Rede von Gerald Oberansmayr, Solidarwerkstatt Österreich, bei der Demonstration "Aktive Neutralität statt EU-Hochrüstungswahn!" am 15. Mai.


Liebe Freundinnen und Freunde,

Österreich hat beim Budget einen sog. Konsolidierungsbedarf von 18 Milliarden Euro bis 2031. Fiskalrats-Chef Christoph Badelt sieht sogar vier bis fünf Milliarden Euro an weiterem Konsolidierungsbedarf aufgrund der Fiskalvorgaben der EU. Das wären dann insgesamt bis zu 23 Milliarden Euro. Deshalb will die schwarz-rot-pinke Regierung bei PensionistInnen, Gesundheit, Weiterbildung, Arbeitslosen, Klimaschutz sparen.

Natürlich sind diese Zahlen, ist diese ganze Budgetpolitik, die auf Grund dieser EU-Vorgaben aufbaut, anfechtbar, ja unzumutbar, aber lassen wir sie einmal stehen. Und wenden wir uns den Ausgaben für das Militär zu. Auch hier macht die EU uns Vorgaben, allerdings in die andere Richtung: Sie müssen nach oben gehen. Die neue Bundesregierung will die Militärausgaben bis 2032 von 4,8 Milliarden auf fast 10 Milliarden Euro verdoppeln. Schaut man sich nur die Zuwächse des Bundesheer-Etats an, so addieren diese bis 2032 diese zur stolzen Summe von knapp 23 Milliarden Euro.

Wir reiben uns die Augen. 23 Milliarden da runter, 23 Milliarden dort rauf. Dieselbe Summe, die wir einsparen bzw. konsolidieren müssen, geben wir postwendend für militärische Aufrüstung aus. Aufrüstung und Sozialabbau sind zwei Seiten derselben Medaille sind. Die Regierung soll aufhören, die Menschen zu belügen: Sie kürzt nicht bei Sozialem und Umwelt, um das Budget zu sanieren, sondern um die Aufrüstung zu finanzieren. Das ist die Wahrheit!

Das ist der Preis des Großmachtswahns: Wir zahlen mit unserer sozialen Sicherheit, damit die Machteliten Drohpotentiale für Krieg und Vernichtung anhäufen können. 800 Milliarden will die EU zusätzlich in den nächsten 4 Jahren für Aufrüstung mobilisieren. Die EU hat dafür faktisch die Defizitobergrenzen abgeschafft. Während andere öffentliche Ausgaben wieder unter der Fuchtel der EU-Defizitkriterien stehen, gibt es für Verschuldung, die der militärischen Aufrüstung dient, faktisch keine Grenzen mehr.

Aber auch diese Rüstungsanleihen wollen mit Zinsen zurückbezahlt werden. Im Unterschied zu Investitionen in Maschinen, Gebäuden und Infrastruktur schaffen Waffen aber keinen Mehrwert. Dieser kann aber mit ihrer Hilfe herbeigeschafft werden: durch Einsatz von Gewalt oder Drohung mit Gewalt können Rohstoffe geplündert und Märkte „erobert“ werden. Die Hochrüstung von heute sind die Kriege von morgen.

Dafür läuft die Feindbildproduktion in der EU auf Hochtouren. Europa muss „kriegstauglich“ werden. Diffuse Geheimdienstquellen werden zitiert, dass Russland Europa und die NATO in spätestens 5 Jahre überfallen werde. Russlands Machteliten haben ohne Zweifel große Schuld auf sich geladen, als sie die Politik des Westens, wie sie in den völkerrechtswidrigen Kriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen vorexerziert wurde, kopiert und die Ukraine völkerrechtswidrig überfallen haben. Aber einem Land, das gerade einmal die doppelte Wirtschaftskraft der Schweiz hat, dessen Militärausgaben ein Drittel der EU und ein Zehntel der NATO ausmachen, das nach einem verlustreichen Krieg gerade einmal ein Fünftel der Ukraine besetzen konnte, die Hybris zu unterstellen, es plane einen Krieg gegen Europa und die NATO, ist grotesk.

Oder soll man sagen: verräterisch. Es verrät womöglich, in welchen Zeitraum die EU-Eliten selbst auf einen neuen Ostfeldzug kalkulieren. Wie gesagt: Die Zinsen der gewaltigen Rüstungsanleihen wollen bedient werden. 2011 schon hat schon ein gewisser James Roger, außenpolitischer Berater der EU-Rates und Leiter eines einflussreichen Think Tanks, einen Plan für eine „Grand Area“ der EU entworfen, in der sich die EU „uneingeschränkten Zugang“ zu Rohstoffen und Reichtümer verschaffen soll. Zitat: „Die Europäische Union braucht uneingeschränkter Zugang zu großen Teilen Zentralafrikas, der arktische Region, der nördlichen Hälfte von Afrika, dem gesamten Nahen und Mittleren Osten, dem Indischen Ozean und Südost-Asien sowie dem westlichen Russland und des Kaukasus.“ Wir finden sogar eine Skizze in der Russland bis weit hinter den Ural als Teil der „Grand Area der EU“ eingezeichnet ist, in die „uneingeschränkter Zugang“ herrschen soll. Die Conclusio von James Rogers: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu werden.“ 

Superstaat, Supernation und Supermacht – das ist das Programm, das hinter dem Aufrüstungswahn der EU steht. Dieses Programm führt in den Krieg und verpulvert gewaltiger Ressourcen, die wir für Klimaschutz, Soziales, für Lebensschutz brauchen. Wir müssen uns mit aller Kraft dagegen wehren. Dazu gehört der Kampf um die Verteidigung, muss heißen die Wiederherstellung der österreichischen Neutralität. Um das heißt: OHNE WENN UND ABER auszusteigen aus der EU-Militarisierung. Das heißt nicht zuletzt:

  • Ausstieg aus der Aufrüstungspflicht und militärischen Beistandsverpflichtung des Artikel 42, EU-Vertrag.
  • Ausstieg aus der Ständig Strukturierten Zusammenarbeit (EU-SSZ/Pesco), die zum Mitmarschieren bei EU-Militäreinsätzen verpflichtet und die Militärbudgets Jahr für Jahr in die Höhe schraubt.
  • Ausstieg aus dem Hochrüstungsprozess des „Strategischen Kompass“, v.a. Ausstieg aus der Schnellen Eingreiftruppe der EU; keine Teilnahme an European Sky Shield.
  • Ausstieg aus den Gremien und Institution der EU-Militärpolitik (vom EU-Rüstungsamt bis zum EU-Militärstab)
  • Keine Einbeziehung Österreichs in den militärisch-industriellen Komplex der EU, keine Beteiligung an der Finanzierung des EU-Rüstungsfonds, der EU-Kriegskasse (Friedensfazilität)
  • Keine Beteiligung an den Wirtschaftskriegen der EU, neutralitätskonforme Außen(wirtschafts)politik ohne doppelte Standards.
  • Neutralitätskonforme Novellierung des Kriegsmaterialgesetzes und anderer Gesetze; keine neutralitätswidrigen Truppen- und Kriegsmaterialtransporte durch Österreich
  • Last but not least: Die Verfassung wieder neutralitätskonform machen. Eliminierung des Artikel 23j aus der österreichischen Bundesverfassung, der die Beteiligung Österreichs an globalen Militäreinsätzen der EU ermöglicht.

Dieser kompromisslos Ausstieg aus der EU-Militarisierung ist die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Neutralität glaubwürdig leben können. Die internationale Glaubwürdigkeit der Neutralität ist die Grundlage dafür, dass Neutralität uns schützt und wir internationale Initiativen setzen können, die Kriegen und Spannung entgegenzuwirken, eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik, die auf Vermittlung, Dialog und Diplomatie statt auf Waffen setzen. Zum Beispiel in Friedensinitiative im Ukraine-Krieg, die die Sicherheitsinteressen beider Seiten ernst nehmen, zum Beispiel in Gaza für eine sofortigen Waffenstillstand und gleiche Rechte für alle Menschen im historischen Palästina.

Doch diese Regierung macht das Gegenteil: sie macht Rüstungsgeschäfte und Rüstungskooperationen mit Apartheid-Israel, sie ordnet sich der Eskalations-Politik der EU in Ukraine unter, sie stellt Soldaten für die Schnellen Eingreiftruppen der EU, sie rüstet auf allen Ebenen auf, von Sky Shield bis zur Beschaffung neuer Kampfflugzeuge, um mit der EU mitmarschieren und mitschießen zu können. Sie hat sich sogar im neuen Regierungsprogramm dazu bekannt, sich für eine Reform der EU-Verträge einzusetzen, die das Einstimmigkeitsprinzip in der Außen- und Sicherheitspolitik beseitigt und zu einer gemeinsamen EU-Armee führen.

Diese Regierung ist durch und durch neutralitäts- und friedensfeindlich, und sie ist durch und durch staatsvertragsfeindlich. Statt ein „unabhängiges und demokratisches Österreich“, wozu uns der Staatsvertrag verpflichtet (dessen Unterzeichnung sich heute zum 70. Mal jährt), wollen sie ein Österreich, das ein Anhängsel und Antreiber einer europäischen Super- und Militärmacht ist, ein Anhängsel und Antreiber eines europäisch militärisch-industriellen Komplexes.

Das brauchen wir nicht, das wollen wir nicht. Das ist völlig unverantwortlich in einer Welt, die vor allem eines braucht: Kooperation statt Konfrontation, Völkerrecht statt Faustrecht, Abrüstung statt Aufrüstung! Abrüstung, Völkerrecht und Kooperation dafür muss sich ein kleinstaatliche, unabhängiges und neutrales Österreich einsetzen, um die großen Herausforderungen unserer Zeit – vom Klimawandel bis zur himmelschreienden sozialen Ungleichheit – zu bewältigen.

Sehen wir auch kleine Aktionen wie die heutige als Schritt zur Entwicklung einer Friedensbewegung, die stark genug ist, die Dinge in diese Richtung in Bewegung zu bringen.