Seit 1. Jänner 2011 stehen österreichische SoldatInnen für die EU-Schlachtgruppen („battlegroups“) für EU-Kriegseinsätze „Gewehr bei Fuß“. Deshalb hat die Solidarwerkstatt noch vor der letzten Parlamentssitzung im Dezember einen Offenen Brief an alle Nationalrats-Abgeordneten verschickt, in dem diese aufgefordert wurden, ihre Stimme gegen die Teilnahme an diesen Kampftruppen zu erheben. Denn: Diese EU-Kampftruppen
- dienen für globale Kriegseinsätze auch ohne UN-Mandat
- können seit dem EU-Vertrag von Lissabon auch für die Bekämpfung von sozialen Protesten im Inneren der EU eingesetzt werden
- sind eindeutig neutralitäts- und staatsvertragswidrig
- hebeln den Parlamentsvorbehalt aus, da sie innerhalb von 5 Tagen auf Zuruf des EU-Rats abmarschbereit sein müssen.
(ausführlicher siehe http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=317&Itemid=39)
Auch Parlamentarier stehen "Gewehr bei Fuß". Innerhalb kurzer Zeit haben hunderte Menschen diesen Offenen Brief unterstützt. Die Abgeordneten haben den Brief vor einem Monat erhalten. Wie war ihre Reaktion? Sie lässt sich einfach zusammenfassen: Schweigen - Kein einziger der 183 Abgeordneter unterstützt die Forderung nach Nicht-Teilnnahme an den EU-Battlegroups. So wie die österreichischen Soldaten militärisch für die EU-Battlegroups „Gewehr bei Fuß“ stehen, so tun das die Abgeordneten aller Fraktionen politisch für die EU-Militarisierung. Mancher von ihnen mag Bauchweh dabei haben, wie das Leben von Menschen für EU-Großmachtsambitionen aufs Spiel gesetzt und die österreichische Neutralität mit Füßen getreten wird, doch keiner traut sich dagegen aufzumucken. Hochbezahlt halten sie sich an die Vorgaben ihrer Parteivorderen und den Mund. Das Schweigen der Lämmer.
ÖGB-Vertreter gegen Gewerkschaftsbeschlüsse. Besonders enttäuschend ist das Schweigen der VertreterInnen des ÖGB im Hohen Haus. Der letzte ÖGB-Bundeskongress sprach sich eindeutig gegen die Teilnahme Österreichs an den EU-Schlachtgruppen aus, da diese mit der in der Verfassung verankerten Neutralität unvereinbar sind. Doch kein einziger ÖGB-Funktionär im Nationalrat fühlt sich den gewerkschaftlichen Beschlüssen verbunden. Parteidisziplin und Karriereinteressen gehen offensichtlich vor Mitgliederbeschlüssen und Verfassung. Das neue ÖGB-Programm spricht sich wortreich gegen die Teilnahme Österreichs an der EU-Militarisierung aus. Gleichzeitig wurde jedoch das Bekenntnis zur immerwährenden Neutralität Österreichs gestrichen. Der nunmehrige Umgang mit diesen Positionen im Nationalrat scheint jenen Recht zu geben, die von Anfang an hier nur den Versuch gesehen haben, das Aufgeben der Neutralität wortreich zu vernebeln.
Pilz und Mölzer für EU-Armee und gegen Neutralität. Tief blicken lässt auch das Schweigen der grünen ParlamentarierInnen: Aus den grünen Pazifisten von einst sind mittlerweile nahezu bedingungslose Unterstützer der EU-Militarisierung geworden. Das kommt allerdings nicht ganz überraschend: Bereits 2004 sprach sich der damalige grüne Parteivorsitzende Alexander Van der Bellen für Einsätze der EU-Schlachtgruppen auch ohne UNO-Mandat aus (Falter 1.12.2004). Im selben Jahr, in dem die EU-Militärminister das Battlegroupskonzept aus der Taufe hoben, legte sich auch der erweiterte Bundesvorstand der Grünen offiziell auf einen neuen Kurs fest. Quintessenz: Für ein Ende der Neutralität durch den Aufbau einer zentralen EU-Armee. Bemerkenswerterweise deckt sich diese Beschlusslage der Grünen mit der Europapolitik der FPÖ. Insbesondere Peter Pilz (1) und Andreas Mölzer (2) haben sich wiederholt für ein Ende der Neutralität zugunsten einer zentralisierten EU-Armee stark gemacht. Die Battlegroups sind ein zentraler Schritt für den Aufbau einer solchen europäischen Großmachtsarmee, die v.a. von den deutschen Machteliten energisch vorangetrieben wird.(3)
Rot, schwarz, blau, grün, oranger Konsens für EU-Kampftruppen. Während vor den Kulissen ein Kampf um die Abschaffung der Wehrpflicht aufgeführt wird, sind sich dahinter die Spitzen von rot, schwarz, blau, grün, orange im Wesentlichen einig: Beim Mitmarschieren bei EU-Kampfeinsätzen, beim Mitmachen bei der EU-Militarisierung, bei der Demontage der Neutralität. Die Einführung eines Berufsheers soll die Umwandlung des Bundesheeres in eine für EU-Kriege global einsetzbare Truppe noch reibungsloser gestalten.
Als Solidarwerkstatt halten wir es daher für wichtig, dass jene Kräfte, die die Neutralität verteidigen bzw. wieder erringen wollen, gemeinsam gegen das Schmierentheater auftreten, das derzeit in der Sicherheitspolitik veranstaltet wird. Ja, wir brauchen eine Volksbefragung, aber zunächst nicht um die Frage der Wehrpflicht, sondern zu aller erst um die Frage Neutralität versus Teilnahme an EU-Kampftruppen. Das ist die entscheidende Frage, in diesem Punkt wird die Bevölkerung, die in großer Mehrheit nach wie vor für die Neutralität eintritt, vom Establishment hinters Licht geführt. Man muss dem ÖVP-EP-Abgeordneten Othmar Karas fast dankbar sein, dass er in einem Anfall von Redlichkeit die Regierungsparteien auffordert, die „Neutralitätslüge“ (Standard, 16.1.2011))zu beenden, indem er auf die Unvereinbarkeit von Neutralität mit der Teilhabe an der EU-Sicherheitspolitik hinwies.
Neutralität ist Zukunft, wenn wir eine friedliche Zukunft wollen. In der Sache selbst liegt Karas freilich vollkommen daneben. Nicht die Neutralität ist „ein Konzept des 19. Jahrhunderts“, sondern der Versuch der europäischen Großmächte, an ihre unselige Kolonialvergangenheit unter EU-Flagge und mit EU-Kampftruppen wieder anzuknüpfen. Neutralität ist die Selbstverpflichtung zur Nichtteilnahme an Kriegen und Organisationen, die der Durchführung und Vorbereitung von Kriegen dienen. Sie ist die Verpflichtung, auf Gewalt in der Durchsetzung der eigenen Interessen in den internationalen Beziehungen zu verzichten. Neutralität ist die Chance gerade für kleine Staaten, aus der Kumpanei mit den Großmächten auszubrechen und weltoffene Allianzen mit anderen Blockfreien und Neutralen zu bilden, um sich für friedliche Konfliktregelungen und die Überwindung militärischer Machtblöcke zu engagieren. Neutralität ist Zukunft, wenn wir eine friedliche Zukunft wollen. Wir müssen diese Neutralität von unten erkämpfen, im Nationalrat haben wir dafür keine Verbündeten mehr. Zumindest keine, die mutig genug sind, um sich als solche zu erkennen zu geben.
Anmerkungen:
(1) Pilz (Grüne): „Wir wollen in der EU gemeinsame Streitkräfte mit einem gemeinsamen Verteidigungsminister … Die Neutralität wird damit ersetzt.“ (Standard, 9.10.2007).
(2) Andreas Mölzer (FPÖ): „Das Europa der Zukunft soll ein starker und unabhängiger Faktor der Weltpolitik sein. Dieses Europa muss eine unabhängige Weltmacht sein, das nicht nur die eigene Sicherheit und die all seiner Mitglieder garantieren kann, sondern seine vitalen Interessen auch weltweit zu vertreten und durchzusetzen weiß. Eine gemeinsame Außenpolitik und eine gemeinsame Sicherheitspolitik sind dafür die unabdingbaren Voraussetzungen. Eine starke europäische Armee mit internationaler Eingreiftruppe … wären dafür die Voraussetzung…. Das neue Europa…kann nur an den alten Reichsgedanken anknüpfen. Neutralität, Neutralismus oder schlechthin der Typus des Neutralen werden für dieses Europa uninteressant, ja unverträglich sein.“ (in: „Europa im rechten Licht“, Wien 2004 und „Servus Österreich“, Berg 1996)
(3) Guido Westerwelle (deutscher Außenminister): “Mit dem Lissaboner Vertrag haben wir ein neues Kapitel aufgeschlagen. ... Lissabon ist kein Endpunkt, sondern ein Anfang. So zeichnet der Vertrag eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor. Die Bundesregierung will auf diesem Weg vorangehen. Das langfristige Ziel ist der Aufbau einer europäischen Armee.... Die Europäische Union muss ihrer politischen Rolle als globaler Akteur gerecht werden. Das europäische Projekt einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas sein.” (Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz, 06.02.2010)
Einladung zu einem Koordinationstreffen:
Kampagne gegen Berufsheer, Teilnahme an EU-Kampftruppen und Kriegen - für Neutralität
der Solidarwerkstatt und der GewerkschafterInnengegen Atomenergie und Krieg
Sonntag, 13. Februar 2011, 13.00 Uhr
Werkstattbüro Linz, Waltherstr. 15
Die Diskussion um die Abschaffung der Wehrpflicht nimmt immer groteskere
Formen an. Manche erhoffen sich daraus eine Friedensdividende.
Im Ergebnis wird damit die Einrichtung eines Berufsheeres, die Beteiligung an
EU-Kampftruppen und EU-Kriegen und die Aushöhlung der Neutralität umgesetzt.
Bei diesem Treffen wollen wir beraten,wie Frieden und Neutralität in der
Auseinandersetzung gefördert werden können.