Rede von Gerald Oberansmayr, Solidarwerkstatt Österreich, bei der Kundgebung „Ja zur Neutralität! Nein zu Sky Shield und EU-Kriegstruppe!“ am 26. Oktober, dem National- und Neutralitätsfeiertag, in Wien.

Seit über einem Jahr herrscht wieder Krieg in Gaza. Begonnen hat dieser Krieg mit einem Ausbruch der Hamas und anderer militanter Gruppen aus dem Ghetto in Gaza am 7. Oktober des Vorjahres. Gaza gilt als das größte Freiluftgefängnis der Welt, mit 2,2 Millionen Menschen, die auf engstem Raum zusammengepfercht sind. Der Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzungsmacht und Blockade, auch der militärische, ist zulässig, auch nach internationalem Recht. Absolut nicht zulässig sind – wie es am 7. Oktober 2023 passiert sind – Massaker an Zivilistinnen und Zivilisten. Das ist moralisch und rechtlich völlig inakzeptabel – und hat der israelischen Regierung der Vorwand geliefert, einen Plan umzusetzen, der schon lange auf der Agenda der Rechtsextremen in Israel steht: die ethnische Säuberung Palästinas, beginnend damit, Gaza unbewohnbar zu machen: die israelische Armee hat in Gaza schon im April dieses Jahres 65% aller Gebäude zerstört oder schwer beschädigt gewesen, 85% der Schulen und Krankenhäuser sind zerstört. 42.000 PalästinenserInnen sind getötet worden, Mehrzahl von ihnen Frauen und Kindern. Das ist die offizielle Zahl. Das renommierte Medizin Fachjournal „The Lanzet“ ist im Juli zum Ergebnis gekommen, dass – selbst bei sofortigen Einstellung der Krieges – 186.000 Tote zu erwarten sind, einschließlich der Folgetoten durch die Zerstörung der humanitären Infrastruktur. Das sind fast 8 % der Bevölkerung von Gaza. 

„From the river to the sea, all people will be free!“

Ein Verbrechen rechtfertigt nicht ein anderes, schon gar nicht ein so monströses wie diesen genozidalen Krieg. Wir fordern ein sofortiges Ende, Waffenstillstand sofort und dauerhaft. Die Wurzeln der Gewalt müssen ausgetrocknet werden, und das ist der Zustand der Rechtlosigkeit, der Besatzung, des Landraubs, der Vertreibung der Palästinenser, kurzum der Apartheid. Diese Apartheid muss enden. From the river to the sea, all people will be free!

Auch im Ukraine-Krieg gibt es keine Alternative zu einem Waffenstillstand. Wir sind in dritten Jahr des Krieges, mit hundertausenden Opfern auf beiden Seiten. Wir müssen zu einer Friedenslösung kommen, die der Komplexheit dieses Krieges und seiner Ursachen gerecht werden. Dieser Krieg ist einerseits ein Angriffskrieg Russlands, ein schweres Verbrechen gegen das Völkerrecht und gegen alle Menschlichkeit. Dieser Krieg hat aber auch eine Vorgeschichte, zu der die unablässige Osterweiterung der NATO zählt, zu der die Unterstützung des Westens für den gewaltsamen Staatsstreich im Februar 2014 zählt, der mithilfe neofaschistischer Rollkommandos, die von USA und EU finanziert worden sind, organisiert wurde und zur Zerstörung der ukrainischen Neutralität geführt hat. 

Souveränität und Neutralität für die Ukraine

Aus dem Vatikan ist schon im Juni 2022 ein Friedensvorschlag gekommen, der die Unterstützung durch die Friedensbewegung verdient: Dort heißt es, dass sich der Krieg in einen Zermürbungskrieg entwickelt, der entweder „als einfrorener Konflikt oder als ausgehandelter Frieden endet“. Man müsse alles daran setzen, eine „ausverhandelten Frieden“ zu erreichen: „Für die Ukraine bedeutet Sicherheit, dass auf ein Friedensabkommen keine erneuten russischen Drohungen oder Übergriffe folgen werden. Für Russland bedeutet Sicherheit, dass ihrem Rückzug aus der Ukraine nicht die Osterweiterung der Nato und schwere Bewaffnung der Ukraine folgen werden. Kurz gesagt bedeutet Frieden eine neutrale Ukraine, deren Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität gesichert ist.“ Auf diese Art und Weise könnte die Ukraine auf Perspektive zu einer Brücke zwischen Ost und West werden; wenn die Ukraine dagegen zerrissen wird, bleibt sie auf Jahrzehnte ein Zankapfel zwischen Ost und West, der Konflikt wird als heißer oder kalter Krieg perpetuiert. Gewinner einer solchen Situation ist nur der Militärisch-industrielle-Komplex.

Schande für Österreich

Und was macht Österreich, das mit seiner Neutralität eigentlich verpflichtet wäre, sich international für Frieden, Abrüstung und zivile Konfliktlösungen zu engagieren? Im Gaza-Krieg? Statt sich für einen Waffenstillstand zu engagieren, stimmt es in der UNO-Genaralversammlung gegen einen Waffenstillstand. Statt gegen den genozidalen Krieg Israels die Stimme zu erheben, kollaboriert es mit Israel in einem militärischen „Kooperationsvertrag“ und schließt Rüstungsgeschäfte mit einem führenden israelischen Rüstungskonzern.

In der Ukraine: Statt ähnlich wie der Vatikan oder auch zahlreichen Staaten des globalen Südens sich für Friedensverhandlungen stark zu machen, sich für eine neutrale und souveräne Ukraine zu engagieren, geht es friedenspolitisch auf Tauchstation und winkt die Waffenlieferungen in die Ukraine durch, ja finanziert diese über die EU-Kriegskassa mit. Das ist eine Schande!

Ausscheren aus der EU-Militarisierung ist Voraussetzung für eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik

Statt endlich aus dem Aufrüstungswahn der EU auszuscheren, marschiert Österreich voll mit bei der EU-Militarisierung: es verdoppelt bis 2028 seine Militärausgaben, die Regierung will sich um – mindestens - 6 Milliarden Euro an European Sky Shield beteiligen, einem Raketenabwehrsystem, das nicht zur Verteidigung dient, sondern dazu, den Atomkrieg wieder führbar zu machen. Argumentiert wird es damit, dass man sich gegen Russland rüsten muss, das in der Ukraine gezeigt hat, dass es zu einem völkerrechtswidrigen Krieg bereit ist. Ja stimmt, aber wie ist es um jene Staaten bestellt, von denen wir die Raketen für Sky Shield geliefert bekommen, allen voran die USA, Deutschland und Israel. Alle diese Staaten waren oder sind – Stichworte: Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen – in völkerrechtswidrige Kriege involviert oder führen derzeit, wie Israel, einen genozidalen Krieg in Gaza. Anstatt endlich im Sinne Bruno Kreiskys auf den Vorrang friedlicher und diplomatischer Mittel zu setzen, stellt Österreich 600 Soldaten für die Schnellen EU-Eingreiftruppe, die 2025 bereitsteht, um auf Zuruf der EU-Rats innerhalb weniger Tage in Kriege zu ziehen. Unter dem Kommando der deutschen Bundeswehr. In Gebiete – wie der Landesverteidigungsbericht 2022 aufklärt – wie „Zentral- und Nordafrika sowie den Nahen Osten.“ 

Liebe Freundinnen und Freunde,

sagen wir NEIN zur Teilnahme an dieser EU-Kriegstruppe, sagen wir NEIN zu Sky Shield, sagen wir JA zu einem Österreich, das aus der EU-Militarisierung ausschert. Denn das ist die Voraussetzung, dass Österreich seine Neutralität und die daraus erwachsenden Verpflichtungen wieder ernst nimmt: sich gemeinsam mit der internationalen Friedensbewegung gegen die geopolitischen und geoökonomischen Rivalitäten der Großmächte zu stellen, die immer wieder der Hintergrund für Krieg und Aufrüstung sind. Österreich muss sich für eine kooperativen, völkerrechtsbasierte internationale Ordnung stark machen. Nur durch Kooperation können wir die Geißel des Krieges überwinden und die Ressourcen freibekommen, die wir für die großen Menschheitsfragen brauchen, wie die Überwindung der Hunger, die himmelschreiende soziale Ungleichheit, Klimagerechtigkeit und Artenschutz. In diesem Sinne sei an ein Zitat Bruno Kreisky erinnert: „Der Frieden vermag alles, der Krieg nichts.“