Ein Beitrag von Udo Bachmair über die um sich greifende Militarisierung in Politik und Medien. Udo Bachmair ist Journalist, Moderator, Ex-ORF-Redakteur und Präsident der Vereinigung für Medienkultur.
Der Ukrainekrieg und die Medien
Verstärktes Aufrüsten in Worten und Taten gibt zunehmend Anlass zur Sorge. Wachsende Kriegsrhetorik in Politik und Medien verheißen nichts Gutes. Der unheilvollen Entwicklung könnte seriöser und differenzierender Journalismus begegnen. Der Mangel eines solchen lässt sich zurzeit vor allem am Beispiel der Berichterstattung westlicher Medien zum Ukraine- und Gazakrieg belegen.
Im Fall des Ukrainekriegs wird ein russisches Bedrohungspotential herbeigeschrieben und -geredet, das angeblich ganz Europa bedroht. Hand in Hand mit einem schon traditionellen antirussischen Feindbild, an dem medial und auch seitens politischer Akteure bereits seit langem konsequent gearbeitet wird. Die enorme Aufrüstung der EU wird somit begleitet und angeheizt durch entsprechende verbale Munition mit speziell militaristischem Wording.
Putin habe die Absicht, ganz Europa zu überfallen, heißt es immer wieder seitens russophober Hardliner, unter ihnen etwa EU-Mandatar Helmut Brandstätter, der dieses Narrativ mit besonderer Leidenschaft und Emotionalität bedient. Der Neos-Mann und Ex-Kurier-Chefredakteur befindet sich damit in mehr oder weniger, ja eher weniger guter Gesellschaft mit militaristischen Wortführerinnen, wie Kommissionspräsidentin Von der Leyen, der FDP-Abgeordneten und Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses der EU-Kommission, Strack-Zimmermann, sowie nicht zuletzt mit Ex-Außenministerin Bärbock, die längst vergessen zu haben scheint, dass die Grünen einmal Motor der Friedensbewegung waren. Die Außenbeauftragte der EU, Kallas, komplettiert jene Riege an Personen, die ihr Heil ausschließlich in der Forderung nach immer schwereren Waffen für die Ukraine sehen.
Engagement und Bemühungen der EU, auf diplomatischem Weg aktiv zu werden, um diesen unnötigen Krieg zu beenden, lassen weiterhin zu wünschen übrig. Anstatt die gefährliche Lage zu kalmieren, gießt der neue deutsche Kanzler Merz nun Öl ins Feuer, indem er grünes Licht für noch reichweitenstärkere Raketen gibt, die nun problemlos auf den Moskauer Zentralraum und andere Städte Russlands abgeschossen werden könnten. Die damit einhergehende Kriegsrhetorik bringt es auch mit sich, dass etwa der Begriff Frieden zu einem negativ geladenen Begriff mutiert ist. Er wird vorwiegend zu Begriffen wie Diktatfrieden oder Friedensdiktat umgemünzt. In der veröffentlichten Meinung dominiert die ausschließliche Sinnhaftigkeit militärischer Lösungen
Grundsätzlich erscheint klar: Kriegspropaganda betreiben immer beide Seiten eines Konflikts. Gleichgeschaltet wirkende westliche Medien und auch zahllose PolitikerInnen gehen davon aus, dass nur Russland Kriegspropaganda betreibt, nicht aber auch die Ukraine. Daraus resultiert jener durch diverse Studien bereits mehrfach belegte Eindruck, dass in der Kriegsberichterstattung unserer, aber auch deutscher Medien, ukrainische Kriegsrhetorik und Propaganda oft als „faktenbasiert“ präsentiert werden, Äußerungen aus Russland hingegen als bloße Propaganda. Friedensrhetorik hingegen wird als naiv abgetan, eine solche würde Aggressoren, wie Putin, nur weiter ermuntern, wird argumentiert.
Am Anfang des Krieges war noch die territoriale Integrität der Ukraine oder Hilfe vor Ort im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Danach wurde medial zunehmend vermittelt, dass ein Sieg der Ukraine unbedingt nötig sei, die Existenz und der Fortbestand ganz Europas würden ansonsten auf dem Spiel stehen. Damit wären auch „unsere westlichen Werte“ betroffen. Aber man fragt sich, ob denn die Ukraine diesbezüglich tatsächlich als Vorbild dienen könne, ein Staat, der hinsichtlich Korruption und Pressefreiheit weltweit die hintersten Ränge belegt. Ungeachtet dessen wird ein Sieg gegen Russland von Politik und Medien gleichsam zur Pflicht erkoren. „Wir müssen kriegstüchtig werden“, tönt es vor allem aus Deutschland, angestimmt und befeuert auch vom SPD-Verteidigungsminister Pistorius.
Damit entfällt folgerichtig jede Verpflichtung zu Bemühungen für Waffenstillstandsgespräche und eine baldige friedliche Lösung. Eine Forderung, die auch der verstorbene Papst erhoben hat. Franziskus musste sich da etwa vom betont russlandkritischen Standard-Journalisten Hans Rauscher umgehend als Unterstützer eines Aggressors rügen lassen u.a. mit der Äußerung: „Der Heilige Vater weiß nicht, wovon er da redet.“
In derselben Zeitung feuerte Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie die Rüstungskonzerne an mit den Worten: „Die Rüstungsindustrie könnte durchaus mehr produzieren!“
Speziell in Deutschland verdichtet sich der Eindruck, dass die meisten Medien, ausgerechnet auch die öffentlich-rechtlichen, die zur Objektivität auch in der außenpolitischen Berichterstattung verpflichtet wären, die Politik vor sich hertreiben, immer mehr und immer weiter aufzurüsten. Im Sinne der Waffenlobby und der rasant hochgeschnellten Profite der Waffenkonzerne fehlt gemäß der Interessenslage von NATO und USA offenbar jeglicher Wille, weiterer intensiver Aufrüstung abzuschwören und die Ukraine nicht mit noch schwereren Waffen zu beglücken. Es läge natürlich auch am russischen Präsidenten, größere Verhandlungsbereitschaft zu bekunden, auch wenn ihm der Westen noch so sehr die kalte Schulter zeigt.
Zuviel Porzellan wurde auch seitens des Westens mit der aus Moskauer Sicht besonders bedrohlichen Erweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands zerschlagen. Jede Bereitschaft und Fähigkeit scheinen dafür zu fehlen, sich auch in die Position Russlands hineindenken zu können. So wird die subjektiv gefühlte Bedrohung durch die westliche Militärallianz ebenfalls als bloße Propaganda abgetan. Einseitigkeit in Bezug auf die Beurteilung des Ukrainekrieges bzw. der Mangel an differenzierten und differenzierenden Betrachtungsweisen in Politik und Medien erscheint besonders schmerzlich dann, wenn sie in einem neutralen Staat wie Österreich gang und gäbe ist. Auch und gerade hierzulande werden friedensbewegte Menschen, die die wachsende Kriegsrhetorik ablehnen und auf Waffen- und Friedensverhandlungen drängen, als „Putinunterstützer“ und „russische Trolle“ verächtlich gemacht.
Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild hochstilisiert. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in der vermeintlich objektiven Nachrichtensprache verwendet werden. So werden in Meldungen und Kommentaren Äußerungen russischer Politiker tendenziell mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“ etc. versehen. Wenn ein ukrainischer oder EU Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten hingegen meist die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc., also positiv geladene Begriffe.
Abermals sei bekräftigt, dass ein Angriffskrieg im 21. Jahrhundert in Europa ein absolutes „No Go“ sein sollte. Großmachtphantasien mit einem realen Krieg erzwingen zu wollen, ist menschen- und völkerrechtlich strikt abzulehnen. Krieg und Gewalt sind per se Verbrechen, besonders ein aggressiver militärischer Überfall. Das heißt aber nicht, dass automatisch nur der Aggressor Kriegsverbrechen begeht.
Leider muss sich da auch mein altes Unternehmen ORF manche Kritik gefallen lassen. So werden überwiegend ExpertInnen in Ö1-Journale, ZiB 2-Sendungen oder Punkt.Eins-Sendungen eingeladen, die undifferenziert proukrainisch und militaristisch argumentieren. Damit werden auch die zahlreichen Hintergründe, die mit zum Ausbruch des Krieges 2014 bzw. 2022 geführt haben, weitgehend ignoriert.
Einer der vorbildlichen Ausnahmen unter den ORF-Redakteuren ist Christian Wehrschütz. Er bleibt trotz mancher Widerstände gegen ihn beharrlich bei seinem journalistischen Ethos, objektiv zu bleiben im Sinne von Audiatur et altera pars. So hat er etwa in der ZiB1 nicht verschwiegen, dass den verstärkten russischen Drohnenangriffen auf die Ukraine Angriffe ukrainischer Raketen auf den Flughafen in Moskau und andere russische Ziele vorangegangenen waren. Durch das Verschweigen dieser Enthüllung durch andere (ORF-)JournalistInnen sollte offenbar der Eindruck erweckt werden, Russland würde ohne Anlass, quasi aus heiterem Himmel, Ziele in der Ukraine angreifen. Auch an diesem Beispiel zeigt sich das mediale Freund-Feind-Schema: Ukraine gut, Russland böse.
Es wäre falsch, allen JournalistInnen vorzuwerfen, sich auch in heiklen außenpolitischen Fragen nicht um Objektivität und Seriosität zu bemühen. Manchen aber scheint nicht bewusst zu sein, dass sie sich für eine Seite (pro Ukraine, pro Israel) vor den Karren spannen lassen. Unter der einfachen Devise: Die Einen gut, die Anderen böse. Somit bleibt das bereits lange aufgebaute Feindbild Russland weitgehend unverrückbar.
Ein Grundproblem besteht darin, dass die außenpolitischen Ressorts, auch das im ORF, personell so sehr ausgedünnt worden sind, dass oft weder Zeit noch Energien mehr bestehen für die Nutzung ausreichend alternativer Quellen. Daher bekommen MedienkonsumentInnen zu einem großen Teil serviert, was die beiden großen westlichen Agenturen mit ihrem speziellen Wording und ihrer US-orientierten Sicht der Welt vermitteln und vorbeten. Die andere Seite der Propaganda, die etwa der russische TV-Kanal „Russia today“ betreibt, ist der westlichen Zensur zum Opfer gefallen und nicht mehr empfangbar. Demokratiepolitisch und im Sinne der Meinungsvielfalt problematisch. Dabei wäre es doch aufgeklärten MediennutzerInnen zumutbar, auch die andere Seite zu hören, auch wenn Propagandainhalte überwiegen.
Immer unverblümter polemisieren manche PolitikerInnen und heimische Medien gegen die Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit der Neutralität Österreichs. In einigen Kommentaren wird unverhohlen Stimmung aufbereitet für einen Beitritt Österreichs zur NATO. Dabei böten sich für Österreich als neutralen Staat große Chancen, Vertreter der Kriegsparteien an einen Tisch zu holen. Wien als UNO-Standort, Wien als Austragungsort internationaler Konferenzen, wäre geradezu prädestiniert dafür.
Nur: Österreichs Neutralität hat massiv Schaden erlitten durch eine österreichische Außen- und „Neutralitäts“-Politik, die den Namen längst nicht mehr verdient, die sich bei globalen Konflikten jeweils einseitig positioniert. Glaubhaft vermittelte Friedens- und Neutralitätspolitik würde Österreichs außenpolitische Rolle wie zu Kreiskys Zeiten wieder mit Leben erfüllen, meinen optimistisch gesinnte ewig Hoffende in brisanten Zeiten wie diesen.
Der Gazakrieg und die Medien
Angesichts des immer brutaler werdenden Vorgehens der israelischen Regierung unter Netanjahu wächst die Kritik an dessen Kriegskabinett mehr und mehr. Vor allem Frankreich, Großbritannien und Kanada haben deutlichen Protest eingelegt gegen die brutale Kriegsführung Israels. Auch der deutsche Kanzler Merz hat überraschend klare Worte der Kritik zur überbordenden Reaktion Israels auf das Hamas-Massaker gefunden. Das offizielle Österreich hingegen zeigt sicher eher zurückhaltend mit direkter Kritik am potentiellen Kriegsverbrecher Netanjahu.
Im Gegensatz zu Ländern außerhalb Österreichs und Deutschlands erscheint es hierzulande als absolutes Tabu, von Völkermord zu sprechen. In unseren Medien, etwa in der reichweitenstarken ZiB1, ist vorsichtig von Umsiedelung die Rede, beschönigendes Wort für Vertreibung. Experten, die klar von Völkermord und Vertreibung sprechen, wie etwa der deutsche Politologe Lüdders, werden hierzulande weitgehend verschwiegen, ganz zu schweigen vom Schweigen politischer Akteure. Besonders weh tut auch, dass eine humanitäre politische Bewegung wie die Sozialdemokratie nicht größeren Mut fasst, die Hölle auf Erden, wie UNO-Hilfsorgane in Gaza sagen, deutlich als kriegsverbrecherischen Wahnsinn zu benennen.
Ausnahme Ex-Bundespräsident Heinz Fischer, der sich beeindruckend klar zur rechtsextremen Regierung Israels geäußert hat. Umgehend sah er sich einer Welle medialer und politischer Empörung gegenüber und wehrte sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Dieser wird offenbar jedem vorgeworfen, der Israels umstrittenes Vorgehen kritisiert. In der Sendung „LinksRechtsMitte“ des rechtslastigen Salzburger Senders Servus-TV haben gleich zwei Mitglieder einer Podiumsrunde, nämlich der politisch ebenfalls nach rechts tendierende Soziologe Heinzelmaier sowie überraschenderweise auch Puls 4 Chefredakteurin Milborn die Äußerungen von Heinz Fischer als dezidiert antisemitisch bezeichnet. So geraten alle unter Druck, die die Katastrophe von Gaza als solche klar benennen.
Immer wieder ist auch die Rede von einem Krieg Israels gegen die Hamas. Die Realität zeigt jedoch, dass mit bereits mehr als 50.000 Toten und 100.000en Verletzten und Verkrüppelten hemmungslos vor allem die Zivilbevölkerung ins Visier genommen wird. Doch Israels Propaganda spricht von gezielten Angriffen auf Hamas-Terroristen. Demnach wären die zwei Drittel Frauen und Kinder, die Opfer militärischer Gewalt Israels geworden sind, größtenteils Hamas-Terroristen. Die Hamas ist nachweislich eine Terrororganisation, was das grässliche Massaker vom 7. Oktober 2023 bestätigt. Für die Menschen in Gaza besteht die Wahrheit aber zusätzlich darin, auch die israelische Regierung als „Terrorregime“ zu betrachten. Doch niemals würden westliche Medien einen solchen Sprachgebrauch für Israels Regierung verwenden bzw. verwenden dürfen.
Würde ein (österreichischer) Journalist es wagen, von Angriffskrieg Israels gegen Gaza zu schreiben, bekäme er nicht nur einen gewaltigen Shitstorm zu spüren, sondern auch berufliche Existenzprobleme. „Kriegsverbrechen“, „Völkermord“ oder wie erwähnt „Angriffskrieg“ wären in der Berichterstattung von Mainstream Medien absolut verpönt. Die Formulierung „Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“ hingegen wird nahezu zur journalistischen Pflicht. Wenn man etwa von der neugeschaffenen Faktencheck-Abteilung der APA ausgeht, die diese Formulierung „empfiehlt“. Die Bezeichnung „Ukrainekrieg“ sei zu neutral und verharmlose die Rolle Putins als Aggressor.
Eine Art Sprachregelung als Vorgabe für einen freien und seriösen Journalismus? Einer solchen Entwicklung gilt es entgegenzuwirken.
(Der Redaktionsschluss für den Beitrag war Anfang Juni 2025)