ImageDas Werkstatt-Blatt führte mit David Stockinger ein Gepräch, der anlässlich des 15. Jahrestages des NATO-Krieges gegen Jugoslawien für die Solidarwerkstatt an einer Friedenskonferenz in Belgrad teilgenommen hat.

 

Werkstatt-Blatt: Am 24. März, dem 15. Jahrestag des NATO-Krieges gegen Jugoslawien, fand in Belgrad eine große Friedenskonferenz statt, die vom „Beoforum for the World of Equals“ veranstaltet wurde. Du warst dort eingeladen. Kannst Du kurz das Beoforum und die Grundintention dieser Konferenz vorstellen?

ImageDavid: Das "Belgrade Forum for a World of Equals" organisierte mit einem Komitee (Klub der Generale und Admirale Serbiens, SUBNOR- Veteranenorganisation der Partisanen 1941-45) im Rahmen der Gedenkveranstaltungen zum 15. Jahrestags des NATO-Überfalls auf Jugoslawien/Serbien u. Montenegro die internationale 2-tägige Konferenz "Global Peace vs. Global Interventionism and Imperialism" im Sava Centar in Belgrad. Über 300 ehemalige Politiker, Politikwissenschaftler, Antikriegs-Aktivisten, friedenspolitisch bewegte Militärs (ja, auch die gibts!), Experten für Sicherheitspolitik, Journalisten, Botschafter und Professoren aus über 20 Ländern nahmen daran teil. Die Konferenz war sehr hochkarätig und hatte einen klaren Antikriegs-, antiimperialistischen, linkssouveränistischen sowie antiglobalistischen und internationalistischen Charakter. Das Beoforum ist eine unabhängige politische Organisation, die sich als Plattform von Personen versteht, die einerseits eine publizistische und politische Aufarbeitung der NATO-Aggression von 1999 betreibt und andererseits friedens-, souveränitäts- und geopolitische Alternativen für Serbien, die Region des ehemaligen Jugoslawiens und für internationale Fragen formuliert und verbreitet. Beoforum ist Mitglied des Weltfriedensrates und arbeitet auf dieser Basis mit vielen anderen, gleichgesinnten Organisationen, Initiativen und Personen europa- und weltweit zusammen. Das Beoforum wurde im Jahr 2000 von linkssouveränistischen, antiimperialistischen und friedensbewegten serbischen Intellektuellen, ehemaligen und aktiven Politikern und Personen des öffentlichen Lebens gegründet. Der Präsident des Beoforum ist der ehemalige jugoslawische Außenminister und ehemalige Vize-Parteichef der Sozialistischen Partei Serbiens Zivadin Jovanovic. Die Konferenz war sowohl vom Ablauf wie auch vom inhaltlichen Gesichtspunkt her hervorragend organisiert. Aus Österreich waren noch Prof. Peter Bachmaier (Osteuropa-Historiker, Slawist und Vorsitzender der Österreichisch-Weißrussischen Gesellschaft) und Dr. Gritsch (Journalist Magazin "International") akkreditiert. Wir eröffneten auch die Ausstellung "Niemals vergessen - 15 Jahre Nato-Aggression gegen YU" mit bisher unveröffentlichten Infos und schrecklichem Bildmaterial. Weiters legten wir Kränze beim Denkmal für die ermordeten Kinder im Tasmajdan Park und beim Denkmal "Ewige Flamme" im Park der Freundschaft nieder.

WB: Du warst auch eingeladen, bei der Konferenz einen Vortrag zu halten. Was war Deine zentrale Botschaft?

ImageDSt: Ich nahm als Vorstandsmitglied der Solidarwerkstatt Österreich teil und arbeitete aus Perspektive eines österreichischen Sozialisten traditioneller Prägung in meinem Referat den imperialistischen Charakter der EU, deren Verhältnis zur NATO und die Notwendigkeit einer neuen ernsthaften und emanzipatorischen Neutralitätspolitik (für Österreich und Serbien) heraus. Mein Vortrag trug den Titel „Österreich in der neuen Weltordnung - Neutralität als Konzept für die Zukunft. Eine Welt des Friedens und der Gleichheit ist möglich“, in der ich eine historisch-materialistische Analyse der weltpolitischen Kräfteverhältnisse des 20.Jahrhunderts bis zur Zerschlagung Jugoslawiens, der NATO-Aggression und der heutigen Lage und der Rolle Österreichs formulierte. In der heutigen Konstellation wäre gerade für kleinere Staaten wie Österreich oder Serbien das Konzept einer ernsthaften politischen und militärischen Neutralität ein brauchbares Konzept und auch ein Konzept für die Zukunft. Eine Position die es ermöglichen würde, mit weitgehend allen Staaten wirtschaftlich und politisch Beziehungen auf gleicher Augenhöhe zu beiderseitigem Vorteil zu haben. Für Österreich würde das die Aufkündigung diverser EU-Verträge bedeuten, die ja zu Neoliberalismus und Militarisierung verpflichten. Und für Serbien wäre eine neue Politik Voraussetzung, die den EU-Beitritt nicht mehr als alternativlos darstellt. Es gibt in der politischen Ausrichtung immer Alternativen! Man schaue nur nach Lateinamerika, wo gerade die lateinamerikanischen Nationen unter der Führung Kubas und Venezuelas eine neuartige Integration auf souveräner Basis vorantreiben und damit dem US-Imperialismus in dieser Weltregion eine Lektion erteilen. Dieses lateinamerikanische Projekt „ALBA“ wäre, natürlich zugeschnitten auf die europäischen Verhältnisse, ein Vorbild für eine künftige anzustrebende Ordnung in Europa. Voraussetzung dafür ist jedoch auch ein qualitative Änderung der Politik zugunsten der Masse der Menschen, der Werktätigen in den einzelnen Ländern des europäischen Zentrums. Das steht in einem dialektischen Zusammenhang und bedingt einander. Eine Allianz selbstbestimmter, neutraler Staaten, die auf gleicher Augenhöhe und unter Respektierung des Völkerrechts zu beiderseitigem Vorteil miteinander politisch und ökonomisch kooperieren. Dies wäre nicht nur eine neue und nachhaltige Friedensarchitektur in Europa, sondern würde das Kräfteverhältnis auch wieder zugunsten der einfachen und arbeitenden Menschen verändern. Und wir wollen ja eine Welt erreichen, in der die arbeitenden Menschen und die breiten Volksschichten das Sagen haben und nicht die Eliten.

WB: Welche Reaktionen hast Du darauf erhalten?

DSt: Ich freute mich über den großen Beifall und das positive Echo, das mein Beitrag bewirkte. Allen nationalen und internationalen Teilnehmern war der Charakter der NATO klar. Auch waren alle EU-kritisch. Jedoch war etlichen der imperialistische und militaristische Charakter der EU nicht bekannt. Ich arbeitete den Aspekt der gültigen EU-Verträge heraus, die ja zu Aufrüstung und Militarisierung verpflichten, ja die EU eigentlich schon zu einem Militärpakt gemacht haben und damit die noch formal neutralen Staaten unter massiven Druck bringen. Das aufzudecken und den Menschen zu erklären, ist gerade in einem Land wie Serbien, das ja den Beitrittsstatus hat, unheimlich wichtig. Es gab eine positive Resonanz auf mein Referat, das in serbokroatischer und russischer Sprache simultan übersetzt wurde. Auch die Materialien der Solidarwerkstatt gingen weg wie warme Semmeln. Vor allem die deutschen und Schweizer Freunde waren sehr interessiert an unserer Arbeit. Sehr schön war für mich die Tatsache, dass vielen der anwesenden serbischen Freunde Bruno Kreisky und die Kreiskysche Außenpolitik noch in positiver Erinnerung waren. Auch wurde in Gesprächen mehrmals positiv und dankbar hervorgehoben, dass Österreich 1999 der NATO keine Überflugerlaubnis gab.

WB: Welchen Zusammenhang siehst Du zwischen dem Krieg gegen Jugoslawien vor 15 Jahren und dem Staatsstreich und der Eskalation in der Ukraine im Jahr 2014?

DSt: Natürlich war auch die Ukraine-Frage im Allgemeinen und die Situation auf der Krim und in der Ostukraine ein großes Thema. Auch in der Abschlussresolution wurde der Ukraine viel Raum gewidmet. Besonders die Allianz aus westlich finanzierten NGOs, gekauften „proEUropäischen neoliberalen Politikern und offenen Faschisten wurde diskutiert. Die Schlussfolgerung ist klar: Die NATO-Aggression gegen Jugoslawien war ein Türöffner für alle weiteren Konflikte und Interventionen im Nahen Osten, Osteuropa und anderswo. Die Selbstermächtigung der NATO von einem formalen Verteidigungsbündnis hin zu einer global agierenden Weltpolizei wurde 1999 vollzogen. Das Szenario, wie in Kiew eine legitime Regierung weggeputscht wurde, wurde bereits am 5. Oktober 2000 in Belgrad von NATO, EU und ihren NGOs durchexerziert. Das Land wurde destabilisiert und dem Westen genehme „markt-konforme“ Marionetten installiert, die jegliche Verantwortung für ihr eigenes Volk vermissen ließen und lassen. Ausverkauf, Aufteilung des Landes (illegale Sezession des Kosovo), Privatisierung und Unterwerfung unter die westlichen Kreditdiktate von IWF und EU waren die Folge. Genau dasselbe passiert nun nach dem Putsch in der Ukraine. Mit dem Unterschied, dass Russland im Gegensatz zu 1999/2000 wieder auf der weltpolitischen Bühne zurück ist und wieder eigene nationale Interessen formuliert. Moskau lässt eine NATO-assoziierte Ukraine nicht zu und das ist gut so.

WB: Siehst Du Möglichkeiten, wie Organisationen wie das Beoforum und die Solidarwerkstatt in Zukunft zusammenarbeiten können?

ImageDSt: Das Beoforum und hier vor allem Zivadin Jovanovic hat großes Interesse an einer Kooperation mit der Solidarwerkstatt Österreich, gibt es doch viele inhaltliche Überschneidungen in unserer Arbeit. Es gibt viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit für Frieden und Völkerverständigung und gegen Neoliberalismus und Interventionismus. Von gemeinsamen Konferenzen und Vorträgen, bis hin zu abgestimmten politischen Aktionen zu bestimmten Themen in Wien und Belgrad. Eine Einladung zu einer Veranstaltung der Solidarwerkstatt im Herbst wurde dem Beoforum übermittelt und sie freuen sich auf eine Teilnahme. Es war mir eine Ehre, dass ich an der Konferenz in Belgrad teilnehmen konnte und die Thematik der Veranstaltung aus der Sicht eines jüngeren Österreichers, traditionellen Sozialisten und Antiimperialisten aufzuarbeiten. Es freut mich umso mehr, dass ich im „Sava Centar“ in Belgrad sprechen konnte, da ich seit vielen Jahren eine starke Verbindung zu Serbien habe, die Stadt Belgrad liebe und auch seit 1999 in der Solidaritätsbewegung mit Jugoslawien/Serbien aktiv war und bin.

David Stockinger
Vorstandsmitglied Solidarwerkstatt Österreich, Stellvertr. Vorsitzender SPÖ Schwechat

4.6.2014

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