Die EU-Kommission will die Maritime Sicherheitsstrategie der EU (EU-MSS) aus dem Jahr 2014 erneuern. Die EU-Staaten sollen „das volle Spektrum“ der Seekriegsführung entwickeln, um die „Beherrschung der Ozeane“ zu erlangen – bis ins süd- und ostchinesische Meer.


Der Hohe EU-Vertreter und Vizepräsident der EU-Kommission Josep Borrell begründete die neue EU-MSS folgendermaßen: „Nicht nur der Luftraum, der Weltraum und der Cyberraum, auch die Meere sind ein zunehmend umkämpfter strategischer Bereich. In Zeiten steigender geopolitischer Spannungen muss die EU lernen, sich auch auf See durchzusetzen.“ (1) Ein Blick in die EU-MSS (2) offenbart, dass das Meeresgebiet, in dem die EU sich militärisch durchsetzen will, nicht gerade klein ist: Es reicht von der Arktis über das Mittelmeer, Ost- und Nordsee und das Schwarze Meer bis hin zu den Küsten Westafrikas (Golf von Guinea) und Ostafrikas (Golf von Aden). Und weit darüber hinaus. Als neues Aufmarschgebiet für EU-Kriegsschiffe soll der „Indo-Pazifik“ dienen. Besonderes Augenmerk soll die Einfahrt aus dem indischen Ozean in den Persischen Golf (Straße von Hormuz) sowie auf die die Einfahrt aus dem Indischen Ozean in das südchinesische Meer (Straße vom Malakka), sowie auf das süd- und ostchinesische Meer bzw. die Straße von Taiwan selbst gelegt werden.

China im Visier

Damit gerät unmissverständlich besonders China ins EU-Visier des „strategischen Wettbewerbs um Macht und Ressourcen“, wie es im Entwurf zur neuen EU-MSS heißt. Der Auftrag heißt: „Die Mitgliedsstaaten sollen das volle Spektrum mariner Kapazitäten entwickeln … insbesondere sollten sie die Kapazitäten verstärken, um Oberflächenüberlegenheit sicherzustellen, die Macht zur See zu projizieren, Unterwasserkontrolle zu ermöglichen und zur Luftraumverteidigung beizutragen.“ (1) Ziel ist „die Beherrschung der Ozeane“ (Ocean governance). Wohlgemerkt von der Arktis über die Küsten Afrikas bis ins südchinesische Meer. Es wäre interessant zu wissen, wie die EU-Mächtigen reagieren würden, sollte China eine solche „governance“ für die Nordsee, die Straße von Gibraltar oder die Adria proklamieren.

Öl und Erdgas

Unfreiwillig komisch wird die Maritime Sicherheitsstrategie, wenn – im Brustton der Empörung - die maritime EU-Aufrüstung damit begründet wird, dass „einige Nicht-EU-Staaten ihre Kapazitäten und Durchsetzungsfähigkeit zur See steigern und unilaterale Aktionen setzen. Dies hat den Einsatz von Gewalt oder die Missachtung der nationalen Souveräntität anderer Staaten beinhaltet.“ (1) Wer hat - unter Nutzung von Seestreitkräften - völkerrechtswidrig Jugoslawien und Libyen bombardiert und den Irak überfallen? Will die EU zur See hochrüsten, um sich vor sich selbst bzw. der NATO zu verteidigen? Doch eine Reflexion über eigene Doppelmoral ist solchen EU-Dokumenten zumeist ebenso fremd wie inhaltliche Stimmigkeit. So schafft es diese Maritime Strategie die Bedeutung des Klimaschutzes ebenso zu betonen wie die Notwendigkeit, den Zugang zu und den Transport von Erdöl und Erdgas zur See für die EU sicherzustellen, da „über zwei Drittel des weltweiten Öl- und Erdgas-Angebots entweder aus dem Meer gewonnen oder über die Meere transportiert werden.“ (1)

Geld spielt keine Rolle

In einem eigenen Aktionsplan werden eine Reihe von Maßnahmen verankert, um „sich auf See durchzusetzen“: Diese reichen von jährlichen EU-Marinemanövern, die in Hinkunft abgehalten werden sollen, bis hin zur Ankurbelung von Marinekapazitäten über die diverse EU-Fonds wie z.B. den EU-Rüstungsfonds oder die EU-„Friedensfazilität“. Besonderes Augenmerk wird auf die Entwicklung von Drohnen sowie die zunehmende militärische Nutzung des Weltraum gelegt (z.B. über das Erdbeobachtungssystem Kopernikus-Satelliten bzw. das Satellitennavigationssystem Galileo).

Eingebettet ist die Maritime Sicherheitsstrategie in den „Strategischen Kompass“, in dem sich die EU-Staaten im Frühjahr 2022 verpflichteten, zum „Quantensprung“ (3) bei der Aufrüstung anzusetzen. Diese Hochrüstung läuft auch bei den Marinekapazitäten der EU-Staaten auf Hochtouren. Viele Milliarden fließen derzeit in den EU-Staaten in den Bau neuer Flugzeugträger, Fregatten, Korvetten, U-Boote usw. Vom 100 Milliarden Sondervermögen für die deutsche Bundeswehr sollen immerhin knapp 20 Milliarden für neue Kriegsschiffe investiert werden. Darunter eine neue Fregattengeneration, neue U-Boote sowie KI-gesteuerte unbemannte Systeme. Frankreich baut derzeit mit dem atomgetriebenen „Flugzeugträger der nächsten Generation“ das größte jemals in Europa gebaute Kriegsschiff. Die Kosten dafür werden auf 5 bis 7 Milliarden Euro geschätzt. Auch Italien und Spanien haben milliardenschwere Marineprogramme am Laufen. Dänemark hat im Vorjahr angekündigt, ein großes Flottenprogramm um über 5 Milliarden Euro zu starten. Zur Finanzierung der Aufrüstung wurde sogar unlängst ein gesetzlicher Feiertag abgeschafft.

Geld spielt keine Rolle, wenn es darum geht, dass „sich die EU auf See durchzusetzt.“

Gerald Oberansmayr
(März 2023)

Quellen:
(1) Pressemitteilung der EU-Kommission, 10.3.2023
(2) EU-Kommission, Joint communication on the update of the EU Maritime Security Strategy and its Action Plan: An enhanced EU Maritime Security Strategy for evolving maritime threats, März 2023
(3) https://www.solidarwerkstatt.at/frieden-neutralitaet/strategischer-kompass-quantensprung-der-eu-militarisierung