Die EU-Außenpolitik, die wir seit Jahren gegenüber Syrien und jetzt aktuell an der griechisch-türkischen Grenze erleben, kann knapp zusammengefasst werden: Fluchtursachen schüren – Flüchtlinge bekämpfen. Österreich muss endlich aus der Unterordnung unter dieser menschenfeindlichen und völkerrechtswidrigen Politik ausscheren und Teil der Lösung werden, statt Teil des Problems zu bleiben.


Fluchtursachen schüren: Krieg- und Waffenexport…

Die EU ist maßgeblich daran beteiligt, Fluchtursachen zu schüren: durch ihre Kriegspolitik z.B. gegen Afghanistan, gegen Libyen, gegen Syrien. In Syrien haben die EU-Staaten – gemeinsam mit den USA – friedliche Lösungen sabotiert und jene Länder systematisch aufgerüstet, die jihadistische Gruppen und Al-Kaida-Ableger in Syrien finanziert haben. Die EU und USA gehörten zu den Hauptlieferanten von Waffen an Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar und die Türkei. Während vor den Kulissen teilweise heftige Kritik der EU an der türkischen Regierung geübt wird, rüsten hinter den Kulissen die EU-Staaten nach die Türkei hemmungslos für ihren völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien auf. Mit deutschen Leopard-Panzern marschierte die Türkei in Syrien ein. Je aggressiver die Türkei den Krieg gegen Syrien führte, desto kräftiger gingen die EU-Waffenexporte in die Türkei nach oben (sh. Grafik). 

Grafik Waffenexport Tuerkei NEU

… und brutale Wirtschaftssanktionen

Doch nicht nur Waffenexporte heizen das Flüchtlingsleid an, auch die brutalen Wirtschaftssanktionen, die EU und USA seit 2011 gegenüber Syrien verhängt haben, treiben Menschen in die Flucht, weil es an Lebensmitteln und lebensnotwendigen Medikamenten fehlt. Die EU hat diese Sanktionen zuletzt im Jänner 2019 wieder verschärft. Bereits im Mai 2016 kam eine im Auftrag der UNO erstellte Studie zu dem Schluss, die Sanktionen hätten katastrophale Folgen für die Zivilbevölkerung. Die Maßnahmen, die Brüssel und Washington in Kraft gesetzt hätten, seien "das komplizierteste und am weitesten reichende Sanktionsregime, das jemals verhängt wurde" (1). Laut Uno-Informationen haben diese Sanktionen zu einem 40-prozentigen Rückgang der Weizenproduktion seit 2010 beigetragen, ein Drittel der Bevölkerung leidet an Hunger. Das Welternährungsprogramm der UNO nennt das Wirtschaftsembargo von EU und USA neben Krieg und Fluchtbewegungen als einen der "Hauptgründe" für die heutige Hungerkatastrophe (2).

Die Sanktionen sind – so die UNO - auch "der Hauptgrund" für den Kollaps des syrischen Gesundheitssystems. Auch Medikamentenfabriken, die nicht durch Kriegshandlungen zerstört worden seien, hätten mittlerweile schließen müssen, weil sie die zur Produktion nötigen Grundstoffe nicht mehr beschaffen könnten.

Die EU- und US-Sanktionen gegen Syrien sind völkerrechtswidrig. Die UN-Vollversammlung verurteilte die Sanktionen 2013 sogar explizit. In der Resolution A/RES/68/200 wird festgehalten, dass „einseitige wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen die Wirtschaft und die Entwicklungsanstrengungen insbesondere von Entwicklungsländern negativ beeinflussen.“ „Solche Maßnahmen“, fährt die Resolution fort, „stellen eine eklatante Verletzung der Prinzipien des Völkerrechts sowie der Grundprinzipien des multinationalen Handelssystems dar“ (3).

Bezeichnenderweise sind die einzigen Gebiete in Syrien, die von den EU-Sanktionen ausgenommen sind, die von Jihadisten kontrollierten Erdölgebiete. Hier hat die EU eine Ausnahme gemacht, um diese sogenannten „Rebellen“ mit Geld und Waffen für den Regime-Change-Krieg zu versorgen. Christliche Würdenträger aus Syrien haben 2016 das in einem Offenen Brief scharf kritisiert und die sofortige Aufhebung der Sanktionen gefordert.

„Abschaffung des Asylrechts und Militarisierung der Grenzen“

Die Solidarwerkstatt hat bereits vor Jahren vor der gebetsmühlenartig wiederholten Aufforderung, es brauche „europäische Lösungen“ in der Flüchtlingsfrage, gewarnt. Wir haben gesagt: Ein Regime wie die EU, das auf gnadenlose Konkurrenz nach innen und imperiale Machtentfaltung nach außen getrimmt ist, ist weder in der Lage, in akuten Notsituationen humanitäre Antworten zu finden, geschweige denn die Ursachen der Flucht zu bekämpfen. Die EU ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Wir haben davor gewarnt, dass die „europäischen Lösungen“ letztlich zur Beseitigung des nationalen Asylrechts führen werde, ohne dass dieses jemals auf EU-Ebene ankommt. Genauso ist es nun gekommen. Die EU beseitigt derzeit an der griechisch-türkischen Grenze das Recht auf Asyl.

Sogar ein völlig unverdächtiger Zeuge, der Architekt des Flüchtlingsabwehr-Deals der EU mit der Türkei Gerald Knaus, kritisiert: "Was die EU derzeit macht“, sei „Donald Trumps größte Fantasie": An der Grenze "einfach das Asylrecht abzuschaffen und die Grenze zu militarisieren". Knaus warnt: "Wenn sich diese Herangehensweise in Europa durchsetzt, dann stirbt im Jahr 2020 die Genfer Flüchtlingskonvention" (4).

Die türkis-grüne Regierung trägt diese Politik nicht nur mit, sie treibt unter türkis-grün nicht weniger vehement voran wie unter der türkis-blauen Vorgängerregierung. So fordert das türkis-grüne Regierungsprogramm eine „rasche Verstärkung von FRONTEX“, also von jener EU-Truppe, die gerade jetzt wieder für schwere Menschen- und Völkerrechtsverletzungen bei der Flüchtlingsabwehr verantwortlich sind.

Was könnte, ja müsste Österreich in dieser Situation tun?

Zunächst einmal: Statt Teil des Problems zu sein, Teil der Lösung werden. Statt im EU-Rahmen weiter Fluchtursachen zu schüren und Flüchtlinge zu bekämpfen, selbstbewusst eine eigenständige Außen- und Asylpolitik betreiben, die Fluchtursachen und nicht Flüchtlinge bekämpft. Dazu gehört aus unserer Sicht:

  • Sofortiges Ausscheren aus dem völkerrechtswidrigen EU-Sanktionsregime gegenüber Syrien. Wenn das türkis-grüne Gefasel von „Hilfe vor Ort“ auch nur einen Pfifferling wert ist, müssen diese barbarischen Sanktionen sofort beendet werden und alles getan werden, um den Hunger in Syrien zu bekämpfen und das Gesundheitswesen wieder aufzubauen.
  • Stopp aller österreichischen Waffenlieferungen an die Länder der Nahost-Region! Österreich liefert Waffen an Länder, die direkt in den Syrienkrieg involviert sind wie z.B. Türkei, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Israel. Das muss sofort beendet werden!
  • Sofortiger Ausstieg Österreichs aus den FRONTEX-Truppen, die den EU-Krieg gegen Flüchtlinge exekutieren. Keine Beteiligung an den EU-Battlegroups, deren Hauptaufgabe darin besteht, für Rohstoff- und Regime-Change-Kriege in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten Gewehr bei Fuß zu stehen.
  • Eine eigenständige österreichische Außenpolitik, aufbauend auf der Neutralität unseres Landes und dem Respekt vor dem Völkerrecht. Diese soll sich im Syrien-Konflikt einsetzen für
    • den Erhalt der territorialen Integrität und Souveränität Syriens mit Autonomie-rechten für Minderheiten
    • die Demokratische Selbstbestimmung der syrischen Bevölkerung über die politische Entwicklung in ihrem Land
    • die Unterstützung von Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien, die eine friedliche Lösung des Konflikts anstreben
    • die Beendigung der völkerrechtswidrigen Einmischung in die syrischen Angelegenheiten, insbesondere Rückzug der türkischen Truppen, Stopp jeglicher Waffenlieferungen und Unterhaltung von Söldnerarmeen.
  • Eine humane österreichische Asylpolitik, basierend auf der Genfer Flüchtlingskonvention. Ausstieg aus den EU-Dublin-Verordnungen, die das Asylrecht aushebeln. Natürlich wissen wir, dass Österreich nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann, aber Österreich könnte sofort ein international beachtetes Zeichen der Menschlichkeit setzen, indem es einige Tausend der schutzlosesten Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze, insbesondere unbegleitete Minderjährige aufnimmt. Jeder weiß, dass diese Sofortmaßnahme Österreich nicht überfordert. Das würde bloß einen Bruchteil jener Beträge kosten, die die türkis-grüne Regierung den Konzernen durch die Absenkung der Körperschaftssteuer schenken will.
  • Hilfe beim Wiederaufbau des Landes: Dafür braucht es nicht nur finanzielle Unterstützung, wir halten es auch für sinnvoll, jene, die wir aus Kriegsgebieten aufnehmen, auch wieder zur Rückkehr zu bewegen, wenn der Krieg vorbei ist. Nicht weil diese Flüchtlinge uns „überfordern“, sondern weil ein Land wie Syrien am Ende des Krieges, der sich trotz der derzeitigen Eskalation abzeichnet, nichts mehr brauchen wird, als junge qualifizierte Menschen, die sich an den Wiederaufbau des Landes machen. Wenn Österreich hilft, diese Menschen hier für diesen Wiederaufbau zu unterstützen und zu qualifizieren, wäre das ein wichtiger Beitrag für die wirtschaftliche Erholung dieses devastierten Landes – und eine kleine Wiedergutmachung für die Komplizenschaft Österreichs bei der Zerstörung des Landes im Rahmen der EU-Kriegs- und Sanktionspolitik.

(März 2020)

Anmerkungen:
(1) National Agenda for the Future of Syria: Humanitarian Impact of Syria-Related Unilateral Restrictive Measures. Office of the United Nations Resident Coordinator in the Syrian Arab Republic. 16.05.2016.
(2) zit. n. https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-syrische-Zivilbevoelkerung-unter-den-EU-Sanktionen-leidet-3695626.html
(3) zit. nach IPPNW-Mitteilungen, 13.1.2019
(4) welt.de, 4.3.2020
(5) siehe „Der Tod der Genfer Flüchtlingskonvention“, 5.3.2020, in: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8207/