der Region schon seit Jahren mit derjenigen in Afghanistan. (Quelle: www.german-foreign-policy.com).

Der mörderischen Drohnenkrieg der USA in Afghanistan, dem im überwiegenden Ausmaß unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fielen, hat viele Menschen den Taliban in die Hände getrieben hat. Was sind die Lehren der EU-Machthaber? In Zukunft will die EU solche Drohnenkriege selber führen. Bis 2027 soll mit Milliardenaufwand eine eigene Euro-Drohne aus der Taufe gehoben werden. Die Finanzierung erfolgt unter anderem über einen eigenen EU-Rüstungstopf, in den auch Österreich einzahlt

„Weltpolitikfähigkeit einschließlich militärischer Einsatzmöglichkeiten“

Die deutschen Machteliten zählen zu den Antreibern der EU-Militarisierung. Das zeigt sich auch im deutschen Wahlkampf. Wer Laschet, Scholz und Bärbock beim „Triell“ um die deutsche Kanzlerschaft am 29.8.2021 im TV verfolgte, musste feststellen: Der 20-jährige NATO-Krieg, der hunderttausenden Menschen das Leben kostete und Millionen in die Flucht trieb, spornt dieses Trio infernal keineswegs an, sich Gedanken über Frieden und Abrüstung zu machen. Im Gegenteil: Sie versuchen sich darin zu übertreffen, wer der/die beste und ehrgeizigste Aufrüster/in im Land ist. Nicht anders ging es am Tag davor beim Duell Söder – Habeck zur Sache. Wobei der grüne Habeck die Ambitionen der Machteliten in Brüssel und Berlin am klarsten auf den Tisch legte: "Das heißt, das sehen wir jetzt ja auch, wenn wir als Europäer nicht komplett von den Amerikanern abhängig sein wollen, dass wir als Europäer,- ich glaube keine Nation in Europa kann das alleine leisten - weltpolitikfähiger(!) werden müssen,- das schließt militärische Einsatzmöglichkeiten mit ein" (vice, 28.8.2021).

Die Leichenberge und Trümmerhaufen dieser „Weltpolitikfähigkeit einschließlich militärischer Einsatzmöglichkeiten“ haben wir in den letzten Jahrzehnten immer wieder erlebt: von Vietnam über Irak bis Afghanistan. Nichts daran wird besser, wenn darüber statt dem Sternenbanner die blaue Fahne mit den 12 goldenen Sternen prangt. Diese „Weltpolitikfähigkeit einschließlich militärischer Einsatzmöglichkeiten“, die auf die drängenden Zukunftsfragen nicht nur keine Antwort weiß, sondern diese offen blockiert, ist verantwortungslose Politik von gestern. Die EU ist ein Projekt von gestern.

Gerald Oberansmayr
(September 2021)

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