An die Schlachten, Gräuel und Massaker des Kriegs am Balkan wird regelmäßig erinnert. Zurecht. Über die starke Friedensbewegung in Jugoslawien wird jedoch überhaupt nicht berichtet. Sehr zu Unrecht. David Stockinger erinnert an den Höhepunkt der jugoslawischen Friedensbewegung vor 25 Jahren.
Heuer jährt sich das Ende der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens (SFRJ) zum 25. Mal. Das Ende des eigenständigen Weges dieses Balkanlandes wurde durch einen blutigen Bürgerkrieg besiegelt, der in erster Linie von außen hingetragen wurde. Als Ende der 80er absehbar war, dass sich die Sowjetunion unter Gorbatschow dem Westen annäherte und die kapitalistische Restauration nur mehr eine Frage der Zeit war, durfte es aus Sicht der westlichen Eliten auch keinen Platz mehr für ein souveränes, blockfreies System in Südosteuropa mehr geben. Es galt ein für alle Mal die globalistische Agenda einer unipolaren Weltordnung, in der die westlichen Zentren USA und Westeuropa das Sagen haben, durchzusetzen. Sämtliche systemischen und sozialen Alternativen zum herrschenden Kapitalismus, besonders in seiner neoliberalen Ausprägung, sollten beseitigt werden. Das galt auch für Jugoslawien.
Zerstörung Jugoslawiens von außen angeheizt
Dazu wurden schon sehr bald die separatistischen Tendenzen in Slowenien und Kroatien unterstützt und dort jene Politiker hofiert, die eindeutig für einen Bruch mit dem gemeinsamen südslawischen Staat standen. Jahrzehntelang unter der Oberfläche schwelende Bruchlinien zwischen den einzelnen Völkern wurden dazu ausgenutzt. Besonders Deutschland und in dessen Windschatten Österreich spielten hier eine treibende Rolle, sahen sie durch den jugoslawischen Staat ihren ökonomischen und geopolitischen Interessen am Balkan Grenzen gesetzt.
Die innerjugoslawische Situation gestaltete sich Ende der 80er komplex. Eine tiefe Wirtschaftskrise durchzog die meisten Sektoren der Wirtschaft. Ein Grund dafür waren die ökonomischen Zentrifugalkräfte, die v.a. durch die Verfassung von 1974 entfaltet wurden. Die 74er Verfassung gab den einzelnen Teilrepubliken und auch den diversen Wirtschaftssubjekten eine faktische Selbstständigkeit. Die innerjugoslawische Planung und damit ökonomischer Ausgleich wurde damit faktisch außer Kraft gesetzt. Zur ökonomischen Divergenz kam sodann auch eine politische. Die Vertreter der slowenischen und kroatischen Sektion des Bundes der Kommunisten verließen den KP-Parteitag 1990 und traten faktisch aus. Die Gesamtpartei löste sich auf und es wurden in den einzelnen Teilrepubliken nationale Parteien gegründet. In Slowenien und Kroatien traten diese explizit für eine weitere Autonomie bis hin zu einer Loslösung vom Gesamtstaat ein. Die politischen Vertreter Serbiens und die Zentralmacht in Belgrad trat hingegen für einen Erhalt des Gesamtstaates, wenngleich unter reformierten Rahmenbedingungen ein. Serbien wollte in erster Linie deshalb Jugoslawien erhalten, weil die Serben das einzige Volk waren, das in größerem Ausmaß auf mehrere Teilrepubliken aufgeteilt lebten, besonders in Kroatien und Bosnien und Herzegowina. Somit war Jugoslawien der Staat in dem alle Serben gemeinsam leben konnten und sie wussten, dass eine einseitige Loslösung Kroatiens und Bosniens unweigerlich zu Auseinandersetzungen führen würde.
Nachdem es die Partei nicht mehr gab, die Ökonomie schon länger divergent funktionierte, blieb als einzige gesamtjugoslawische Säule des Gesamtstaates die Jugoslawische Volksarmee (JNA), die natürlich laut der jugoslawischen Verfassung die Souveränität und staatliche Integrität der SFRJ schützen sollte und musste.
Nachdem Slowenien und Kroatien einseitig- mit Hilfe der offensiven Anerkennungspolitik Deutschlands und Österreichs- ihre Unabhängigkeit erklärten und die JNA verfassungskonform ihrem Auftrag nach Sicherung der Grenzen nachkam („10-Tage-Krieg“), versuchte man ein letztes Mal bei der „Brioni-Konferenz“ eine Lösung für die verfahrene Lage zu finden. Das Abkommen, das unter Beisein der EG-Vertreter verhandelt wurde- legte die Einstellung der Kämpfe in Slowenien und den Rückzug der Jugoslawischen Volksarmee vom slowenischen Territorium fest. Im Gegenzug setzten Slowenien und Kroatien den Vollzug ihrer Unabhängigkeitserklärungen bis zum 7. Oktober 1991 aus. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte eine friedliche Lösung, die von Kroatien und Slowenien angestrebte Sezession betreffend, verhandelt werden.
Für Slowenien war das Brioni-Abkommen ein Erfolg. Es führte zur Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzung und zum Abzug der jugoslawischen Truppen. Nach Ablauf der dreimonatigen Frist gab es keine neuen Angriffe und der Weg in die Unabhängigkeit war frei. In Kroatien dagegen verschärfte sich in dieser Zeit der Konflikt mit der serbischen Minderheit, die in keinem unabhängigen Kroatien unter der Ägide Tudjmans leben wollten; Verhandlungen mit den jugoslawischen Bundesorganen führten nicht zum Ausgleich, man war nicht bereit, die Unabhängigkeit Kroatiens in den alten Grenzen hinzunehmen, und nach Ablauf der Frist griffen Einheiten der jugoslawischen Armee auf Seiten der serbischen Minderheit in die bewaffneten Auseinandersetzungen ein.
Während in Kroatien bereits die Waffen sprachen und über Nacht der einstige Nachbar und Freund zum Gegner wurde, formierte sich in Bosnien- in weiser Voraussicht, was passierten würde, wenn erst in Bosnien die Waffen sprechen, eine Friedensbewegung von unten. Junge Menschen, Studenten, Gewerkschafter und viele andere organisierten sich und wollten es sich nicht zulassen, dass dieses einmalige Staatsprojekt durch einen Bruderkrieg zerstört wird.
30.000 tanzten in der Halle, 50.000 davor, Hunderttausende protestierten gegen Krieg
Am 28. Juli 1991 trafen tausende junge Jugoslawen in der ZETRA-Halle in Sarajevo zusammen, um gemeinsam den Frieden, die Einheit und die Brüderlichkeit zu feiern. 30.000 Menschen tanzten in der Halle, 50.000 davor. Tagsüber hatten Hunderttausende gegen einen Krieg protestiert, von dem sie glaubten, dass er nie ausbrechen würde. Das Konzert wurde im Fernsehen übertragen, Musiker, Redner, Besucher - alle waren überzeugt: Dieser Abend bringt den Frieden zurück. Der Abend des 28. Juli ist Höhepunkt und Ende der Friedensbewegung in dem Vielvölkerstaat, an die sich heute kaum jemand erinnert. An die Schlachten, Gräuel und Massaker wird regelmäßig erinnert. Zurecht. Über die starke Friedensbewegung in Jugoslawien wird jedoch überhaupt nicht berichtet.
Schauplatz war das als Zetra-Halle bekannte olympische Eisstadion von Sarajevo, das am 28. Juli 1991 zur Bühne der damals bekanntesten Musiker Jugoslawiens wurde. 30.000 Menschen und laut Mitorganisator Goran Milic so viele wie nie zuvor drängten sich auf den Zuschauerrängen. Zehntausende versammelten sich auf dem verregneten Gelände vor der Halle, und zahllose weitere verfolgten die jugoslawienweit vom Sender Yutel übertragene Großveranstaltung vor ihren TV-Geräten. 1990 in Sarajevo auf Initiative des jugoslawischen Ministerpräsidenten Ante Markovic gegründet, galt Yutel als Gegenpol zu den immer mehr auf säbelrasselnde Propaganda getrimmten Sendern der jugoslawischen Teilrepubliken.
Mit seinen Dokumentationen und Interviews im Vorfeld und unmittelbar nach dem Ausbruch des auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ausgebrochenen Krieges wurde der im Juni 1992 wieder eingestellte Sender kurzzeitig auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Das Friedenskonzert „Yutel za mir“ (Yutel für Frieden) erfuhr Milic zufolge „ein starkes mediales Echo“ und gilt als Höhepunkt der heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Friedensbewegung. Nahezu jeder der damals rund 500.000 Bewohner Sarajevos - so Zeitzeugen - habe die Veranstaltung mitverfolgt. Kaum jemand konnte sich im Sommer 1991 vorstellen, dass Serben, Kroaten und Bosniaken - bisher friedlich nebeneinander lebende Nachbarn - schon bald gegeneinander kämpfen würden. Man habe geglaubt, mit guter Laune und Rockkonzerten den Krieg verhindern zu können. Viele bekannte Sänger und Rockbands aus ganz Jugoslawien nahmen an diesen Feierlichkeiten teil. Eine besonders kreative Idee waren die sogenannten Rostilj-Barrikaden (Grill-Barrikaden) gegen den Krieg. mit denen die Bewohner Sarajevos auf die ersten an der Stadtgrenze errichteten Barrikaden „antworteten“. Unter anderem mit gemeinsamen Picknicks sollte die Solidarität unabhängig des ethnischen Hintergrundes gestärkt werden.
Und nachdem die Bemühungen auf politischer Ebene gescheitert waren bzw. durch direkte Einflussnahme von außen „gescheitert wurden“, vermochte auch die jugoslawische Friedensbewegung nicht, diesen Weltneuordnungskrieg zu verhindern. Weil er eben auch von außen nicht verhindert werden wollte, bzw. im Gegenteil, geschürt wurde.
Lehren aus der jugoslawischen Tragödie ziehen
Aus der jugoslawischen Tragödie, deren Nachwirkungen bis heute stark spürbar sind, kann man mehrere Schlüsse und Lehren ziehen, besonders: Der moderne Imperialismus und seine Strategie, Staaten zu zerstören um wirtschaftliche und geopolitische Macht durchzusetzen, ist voll aufgegangen. Bis heute. Daher muss heute auch jeder friedensbewegte Mensch für die Verteidigung der Souveränität von Staaten und gerade aus österreichischer Perspektive für aktive Friedens- und Neutralitätspolitik eintreten.
David Stockinger
(Oktober 2016)
*Bratstvo i Jedinstvo (Brüderlichkeit und Einheit) – War der Wahlspruch Jugoslawiens und des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens