
Von Krieg zu Krieg
Seit mehr als zwei Jahrzehnten eilen die westlichen Großmächte und ihre Stellvertreter von Krieg zu Krieg: Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Gaza, Libanon, Libyen, Syrien, Ukraine und verschiedene afrikanische Kriegsschauplätze. Die Frage ist mittlerweile nicht mehr, ob sondern wann der nächste Krieg kommt. Die Inszenierungen dieser Krieg ähneln sich: Immer wieder irgendwo das absolut Böse ausgemacht, das keine andere Wahl mehr lässt, als mit US- bzw. EU-Waffengewalt einzugreifen oder die „Guten“ mit Waffen zu versorgen, damit sie dort als Bodentruppen für USA und EU die „Schurken“ zur Strecke bringen. Eine immer mehr zur Propagandamaschinerie abgleitende Medienlandschaft soll dafür sorgen, dass an der „Heimatfront“ niemanden auffällt, dass die „Guten“ von heute oft die „Bösen“ von morgen sind – und umgekehrt. Besonders auffallend ist das in Bezug auf Terrorbanden wie Al Kaida und ISIL/ISIS: einmal dienen sie als willkommenes Feindbild, um westliche Kriegseinsätze zu legitimieren, ein anderes Mal dienen sie als Bodentruppen für US- und EU-Streitkräfte, um unliebsame Regierungen zu stürzen. Diese djihaddistischen Krieger sind nicht die Ursache, sie sind das Resultat westlicher Militärinterventionen. Al-Kaida-Kämpfer wurden im Libyenkrieg von den USA und diversen EU-Regierungen militärisch unterstützt und bewaffnet. Im Krieg gegen Syrien wurde ISIL/ISIS, ein Al-Kaida-Ableger, durch direkte und indirekte Unterstützung des Westens groß gemacht: durch westliche Militärberater und Ausbildung in Militärcamps in den Nachbarländern Syriens, durch direkte Waffenunterstützung, durch indirekte Waffenunterstützung über die mit dem Westen engstens verbunden Golfdiktaturen Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait; durch militärische bzw. logistische Unterstützung der Westalliierten Israel und Türkei; und nicht zuletzt durch die Aufhebung des EU-Ölembargos im Vorjahr, das es ISIL/ISIS ermöglichte, sich durch die Plünderung der Erdölreichtümer Syriens zu finanzieren.
Während man sich im Nahen Osten islamistischer Gotteskrieger bedient, um Kriegseinsätze zu rechtfertigen bzw. zu führen, unterstützen die westlichen Großmächte im Ukrainekonflikt offen faschistische und antisemitische Gruppierungen, um im Staatsstreich eine neue Regierung an die Macht zu bringen, die ohne Skrupel Waffengewalt gegen die Zivilbevölkerung im großen Stil einsetzt und AntifaschistInnen zum Ziel von Gewalt und Verfolgung macht. Eine ebenso zynische wie grausame Doppelmoral kennzeichnet die EU-Außenpolitik. Robert Cooper, lange Jahre einer der obersten EU-Beamten und Berater von Cathrine Ashton, brüstet sich offen damit: „Die Herausforderung der postmodernen Welt ist es, mit der Idee doppelter Standards klarzukommen. Unter uns gehen wir auf der Basis von Gesetzen und offener kooperativer Sicherheit um. Aber wenn es um traditionellere Staaten außerhalb des postmodernen Kontinents Europa geht, müssen wir auf die raueren Methoden einer vergangenen Ära zurückgreifen – Gewalt, präventive Angriffe, Irreführung, was auch immer nötig ist, um mit denen klarzukommen, die immer noch im 19. Jahrhundert leben, in dem jeder Staat für sich selber stand. Unter uns halten wir uns an das Gesetz, aber wenn wir im Dschungel operieren, müssen wir ebenfalls das Gesetz des Dschungels anwenden. … Die Chance, ja vielleicht sogar die Notwendigkeit für Kolonialisierung ist genau so groß wie im 19. Jahrhundert.“ (1)
Die Opfer des „Krieges gegen den Terror“
Am Beginn dieser Kriege erklären uns unsere Machthaber immer, dass danach alles besser werden würde. Mittlerweile wissen wir: Durch diese Kriege wird nichts besser, im Gegenteil: Durch diese Kriege wurden und werden Länder in bittere Armut, Chaos, Besatzung und Blockade, eine unendliche Spirale des Hasses und der Gewalt gestoßen: Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Palästina, Libyen, Irak, Syrien, Ukraine und das Schicksal vieler afrikanische Staaten zeigen das. Die Menschen, die es angeblich zu schützen gilt, werden zu den wirklichen Opfern. Der sog. „Krieg gegen den Terror“ hat mittlerweile hunderttausenden, nach manchen Schätzungen sogar Millionen von Menschen das Leben gekostet – er ist selbst der größte Terror und bringt ständig neuen Terror hervor. Denn als Folge westlicher Invasionen werden souveräne Staaten zerstört, in denen sich Elend, mafiotische Strukturen und religiöser Fanatismus ausbreiten. Menschen, die vor diesen Kriegen und ihren Folgen flüchten, ertrinken zu tausenden vor der „Festung Europa“ .
Zu den wichtigsten imperialen Herrschaftstechniken zählt nach wie vor die urälteste: Teile und herrsche. Westliche Politik schürt religiöse und ethnische Konflikte, um Invasion, Besatzung und Krieg zu rechtfertigen. Kolonialismus und Ethnizismus sind zwei Seiten einer Medaille: von Jugoslawien bis Palästina, von Libyen bis zum Irak, von Mali bis zur Ukraine. Selbst die Christenverfolgung im Irak ist das unmittelbare Resultat der westlichen Invasion. Aber auch die große Mehrheit der Menschen in EU und USA zählen zu den Opfern dieser Kriege: Aufrüstungsprogramme gehen auf Kosten des Sozialstaates, der Export von Kriegen und die dadurch oft erst entstandene „Terrorgefahr“ wird zur Militarisierung im Inneren und zum Aufbau einer überbordenden Überwachungsstaates instrumentalisiert. Zugleich werden die Errungenschaften des Völkerrechts – das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen – zunehmend ausgehöhlt und die Autorität der Vereinten Nationen mit Füßen getreten.
Die wirklichen Ursachen der Kriege
Sicherlich hat jeder dieser Konfliktherde seine Besonderheiten, doch alle diese Kriege haben – mit unterschiedlichen Gewichtungen – gemeinsame Ursachen und Triebkräfte:
- Der Kampf der westlichen Großmächte um den Erhalt der Vorherrschaft gegenüber rivalisierenden Machtblöcken, deren wirtschaftlicher Aufstieg durch die nach wie vor ungebrochene militärische Überlegenheit der NATO-Staaten unterbunden werden soll.
- Der Kampf der EU- und US-Konzerne um strategische Rohstoff-, Kapital- und Absatzmärkte. Ins militärische Visier geraten all jene Staaten, die nicht zur völligen politischen und wirtschaftlichen Unterordnung unter diese neoliberalen Weltordnungspläne bereit sind.
- Der wachsende Einfluss eines Militärisch-Industriellen-Komplexes, dessen Macht und Profite unmittelbar von Aufrüstung und Krieg abhängen.
Natürlich gibt es in all diesen Konfliktherden auch innere Triebkräfte. Oft resultieren diese aus einer Verschärfung sozialer Widersprüche und einer Verarmung breiter Schichten, die durch Liberalisierungsmaßnahmen des IWF oder der sog. „EU-Nachbarschaftspolitik“ angestoßen wurden. Doch anstatt die strukturellen Wurzeln dieser Gewalt zu beseitigen, agieren EU- und US-Politik nach dem Muster: Der Brandstifter ruft sich als Feuerwehr und löscht mit Benzin.
Kriegslüge „Humanitäre Intervention“
Wenn wir diesen Teufelskreislauf durchbrechen, wenn wir nicht eine weitere Eskalation der Gewalt und Aufrüstung hinnehmen wollen, dann brauchen wir eine breite internationale Friedensbewegung, die sich dieser Kriegspolitik von USA und EU entgegenstellt. Die Friedensbewegung ist vor allem seit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 mit dem Argument der sog. „humanitären Intervention“ in die Defensive gedrängt worden. Ehemalige Pazifisten wurden mit hohen Regierungsämtern bedacht, um den imperialen Kriegseinsätzen eine humanitäre Tarnung zu verschaffen. Obwohl sich diese „humanitären Interventionen“ als Desaster erwiesen und sich die Kriegsgründe im nachhinein oft genug als pure Lügen herausgestellt haben (z.B. Brutkastenmassaker, Hufeisenplan, Militärjets gegen Zivilisten, Massenvernichtungswaffen,…), wird diese Propaganda munter fortgesetzt. Aus dieser Defensive muss die Friedensbewegung heraus! Die wirkliche Solidarität mit den leidgeplagten Menschen im Süden und Osten besteht darin, dem Rad der Kriegspolitik der eigenen Machteliten in die Speichen zu greifen!
Kriegerische USA, friedfertige EU?
Es gibt immer mehr Menschen, die dieser Kriegspolitik und ihren Lügen nicht mehr folgen wollen. Das macht offensichtlich das EU-Establishment nervös. Um zu verhindern, dass daraus eine wirkungsvolle Friedensbewegung entsteht, wird über verschiedene Kanäle zunehmend eine zweite Melodie angestimmt: Der wirkliche Kriegstreiber seien ausschließlich die US-Eliten bzw. „Wallstreet“, die EU sei bloß deren weitgehend willenloses, im Grunde friedfertiges Anhängsel. Deshalb – so wir suggeriert - müsse die EU eine eigenständige Militärmacht werden, um sich von den US-Drahtziehern „zu emanzipieren“. Dieser Propaganda, die letztlich im EU-Chauvinismus mündet, dürfen wir genauso wenig auf den Leim gehen wie der Mär von den „humanitären Interventionen“. Denn die Wirklichkeit ist eine völlig andere: Die EU-Staaten sind mittlerweile zum Waffenexporteur Nr. 1 in der Welt aufgestiegen. Im letzten Jahrzehnt hat die EU enorme Aufrüstungsanstrengungen unternommen, um Interventionskriege nach dem „Vorbild“ der USA eigenständig führen zu können. Vieles spricht dafür, dass die EU gerade im Nahen Osten, wo die USA einen machtpolitischen Abstieg erleben, zur neuen Hegemoniemacht aufsteigen will. Gerade die sog. „EU-Nachbarschaftspolitik“ hat all jene Staaten rund um die EU ins militärische Visier genommen, die nicht bereit waren, ihre Märkte hemmungslos für EU-Konzerne zu öffnen: Jugoslawien, Libyen, Syrien, Ukraine. Entsprechend zählten bei diesen Konflikten die EU-Machthaber zu den aggressivsten Kräften.
In Strategiedokumenten von einflussreichen EU-Thinktanks wird bereits von der militärischen Durchsetzung einer „Grand Area“ der EU geschwärmt, „die uneingeschränktem Zugang zu einer weiten, angrenzenden Zone, die die östlichen Nachbarschaft und das westliche Russland, den Kaukasus und große Teile Zentralafrikas, die arktische Region, die nördliche Hälfte von Afrika, den gesamten Nahen und Mittleren Osten, genauso den Indischen Ozean und Südost-Asien umfasst. Diese ‚Grand Area’ beinhaltet die meisten Rohstoffe, die von der europäischen Wirtschaft benötigt werden; alle zentralen Schifffahrtsrouten von Asien, Australien, Afrika und den Nahen und Mittleren Osten; alle Energiepipelines – gegenwärtige und zukünftige – von Russland, Zentralasien und Nordafrika…“. (2) Die letzten EU-Gipfel zeigen, dass die EU-Eliten versuchen, die tiefe innere Krise mit einer verstärkten Aufrüstung zu begegnen und in eine weitere militärische Zentralisierung, also eine eigene EU-Armee, umzulenken.
Wir brauchen eine starke Friedensbewegung!
Dieser Aufrüstung und Militarisierung der EU entgegenzutreten – ob sie nun in Kooperation oder in Rivalität zur USA stattfindet – halten wir für die Hauptaufgabe der Friedensbewegungen auf unserem Kontinent. Unsere Verbündeten sind nicht die eigenen Machthaber, sondern die Friedensbewegungen und fortschrittlichen Kräfte in anderen Ländern und Kontinenten, und unsere gemeinsamen Gegner sind die Machteliten der großen imperialen Blöcke. Es gilt:
- Internationalismus statt EU-Chauvinismus - nur so können wir verhindern, dass wir uns nicht gegeneinander hetzen lassen!
- Souveränität statt Neokolonialismus – nur so können wir der unendlicher Spirale von Gewalt und Gegengewalt entkommen!
- Solidarstaat statt neoliberalem Treibhaus – nur so können wir die strukturellen Wurzeln der Gewalt austrocknen.
Wir wollen Österreich nicht als Kriegsdienstleister…
Die unverzichtbare Aufgabe einer österreichischen Friedensbewegung ist es, Österreich aus diesem Militarisierungsblock herauszuführen. Denn seit dem EU-Beitritt und der damit verbundenen immer tiefergehenden Einbindung in die militärischen und außenpolitischen EU-Strukturen, ist Österreich selbst zunehmend zum Dienstleister für westliche Aggressionskriege geworden:
- Durch Überflugs- und Durchfuhrgenehmigungen für NATO-Truppen und –Kriegsgerät ist Österreich selbst zur Kriegspartei geworden.
- Durch die Unterordnung unter den EU-Auswärtigen Dienst hat Österreich jene Konfrontationspolitik mitgetragen, die den Aufstieg von Gotteskriegern im Nahen Osten und von Rechtsextremisten in der Ukraine ermöglichte.
- Durch die Teilnahme an den EU-Battlegroups stehen österreichische Soldaten auf Abruf für globale EU-Interventionen zur Verfügung; in Ländern wie Bosnien stellen sie bereits das militärische Rückgrad der dortigen EU-Kolonialverwaltung dar und dienen zur Niederschlagung von sozialen Protesten gegen Neoliberalismus und Privatisierung.
- Durch die Einbindung in den EU-Militärisch-Industriellen Komplex dürfen die Steuerzahler bluten, um die Umsätze der EU-Rüstungskonzerne (Eurofighter, Drohnen,…) zu fördern.
… sondern als Friedensdienstleister!
Das alles steht im diametralen Gegensatz zur österreichischen Neutralität, die zur Nicht-Teilnahme an Kriegen und Militärpakten verpflichtet und eine Außenpolitik erfordert, die bereits in Friedenszeiten alles unternimmt, um nicht in kriegerische Konflikte hineingezogen zu werden. Eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik dient daher sowohl der friedlichen Konfliktlösung als auch der Sicherheit der Menschen in Österreich. Mit der Mitgliedschaft in einem aggressiven Militärpakt wie der EU ist das unvereinbar. Zentrale friedenspolitische Forderungen müssen daher sein:
- Ausstieg aus den EU-Battlegroups, der EU-Rüstungsagentur sowie den verschiedenen militärpolitischen Gremien und Strukturen der EU; sofortige Einstellung der Gelder für EURATOM (zivile und militärische Nutzung der Atomenergie sind bekanntlich siamesische Zwillinge)
- Rückzug österreichischer Truppen von EU-/NATO-Militärmissionen
- Ende der Unterordnung unter den Auswärtigen Europäischen Dienst; Ausstieg aus der Aufrüstungspflicht- und den militärischen Beistandsverpflichtungen des EU-Lissabon-Vertrages
- Sofortige Abschaffung des neutralitätswidrigen Artikel 23j B-VG (dieser sieht die Teilnahmeerlaubnis für Österreich an EU-Militäreinsätzen vor)
- Volle Wiederherstellung des österreichischen Staatsvertrages (z.B. militärisches Kollaborationsverbot mit Deutschland)
- Aktive Friedens- und Neutralitätspolitik, die sich – gemeinsam mit anderen Neutralen und Blockfreien – für die friedliche Konfliktsregelung, internationale Abrüstung, die Überwindung von struktureller Gewalt und die Stärkung des Völkerrechts engagiert. Gerade angesichts der zunehmenden Großmachtsrivalitäten werden solche neutralen „Brückenbauer“, die keinem dieser Blöcke angehören, friedenspolitischer immer wichtiger.
Gerald Oberansmayr
(September 2014)
Quellen:
(1) Cooper, Robert (2002); The new liberal imperialism; in: Observer, 07.04.2002; Erstabdruck: “The post-modern state” in the new collection “Reordering the World: the long term implications of September 11”, des The Foreign Policy Centre.
(2) James Rogers, A new Geography of European Power?, Egmont Paper Nr. 42, 2011